10. Urteil der I. Zivilabteilung vom 9. Februar 1955 i.S. Schweiz. Verbandstoff- und Wattefabriken A.-G. gegen Internationale Verbandstoff-Fabrik Schaffhausen und Mitbeteiligte.
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Regeste
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Unlauterer Wettbewerb, begangen durch unrichtige und irreführende Angaben über die eigene Ware (Verbandwatte); Art. 1 Abs. 2 lit. b UWG (Erw. 1-3).
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Urteilspublikation, Art. 6 UWG, Voraussetzungen (Erw. 5).
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1. Gegenstand des Streites der Parteien ist im Berufungsverfahren lediglich noch die Frage, ob die Beklagte dadurch unlauteren Wettbewerb gegenüber den Klägerinnen begangen habe und noch begehe, dass sie Watte, die aus einer Mischung von Baumwolle mit 10-30% Kunstfasern besteht, unter der Bezeichnung "Verbandwatte", "Coton hydrophile", "Cotone idrofilo" vertreibt.
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"Gossypium depuratum, Watte, Verbandwatte, Coton hydrophile, Cotone idrofilo: Die von anhaftenden Verunreinigungen befreiten, entfetteten und gebleichten Haare der Samenschale von Gossypiumarten (Malvaceae)."
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Gossypium ist die wissenschaftliche Bezeichnung des Baumwollstrauches.
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Nach dieser Regelung gilt somit Watte, die medizinischen Zwecken dient, als Arzneimittel. Herstellung und Vertrieb von Watte mit der genannten Zweckbestimmung sind deshalb nur zulässig, wenn sie die in der Pharmakopöe festgelegten Voraussetzungen erfüllt. In diesem Umfange wird die Handels- und Gewerbefreiheit in Bezug auf Herstellung und Vertrieb von Watte durch das öffentliche Recht eingeschränkt. Die erwähnte Ordnung will nicht bloss die Beziehungen zwischen den Wattefabrikanten und ihren Kunden regeln. Sie ist vielmehr zum Schutze der Allgemeinheit getroffen worden, in erster Linie im Interesse der Kranken und Verletzten, bei deren Pflege Watte zur Anwendung gelangt.
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Die Regelung ist daher zwingend und kann nicht durch Vereinbarung der Beteiligten abgeändert werden. Das gilt auch für das von der Beklagten angerufene sog. Standard-Abkommen, d.h. die Vereinbarung der Wattefabrikanten und der Wiederverkäuferverbände vom 19. Mai 1925 /1. März 1952 über die Schaffung einer Standard-Vignette für Watte erster Qualität. Dieses Abkommen ist nur im Rahmen der Landes-Pharmakopöe rechtsbeständig und kann für die Auslegung der letzteren in keiner Weise massgebend sein.
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Ebenso kann entgegen der Meinung der Beklagten nichts darauf ankommen, ob die von den Klägerinnen vertretene und von der Vorinstanz gutgeheissene Auffassung, dass unter Verbandwatte begrifflich nur eine den Vorschriften der Pharmakopöe entsprechende Watte zu verstehen sei, von den beteiligten Fachkreisen geteilt wird oder nicht. Die Vorinstanz hat deshalb mit Grund dem Antrag der Beklagten auf Durchführung einer Expertise über diese Frage nicht stattgegeben. Gemäss Art. 2 des BRB vom 19. Mai 1933 ist der Begriff der Verbandwatte durch die einschlägigen Bestimmungen der Pharmakopöe rechtsverbindlich und abschliessend festgelegt.
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Daraus folgt, dass Watte als zur medizinischen Verwendung geeignet, d.h. als Verbandwatte nur angeboten und in den Handel gebracht werden darf, wenn sie den in der Pharmakopöe festgelegten Anforderungen Genüge leistet. Vor allem muss sie aus reiner Baumwolle bestehen und darf keine Beimischungen von Kunstfasern enthalten. Das wird, wie die Vorinstanz zutreffend bemerkt, übrigens auch dadurch erhärtet, dass in der Zeit der Rohstoffknappheit während des letzten Weltkrieges die Pharmakopöe vom Bundesrat ausdrücklich abgeändert werden musste, um vorübergehend die Beimischung von Ersatzstoffen, wie Zellwolle und Kunstseide, bei der Herstellung von Verbandwatte zu gestatten.
