BGE 84 II 292
 
40. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 13. Mai 1958 i.S. X gegen Y.
 
Regeste
Haftpflicht des Halters bei Tod eines Mitfahrers. Genugtuung; Versorgerschaden. Art. 37 Abs. 3, 41, 42 MFG, Art. 45 Abs. 3 OR.
Mitverschulden des Mitfahrers, der trotz Betrunkenheit des Lenkers an der Fahrt teilnimmt (Erw. 3 a).
Herabsetzung der Schadenersatzpflicht wegen des Mitverschuldens des getöteten Mitfahrers; Verschuldensabwägung (Erw. 3 b)
Genugtuungsanspruch der Hinterbliebenen des getöteten Mitfahrers (Erw. 4).
Kapitalisierung des Versorgerschadens auf den Zeitpunkt des Todes des Versorgers (Anderunrung der Rechtsprechung) (Erw. 7).
 
Sachverhalt
A.- Im Anschluss an eine geschäftliche Besprechung fuhren der Architekt X., der Polizeidirektor Y., die Gemeindebeamten W. und Z. am 27. Februar 1953 um 18.30 Uhr mit dem Auto des X. zu einem auswärtigen gemeinsamen Abendessen. Wie schon auf der Hinfahrt, so herrschte auch auf der Rückfahrt, die ungefähr um 22 Uhr angetreten wurde, dichter Nebel. X., der den Wagen steuerte, Y. und W. waren angetrunken. In einer leichten Rechtskurve geriet X., der eine Geschwindigkeit von 30-35 km hatte, auf die linke Strassenseite, weil er, statt der Kurve zu folgen, geradeaus fuhr. Infolgedessen stiess er mit einem aus der Gegenrichtung kommenden Lastauto, das eine Geschwindigkeit von ca. 25 km hatte und dessen Lenker ebenfalls angetrunken war, frontal zusammen. Dabei wurden Y. und W. getötet, X. und die übrigen Insassen seines Wagens verletzt.
Wegen dieses Unfalles wurde X. durch das Obergericht des Kantons Bern am 7. Mai 1954 bedingt zu 8 Monaten Gefängnis und zu Fr. 500.-- Busse verurteilt.
B.- Mit Klage vom 16. November 1954 belangten die Witwe und der Sohn des getöteten Y. den Autohalter X. auf Bezahlung von Schadenersatz für Versorgerschaden und Genugtuung.
Der Beklagte anerkannte seine grundsätzliche Haftung, machte aber geltend, wegen Mitverschuldens des getöteten Y. sei der Schadenersatzanspruch der Kläger um 40% zu kürzen und ein Genugtuungsanspruch abzulehnen.
C.- Der Appellationshof des Kantons Bern setzte mit Urteil vom 29. Mai 1957 den Anspruch der Kläger aus Versorgerschaden wegen Mitverschuldens des Y. um 25% herab, billigte aber den Klägern gleichwohl einen Genugtuungsanspruch zu.
D.- In seiner Berufung an das Bundesgericht hielt der Beklagte an seinen im kantonalen Verfahren eingenommenen Standpunkten fest.
Die Kläger beantragten auf dem Wege der Anschlussberufung, ein Abzug wegen Mitverschuldens des Y. habe zu unterbleiben.
E.- Das Bundesgericht erhöht in teilweiser Gutheissung der Berufung des Beklagten den Abzug wegen Mitverschuldens auf 1/3 und nimmt am Urteil der Vorinstanz hinsichtlich des Zeitpunktes der Kapitalisierung der Versorgerschadensansprüche eine Änderung vor.
