BGE 85 II 32
 
7. Urteil der I. Zivilabteilung vom 3. März 1959 i.S. Bilgischer gegen Kippel.
 
Regeste
Art. 41 Abs. 1, 44 Abs. 1 OR, Art. 63 Abs. 3 MFV.
b) Handelt der Führer eines solchen Traktors schuldhaft, wenn er jemanden auf dem angehängten Heufuder mitfahren lässt? (Erw. 2).
c) Verschulden des Mitgeführten (Erw. 3).
 
Sachverhalt
A.- Josef Bilgischer mähte am 23. Juni 1955 für Adolf Kippel eine Wiese. Kippel half ihm daher am Nachmittag des gleichen Tages beim Heuen einer Wiese des Kaspar Kuonen in den Preisen, Gemeinde Leuk. Am Schlusse der Arbeit führte Bilgischer das Heu mit Hilfe seines Traktors auf einem einachsigen Anhänger zur Scheune nach Susten. Auf der zweiten Fahrt nahmen Kippel und die sieben Jahre alte Beatrice Kuonen auf dem Heufuder Platz. Bei der Brücke über den Kanal Susten-Chippis fiel ein Rucksack vom Fuder. Kippel griff ihm nach, stürzte in den Kanal, wurde fortgeschwemmt und starb.
B.- Die Witwe Hedwig Kippel und die in den Jahren 1941-1951 geborenen sechs Kinder des Verunfallten klagten gegen Bilgischer auf Ersatz des Schadens und verlangten ausserdem Genugtuung, die Witwe Fr. 5000.--, die Kinder je Fr. 500.--.
Das Kantonsgericht Wallis verurteilte den Beklagten am 20. November 1957, der Witwe eine Genugtuungssumme von Fr. 3000.-- und den Kindern Leo, Regina, Bernard, Helmuth und Elsbeth je eine solche von Fr. 500.-- zu bezahlen. Soweit die Klage weiter ging, wies es sie ab.
Es kam zum Schluss, das Gefährt und die Art der Ladung könnten in keiner Weise für den Unfall verantwortlich gemacht werden. Der Beklagte habe aber schuldhaft gehandelt, Kippel auf dem Heufuder mitfahren zu lassen. Gemäss Art. 63 Abs. 3 MFV dürften Anhänger an Traktoren nur zur Beförderung von Gütern verwendet werden. Aber auch Kippel treffe ein Verschulden. Es sei sehr gewagt gewesen, den abgleitenden Rucksack noch halten zu wollen und sich zu diesem Zwecke gegen den Rand des Heufuders zu bewegen, wo kein sicherer Untergrund mehr bestanden habe. Die Fehler des Beklagten einerseits und des Kippel anderseits stünden im Verhältnis von 3 zu 2. Ansprüche auf Schadenersatz beständen nicht, weil die Leistungen der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt den Schaden überstiegen. Genugtuung gebühre dem Kinde Margrith nicht, weil es zur Zeit des Unfalles zu jung gewesen sei, um die Schwere des Verlustes des Vaters zu ermessen.
C.- Der Beklagte hat die Berufung erklärt. Er beantragt dem Bundesgericht, die Klage abzuweisen.
Wwe. Kippel und das Kind Margrith haben sich der Berufung angeschlossen mit den Begehren um Erhöhung der Genugtuung der Witwe auf Fr. 5000.-- und Zusprechung einer Genugtuung von Fr. 500.-- an Margrith Kippel. Die anderen Kläger beantragen Abweisung der Berufung.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Diese Norm steht im Abschnitt "Verkehrsregeln" und gilt daher auch für Traktoren, deren Geschwindigkeit 20 km/Std nicht übersteigen kann und die zu Fahrten im Zusammenhang mit der Bewirtschaftung eines Landwirtschaftsbetriebes verwendet werden (Art. 5 MFV). Sie will jedoch nur sagen, wieviele Wagen von einem Traktor gezogen werden und welcher Art und Zweckbestimmung sie sein dürfen. Der Begriff "Einachser zum Gütertransport" steht hier im Gegensatz z.B. zu der im ersten Absatz vorkommenden Wendung "Anhänger zum Personentransport". Die einachsigen Anhänger an Traktoren dürfen nur zur Beförderung von Gütern nicht auch zur Beförderung von Personen bestimmt sein. Ob und unter welchen Voraussetzungen es gestattet sei, auf den