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Indem die Beklagte Watteerzeugnisse als arzneitauglich auf den Markt bringt, denen diese Eigenschaft nach dem geltenden Recht nicht zukommt, hat sie somit unzweifelhaft gegen die zwingenden Vorschriften der Pharmakopöe verstossen. Die darin liegende Widerrechtlichkeit wird nicht dadurch aufgehoben, dass angeblich andere Wattefabrikanten und insbesondere die Klägerin Nr. 1 die fraglichen Vorschriften in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen oder verletzt haben.
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Entgegen der Meinung der Beklagten ist es unerheblich, dass sie ihre Mischwatte nicht als "pharmakopöe-konform", "nach Vorschrift des Arzneibuches" oder dergl. bezeichnet. Ausschlaggebend ist, dass sie die Mischwatte als Verbandwatte, d.h. als für den medizinischen Gebrauch geeignetes Erzeugnis anpreist, obwohl es den gesetzlichen Anforderungen an eine medizinische Watte in Wirklichkeit nicht entspricht. Abgesehen hievon weist übrigens die Bezeichnung "Verbandwatte" auch nach dem allgemeinen Sprachgebrauch unmissverständlich darauf hin, dass das Erzeugnis für die medizinische Verwendung tauglich sei. Dieser Eindruck wird von der Beklagten zudem noch dadurch verstärkt, dass sie auf der Verpackung der als Verbandwatte verkauften Mischwatte "Qualität A Prima" vier Bilder über die verschiedenen Verwendungsmöglichkeiten anbringt, auf deren einem unter dem Titel "Flawa-Watte für die Wundpflege", "Ouate Flawa pour le pansement des blessures" gerade die Pflege einer Wunde gezeigt wird.
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Die Beklagte wendet ein, von einer Täuschung und Irreführung ihrer Kundschaft, d.h. der Grossabnehmerverbände und deren Mitglieder, könne nicht die Rede sein, da diese bei der Schaffung des bereits erwähnten Standard-Abkommens beteiligt gewesen seien und als Fachleute wüssten, dass die billigere Verbandwatte nicht Pharmakopöe-Qualität aufweise. Dieser Einwand scheitert aber schon an der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz, dass diese Abnehmer tatsächlich getäuscht worden sind. Zudem erhellt aus den eigenen Ausführungen der Beklagten, dass ihre gegenteilige Behauptung offenbar unrichtig ist. Sie hat nach ihren Vorbringen in der Duplik des kantonalen Verfahrens für eine ihrer Mischwatten, nämlich die sog. Haushaltwatte (Qualität B) sich auf speziellen Wunsch der Apotheker und Drogisten bereit erklärt, die Bezeichnung "Verbandwatte" wegzulassen. Dieses Begehren eines Teils der Kundschaft zeigt unmissverständlich, dass sie nnter Verbandwatte ein für medizinische Zwecke geeignetes Produkt versteht und diese Bezeichnung für eine den Anforderungen der Pharmakopöe nicht genügende Haushaltwatte als ungehörig erachtete. Es ist aber nicht einzusehen, weshalb für die übrigen, der Pharmakopöe ebenfalls nicht entsprechenden Mischwatten der Beklagten etwas anderes gelten sollte. Denn bei diesen handelt es sich, gleich wie bei der Haushaltwatte, um Mischungen von Baumwolle und Kunstfasern. Die Beklagte schweigt sich denn auch darüber aus, inwiefern es gerechtfertigt sein soll, einen Teil ihrer Mischwatte als Verbandwatte, den andern dagegen ohne diese Bezeichnung in Verkehr zu bringen. Der Verzicht der Beklagten auf die Bezeichnung der Haushaltwatte als Verbandwatte enthält im Grunde das Zugeständnis, dass die bisherige Benennung sämtlicher Mischwatten nicht in Ordnung war und keineswegs einer einhelligen und gefestigten Auffassung der in Betracht fallenden Verkehrskreise über den Begriff der Verbandwatte entsprach, wie die Beklagte behauptet.