 
Aus den Erwägungen:
2. a) Bei der Entscheidung über die Schwere des dem Beklagten zur Last fallenden Verschuldens ist zunächst festzuhalten, dass nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz die Sichtverhältnisse infolge des dichten Nebels sowohl bei der Hin- wie bei der Rückfahrt aussergewöhnlich schlecht waren. Dass der Beklagte trotzdem die Fahrt unternahm, kann ihm jedoch für sich allein betrachtet gleichwohl nicht als Verschulden angerechnet werden; denn die blosse Tatsache des Fahrens vermag ein Verschulden für solange nicht zu begründen, als die Verhältnisse es nicht überhaupt - weil zu gefährlich - verbieten. Dagegen mahnten die Umstände zu grosser Vorsicht. Das entging auch dem Beklagten nicht. Er riet wegen des Nebels, sowie weil er überhaupt nicht gerne bei Nacht fuhr, von der Fahrt ab und liess sich nur auf das Drängen des W., der das gemeinsame auswärtige Nachtessen vorgeschlagen und organisiert hatte, schliesslich doch zu ihr überreden. Umso unverständlicher erscheint es dann aber, dass er trotz richtiger Beurteilung der besonderen Gefahren, welche die Fahrt in sich schloss, beim Nachtessen alkoholische Getränke in einem zu Angetrunkenheit führenden Ausmass zu sich nahm. Wer weiss, dass er nachher ein Auto zu steuern hat, ist ganz allgemein verpflichtet, beim Genuss von Alkohol grosse Zurückhaltung zu üben, wenn er darauf nicht überhaupt verzichten will. Für den Beklagten war umso grössere Vorsicht am Platze, als die ungünstigen Witterungsverhältnisse ein zusätzliches Gefahrenmoment bildeten und er überhaupt nachts nicht gerne fuhr, offenbar weil er sich dabei unsicher fühlte. Der übermässige Alkoholgenuss stellte im Hinblick auf die Gefahr eines Unfalles eine grobe Fahrlässigkeit des Beklagten dar, wie schon die Vorinstanz und das Strafgericht zutreffend entschieden haben. Es liegt entgegen der Behauptung der Berufung nicht bloss "ein verkehrstechnisches Versagen" des Beklagten vor, das durch die leichte Strassenbiegung und die Beleuchtungsverhältnisse am Unfallort bedingt wäre. Die Vorinstanz hat vielmehr auf Grund des Beweisverfahrens und gestützt auf die Strafakten für das Bundesgericht verbindlich festgestellt, dass der Unfall auf die durch den Alkoholgenuss bedingte ungenügende Aufmerksamkeit des Beklagten zurückgeführt werden müsse; denn er hätte sich bei genügender Aufmerksamkeit trotz dem Nebel an dem am rechten Strassenrand entlang verlaufenden Geländer orientieren und auf seiner Strassenseite bleiben können. Danach war die Angetrunkenheit des Beklagten auf jeden Fall mit kausal für den Unfall, was für die Annahme grobfahrlässiger Verursachung genügt.
b) Der Beklagte nahm dadurch, dass er trotz den ungünstigen objektiven und subjektiven Verhältnissen fuhr, die volle Verantwortung als Autolenker auf sich. Aus den Bedenken, die er vor Antritt und bei der Durchführung der Fahrt hatte, zog er nicht die Folgerungen, die sich aufgedrängt hätten. Am Zusammenstoss als solchem trifft ihn das alleinige Verschulden. Dem Lenker des Lastwagens kann trotz seiner Angetrunkenheit ein für den Unfall kausales Verschulden nicht zur Last gelegt werden; seine Geschwindigkeit von ca. 25 km war den Sichtverhältnissen angepasst. Er reagierte unmittelbar vor dem Zusammenstoss normal, indem er bei Ansichtigwerden des Scheinwerferkegels des Wagens des Beklagten seine Fahrt noch verlangsamte. Dass der Beklagte seine Fahrbahn verliess und geradewegs auf ihn zufuhr, konnte er nach den Feststellungen des Strafrichters erst eine Sekunde vor dem Zusammenstoss erkennen, als er weder durch Bremsen noch durch Rechtsausweichen den Unfall noch hätte verhüten können.
