BGE 83 II 193
 
29. Urteil der II. Zivilabteilung vom 23. Mai 1957 i.S. Preiswerk gegen Fromer.
 
Regeste
1. Voraussetzungen der Nichtigkeitsbeschwerde in Zivilsachen. Art. 68 OG (Erw. 1).
3. Kassatorische Wirkung der Nichtigkeitsbeschwerde nach Art. 68 Abs. 1 lit. a OG. Bedingte und unbedingte Parteierklärungen (Erw. 3).
 
Sachverhalt
A.- Die Parteien sind Nachbarn in einem Villenquartier von Binningen. Dr. Fromer erstellte im September 1955 auf seiner dortigen Besitzung, Parzellen 913 und 914, eine Reitbahn, ein sogenanntes Dressurviereck auf Schlackenbahn. Darüber beschwerte sich Dr. Preiswerk telephonisch und brieflich wegen der Belästigungen, die sich aus der Benützung von Reitplatz und -viereck für die Bewohner seines Hauses ergeben würden. Dr. Fromer liess nicht gelten, dass der Reitbetrieb, der übrigens nur an wenigen Tagen der Woche und nur je eine bis zwei Stunden lang stattfinden werde, unzulässige Einwirkungen auf das Nachbargrundstück mit sich bringen könne. Indessen vermochte er mit diesen Erklärungen die Befürchtungen des Nachbars nicht zu zerstreuen, und eine von diesem veranlasste Intervention der Gemeindebehörde blieb erfolglos. Als Dr. Fromer im November 1956 ein Baugesuch einreichte, um auf der Parzelle 913 einen Reitstall errichten zu können, erhob Dr. Preiswerk Einsprache sowohl aus Gründen des öffentlichen Rechts wie auch des Nachbarrechts. Die Einsprache wurde in öffentlichrechtlicher Hinsicht am 27. Januar 1957 vom Regierungsrat abgewiesen. Die Entscheidung über die nachbarrechtlichen Einwendungen blieb den Zivilgerichten vorbehalten (Ziff. 3, b des regierungsrätlichen Entscheides).
B.- Dr. Preiswerk hatte keine Zivilklage angehoben, dagegen hatte noch während der Hängigkeit der Baueinsprache Dr. Fromer seinerseits beim Bezirksgericht Arlesheim ein Gesuch um Aufforderung des Nachbars zur Klage "auf Anerkennung des behaupteten Anspruchs auf angebliche Unzulässigkeit der Reitanlage" eingereicht. Er berief sich auf die wiederholte Beanstandung dieser Anlage durch Dr. Preiswerk. Dieser liess nun vor Bezirksgericht die Behauptung, die Reitanlage stelle eine unzulässige Immission dar, ausdrücklich fallen. Er anerkannte auch, dass der bisherige Reitbetrieb nicht übermässig gewesen sei. Dagegen äusserte er die Befürchtung, dieser Betrieb werde in naher Zukunft zunehmen, da Dr. Fromer ein drittes Pferd angeschafft und einen Bereiter eingestellt habe. Unter Umständen werde er gegen einen verstärkten Reitbetrieb durch Klage einschreiten müssen; das hänge aber von der zukünftigen Gestaltung der Verhältnisse ab; es gehe nicht an, ihn heute zu einer Klage zu provozieren.
C.- Dr. Fromer hielt am Provokationsbegehren fest, indem er sein Klagebegehren auf den Reitbetrieb erweiterte. Er erklärte, bisher sei die Reitanlage an folgenden Zeiten überhaupt nicht benützt worden: am Samstagnachmittag sowie an Sonn- und allgemeinen Feiertagen, ferner morgens vor 8.30, mittags zwischen 12.00 und 14.30 und abends nach 18.00 Uhr. Für die Zukunft wolle er sich freiwillig verpflichten, an Sonn- und allgemeinen Feiertagen sowie an Samstagnachmittagen gar nicht und an andern Werktagen zwischen 12 und 14 und zwischen 20 und 8 Uhr nicht zu reiten.
