BGE 82 II 173 |
26. Urteil der II. Zivilabteilung vom 3. Mai 1956 i.S. X. gegen X. |
Regeste |
Anfechtung der Ehelichkeit, Art. 253 ff. ZGB. |
2. Nachweis der Unmöglichkeit nach Art. 254 durch Beweis der Zeugungsunfähigkeit und auf Grund der Bluteigenschaften. |
Sachverhalt |
"Es sei gerichtlich festzustellen, dass der Kläger unmöglich der Vater des durch die Beklagte am 15. Februar 1953 geborenen Knaben M. P. sein kann."
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Das Bezirksgericht Vorderrhein erklärte sich mit Urteil vom 27. Januar, mitgeteilt am 20. Februar 1954, örtlich unzuständig, trat auf die Klage nicht ein und eröffnete dem Kläger eine 60-tägige Nachfrist gemäss Art. 139 OR zur Anbringung der Klage beim zuständigen Gericht. Nach neuer Vermittlung in Ilanz reichte der Kläger am 5. April 1954 die Klage mit gleichem Begehren beim Bezirksgericht Glenner ein.
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Der Kläger begründete die Anfechtung mit der Behauptung, er sei zeugungsunfähig. Die Beklagte gab zu, sie habe sich angesichts dieses Mangels des Mannes und weil sich beide ein Kind gewünscht hätten, absichtlich von einem Freunde des Mannes schwängern lassen und zwar mit Einwilligung des letztern, was wiederum dieser bestritt.
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Das Bezirksgericht Glenner wies mit Urteil vom 13. Juni 1954 die Klage ab, weil zur Zeit der Empfängnis die Eheleute regelmässig geschlechtlich verkehrt hätten und mit einem im Jahre 1947 eingeholten, auf damalige Zeugungsunfähigkeit infolge Aspermie lautenden Gutachten die Unmöglichkeit der Vaterschaft im Jahre 1952 nicht nachgewiesen werden könne.
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B.- Vor Kantonsgericht Graubünden hielt der Kläger an seinem Klagebegehren in gleicher Formulierung fest. Nach Anhören der Parteivorträge holte das Kantonsgericht beim gerichtlich-medizinischen Institut der Universität Zürich über die Zeugungsfähigkeit des Klägers sowie über die Bluteigenschaften der Parteien ein Gutachten ein. Dieses lautete dahin, dass mit Sicherheit beim Kläger um die Zeit der Empfängnis impotentia generandi bestanden habe und dass er durch die Blutprobe nach zwei Kriterien (Rhesus und Duffy), also praktisch mit absoluter Sicherheit als Vater ausgeschlossen werden könne.
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Mit Urteil vom 19. Oktober/15. Dezember 1955 trat jedoch das Kantonsgericht auf Klage und Appellation nicht ein, weil die Klage, so wie das Rechtsbegehren gestellt sei, unzulässig sei. Die Klage auf Anfechtung der Ehelichkeit eines Kindes nach Art. 253 ZGB verfolge nach der ratio legis den Zweck, die Vermutung der Ehelichkeit umzustossen und die Folgen, die das Gesetz an den Tatbestand der Ehelichkeit knüpfe, zu verhindern. Aus diesem Zwecke ergebe sich der wesentliche und notwendige Inhalt des Klagebegehrens der Anfechtungsklage: er müsse auf die Unehelicherklärung bzw. Aberkennung der Ehelichkeit des Kindes durch den Richter gerichtet sein. Eine blosse Feststellungsklage jedoch genüge schon deshalb nicht, weil der Kläger seine rechtlichen Interessen im Sinne des Gesetzes nur so wahren könne, dass er die Ehelichkeit des Kindes in einem Gestaltungsurteil aberkennen lasse. Dieses rechtliche Interesse werde durch die Klage auf Unehelicherklärung erschöpfend und abschliessend gewahrt. Für die negative Feststellungsklage sei dagegen nach der geltenden Rechtsordnung und namentlich auch im Hinblick auf ihren subsidiären Charakter kein Raum vorhanden. Die Feststellung der Unehelichkeit des Kindes erfülle auch in diesem Verfahren - wie bei der Vaterschaftsklage - lediglich die Funktion eines Inzidentpunktes.
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Wäre das Rechtsbegehren richtig gestellt worden, so hätte die Anfechtungsklage ohne weiteres geschützt werden müssen.
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C.- Mit der vorliegenden Berufung beantragt der Kläger Aufhebung des angefochtenen Urteils und "Gutheissung der Klage unter Feststellung der Unmöglichkeit der Vaterschaft des Klägers, resp. unter Ausserehelicherklärung des Kindes P. M. X."; eventuell Gewährung einer Nachklagefrist zugunsten des Klägers.