3. a) Hinsichtlich der Frage eines Mitverschuldens des getöteten Y. ist davon auszugehen, dass die Gefahr aus dem Betrieb eines Motorfahrzeuges grundsätzlich den Halter trifft und ohne besonderen Grund auch nicht teilweise auf den beim Unfall verletzten Mitfahrer, bzw. bei dessen Tod auf seine Hinterbliebenen, überwälzt werden kann. Anders verhält es sich, wenn die normale Betriebsgefahr infolge besonderer Umstände (wie z.B. Betrunkenheit oder Übermüdung des Lenkers oder allgemein mangelnde Eignung desselben als Fahrer) erhöht wird und der Mitfahrer diese Gefahrerhöhung kennt oder bei genügender Sorgfalt erkennen musste. Lässt er sich dann trotzdem mitführen oder drängt er gar darauf, so ist ein Abzug wegen Mitverschuldens hinsichtlich des erhöhten Unfallrisikos gerechtfertigt. Zum gleichen Ergebnis führt der Gedanke, dass wer sich bewusst einer aussergewöhnlich erhöhten Betriebsgefahr aussetzt, dadurch mindestens einen Teil des gesamten Unfallrisikos übernimmt. Auf Grund solcher Erwägungen hat das Bundesgericht in ständiger Rechtsprechung schon vor dem Inkrafttreten des MFG wie auch unter dessen Herrschaft in Fällen dieser Art eine Minderung der Schadenersatzpflicht des Halters eintreten lassen (BGE 43 II 187,BGE 57 II 471,BGE 79 II 397f.).
Im Hinblick auf diese Rechtsprechung hat die Vorinstanz entgegen der Auffassung der Kläger nicht gegen Bundesrecht verstossen, wenn sie ein Mitverschulden des getöteten Y. annahm. Der Einwand der Kläger, die Mitfahrer des Beklagten hätten nicht den mindesten Grund gehabt, sich durch seine Fahrweise gefährdet zu fühlen, geht fehl. Denn vorliegend steht nicht die Fahrweise des Beklagten als solche in Frage, sondern die durch seine Angetrunkenheit bedingte, angesichts der Witterungsverhältnisse besonders ausgeprägte Erhöhung der gewöhnlichen Betriebsgefahr. Ebenso glauben die Kläger zu Unrecht, sich darauf berufen zu können, das Fahren im Nebel sei, weil klimabedingt, zu gewissen Zeiten in der fraglichen Gegend nicht zu umgehen. Nicht das ist entscheidend, sondern dass Y. gemäss vorinstanzlicher Feststellung trotz erkannter erhöhter Gefahr sich zur Rückfahrt im Auto des Beklagten bereitfand. Die Anfechtung dieser auf Beweiswürdigung beruhenden Feststellung der Vorinstanz durch die Kläger ist im Berufungsverfahren unzulässig (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG). Der Standpunkt der Anschlussberufung, es sei kein Abzug am Schadenersatz vorzunehmen, erweist sich somit als unbegründet.
b) Fraglich kann nur das Mass der Herabsetzung sein. Die Vorinstanz hat sie auf 25% festgesetzt; der Beklagte will sie auf 40% erhöht wissen.
Das Bundesgericht hat in seiner bisherigen Rechtsprechung bis zu einem Drittel gehende Abzüge gemacht, wenn das Verhalten des verletzten oder getöteten Mitfahrers als nicht besonders schwerwiegend erschien, so z.B. wenn er trotz erkennbarer schwerer Ermüdung des Lenkers an der Fahrt teilnahm, ohne jedoch besonders auf diese zu drängen oder den Fahrer zu unvorsichtigem Verhalten anzufeuern (BGE 58 II 139); auf 1/4 wurde der Abzug festgesetzt in einem Falle, wo der Mitfahrer mit einer gewissen Ermüdung des Lenkers rechnen musste und auf der Fahrt verschiedentlich eingekehrt und Alkohol getrunken wurde (BGE 79 II 397f.). In Fällen hingegen, welche hinsichtlich des Verhaltens des Mitfahrers als besonders krass erschienen, wurde der Abzug auf 50% erhöht, so z.B. in einem Falle, in welchem der Mitfahrer vor der Rückfahrt von Zeugen auf die Angetrunkenheit des Lenkers aufmerksam gemacht und ihm vorgeschlagen wurde, mit einem andern Wagen zurückzufahren (BGE 40 II 279); ein Abzug von ebenfalls 50% erfolgte gegenüber einem Mitfahrer, der einen nicht im Besitz der Fahrbewilligung befindlichen, zum Fahren ungeeigneten Mechaniker einer Garage trotz Einwendungen eines andern Garageangestellten und obwohl er vom Fehlen der Fahrbewilligung Kenntnis hatte, zum Fahren drängte und mit ihm verschiedene Wirtschaften besuchte (BGE 43 II 181ff.).
