63. Auszug aus dem Urteil der staatsrechtlichen Abteilung
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vom 5. Juni 1913 in Sachen Erben Luchsinger gegen Schaffhausen.
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Regeste
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Expropriation. Gebäudeservitut, begründet durch Anbringung von Rosetten an Häuserfassaden zur Befestigung der Spanndrähte für den elektrischen Strassenbahnbetrieb. Die Mehrbelastung infolge Anlage der Doppelspur bedeutet keinen neuen Eingriff in das Grundeigentum im Sinn von Art. 1 Expr.-G.
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Aus den Erwägungen:
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Erwägung 2
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(Erw. 2.) Der Vertreter der Rekurrenten hat heute mit Nachdruck den Standpunkt vertreten, daß in der Belastung ihrer Gebäude mit dem Tragwerk der zweigeleisigen Straßenbahn in Verbindung mit der Anlage der Doppelspur ein Eingriff in das Grundeigentum der Rekurrenten liege; diese hätten s. Z. die An bringung der Rosetten nur für die Anlage eines Tramgeleises gestattet; der neue Eingriff mache die Rekurrenten tatsächlich zu Expropriaten und lasse ihre -- gegenüber den ursprünglichen Begehren übrigens bedeutend reduzierten -- Entschädigungsforderungen als begründet erscheinen.
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Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Freilich bedeutet die Anbringung von Rosetten an Häuserfassaden zur Befestigung der Spann- (Quer-) drähte für den elektrischen Straßenbahnbetrieb einen Eingriff in das Grundeigentum, indem eine Gebäudeservitut errichtet wird (Eger, Enteignungsgesetz 3. Aufl. S. 464). Nun haben aber die Rekurrenten beim Bau der Straßenbahn im Jahre 1900 die Anbringung der streitigen Rosetten ohne Entgelt gestattet. Die Servituten bestehen also schon seit Jahren zu Recht, und es kann sich nur fragen, ob infolge der Erstellung der Doppelspur eine Mehrbelastung eintritt, die den Rekurrenten in analoger Anwendung von Art. 739 ZGB nicht zugemutet werden darf -- es wäre denn, daß neue Servituten errichtet würden. Diese Frage ist eine Tatfrage; der Befund der Experten ist daher für das Bundesgericht verbindlich, wenn er sich nicht als offenbar unrichtig erweist. Nun stellen die Experten nicht nur fest, daß an den Rosetten als solchen nichts geändert, sondern ferner, daß durch die kleine Vermehrung der Spanndrähte, die sich aus der Legung der neuen Kontaktleitung über dem zweiten Geleise ergibt, ein Nachteil für die betreffenden Liegenschaften nicht entstehen werde. Diese Feststellung ist nicht anfechtbar. Folglich kann von einer fühlbaren Mehrbelastung der Liegenschaften der Rekurrenten durch das Tragwerk der Doppelspur nicht die Rede sein; eine geringfügige, für die Rekurrenten nicht fühlbare Mehrinanspruchnahme fiele nach der zutreffenden und übereinstimmenden Auffassung der Kommentare zum ZGB außer Betracht, Wieland, ad Art. 739 Anm. 2, Leemann, Anm. 3. Ein neuer oder vermehrter Eingriff in das Grundeigentum der Rekurrenten liegt also tatsächlich nicht vor und ist von der Instruktionskommission mit Recht verneint worden.
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Für die Auffassung der Rekurrenten läßt sich auch aus dem heute von ihrem Vertreter angeführten Beispiel der Erstellung eines Rangierbahnhofes an Stelle einer Station für den durchgehenden Personenverkehr nichts herleiten. Während hier die aus geführte Anlage eine ganz andere ist als die im Expropriationsplan vorgesehene, handelt es sich in casu um die Erweiterung der ursprünglichen Anlage auf Grund eines neuen Expropriationsplanes. Der Vergleich stimmt also in keiner Weise.
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Ebenso fehl geht der Hinweis auf das Urteil des Bundesgerichts vom 7. Mai 1907 i. S. Tschann, BGE 33 II Nr. 28 [= BGE 33 II 213]. Tschann hatte für den Bau der Straßenbahn Land abzutreten und es wurde im Urteil ausgeführt, daß die bessere Stellung des Expropriaten gegenüber seinen Nachbarn, die keine Rechte abzutreten hätten und daher nicht entschädigungsberechtigt seien, sich aus dem besondern Nexus erkläre, in dem er vermöge der Expropriation zur Expropriantin stehe. Das Urteil Tschann spricht also gegen und nicht für die Rekurrenten. Liegt aber ein Fall der Expropriation in casu nicht vor, so ist auf die einzelnen Entschädigungsforderungen der Rekurrenten nicht einzutreten.
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