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Die Berufungsbeklagten beantragen Abweisung der Berufung und Bestätigung des angefochtenen Urteils, eventuell Rückweisung an die Vorinstanz, wobei die Frage der ausdrücklichen oder stillschweigenden Anerkennung der Ehelichkeit durch den Kläger auch zu prüfen wäre.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: |
1. Die Vorinstanz hat die vorliegende Klage als unzulässig von der Hand gewiesen, weil ihr der Charakter einer Feststellungsklage zukomme, für eine solche aber neben der Gestaltungsklage des Art. 253 ZGB kein Raum sei. Nach der neuen Rechtsprechung des Bundesgerichtes über die Zulässigkeit der Feststellungsklage besteht ein allgemeiner Anspruch auf diese im ganzen Gebiete des Bundesprivatrechts, soweit wegen Gefährdung des materiellen Rechts ein Interesse auf sofortige Feststellung desselben besteht; diese Klage ist eidgenössischen, nicht kantonalen Rechts (BGE 77 II 344 ff., 350). In casu leitet auch die Vorinstanz die Unzulässigkeit der Klage ausschliesslich aus dem materiellen Bundesrecht, nämlich demjenigen des Art. 253 ff. ZGB ab; sie beruft sich nicht etwa auf Vorschriften des kantonalen Prozessrechts darüber, wie eine Klage formuliert sein müsse, um prozessual zulässig und gültig zu sein. Die Frage ihrer Gültigkeit unterliegt daher der Überprüfung des Bundesgerichtes.
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Der Vorinstanz ist nun ohne weiteres zuzustimmen, dass neben der Klage auf Anfechtung der Ehelichkeit eines Kindes gemäss Art. 253 ZGB, welche auf Aberkennung des ehelichen Status bzw. Unehelicherklärung desselben, also auf einen rechtsgestaltenden, nämlich den bisherigen Status des Kindes ändernden richterlichen Hoheitsakt abzielt, für eine Klage auf blosse negative Feststellung der Unehelichkeit, ohne diese rechtsgestaltende Wirkung, weder irgendein schutzwürdiges Interesse noch eine logische Möglichkeit besteht und eine solche daher ausgeschlossen ist.
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Es ist jedoch offensichtlich, dass der Anwalt des Klägers keineswegs beabsichtigte, eine blosse Feststellungsklage im Gegensatz zur Anfechtungsklage im Sinne des Gesetzes einzureichen, indem er auf die - in der Tat seltsame - Formulierung verfiel "es sei festzustellen, dass der Kläger unmöglich der Vater des Kindes sein könne". Er machte damit formell das Thema des Nachweises, der laut Art. 254 i. f. die tatbeständliche Voraussetzung der Anfechtung bildet, zum Gegenstand und Ziel des verlangten Urteils selbst. Dieser Irrtum erklärt sich offenbar damit, dass der Klageverfasser den Inhalt des Rechtsbegehrens im Wortlaut des Gesetzes suchte, aber nicht fand, weil dieses in der Tat hier nirgends (wohl aber in anderm Zusammenhange, Art. 316 Abs. 1!) von Unehelicherklärung oder Aberkennung der Ehelichkeit spricht, sondern lediglich von "Anfechtung der Ehelichkeit", die jedoch eben nicht der vom Richter verlangte rechtsgestaltende Akt, sondern die auf diesen abzielende Rechtsvorkehr des Klägers ist. Weder nennt das Gesetz den Gegenstand des Anfechtungsklagebegehrens selbst, noch verlangt es eine bestimmte Formulierung desselben. Es schreibt nicht vor (und das kantonale Recht könnte nicht vorschreiben), dass das Klagebegehren genau so lauten müsse, wie im Falle der Gutheissung das Dispositiv lauten wird. Übrigens lautet hier die Klage und Berufung an die Vorinstanz nicht, wie diese (S. 5 Mitte) ungenau bemerkt, auf Feststellung der Unehelichkeit des Kindes, sondern der Unmöglichkeit der Vaterschaft des Klägers. Dass der Klageverfasser die wörtliche Umschreibung des Beweisthemas in Art. 254 übernahm, deutet darauf hin, dass er eben diejenige Klage erheben wollte, auf die sich diese Bestimmung bezieht, also die Anfechtungsklage im Sinne von Art. 253 ff. Zudem wird in zahlreichen Aktenstücken (Klagen, Antwort etc.) als Prozessgegenstand schlechthin "Anfechtung der Ehelichkeit" und im Kontext der Klagebegründung an das Bezirksgericht Glenner als Rechtsbegehren vor Vermittleramt "Aberkennung der Ehelichkeit" angegeben. In diesem Sinne haben denn auch beide Bezirrksgerichte und bis ins letzte Stadium auch das Kantonsgericht die Klage aufgefasst. Es liegt auf der Hand, dass dies die Meinung des Klägers war, nämlich weil Unmöglichkeit der Vaterschaft bestehe, sei das Kind unehelich zu erklären mit allen gesetzlichen Folgen dieser Erklärung. Dieser Sinn des Antrags, nicht sein Wortlaut, ist massgebend. Der Sinn eines Rechtsbegehrens muss vom Gericht durch Auslegung unter Heranziehung der Begründung bestimmt werden. Ist ein Antrag unbestimmt oder unklar, sodass seine Bestimmung auch aus der Klagebegründung nicht möglich erscheint, so hat der Richter seine Verbesserung zu bewirken (LEUCH, Komm. zur bern. ZPO, 3. Aufl., Art. 157 N. 3). Im vorliegenden Falle hat niemand, auch nicht die Gegenpartei, am Sinn des Antrags gezweifelt und keine Instanz daran gedacht, eine Berichtigung herbeizuführen; ganz offensichtlich weil er allen Beteiligten klar erschien. Denn dass der Kläger kein blosses Feststellungsurteil wollte, das ihm ja gar nichts genützt hätte, sondern ein Rechtsgestaltungsurteil, eben die Unehelicherklärung mit ihren praktischen Folgen (Name, Bürgerrecht, Unterhaltspflicht, Art. 270 ff. ZGB), steht ausser Zweifel.