Die Kläger berufen sich im vorliegenden Falle darauf, dass Y. bei der Organisation und der Durchführung der Fahrt eine durchaus passive Rolle gespielt habe. Nun ist nach der Rechtsprechung allerdings das Verhalten des verunfallten Mitfahrers im allgemeinen milder zu beurteilen, wenn er den Lenker nicht zum Fahren unter den erhöhten gefährdeten Umständen veranlasst hat; an einer eigentlichen Veranlassung seitens des Y. fehlte es im vorliegenden Fall. Dagegen fällt hier ins Gewicht, dass der Beklagte schon vor der Abfahrt von Biel und während der Fahrt Bedenken äusserte und vor der Rückfahrt dem nüchtern gebliebenen Mitfahrer Z. vorschlug, er solle den Wagen steuern. Das alles musste Y. wie auch den übrigen Mitfahrern auffallen; gleichwohl hat er geschwiegen. Ob man sich zu solchen besonderen Umständen passiv verhalte oder nur gegenüber der Organisation und Durchführung einer Fahrt im allgemeinen, ist nicht dasselbe. Es bestand stillschweigendes Einverständnis zwischen allen übrigen Beteiligten, dass der Beklagte trotz den von ihm geäusserten Bedenken und trotz seinem Widerstreben fahren solle. Das entlastet den Beklagten mehr als die Vorinstanz annimmt; denn es bestand für Y. wiederholt und genügend Anlass, aus seiner Passivität herauszutreten.
Dazu kommt, dass auch die subjektiven Verhältnisse auf Seiten des Y. eine strengere Beurteilung seines Verhaltens nahelegen. Gewiss hatte seine Stellung als städtischer Polizeidirektor mit der Fahrt als solcher nichts zu tun und handelte es sich nicht um eine amtliche Fahrt. Worauf es hier jedoch ankommt, ist die Einsicht in die besondere Gefährlichkeit der Lage, über welche Y. verfügte, kraft dem Wissen und der Erfahrung, die er auf Grund seiner amtlichen Stellung haben musste. Wer Einsicht in eine Gefahr hat und sie trotzdem missachtet, handelt schuldhafter als der Unwissende und Unerfahrene. Daraus muss bei der Bemessung des Mitverschuldens der entsprechende Schluss gezogen werden.
Der von der Vorinstanz vorgenommene Abzug von 1/4 trägt daher den besonderen Verhältnissen des vorliegenden Falles in objektiver und subjektiver Hinsicht nicht genügend Rechnung. Es rechtfertigt sich vielmehr, ihn auf 1/3 zu erhöhen.
4. Der Beklagte beanstandet, dass die Vorinstanz den Klägern Genugtuungssummen von je Fr. 5000.-- zugesprochen hat. Er vertritt die Ansicht, dass ein Genugtuungsanspruch wegen groben Selbstverschuldens des getöteten Y. überhaupt nicht in Frage kommen könne. Dem kann nicht beigepflichtet werden. Wenn auch das Selbstverschulden des Y. als erheblich bewertet werden muss, so wiegt es doch nicht derart schwer, dass es einen Genugtuungsanspruch der Kläger zum vorneherein auszuschliessen vermöchte. Das schwere Verschulden des Beklagten, der sich trotz Einsicht in die witterungsbedingte besondere Gefährlichkeit der Fahrt angetrunken ans Steuer setzte, lässt zusammen mit den schweren Unfallfolgen und dem dadurch den Klägern zugefügten seelischen Schmerz einen Genugtuungsanspruch in der von der Vorinstanz zugesprochenen Höhe von je Fr. 5000.-- als berechtigt erscheinen. Der Einwand des Beklagten, der mit ihm eng verbunden gewesene Y. hätte ihn selber nie zu Genugtuungsleistungen herangezogen, ist unbehelflich. Denn mit der Genugtuungsforderung machen die Kläger nicht Ansprüche des Getöteten geltend, die durch Rechtsnachfolge auf sie übergegangen sind, sondern eigene Ansprüche, die ihnen das Gesetz (Art. 42 MFG, Art. 47 OR) unmittelbar zubilligt.