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Für die von der Beklagten gegenüber der Klägerin Nr. 1 erhobene Einrede des Rechtsmissbrauches im Sinne von Art. 2 ZGB ist kein Raum. Da die Beklagte festgestelltermassen unlauteren Wettbewerb zum Nachteil der Klägerin Nr. 1 gegangen hat, ist diese befugt, die ihr deswegen vom Gesetz eingeräumten Rechtsansprüche zu verfolgen. Darin, dass sie von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, läge auch dann kein offenbarer Rechtsmissbrauch, wenn sie gemäss der Behauptung der Beklagten ihrerseits ebenfalls unlautere Wettbewerbshandlungen begangen haben sollte. Die gegenteilige Ansicht der Beklagten würde dazu führen, dass das UWG keine Anwendung fände, wenn sich zwei oder mehrere Konkurrenten gegenseitig mit unlauteren Wettbewerbshandlungen bekämpfen. Es würden also ausgerechnet diejenigen Fälle nicht erfasst, in denen der Wettbewerb in ganz besonderem Masse ausgeartet und das Eingreifen des Richters somit am dringendsten geboten ist. Das kann nicht der Wille des Gesetzgebers sein. Dieser geht vielmehr dahin, dass im Interesse einer wirksamen Bekämpfung des Wettbewerbsmissbrauchs in Fällen solcher Art jedem davon Betroffenen die Möglichkeit offen steht, die ihm gemäss Gesetz zukommenden Ansprüche auf dem Rechtsweg geltend zu machen (vgl. hiezu auch REIMER, Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht, 3. Aufl. 112. Kapitel S. 867). Es steht daher der Beklagten frei, ihrerseits Klage aus unlauterem Wettbewerb gegen die Klägerin Nr. 1 zu erheben, wenn diese tatsächlich in gleicher oder ähnlicher Weise gegen die Vorschriften der Pharmakopöe verstossen haben sollte, wie die Beklagte behauptet.
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Ebenso hat die Vorinstanz zu Recht der Beklagten die weitere Verwendung der Bezeichnung "Verbandwatte" für Watteerzeugnisse mit Kunstfasern-Beimischungen untersagt. Diese Entscheidung gilt auch für die französische und italienische Bezeichnung "Coton hydrophile", bzw. "Cotone idrofilo", die nach den zutreffenden Darlegungen der Vorinstanz ebenfalls auf die medizinische Verwendbarkeit des Erzeugnisses hinweisen.
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Die Vorinstanz hat schliesslich auch die Publikation des Urteilsdispositivs in verschiedenen Zeitungen angeordnet. Die Beklagte beantragt, es sei selbst im Falle der Gutheissung der Feststellungs- und Verbotsklage von einer Publikation abzusehen.
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Die Erwägungen, von denen sich die Vorinstanz bei ihrer Entscheidung über die Urteilspublikation hat leiten lassen, stehen jedoch im Einklang mit dem Zweckgedanken des Art. 6 UWG und der Rechtsprechung des Bundesgerichts dazu (vgl. BGE 79 II 329). Die Beklagte hat während geraumer Zeit unter Entfaltung einer umfangreichen Reklame Mischwatte im Widerspruch zu den Vorschriften der Pharmakopöe als Verbandwatte vertrieben. Dies musste notwendigerweise eine Unsicherheit über die Tragweite der einschlägigen Vorschriften und über den Begriff "Verbandwatte" nach sich ziehen. Da diese Unsicherheit den Bereich der Gesundheitspflege betrifft, muss sie nicht nur im Interesse der benachteiligten Konkurrenten, sondern auch im Interesse der Allgemeinheit möglichst umfassend behoben werden. Hiezu genügt entgegen der Meinung der Beklagten die Mitteilung des Urteils an die Pharmakopöe-Kommission nicht. Es ist vielmehr erforderlich, dass die beteiligten Verkehrskreise unmittelbar aufgeklärt werden, was am besten durch die Urteilsveröffentlichung in der von der Vorinstanz verfügten Weise erreicht wird.
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Gegenüber dem dargelegten weitreichenden Interesse an der Beseitigung jeder Unsicherheit ist von untergeordneter Bedeutung, ob und inwieweit die Publikation des Urteilsdispositivs sich für die Beklagte nachteilig auswirkt. Ihr Schaden wird übrigens nach der Erfahrung des Lebens entgegen ihrer jeglicher Substanzierung entbehrenden Behauptung keinesfalls ein Ausmass annehmen, das ihre Existenz in Frage zu stellen vermöchte.
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Unerheblich ist schliesslich, ob die Beklagte die unzulässigen Wettbewerbshandlungen schuldhaft oder gutgläubig begangen hat. Wie in BGE 79 II 329 mit einlässlicher Begründung dargelegt wurde, setzt die Urteilspublikation nach Art. 6 UWG kein Verschulden des Urhebers der unzulässigen Wettbewerbshandlung voraus, sondern es genügt für sie das Bedürfnis nach der Beseitigung der durch jene hervorgerufenen Unsicherheit auf dem betreffenden Wirtschaftsgebiet.
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