BGE 84 II 645 |
86. Urteil der I. Zivilabteilung vom 16. Dezember 1958 i.S. Confluentia A.-G. gegen Keller. |
Regeste |
Wechselbürgschaft, Aberkennungsklage. |
Untergang des Wechselanspruchs durch Neuerung? Art. 116 OR (Erw. 2). |
Die erst nach Erlass des Zahlungsbefehls eintretende Fälligkeit der Forderung ist im Aberkennungsprozess unbeachtlich (Erw. 4). |
Der Kostenspruch des Bundesgerichts in einem Rückweisungsentscheid ist für den kantonalen Richter verbindlich. Art. 159 Abs. 1 OG (Erw. 5). |
Sachverhalt |
A.- Der Autohändler Bosshard verkaufte am 9. März 1955 dem Spenglermeister Ganter ein Auto. Tags darauf trat Bosshard alle Rechte aus diesem Kaufvertrag an das Finanzierungsinstitut Confluentia A.-G. ab. Der Kaufpreis des Autos betrug Fr. 4650.--, wovon im Zeitpunkt der Abtretung an die Confluentia A.-G. noch Fr. 3450.-- ausstanden.
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In einer Vereinbarung zwischen der Confluentia A.-G. und Ganter vom 14. März 1955 wurde der von diesem geschuldete Betrag unter Einbeziehung einer Kaskoversicherungsprämie sowie eines Teilzahlungszuschlages auf Fr. 5715.85 festgesetzt. Dieser Betrag war in 36 Monatsraten abzubezahlen. Verzug des Schuldners mit zwei Monatsraten sollte die Fälligkeit der ganzen restlichen Forderung nach sich ziehen. Diese Vereinbarung wurde neben Ganter auch von Frau Siviglia Keller unterzeichnet.
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Am Tage des Kaufsabschlusses (9. März 1955) hatte der Verkäufer Bosshard auf den Käufer Ganter einen auf den 25. März 1955 fällig gestellten Wechsel an eigene Ordre im Betrage von Fr. 5810.--, den Ganter akzeptierte, gezogen. Unter das Akzept Ganters setzte auch Frau S. Keller ihre Unterschrift.
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Da Ganter nach vier Monatsraten keine weiteren Zahlungen mehr leistete, betrieb die Confluentia A.-G. ihn sowie Frau Keller für den restlichen Schuldbetrag von Fr. 5083.65 und erwirkte auf den Rechtsvorschlag der Frau Keller hin provisorische Rechtsöffnung.
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B.- Frau Keller erhob Aberkennungsklage. Die Confluentia A.-G. beantragte deren Abweisung, wobei sie sich auf die Verträge vom 9. und 14. März 1955, sowie auf den Wechsel vom 9. März 1955 stützte. Im Laufe des Prozesses, am 12. Mai 1956, setzte der Wechselaussteller Bosshard ein Blankoindossament auf den Wechsel.
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C.- Das Obergericht Zürich schützte mit einem ersten Urteil vom 16. Oktober 1956 die Aberkennungsklage. Dieser Entscheid wurde vom Bundesgericht mit Urteil vom 4. Juni 1957 aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
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D.- Mit Urteil vom 13. Dezember 1957 hat das Obergericht Zürich, II. Zivilkammer, die Aberkennungsklage erneut gutgeheissen.
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E.- Mit der vorliegenden Berufung beantragt die Beklagte wiederum Abweisung der Aberkennungsklage im vollen Umfang.
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Die Klägerin ersucht um Abweisung der Berufung und Bestätigung des angefochtenen Urteils.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: |
1. a) In seinem Rückweisungsurteil (teilweise veröffentlicht in BGE 83 II 215) hat das Bundesgericht entschieden, die Beklagte könne sich auf Grund des Indossaments des Bosshard grundsätzlich auf den Wechsel und die darin von der Klägerin übernommene Wechselbürgschaft berufen; weil aber die Indossierung durch Bosshard erst nach Anhebung der von der Beklagten eingeleiteten Betreibung erfolgt sei und die Rechtsstellung des Betriebenen gegenüber dem Zeitpunkt des Zahlungsbefehls nicht verschlechtert werden dürfe, vermöge das Indossament nur beschränkte Rechtswirkungen zu entfalten; insbesondere greife die in Art. 1007 OR zugunsten des Indossatars vorgesehene Einredebeschränkung nicht Platz; die Beklagte müsse sich daher Einreden der Klägerin ohne die in Art. 1007 OR angeordnete Beschränkung entgegenhalten lassen. Demgemäss wurde die Vorinstanz zur Prüfung der Sache unter diesem Gesichtspunkt angewiesen.