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Hierin unterscheidet sich der vorliegende Fall von dem in BGE 79 II 253ff. beurteilten, wo der Vaterschaftskläger angesichts der Wertlosigkeit der Erbschaft des verstorbenen Vaters (Art. 322 Abs. 2) gegen dessen Erben nicht auf Leistungen klagen konnte und deshalb tatsächlich auf blosse Feststellung der Vaterschaft klagen wollte, man es also mit einer wirklichen Feststellungsklage zu tun hatte, die es - nach Art. 309, 317 ff. - nicht gibt (a.a.O. S. 259).
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Folgt daraus, dass die Anfechtungsklage vom 15. März/5. April 1954 zulässig und gültig erhoben und weitergezogen worden ist, muss darauf eingetreten werden, und es kann dahingestellt bleiben, ob die Ansetzung einer nochmaligen Nachfrist gemäss Art. 139 OR in Betracht käme (vgl. BGE 61 II 148f., BGE 80 II 292; VAUTIER, in SJZ 47, S. 271 ff.).
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Die Beklagten haben allerdings eingewendet, der Kläger sei mit dem Ehebruch der Frau einverstanden gewesen und habe durch ausdrückliche oder stillschweigende Anerkennung die Ehelichkeit des Kindes "akzeptiert". Sie halten auch vor Bundesgericht an dieser Einwendung fest und verlangen für den Fall des Eintretens Rückweisung an die Vorinstanz, wobei auch diese Frage zu prüfen sei. Das Kantonsgericht hat sich mit ihr nicht befasst. Aus seiner Bemerkung, die Klage müsste, wenn richtig formuliert, ohne weiteres geschützt werden, liesse sich der Schluss ziehen, dass es die Einwendung der Beklagten materiell verwerfe, also verneine, dass eine solche Anerkennung stattgefunden habe. Der Kläger hat diese Anbringen bestritten. Aus der im Auftrag des Bezirksgerichts Vorderrhein vor Bezirksgericht Zürich erfolgten Zeugeneinvernahme ergibt sich, dass die Mutter der Beklagten behauptete, ihre Tochter habe ihr erzählt, der Kläger sei damit einverstanden gewesen, dass sie sich von einem Dritten schwängern lasse, um damit die eheliche Gemeinschaft und das eheliche Glück zu festigen. Es handelt sich also dabei nur um die Wiedergabe der Darstellung der Beklagten selbst, die vom Kläger bestritten wird.
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Wie es sich damit verhält, kann indessen dahingestellt bleiben. Nach der Doktrin, der beizupflichten ist, kann eine Anerkennung der Ehelichkeit nur nach der Geburt erfolgen (EGGER, zu Art. 253 N. 7 i. f.). Eine allfällige vorherige Zustimmung des Ehemannes zum Ehebruch der Frau könnte daher keine Anerkennung in sich schliessen. Ebensowenig kann eine stillschweigende Anerkennung darin erblickt werden, dass er nach der Geburt zunächst ohne Vorbehalt weiter mit der Ehefrau zusammenlebte, selbst wenn daraus auf Verzeihung des Ehebruchs geschlossen werden könnte (BGE 61 II 301). Eine nach der Geburt abgegebene Erklärung des Klägers, die als ausdrückliche Anerkennung bewertet werden könnte, wird von der Beklagten nicht behauptet.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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