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a) In Bezug auf den Zeitpunkt, auf den die Kapitalisierung vorzunehmen ist, beantragt der Beklagte, es sei auf das Unfalldatum abzustellen. Er macht geltend, angesichts der zwischen Unfall und Urteil verstrichenen langen Zeitspanne von 4 1/4 Jahren müsse auch die Wahrscheinlichkeit berücksichtigt werden, dass Y. in der Zwischenzeit hätte sterben können; diese Wahrscheinlichkeit sei angesichts des Alters, der angeschlagenen Gesundheit und des Lebensstils des Verunfallten keineswegs als gering zu achten.
Die Einwendungen des Beklagten sind in der Tat grundsätzlich gerechtfertigt. Die konkrete Schadensberechnung bis zum Urteilstag hat ihre Berechtigung bei der Bestimmung des Schadens aus bleibender Invalidität; denn hier weiss man, ob der Geschädigte den Urteilstag erlebt hat oder nicht. Zu einer Wahrscheinlichkeitsrechnung besteht nur für die Zukunft Anlass. Wird dagegen auch bei der Ermittlung eines Versorgerschadens in dieser Weise vorgegangen, dann tut man so, als ob der Versorger den Abrechnungstag ohne den Unfall sicher erlebt hätte. Das führt dann zu beträchtlichen Fehlern, wenn das kantonale Urteil erst Jahre nach dem Unfall ergeht oder wenn der verunfallte Versorger schon ziemlich alt war. Dabei kann das Risiko, dass er in der Zwischenzeit verstorben oder arbeitsunfähig geworden wäre, recht bedeutend sein. Vier Jahre nach dem Unfalltag abgerechnet ergibt sich z.B. bei einem Alter des versorgenden Ehemannes von 60 Jahren am Todestag und einem Alter der Ehefrau von 50 Jahren ein Fehler, der bereits 10% übersteigt; bei einem Alter des Versorgers von 69 Jahren beträgt die Differenz sogar 20% (vgl. STAUFFER/SCHÄTZLE, Barwerttafeln 2. Aufl. 1958, S. 24/5).
Das Bundesgericht hat allerdings in seinem Urteil vom 13. März 1951 i.S. Lorétan und "Helvetia" gegen Monnier (nicht veröffentl. Erw. 2 c, angeführt bei PICCARD, Kapitalisierung, 6. Aufl. S. 118) den Standpunkt eingenommen, die Methode der konkreten Schadensberechnung bis zum Urteilstag und der Kapitalisierung des zukünftigen Schadens auf diesen Zeitpunkt sei auch bei der Berechnung von Versorgerschaden anzuwenden, da das Risiko eines Versterbens des Versorgers in der im allgemeinen kurzen Zeitspanne zwischen Unfall- und Urteilstag vernachlässigt werden dürfe.
