BGE 83 II 53
 
9. Urteil der I. Zivilabteilung vom 28. Januar 1957 i.S. Casor G.m.b.H. gegen Heggendorn.
 
Regeste
1. Art. 55 Abs. 1 lit. b OG. Wann genügt der Berufungsantrag auf Rückweisung der Sache? (Erw. 1).
 
Sachverhalt
A.- Walter Heggendorn und Jakob Weissberg gründeten am 4. Juni 1951 eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die in Fortführung des bisher von Heggendorn als Einzelinhaber geführten Geschäftes die Herstellung von Uhrenschalen, Armbändern und ähnlichen Waren bezweckte.
Die Gründung erfolgte, weil Heggendorn durch sein Geschäft in finanzielle Schwierigkeiten geraten war und Weissberg als Teilhaber in ein Unternehmen mit Fabrikationsberechtigung einzutreten wünschte. An das Stammkapital von Fr. 20'000.-- leistete Weissberg durch Bareinzahlung Fr. 9000.--. Heggendorn verpflichtete sich zu einer Stammeinlage von Fr. 11'000.--, bestehend in den Aktiven und Passiven seines Geschäftes. Die Aktiven wurden im Übernahmevertrag und in den Statuten unter Verweisung auf Inventar und Bilanz vom 30. April 1951 auf Fr. 80'785.30, die Passiven auf Fr. 69'785.30 beziffert. Wie beide Gründer wussten, waren Inventar und Bilanz insofern inhaltlich unwahr, als sie das Warenlager zu hoch bewerteten und nicht alle von der Gesellschaft übernommenen Schulden aufführten. Laut Gründungsurrkunde stand die Geschäftsführung beiden Gesellschaftern zu. Die Gesellschaft, mit Sitz in Lengnau bei Biel, wurde am 8. Juni 1951 unter der Firma Walter Heggendorn G.m.b.H. in das Handelsregister eingetragen.
Am 6. September 1952 trat Heggendorn seinen Gesellschaftsanteil gegen Entgelt an Weissberg ab. Dieser führte das Geschäft unter der neuen Firma Jakob Weissberg G.m.b.H. weiter und verlegte den Sitz am 6. Januar 1953 nach Arch. Am 11. Mai 1953 starrb Weissberg. Seine beiden Erben traten ihre Gesellschaftsanteile am 9. Oktober 1953 unentgeltlich an Eduard Hugi ab, unter Hinweis darauf, dass die Schulden der Gesellschaft die Aktiven um Fr. 42'464.06 überstiegen. Hugi änderte am gleichen Tage den Namen der Gesellschaft in Casor G.m.b.H. ab.
B.- Mit Klage vom 23. Januar 1956 beantragte die Casor G.m.b.H. dem Appellationshof des Kantons Bern, Heggendorn sei zu verurteilen, ihr Fr. 23'942.35 nebst 5% Zins seit 17. August 1955, Fr. 8272.45 nebst Zins zu 6% seit 1. Januar 1952 und einen nach richterlichem Ermessen zu bestimmenden weiteren Betrag zu bezahlen. Sie machte geltend, sie habe Fr. 23'942.35 auslegen müssen, um Geschäftsschulden des Beklagten zu tilgen, die er in die Bilanz vom 30. April 1951 bewusst nicht aufgenommen habe, und eine weitere solche Schuld von Fr. 8272.45 sei von einem Gläubiger auf Rechnungsruf der Klägerin hin angemeldet worden. Den nach richterlichem Ermessen zu bestimmenden weitern Betrag verlange sie, weil der Beklagte den Wert des Warenlagers in der Eröffnungsbilanz statt auf Franken 24'810.-- auf Fr. 48'450.-- beziffert habe. Die Schadenersatzpflicht ergebe sich aus Art. 753 OR.
Am 11. Juli 1956 wies der Appellationshof die Klage entsprechend dem Antrage des Beklagten ab, weil Weissberg bei der Gründung der Gesellschaft nicht irregeführt worden sei und daher gegen den Beklagten keinen Verantwortlichkeitsanspruch erlangt habe, und weil die vorbehaltlose Auseinandersetzung zwischen Weissberg und dem Beklagten anlässlich dessen Ausscheiden vom September 1952 einer formellen Décharge-Erklärung gleichzustellen sei, wodurch die Verantwortlichkeitsansprüche, die der Gesellschaft allenfalls noch zustehen mochten, untergegangen seien. Der Appellationshof führte aus, nachdem die Klägerin die Gesellschaft von den Erben Weissberg unter Ausschluss jeder Gewähr mit Aktiven und Passiven übernommen habe, könne sie nicht mehr Rechte geltend machen, als Weissberg nach dem Ausscheiden des Beklagten zustanden. Die Klägerin habe auch nicht nachgewiesen, dass sie gegen den Beklagten Ansprüche besitze, die Weissberg nicht bekannt gewesen wären.