D.- Das Bezirrksgericht Arlesheim fällte am 7. Februar 1957 folgendes Urteil:
"1. Der Provokationsbeklagte wird bei seiner Erklärung behaftet, dass er die Reitanlage des Provokationsklägers auf den Parzellen 913/14 des Grundbuches Binningen in nachbarrechtlicher Hinsicht nicht beanstandet.
2. Der Kläger wird bei seiner Erklärung behaftet, dass er den Reitbetrieb nur zwischen 08.00 - 12.00 und 14.00 - 20.00 Uhr durchführen und an Samstagnachmittagen, Sonn- und allgemeinen Feiertagen ganz darauf verzichten will.
3. Dem Beklagten wird gemäss § 257 ZPO eine Frist bis zum 31. März 1957 angesetzt zur Anhebung einer Klage gegen den Provokationskläger betreffend unzulässiger Immission durch den Reitbetrieb, sofern derselbe durch Ausübung zwischen 08.00 -12.00 und 14.00 - 20.00 Uhr werktags störend wirkt. Die Unterlassung der Klageeinreichung gilt als Verzicht auf den behaupteten Rechtsanspruch."
E.- Mit vorliegender Nichtigkeitsbeschwerde nach Art. 68 Abs. 1 lit. a OG rügt der Provokat Dr. Preiswerk eine mit dem eidgenössischen Zivilrecht unvereinbare Anwendung kantonalen Prozessrechts. Er hat die Begründung der Beschwerde nach Zustellung des motivierten Entscheides ergänzt.
Der Provokant Dr. Fromer beantragt Abweisung der Beschwerde. Er behält sich vor, von der vor Bezirksgericht eingegangenen Verpflichtung auf einen bestimmten zeitlichen Rahmen der Reittätigkeit abzugehen, "nachdem der Beschwerdeführer seine Interessen durch das Provokationsurteil als nicht genügend gewahrt erklärt und dasselbe anficht."
F.- Neben der Nichtigkeitsbeschwerde hat Dr. Preiswerk eine noch hängige staatsrechtliche Beschwerde eingereicht, der mit Verfügung vom 12. März 1957 aufschiebende Wirkung beigelegt wurde.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
"Wenn jemand schriftlich oder mündlich behauptet hat, bestimmte Ansprüche gegen einen Dritten zu haben, die dieser nicht anerkennen will, so kann letzterer den erstern zur Klage auffordern. Eine solche Aufforderung steht auch demjenigen zu, der einen Bau, eine Wasserleitung und dgl. unternehmen und sich gegen Einsprachen sicherstellen will."
Dieser zweite Absatz kommt hier nicht in Frage, da der Beschwerdeführer seine Einwendungen gegen die Reitanlage schon vor Bezirksgericht fallen gelassen und mit der Erklärung, der bisherige Reitbetrieb verstosse nicht gegen das Nachbarrecht, auch zugegeben hat, dass der Verwendungszweck dieser Anlage nicht notwendigerweise unzulässige Einwirkungen auf sein Grundstück erwarten lasse. Es braucht deshalb nicht geprüft zu werden, ob es als unzulässige Einschränkung des bundesrechtlichen Schutzes gegen Immissionen zu betrachten sei, wenn das kantonale Recht speziell im Bauinhibitionsverfahren gesetzliche oder vom Richter anzusetzende Verwirkungsfristen für die Geltendmachung der Ansprüche aus Art. 684 ZGB vorsieht, mit Androhung des Rechtsverlustes überhaupt, nicht nur des Ausschlusses der Ansprüche im laufenden Inhibitionsverfahren (wozu vgl. HAAB, N. 2 zu Art. 684 ZGB).
