82. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 3. November 1955 i.S. Ostroumov gegen Bryner und Konsorten.
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Regeste
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Gesellschaft mit beschränkter Haftung (Art. 814 OR).
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durch Gesellschaftsbeschluss übertragene Geschäftsführung und Vertretung ohne wichtigen Grund zu entziehen.
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Zu entscheiden ist einzig die Frage, ob der Beklagte als Geschäftsführer und Vertreter der Bryner & Co. GmbH. durch blossen Mehrheitsbeschluss der Gesellschafter abberufen werden konnte oder ob der Entzug seiner Geschäftsführungsbefugnis nur aus wichtigen Gründen möglich war.
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Die zwiespältige Natur der GmbH. als Mischform zwischen Personen- und Kapitalgesellschaft zeigt sich auch in der gesetzlichen Regelung der Geschäftsführung und Vertretung. Sie steht grundsätzlich allen Gesellschaftern gemeinsam zu (Art. 811 Abs. 1 OR) und kann wie bei der Kollektivgesellschaft nur aus wichtigen Gründen entzogen werden (Art. 814 Abs. 2 OR). Sie kann aber durch die Statuten oder durch Gesellschaftsbeschluss einem oder mehreren Gesellschaftern (Art. 811 Abs. 2) oder, in Abweichung vom Recht der Personengesellschaft, an Dritte, die Nichtgesellschafter sind (Art. 812 Abs. 1), übertragen werden. Für den Fall der Übertragung der Geschäftsführung an Dritte bestimmt Art. 814 Abs. 3 OR, dass sie durch Gesellschaftsbeschluss jederzeit entzogen werden kann; dagegen ist die Abberufung des durch Gesellschaftsbeschluss zur Geschäftsführung berufenen Gesellschafters gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt.
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In den Beratungen der Expertenkommission war eine vollständigere Fassung des Gesetzestextes vorgeschlagen und grundsätzlich beschlossen worden. Darnach sollte die Geschäftsführung und Vertretung den statutarisch dazu berechtigten Gesellschaftern nur aus wichtigen Gründen entzogen werden dürfen, während den vertraglich beauftragten Gesellschaftern und Dritten gegenüber der Entzug jederzeit möglich sein sollte. Diese Auffassung fand dann aber im Gesetz keinen ausdrücklichen Niederschlag, und zwar offenbar deshalb, weil der Referent, dem die Formulierung überlassen wurde, die Meinung vertrat, es sei den Statuten vorzubehalten, ob die Geschäftsführungsbefugnis der Gesellschafter frei widerruflich sein solle (Protokoll 1924 /25 S. 502 ff.).
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Aus dem geltenden Gesetzestext und seiner Entstehungsgeschichte folgt entgegen der Ansicht des Beklagten nicht zwingend, dass Art. 814 Abs. 2 OR für den Entzug der Geschäftsführung und Vertretung eines Gesellschafters schlechthin gelte. Schon aus der in dieser Bestimmung gebrauchten Wendung, "unter den Gesellschaftern" seien die Vorschriften der Kollektivgesellschaft anwendbar, ist zu schliessen, dass das Gesetz hier nur den Fall der gemeinsamen Geschäftsführung durch alle Gesellschafter im Sinne des Art. 811 Abs. 1 OR im Auge hatte. Wo aber eine davon abweichende Regelung getroffen wird, ist die Art der Begründung der Geschäftsführung für die Frage ihres Entzuges von Bedeutung. Die einem Gesellschafter durch das Gesetz oder die Statuten übertragene Geschäftsführung ist eine gesellschaftsrechtliche und bleibt deshalb grundsätzlich unwiderruflich, es sei denn, dass wichtige Gründe vorliegen (Art. 539 OR). Anders verhält es sich, wenn einem Gesellschafter die Geschäftsführung bloss durch Gesellschaftsbeschluss eingeräumt wird. Durch ihn wird nicht ein gesellschaftsrechtliches, nur aus wichtigen Gründen entziehbares Recht zur Geschäftsführung begründet, sondern bloss ein vertraglicher und folglich widerruflicher Anspruch, wie ihn der zur Geschäftsführung berufene Nichtgesellschafter besitzt. Gesetzlich besteht daher kein Hinderungsgrund, die einem Gesellschafter durch Gesellschaftsbeschluss übertragene Geschäftsführung ohne wichtigen Grund zu entziehen.
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Die Statuten der Bryner & Co. GmbH. bestimmen, dass die Geschäftsführung einer oder mehreren Personen übertragen werde, die nicht notwendig Gesellschafter zu sein brauchen (Art. 14). Sie schliessen also einen gesellschaftsrechtlichen, durch Gesetz oder Statuten begründeten Anspruch der Gesellschafter auf die Geschäftsführung aus und sehen einzig deren Übertragung durch Vertrag (Beschluss) vor. Überdies zeigt ihr Wortlaut, dass die geschäftsführenden Gesellschafter den als Geschäftsführer ernannten Dritten grundsätzlich gleichgestellt werden wollten. Es war somit zulässig, dem Beklagten die Geschäftsführung und Vertretung ohne Nachweis eines wichtigen Grundes durch Gesellschaftsbeschluss zu entziehen. Dass dazu ein Mehrheitsbeschluss genügte und gültig zustande gekommen ist, ist unbestritten, ebenso, dass der Beschluss, durch den der Beklagte zum Geschäftsführer ernannt worden war, dessen Abberufung keinen Einschränkungen unterwarf.
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