C.- Die Klägerin hat die Berufung erklärt. Sie beantragt, das Urteil sei aufzuheben und die Sache zur Ergänzung der Akten und zu neuer Beurteilung an den Appellationshof zurückzuweisen.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
2. Die bei der Gründung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung beteiligten Personen sind für ihre Handlungen und Unterlassungen nach den Bestimmungen des Aktienrechts verantwortlich (Art. 827 OR). Sie werden demnach der Gesellschaft, den einzelnen Gesellschaftern und den Gesellschaftsgläubigern unter anderem dann schadenersatzpflichtig, wenn sie absichtlich oder fahrrlässig dazu beitragen, dass Sacheinlagen in den Statuten oder in einem Gründerbericht unrichtig oder unvollständig angegeben werden oder die Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister auf Grund einer Bescheinigung oder Urkunde erfolgt, die unrichtige Angaben enthält (Art. 753 Ziff. 1 und 2 OR). Die Haftung gegenüber der Gesellschaft besteht aber nicht, wenn diese mit den Handlungen oder Unterlassungen, die sie dem Gründer vorwirft, aus freiem Entschlusse einverstanden gewesen ist. Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung kann, wie jede andere handlungsfähige juristische oder natürliche Person, in eine Minderung ihres Vermögens oder in das Ausbleiben einer Vermögensvermehrung einwilligen. Insbesondere verbietet ihr das Gesetz nicht, auf Anrechnung an ihr Stammkapital Sacheinlagen anzunehmen, von denen sie weiss, dass sie den ihnen durch die Statuten, die Gründungsurkunde und den Übernahmevertrag beigemessenen Wert nicht haben. Wer, ohne durch Irrtum, Täuschung oder Furcht beeinflusst zu sein, einer Handlung zustimmt, deren Auswirkung auf sein Vermögen ihm in jeder Beziehung bekannt ist, erlangt nach bewährter Lehre keinen Schadenersatzanspruch (volenti non fit injuria).
In dieser Lage befindet sich die Klägerin. Sie hat notwendigerweise das gleiche gewusst und gewollt wie ihrre zwei einzigen Gesellschafter Heggendorn und Weissberg, die zusammen ihr oberstes Organ waren (Art. 808 Abs. 1 OR) und gemeinsam ihre Geschäfte führten (Art. 811 Abs. 1 OR). Dass die Klägerin Persönlichkeit erst durch die Eintragung in das Handelsregister erlangt hat (Art. 783 Abs. 1 OR), die unwahre Bilanz, die Statuten, die Gründungsurkunde und der Übernahmevertrag jedoch vorher aufgestellt worden sind, ändert nichts. Denn die beiden Gesellschafter haben im Zeitpunkt der Entstehung der Klägerin nichts anderes wollen können als vorher. Nicht nur der Beklagte, sondern auch Weissberg wusste und billigte damals, dass das mit Aktiven und Passiven als Sacheinlage übernommene Geschäft des Beklagten ein überbewertetes Warenlager und gewisse in Inventar und Bilanz vom 30. April 1951 unterdrückte Schulden enthielt, welche die Klägerin werde tilgen müssen, und zwar waren beiden Gesellschaftern alle Tatsachen, aus denen die Klägerin Ansprüche ableitet, schon damals bekannt. Der Beklagte ist daher der Klägerin nicht zu Schadenersatz verpflichtet. Daran vermag der Umstand, dass die Gesellschaftsanteile seit der Gründung in andere Hände übergegangen sind, nichts zu ändern.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Appellationshofes des Kantons Bern vom 11. Juli 1956 bestätigt.