Der erste Absatz der erwähnten Prozessnorm, auf den sich der angefochtene Entscheid stützt, gibt das Recht zur Provokation bei jeglicher Behauptung eines bestimmten Anspruches, also abweichend von andern Prozessgesetzen nicht nur bei einer in bedrohlicher oder benachteiligender Weise erfolgten Anspruchsberühmung (vgl. WETZELL, System des ordentlichen Civilprocesses, 3. Aufl., S. 108/9). Grundsätzlich hat die Provokation zur Klage auch bei Ansprüchen, die aus eidgenössischem Zivilrecht hergeleitet werden, als zulässig zu gelten (vgl.BGE 54 II 113Erw. 5,BGE 60 II 490). Der letzterwähnte Entscheid achtet die althergebrachte Provokation zur Klage im wesentlichen der in modernen Prozessgesetzen an deren Stelle getretenen negativen Feststellungsklage gleich. Davon geht auch GULDENER (Das schweizerische Zivilprozessrecht, I 61/2) aus, der freilich die Zulässigkeit einer Klageprovokation wie einer negativen Feststellungsklage vom Vorliegen eines hinreichenden Rechtsschutz-, d.h. eben Feststellungsbedürfnisses abhängig machen will. Die neuere Rechtsprechung anerkennt bei Gefährdung von Ansprüchen des Bundeszivilrechts einen materiell- und damit bundesrechtlichen Anspruch auf (positive oder negative) Feststellung und knüpft ihn an die Voraussetzung eines hinreichenden Interesses an sofortiger Feststellung, d.h. an urteilsmässiger Abklärung (BGE 77 II 344; so auch ausdrücklich Art. 25 des BZP vom 4. Dezember 1947). Doch ist umstritten geblieben, ob das kantonale Prozessrecht neben diesem bundesrechtlichen einen an leichtere Voraussetzungen gebundenen, insbesondere des Interessenachweises nicht bedürftigen kantonalen Anspruch auf Feststellung oder auf Aufforderung zur Klage geben kann (was LEUCH, Ist die allgemeine Feststellungsklage eidgenössischen Rechts...?, SJZ 36, S. 293 ff., besonders S. 297, grundsätzlich bejaht, während KUMMER, Das Klagerecht und die materielle Rechtskraft im schweizerischen Recht, S. 60/1, einen solchen Gefährdungsschutz nur unter den vom materiellen Recht beherrschten Voraussetzungen für zulässig hält). Wie dem indessen auch sein mag, erweist sich die vorliegende Provokation zur Klage jedenfalls deshalb als gegen das Bundesrecht verstossend, weil sie sich mit der Natur der Ansprüche aus dem eidgenössischen Nachbarrecht nicht verträgt.
Das Recht des Grundnachbars, übermässige Einwirkungen (nach Art. 684 Abs. 1 ZGB, wie sie Abs. 2 daselbst näher umschreibt) abzuwehren, ist eine Äusserung des mit dem Eigentum (an beweglichen gleichwie an unbeweglichen Sachen) verbundenen allgemeinen Rechts auf Abwehr ungerechtfertigter Einwirkungen, also der seit jeher anerkannten actio negatoria (Art. 641 Abs. 2 ZGB). Dieses mit dem Eigentum fortdauernd verknüpfte Recht unterliegt an sich keiner Verjährung (BGE 53 II 224) und kann bei jeder Störung oder Schadensbedrohung neu ausgeübt werden (Art. 679 in Verbindung mit Art. 684 ZGB). Mit dieser dem Eigentümer zukommenden Rechtsstellung ist die Provokation zu einer Klage, mit der er zum voraus alle erdenklichen künftigen Immissionen, die er nicht dulden will, zu bezeichnen hätte, unvereinbar. Es muss ihm vorbehalten bleiben, zu künftigen Nachbarrechtsverletzungen jeweilen zu gegebener Zeit Stellung zu nehmen. Nur wenn bestimmte Vorrichtungen und Veranstaltungen eines Grundeigentümers zum vornherein nach dem ihnen unzweifelhaft zugedachten Zwecke sich in sicher vorauszusehender Art auf ein Nachbargrundstück auswirken werden, hat der Nachbar Veranlassung, zum "Schutz gegen drohenden Schaden" eine Präventivklage anzuheben (vgl.BGE 42 II 436,BGE 51 II 398,BGE 58 II 117; WALDIS, Das Nachbarrecht, 4. Auflage, S. 31 und 90). Damit ist immerhin noch nicht gesagt, dass er sich, bevor er selber sich dazu entschliesst, zu einer solchen Klage müsse provozieren lassen. Aber auch angenommen, die Lösung dieser Frage stehe dem Prozessrecht anheim, hält der angefochtene Entscheid vor dem eidgenössischen Nachbarrecht nicht stand, weil man es im vorliegenden Falle nicht mit solchen sicher zu erwartenden Einwirkungen zu tun hat. Wenn der Beschwerdegegner die Reitanlage weiterhin nur wie bisher benützt, hat er angesichts der vom Beschwerdeführer vor Bezirksgericht abgegebenen Erklärungen keinen Rechtsstreit zu befürchten. Er hat allerdings die Absicht kundgetan, in Zukunft einen etwas weiter gespannten Zeitrahmen (wie ihn der angefochtene Entscheid in Disp. 2 festhält) in Anspruch zu nehmen. Aber demgegenüber hat der Beschwerdeführer nicht etwa eingewendet, er würde jede Reittätigkeit in den bisher nicht benützten Tageszeiten zum vornherein für unzulässig halten. Er macht seine künftige Stellungnahme vielmehr von der Art des Reitbetriebes abhängig und behält sich die Abwehr allfälliger Übergriffe vor. Dazu muss ihm nach dem Gesagten freie Hand gelassen werden; es geht nicht an, ihn zu einer Klage zu provozieren und damit unter Androhung der Anspruchsverwirkung zu veranlassen, zum vornherein anzugeben, was für künftige Einwirkungen zu untersagen seien.