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In ihrem neuen Entscheid vom 13. Dezember 1957 hat die Vorinstanz nun erklärt, der ihr vom Bundesgericht erteilte Auftrag sei "sinngemäss dahin zu erweitern", dass auch zu untersuchen sei, ob die Forderung der Wechselinhaberin gegen die Wechselbürgin überhaupt bestehe, und sie ist zur Verneinung dieser Frage gelangt.
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b) Mit der Berufung macht die Beklagte geltend, die Vorinstanz habe durch die Untersuchung des Bestandes der Wechselforderung die Weisungen des bundesgerichtlichen Rückweisungsurteils missachtet und damit gegen Art. 66 OG verstossen. Den Bestand der Wechselforderung habe niemand in Zweifel gezogen; alle Beteiligten seien vielmehr davon ausgegangen, dass die Wechselforderung an sich bestehe. Das Bundesgericht habe für die Vorinstanz verbindlich festgelegt, dass lediglich noch zu prüfen sei, welche Folgen sich aus der nachträglichen Indossierung in Bezug auf die Einreden der Klägerin gegenüber der Beklagten ergeben. Den ihr im Rückweisungsentscheid gesetzten Rahmen habe die Vorinstanz überschritten, indem sie nachträglich den vom Bundesgericht verbindlich festgestellten Bestand der Wechselverpflichtung verneint und sich in ihren Erwägungen nicht auf Einreden nach Art. 1007 OR beschränkt habe.
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Das bundesgerichtliche Rückweisungsurteil hat jedoch nicht den ihm von der Berufung beigelegten Sinn. Das Bundesgericht hielt lediglich fest, dass die Klägerin formgültig Wechselbürgin des Akzeptanten geworden sei. Damit wurde aber die Schuldverpflichtung aus dem Wechsel nur formell festgelegt. Über ihren Inhalt, ihr rechtliches Schicksal seit Eingehung und namentlich über die Begründetheit gegenüber der Wechselverbindlichkeit allfällig bestehender Einreden wurde damit nichts ausgesagt. Diesbezüglich entschied das Bundesgericht nur, der Klägerin ständen nicht bloss Einreden im beschränkten Rahmen des Art. 1007 OR zu, sondern alle Einreden, die sich die Beklagte oder ihr Vormann, der Aussteller Bosshard, vom Akzeptanten Ganter hätten entgegenhalten lassen müssen, insbesondere also auch Einreden aus dem Grundverhältnis zwischen Bosshard und Ganter. Dies deshalb, weil der Beklagten inhaltlich nur die Rechte eines Abtretungsgläubigers zustehen könnten. Die Vorinstanz hat daher den Rückweisungsentscheid keineswegs unrichtig aufgefasst, wenn sie die Frage des Bestehens, bezw. Weiterbestehens der von der Klägerin eingegangenen Wechselverpflichtung in ihre Prüfung einbezog.
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2. Bei dem Wechsel, auf den sich die Beklagte stützt, handelt es sich um einen Wechsel an eigene Ordre (Art. 993 OR), welchen der Aussteller Bosshard später blanko indossierte. Bezogener und Akzeptant war Ganter, die Klägerin gemäss dem Rückweisungsentscheid dessen Wechselbürgin. Ihr stehen somit alle Einreden zu, welche der Akzeptant Ganter dem Aussteller Bosshard oder der Beklagten als Indossatarin hätte entgegenhalten können. Dazu gehört insbesondere auch die Einrede des Untergangs der Forderung. Denn der Wechselbürge haftet in der gleichen Weise wie derjenige, für den er sich verbürgt hat (Art. 1022 Abs. 1 OR). Das bedeutet inhaltlich Akzessorietät, weshalb der Wechselbürge sich auf jeden Mangel der Hauptobligation, der nach Entstehung der Wechselbürgschaft eintritt, berufen kann (JACOBI, Wechsel- und Scheckrecht, 1955, § 88 S. 653). Alle Tatsachen, die nach Übernahme der Wechselbürgschaft die Hauptverpflichtung aufheben oder schwächen, mindern auch die Verpflichtung des Bürgen in gleicher Weise; dem Wechselbürgen bleibt somit auch die Berufung auf das dem Wechsel zu Grunde liegende Geschäft gewahrt (JACOBI S. 684).
