BGE 82 II 522
 
68. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 26. Oktober 1956 i.S. Gazda gegen Brunner.
 
Regeste
Abtretung an Zahlungsstatt, Gewährspflicht für den Bestand der Forderung, Art. 171 Abs. 1 OR, Tragweite.
 
4. a) Der Beklagte hat mit Vereinbarung vom 10. Januar 1949 einen Bruchteil von 24% seiner Lizenzforderung gegen Bührle & Co. dem Kläger an Zahlungsstatt abgetreten. Es sind also die Vorschriften über die Abtretung von Forderungen, Art. 164 ff. OR, anwendbar. Dass die Parteien sich nicht auf sie berufen und auch die Vorinstanzen nicht auf sie abgestellt haben, ist unerheblich; denn gemäss Art. 63 Abs. 3 OG ist das Bundesgericht in der rechtlichen Würdigung der Tatsachen frei, also an die rechtliche Betrachtungsweise des kantonalen Richters nicht gebunden (BGE 70 II 217).
Bei der Beurteilung der Sache unter dem massgebenden Gesichtspunkt der Abtretung ist zu beachten, dass die vorliegende Abtretung entgeltlich war. Sie erfolgte zur Leistung einer Vergütung für geleistete Dienste des Klägers (Mithilfe bei der Patenterwirkung). Dieser hat auf dem Prozesswege versucht, von der Abtretungsschuldnerin Zahlung zu erhalten, wurde aber abgewiesen, weil die an sich unbestrittene Forderung Gazdas untergegangen ist infolge Verrechnung mit einer höheren Darlehensforderung der Firma Bührle & Co. gegen Gazda. Der Kläger hat somit aus der Abtretung nichts erhalten. Es fragt sich, ob und inwieweit der Beklagte dafür einzustehen habe.
b) Die entgeltliche Abtretung von Forderungen steht rechtlich wie wirtschaftlich dem Fahrniskauf nahe. Die für diesen geltenden Bestimmungen über die Gewährleistung (Art. 197 ff. OR) sind jedoch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts auf die Forderungsabtretung grundsätzlich nicht anwendbar, weil das Gesetz hierüber in Art. 171 ff. OR eine besondere Regelung enthält (BGE 79 II 158Abs. 2,BGE 78 II 219f.,BGE 47 II 186Erw. 3).
Art. 171 Abs. 1 OR umschreibt die Gewährspflicht bei der entgeltlichen Abtretung dahin, dass der Abtretende für den Bestand der Forderung zur Zeit der Abtretung hafte. Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung hätte also der Abtretende die ihm gesetzlich obliegende Gewähr geleistet, wenn die Forderung im Zeitpunkt der Abtretung bestand. Die Vorschrift ist indessen dahin zu verstehen, dass den Abtretenden die sogenannte Verschaffungspflicht trifft, d.h. dass er dem Abtretungsempfänger die Rechte aus der abgetretenen Forderung zu verschaffen hat. Dieser Pflicht genügt er zunächst durch die vereinbarungsgemässe Übertragung der Forderung. Darüber hinaus darf er aber auch nachher nichts tun, wodurch das abgetretene Recht dem Zessionar entzogen oder wodurch es beeinträchtigt würde (OSER/SCHÖNENBERGER, OR Art. 171 N. 4). Er haftet somit auch für Verschlechterungen der abgetretenen Forderung, welche er in der Zeit zwischen der Abtretung und ihrer Kenntnisgabe an den Schuldner, namentlich durch Verhandlungen mit ihm, herbeigeführt hat (HAFNER, OR 2. Aufl. N. 3 zu Art. 192 a OR).
Würde der Haftung aus Art. 171 Abs. 1 OR nicht diese Tragweite zuerkannt, so ginge bei Abtretung an Zahlungsstatt (wie sie hier in Frage steht), der Abtretungsempfänger leer aus, wenn die im Zeitpunkt der Abtretung bestehende Forderung durch Verrechnung mit einer erst nachträglich begründeten Gegenforderung des Abtretungsschuldners an den Abtretenden erlischt. Denn durch die Abtretung an Zahlungsstatt wird die Forderung des Abtretenden gegenüber dem Abtretungsempfänger getilgt und geht unter; erweist sich die abgetretene Forderung hernach als nicht bestehend, so ist der Abtretende dafür lediglich nach Art. 171 OR gewährspflichtig (VON TUHR/SIEGWART OR II S. 449 oben). Diese Gewährspflicht aber wäre bei Abstellen auf den blossen Wortlaut von Art. 171 Abs. 1 OR zu verneinen, weil die Forderung im Zeitpunkt der Abtretung tatsächlich bestand, wenn auch mit der Möglichkeit einer Verrechnung belastet, und zwar auch mit Bezug auf Gegenforderungen, die der Schuldner nach der Abtretung aber vor Kenntnis derselben erwirbt (VON TUHR/SIEGWART, OR II S. 815 oben). Dieses Ergebnis wäre aber derart stossend, dass es nicht richtig sein kann.
Fasst man jedoch die in Art. 171 OR umschriebene Gewährspflicht des Abtretenden im oben dargelegten Sinne auf, so kann der Beklagte entgegen seiner Meinung auch nichts daraus ableiten, dass in der Vereinbarung der Parteien (Ziff. 6) lediglich das Nichtbestehen verrechenbarer Gegenforderungen der Firma Bührle & Co. im Zeitpunkt der Abtretung festgestellt, dagegen die spätere Begründung solcher Gegenforderungen durch den Beklagten nicht ausdrücklich wegbedungen wurde.
c) Der Beklagte ist somit schon nach dem Rechte der Abtretung gewährleistungspflichtig. Er schuldet dem Kläger, soweit dieser in seinen Rechten beeinträchtigt worden ist, Schadenersatz. Das ergibt sich übrigens auch aus dem allgemeinen obligationenrechtlichen Grundsatz, dass der Schuldner eine von ihm geschaffene Unmöglichkeit der Erfüllung zu vertreten hat (Art. 97 OR). Pflichten sind nach Treu und Glauben zu erfüllen (Art. 2 ZGB). Das gilt auch für die Verschaffungspflicht bei der Abtretung. Der Abtretende darf diese nicht dadurch wertlos machen, dass er nachträglich eine Gegenforderung, z.B. wie hier durch Darlehensaufnahme, begründet. So wird auch für das deutsche Recht, wo die Gewährleistung des Abtretenden bei der entgeltlichen Abtretung in die Vorschriften über den Kauf verwiesen ist, gestützt auf die allgemeinen Grundsätze des Schuldrechts der Schluss gezogen, dass der Abtretende grundsätzlich für das Fortbestehen der Forderung nach dem Verkauf hafte (PALANDT, 14. Aufl., N. 2 zu § 438 BGB). Dementsprechend hat auch das Reichsgericht in ähnlichen Fällen wie dem vorliegenden dem Erwerber einer Forderung die allgemeine Klage auf Schadenersatz wegen Nichterfüllung zugebilligt, namentlich bei positiver Vertragsverletzung, und überhaupt dort, wo der Abtretende durch einen von ihm zu vertretenden Umstand die Erfüllung nach Abschluss des Vertrages unmöglich gemacht hat; dies mit der Begründung, dass die Eigenart des auf den Verkauf eines Rechtes gerichteten Vertrages den Verkäufer noch über die unmittelbare Erfüllung hinaus haften lasse und seine Haftung daher mit dem Vollzug der Abtretung nicht notwendig ihr Ende erreiche (vgl. RGZ 111 S. 302).