Hieran kann nicht festgehalten werden. Fehlerquellen, die unter Umständen zu Differenzen des oben erwähnten Ausmasses führen können, sind nach Möglichkeit schon grundsätzlich auszuschliessen (nicht nur in besonders krassen Fällen durch einen Abzug auszugleichen, wie PICCARD, a.a.O., vorschlägt). Sobald eine mathematisch genauere Berechnungsmethode zur Verfügung steht, ist auf sie abzustellen (BGE 77 II 42). Eine ganz genaue Berechnung wäre jedoch nach den Darlegungen bei STAUFFER/SCHÄTZLE (S. 23) zu umständlich. Für eine etwas weniger genaue, aber der Praxis dienliche vereinfachte Korrektur werden von den genannten Autoren (S. 24/5) zwei Methoden in Erwägung gezogen. Die eine besteht in prozentualen Abzügen von dem nach der bisherigen Berechnungsart ermittelten Betrag gemäss einer neuen Tabelle (S. 24). Nach der andern Methode wird eine Verbindungsrente auf den Zeitpunkt des Todes des Versorgers kapitalisiert; dann genügt, abgesehen vom Zins, eine einzige Berechnung für den ganzen Versorgerschaden (S. 25). Dieses zweite Verfahren leidet allerdings seinerseits am Fehler, dass die Wahrscheinlichkeitsrechnung gegenüber der versorgten Person, die den Urteilstag erlebt hat, auch auf die Vergangenheit angewendet wird. Dafür wird ihr aber für die Zeit zwischen Unfall und Urteil ein Schadenszins von 5% zugesprochen. Die Differenz zwischen diesem und dem derzeitigen Satz der Kapitalisierung von 3 1/2% gibt in der Regel einen vollen Ausgleich.
Dieser zweiten der verbesserten Methoden ist der Vorzug zu geben. Sie vermeidet die Anwendung einer zusätzlichen Korrekturtabelle. Ausserdem hat sie für die Praxis wie auch für das Verständnis des Geschädigten den Vorteil, dass auf die einmal gemachte Berechnung in der Folge immer wieder abgestellt werden kann und jeweilen nur gleichbleibender Zins ab Urteilstag zuzuschlagen ist, während der Verfalltag gemäss der ersten Korrekturmethode je nach dem Abrechnungsdatum ständiger Veränderung unterliegt. Zudem ist die zweite Berechnungsmethode dem Geschädigten im allgemeinen günstiger (STAUFFER/SCHÄTZLE S. 25). Von zwei Berechnungsarten, die der blossen Korrektur dienen, ist die dem Geschädigten vorteilhaftere zu wählen, weil sie seinem grundsätzlichen Anspruch auf volle Schadloshaltung besser Rechnung trägt.
b) Hinsichtlich der Methode der Kapitalisierung haben sich die Parteien im Berufungsverfahren dahin geeinigt, die Kapitalisierung ausschliesslich auf Grund der kürzlich in 2. Auflage erschienen Barwerttafeln von Stauffer/Schätzle vorzunehmen. Diese Wahl bindet das Bundesgericht, und zu der Frage der grundsätzlichen Anwendbarkeit dieser Tafeln ist daher heute nicht Stellung zu nehmen.
Für die Witwe Y. ergibt sich nach Tafel 4 der genannten Aktivitätstafeln bei einem Alter des Versorgers von 52 Jahren und bei einem Alter der Ehefrau von 46 Jahren ein Koeffizient von 1165. Der volle Versorgerschaden der Ehefrau beläuft sich somit, auf den Unfalltag berechnet, bei einer jährlichen Rente von Fr. 5000.-- auf 1165 x 50 = Fr. 58'250.--.
Für den Sohn Y. beträgt nach Tafel 5 der Aktivitätstafeln bei einem Alter des Versorgers von 52 Jahren und einer Versorgungsdauer von 16 Jahren der Koeffizient 1054. Da die Jahresrente während der ersten 11 Jahre Fr. 4500.--, während der folgenden 5 Jahre dagegen Fr. 6000.-- beträgt, wird am zweckmässigsten so gerechnet, dass man zunächst eine Rente von Fr. 6000.-- für die ganze Versorgungsdauer von 16 Jahren kapitalisiert und vom Ergebnis den Kapitalwert einer 11 Jahre laufenden Rente von Fr. 1500.-- in Abzug bringt.
Danach ergibt sich die folgende Rechnung:
Kapitalwert einer Rente von Fr. 6000.--
während 16 Jahren: 1054 x 60 = Fr. 63'240.--
abzüglich Kapitalwert einer Rente von
Fr. 1500.-- während 11 Jahren: 839 x 15 = " 12'585.--
Totaler Versorgerschaden des Sohnes Y.
per Unfalltag = Fr. 50'655.--
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