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a) Die Vorinstanz führt aus, die Verpflichtung Ganters als Wechselschuldner und der Klägerin als Wechselbürgin, am 25. März 1955 Fr. 5810.-- zu bezahlen, sei durch die spätere Vereinbarung von Ratenzahlungen abgelöst und somit aufgehoben worden. Die Vorinstanz nimmt also (allerdings ohne es ausdrücklich zu sagen) Neuerung der alten Wechselschuld durch Begründung einer neuen zivilen Verpflichtung an. Nun ist aber nicht zu übersehen, dass bei der Ausstellung des Wechsels durch Bosshard am 9. März 1955 die zivile Schuld aus dem Grundgeschäft bereits bestand, sowie dass die Eingehung der Wechselverbindlichkeit samt Bürgschaft der Klägerin laut Gesetz (Art. 116 Abs. 2 OR) ohne gegenteilige Vereinbarung keine Neuerung bewirkte. Die von der Vorinstanz angenommene Neuerung würde somit die Besonderheit aufweisen, dass das ursprüngliche (zivile) Schuldverhältnis nachträglich, kraft der Vereinbarungen vom 10. und insbesondere vom 14. März 1955, durch ein neues Schuldverhältnis ersetzt worden wäre. Ein solcher Vorgang ist aber um so unwahrscheinlicher, als die Vorinstanz bereits im früheren Verfahren für das Bundesgericht verbindlich festgestellt hatte, dass es sich beim streitigen Wechsel um einen sogenannten Sicherheitswechsel gehandelt habe. Danach konnte der Wechsel keine Neuerung der Grundschuld bewirkt haben. Schon daraus ist ersichtlich, dass auch die späteren Abmachungen vom 10. und 14. März 1955 nur die genauere Regelung gewisser Modalitäten des Schuldverhältnisses enthielten, namentlich die Festlegung der nach Leistung einer Anzahlung verbleibenden Restschuld und von Abzahlungsfristen. Die Gewährung solcher bewirkt jedoch an sich keine Neuerung (BGE 20 S. 1067 f.). In der bloss dem Akzeptanten gewährten Stundung liegt sodann auch kein Verzicht auf die Rechte gegen die andern Wechselverpflichteten; das Gegenteil müsste ausdrücklich vereinbart sein (GRÜNHUT, Wechselrecht II S. 306 N. 25/6).
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b) Allerdings wird Neuerung bei Unvereinbarkeit der alten mit der neuen Forderung angenommen (BECKER OR Art. 116 N. 7-9; OSER/SCHÖNENBERGER OR Art. 116 N. 20). Aber ein solcher Fall der Unvereinbarkeit liegt nach dem oben Gesagten hier nicht vor. Für die Befreiung der Klägerin führt die Vorinstanz (abgesehen von der Verschiedenheit der Fälligkeit) nur an, dass die Beklagte die neuen Vereinbarungen "in Kenntnis des Wechsels" getroffen habe. Dabei übersieht die Vorinstanz aber, dass auch die Klägerin den Abmachungen vom 14. März 1955 durch Beisetzung ihrer Unterschrift zustimmte. Auch die auf den Kaufpreis bezüglichen Abmachungen vermögen die behauptete Neuerung nicht zu begründen. Denn die Festsetzung des Kaufpreises schon vor dem 14. März 1955 ist entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht bloss zu Gunsten Bosshards und der Beklagten zu unterstellen, sondern gehört zu dem im Rückweisungsentscheid verbindlich festgehaltenen Tatbestand. Das Schuldverhältnis wurde also seinem wesentlichen Inhalt nach am 14. März 1955 nicht neu bestimmt.
