BGE 80 II 243
 
40. Urteil der I. Zivilabteilung vom 26. Oktober 1954 i. S. Miller gegen Schmid.
 
Regeste
Berufungsantrag: Anforderungen gemäss Art. 55 Abs. 1 lit. b OG.
 
Sachverhalt
A.- Im Jahre 1931 übergab Josef Miller seiner in Zürich lebenden Tante Käthe Schmid-Miller eine Summe Geldes zur Verwaltung. Davon machte er später verschiedene Bezüge. Schriftliche Ausweise hierüber und über die seinerzeitige Hinterlegung fehlen, da Miller sein Guthaben in der Schweiz der deutschen Devisengesetzgebung wegen geheim halten musste.
Am 16. und 17. Dezember 1951 verhandelten die Parteien über die Rückzahlung. Auf Grund einer von Frau Schmid erstellten Abrechnung empfing Miller einen Restbetrag von Fr. 33'598.20. Gleichzeitig unterzeichnete er den, mit einem früheren Datum versehenen, nachstehenden
"Revers:
Herr Josef Miller, geb. 1895, von Ulm a /D, wohnhaft in Ulm a /D an der Alpenstrasse 22 beurkundet hiermit, dass er und seine Erben ab heutigem Datum darauf verzichten, irgendwelche Forderungen geltend zu machen gegenüber dem Ehepaar
Franz Josef Schmid-Miller, wohnhaft in Zürich an der Webernstrasse 12
und deren Erben.
Diese Urkunde wurde am 27. November 1951... ohne Zwang im beidseitigen Einverständnis in Gegenwart aller Mitunterzeichner ausgefertigt und ratifiziert. Dadurch ist dieses Schriftstück und der darin enthaltene Verzicht rechtsgültig und unanfechtbar geworden."
B.- In der Folge wurde Frau Schmid von Miller auf Bezahlung von Fr. 86'510.90 nebst 5% Zins seit 23. Januar 1952 belangt. Das Bezirksgericht Zürich schützte die Klage für Fr. 2000.-- mit Zins, indem es einen entsprechenden Abrechnungsirrtum der Parteien voraussetzte. Das Obergericht des Kantons Zürich bestätigte durch Urteil vom 2. März 1954.
C.- Der Kläger legte Berufung an das Bundesgericht ein mit dem Begehren, es sei "die Klage gutzuheissen". Die Beklagte schliesst auf Abweisung, eventuell auf Nichteintreten.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Mit Hinweis auf BGE 71 II 33 bringt die Beklagte zunächst vor, der Berufungsantrag missachte die Erfordernisse des Art. 55 OG. Allein die herangezogene Praxis wurde in BGE 78 II 448 dahin verdeutlicht, dass "wenn das Streitbegehren entweder aus der Berufungsbegründung oder aus dem angefochtenen Urteil ohne weiteres ersichtlich ist, ein auf Schutz dieses Begehrens lautender Antrag genügen muss". So verhält es sich hier. Das kantonale Urteil führt im Ingress die formulierte Streitfrage an, in welcher die Bezahlung von Fr. 86'510.90 verlangt ist, und es spricht davon im Dispositiv Fr. 2000.-- zu. Die einfache Gegenüberstellung zwischen dem Geforderten und dem Zugebilligten zeigt, dass unter der beantragten "Gutheissung der Klage" die Zuerkennung der verbleibenden Fr. 84'510.90 verstanden ist.
Weiter hält die Beklagte auch die Berufungsbegründung für mangelhaft. Letztere ist jedoch, wie darzutun sein wird, zumindest im entscheidenden Punkte durchschlagend.
Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger in Deutschland im Sinne des BRB vom 16. Februar 1945 über die vorläufige Regelung des Zahlungsverkehrs zwischen der Schweiz und Deutschland. Danach unterstanden seine Guthaben an die Beklagte der Sperre, sodass gemäss Art. 2 des Erlasses nur mit Zustimmung der Verrechnungsstelle darüber verfügt werden durfte. Jene Vorschrift liess offen, ob die Widerhandlung lediglich für die Verrechnungsstelle unbeachtlich oder auch für die Beteiligten ungültig sei. Die Frage wurde durch Art. 25 des BRB vom 6. März 1953 in der Weise geklärt, dass die Verfügung ohne Zustimmung der Verrechnungsstelle von Anfang an nichtig ist, jedoch eine nicht mit Zustimmungsverweigerung verbundene Freigabe der betroffenen Vermögenswerte die Genehmigung bedeuten soll. Art. 25 BRB vom 6. März 1953 stellt sich als authentische Interpretation des BRB vom 16. Februar 1945 dar and wirkt daher ohne besondere Anordnung zurück. Aber selbst wenn man ihm solchen Auslegungscharakter absprechen wollte, würde offenkundige gesetzgeberische Absicht zur Annahme der Rückwirkung zwingen. Denn die Durchführungsverordnung für die Liquidation der deutschen Vermögen, welche der BRB vom 6. März 1953 seinem Inhalte und Zwecke nach ist, muss sich auf jene Werte so beziehen, wie sie gesperrt worden waren, also notwendig seitherige Verfügungen darüber ergreifen. Die Nichtigkeit wirkt, abgesehen von den ausdrücklich vorbehaltenen Rechten gutgläubiger Dritter, allen gegenüber. Sie kann daher, wie es vorliegend geschah, im Zivilprozess unter den an der Verfügung beteiligten Parteien geltend gemacht werden.
Eine unter Art. 2 BRB vom 16. Februar 1945 und Art. 25 BRB vom 6. März 1953 fallende Verfügung ist namentlich der gänzliche oder teilweise Verzicht auf ein gesperrtes Guthaben. Im "Revers" vom 27. November bzw. 17. Dezember 1951 ist ein derartiger Verzicht nicht bloss formell ausgesprochen, sondern auch materiell enthalten, stellt doch die Vorinstanz das Wissen des Klägers um die Unbegründetheit der Abrechnung fest. Ein ernsthafter Richtigbefund kann somit nicht gemeint gewesen sein. Darum braucht nicht erörtert zu werden, ob auch in einem solchen, soweit er sich als objektiv falsch erweist, ein dem Art. 25 BRB unterworfener Verzicht zu erblicken wäre.
In ihrer Zuschrift vom 9. Juli 1954 an den Präsidenten der I. Zivilabteilung teilt die Verrechnungsstelle mit, dass sie die Zustimmung zum Verzicht des Klägers nicht erteilt habe. Alsdann ist die Verfügung nichtig und sie kann der Klage nicht entgegen gehalten werden. Anderseits hat der kantonale Richter die Einreden aus Art. 513 und 66 OR zutreffend verworfen. Der Prozess muss deshalb zur einlässlichen Prüfung der Klageforderung an die Vorinstanz zurückgewiesen werden.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird dahin gutgeheissen, dass das Urteil der II. Zivilkammer des Obergerichts des Kantons Zürich vom 2. März 1954, soweit angefochten, aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen wird.