Die dem angefochtenen Entscheid (nach Einleitung des Nichtigkeitsverfahrens) beigegebene Begründung versucht nun zwar den Gegenstand der dem Beschwerdeführer aufgegebenen Klage einzuschränken. Auf S. 4 ist zu lesen, im Hinblick auf eine künftige mögliche Intensivierung des Reitbetriebes könne der Beschwerdeführer heute nicht zur Klage provoziert werden. Die ihm aufgegebene Klage könne nur die Erweiterung des zeitlichen Rahmens gemäss den Erklärungen des Beschwerdegegners bei einem dem bisherigen entsprechenden oder "leicht vermehrten" Reitbetriebe betreffen. Allein, auch wenn das allgemeiner lautende Dispositiv 3 durch diese Erwägungen rechtsverbindlich eingeschränkt worden sein sollte, bezieht sich die Aufforderung zur Klage auf einen noch gar nicht vorhandenen und auch nicht sicher bevorstehenden Tatbestand. Nachdem der Beschwerdeführer seine nachbarrechtlichen Einwendungen gegen die Reitanlage als solche wie auch gegen den bisherigen Reitbetrieb fallen gelassen und weder die Benützung des vom Beschwerdegegner angegebenen erweiterten Zeitrahmens noch einen "leicht vermehrten" Reitbetrieb zum voraus als Nachbarrechtsverletzung bezeichnet hat, besteht unter den Parteien kein aktueller Streit mehr, der zu einer Provokation zur Klage Anlass geben könnte, ganz abgesehen davon, dass grundsätzlich nur zur Geltendmachung fälliger Ansprüche provoziert werden kann (vgl. LEUCH, SJZ 36 S. 297). Auch bei Berücksichtigung der Urteilsgründe läuft also die Provokation darauf hinaus, den künftigen Ansprüchen des Beschwerdeführers auf Abwehr übermässiger Einwirrkungen in einer der bundesrechtlichen Eigentumsordnung zuwiderlaufenden Weise vorzugreifen (vgl. auchBGE 79 II 389betreffend eine den bundesrechtlichen Grundsatz der Vertragsfreiheit verletzende Provokation zur Klage).
Mit dem eigentlichen Entscheid über das Provokationsbegehren (Dispositiv 3) sind auch die ihm vorangestellten Behaftungen (Dispositive 1 und 2) aufzuheben, da sie durch ihn bedingt sein mögen, wie denn das Beschwerdebegehren nicht bloss auf Aufhebung von Dispositiv 3 geht und der Beschwerdegegner seinerseits nicht unbedingt auf den von ihm angegebenen Zeitrahmen verpflichtet bleiben will. Das Bezirksgericht wird darüber zu befinden haben, ob bei Abweisung des Provokationsbegehrens den erwähnten Parteierklärungen dennoch prozessuale Wirkung beizulegen sei.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Bezirksgerichts Arlesheim vom 7. Februar 1957 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an das Bezirksgericht Arlesheim zurückgewiesen.