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c) Neuerung darf nach Gesetz nicht vermutet werden (Art. 116 Abs. 2 OR). Dieser Grundsatz gilt allgemein für das Verhältnis des Wechsels zum Grundgeschäft und umgekehrt.
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Hätten die Parteien vorliegend den Willen zur Neuerung gehabt, so wäre die Nichtrückgabe des Sicherungswechsels vom 9. März 1955 unverständlich. Zieht man dazu noch in Betracht, dass die Klägerin die Abmachungen vom 14. März 1955 mit den Abzahlungsfristen mitunterzeichnet hat, so wird das Fehlen des Neuerungswillens vollends deutlich.
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Die Auffassung der Vorinstanz verstösst somit gegen Art. 116 OR.
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Gemäss dem Wechseltext war Verfalltag der 25. März 1955. Die späteren Abreden haben jedoch die Fälligkeit geändert, indem die verbürgte Forderung durch Bewilligung von Ratenzahlungen gestundet wurde. Laut Vereinbarung vom 14. März 1955 war die verbürgte Schuld ab 10. April 1955 in 36 Monatsraten abzutragen. Unbestritten sind vier Raten zu Fr. 158.80 bezahlt worden, nämlich diejenigen vom 10. April bis 10. Juli 1955. Bis zum Erlass des Zahlungsbefehls, also bis zum 16. Dezember 1955 wurden 5 weitere Raten fällig. Mit Bezug auf sie ist die Aberkennungsklage unbegründet, für den Rest dagegen begründet, weil die Stundung dem Wechselbürgen als Erleichterung zugute kommt (vgl. JACOBI a.a.O., sowie S. 86). Rechtsöffnungs- und Betreibungskosten haben anteilmässig zu folgen.
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Das Bundesgericht hat in seinem Rückweisungsentscheid gestützt auf Art. 159 Abs. 2 OG die Klägerin, weil sie im Rückweisungsverfahren unterlegen war, zur Bezahlung einer Prozessentschädigung von Fr. 300.-- an die Gegenpartei verpflichtet. Wenn nun die Vorinstanz gemäss ihrer ausdrücklichen Erklärung bei Wiederbehandlung der zurückgewiesenen Sache die von ihr zugesprochene ausserrechtliche Entschädigung erhöhte, um den Kostenspruch des Bundesgerichtes im Ergebnis aufzuheben, so griff sie damit unzulässigerweise in die vom Bundesgericht rechtskräftig verfügte Anwendung von Bundesrecht ein. Damit hat sie sich nicht nur die gemäss Art. 156 ff., insbesondere Art. 159 Abs. 1 OG dem Bundesgericht vorbehaltene Entscheidungsbefugnis angemasst, sondern überdies die bundesrechtliche Bestimmung über die Rechtskraft bundesgerichtlicher Entscheidungen (Art. 38 OG) verletzt. Ob darüber hinaus anzunehmen sei, die Vorinstanz habe auch die der Zurückweisung vom 4. Juni 1957 (in der Kostenfrage) zugrunde gelegte rechtliche Beurteilung missachtet, (Art. 66 Abs. 1 OG), kann dahingestellt bleiben.
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6. Der angefochtene Entscheid wird materiell abgeändert. Es ist angezeigt, dass das Bundesgericht von der ihm nach Art. 157 OG zustehenden Kompetenz Gebrauch macht und in dem nun materiell entschiedenen Fall auch die sämtlichen kantonalen Kosten selbst verlegt. ...
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1. Die Berufung wird teilweise gutgeheissen und das Urteil des Obergerichts Zürich, II. Zivilkammer, vom 13. Dezember 1957 aufgehoben.
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2. Die Aberkennungsklage wird im Betrage von Fr. 4289.25, nebst Zinsen hievon gemäss Zahlungsbefehl Nr. 16 868 des Betreibungsamts Zürich 3 vom 16. Dezember 1955, sowie 6/7 der Betreibungs- und Rechtsöffnungskosten, im Sinne der Erwägungen geschützt.
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