dem Gütertransport dienenden Anhängern Personen mitzuführen, ist damit nicht gesagt. Diese Frage hätte in einer besonderen Bestimmung beantwortet werden müssen, ähnlich wie Art. 53 MFV zur Frage der Personenbeförderung auf Lastwagen Stellung nimmt, indem er unter anderem bestimmt, das notwendige Arbeitspersonal dürfe mitgeführt werden. Denn dass sich das Verbot des Mitführens von Personen auf den zum Gütertransport bestimmten Anhängern von selbst verstehe, kann angesichts der allgemeinen Übung, im Zusammenhang mit der Bewirtschaftung eines Landwirtschaftsbetriebes auf den Anhängewagen auch das nötige Personal zu befördern, nicht gesagt werden. Im Schweigen der Verordnung liegt eine Lücke, die der Richter dahin auszufüllen hat, dass die erwähnte Übung nicht gegen das Recht verstösst. Die zweckmässige Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Betriebe wäre ungebührlich erschwert, wenn das Arbeitspersonal nicht mitgeführt werden dürfte. Es wäre genötigt, dem Gefährt mit erheblichem Zeitverlust zu Fuss zu folgen oder sich besonderer Beförderungsmittel zu bedienen. Das Bundesgericht hat denn auch schon wiederholt ohne nähere Begründung vorausgesetzt, das Arbeitspersonal dürfe auf Fahrten zur Bewirtschaftung eines landwirtschaftlichen Betriebes auf dem Anhänger Platz nehmen (BGE 78 IV 76, BGE 83 II 30). Der Bundesratsbeschluss vom 20. August 1957 über Anhänger an Motorwagen mit Allradantrieb bestimmt das nunmehr ausdrücklich (Art. 7 Abs. 3). Allerdings gilt dieser Beschluss für landwirtschaftliche Traktoren selbst dann nicht, wenn sie Allradantrieb haben (Art. 1 Abs. 5). Das Arbeitspersonal kann aber auf dem Anhänger nicht mehr gefährdet sein, wenn er von einem landwirtschaftlichen Traktor gezogen wird, als wenn er mit einem Zugwagen anderer Art verbunden ist. Bedenken könnte höchstens der Umstand erwecken, dass die dem erwähnten Bundesratsbeschluss unterstehenden Anhängerzüge nur einen ein- oder zweiachsigen Anhänger oder zwei landwirtschaftliche Anhängewagen aufweisen dürfen (Art. 1 Abs. 1), Traktorenzüge dagegen zwei einachsige, einen zweiachsigen oder drei landwirtschaftliche Anhängewagen (Art. 63 Abs. 3 MFV). Das bedeutet aber nicht, dass die Sicherheit auf dem Traktorenzug geringer sei. Die Verordnung muss schon mit Rücksicht auf den Führer des Traktors darauf abzielen, dass sie ebenso gross sei wie bei den dem Bundesratsbeschluss vom 20. August 1957 unterstehenden Anhängerzügen. Der Verschiedenheit des Zug- und Bremsvermögens des einen und des anderen Zugwagens ist denn auch dadurch Rechnung getragen, dass Traktorenzüge höchstens 14 t, die dem Bundesratsbeschluss unterstellten Anhängerzüge dagegen bis zu 20 t schwer sein dürfen (Art. 65 Abs. 2 lit. b MFV bzw. Art. 3 Abs. 1 BRB vom 20. August 1957). Dazu kommt, dass landwirtschaftliche Traktoren höchstens mit 20 km/Std (Art. 5 MFV), Anhängerzüge nach BRB vom 20. August 1957 dagegen zum Teil wesentlich schneller fahren dürfen (Art. 7 Abs. 1 BRB). Gerade die Geschwindigkeitsgrenze ist für die Sicherheit der auf dem Anhänger mitfahrenden Personen wesentlich. Dürfen leichte Motorwagen mit Anhänger ausserorts bis zu 50 km/Std einhalten (Art. 7 Abs. 1 lit. a BRB) und auf Fahrten zur Bewirtschaftung eines landwirtschaftlichen Betriebes dennoch auf dem Anhänger das erforderliche Arbeitspersonal mitführen, so ist nicht zu ersehen, weshalb es solchem Personal verboten sein sollte, sich auf einem Anhänger aufzuhalten, der von einem Traktor mit höchstens 20 km/Std gezogen wird.
Indem der Beklagte den Kippel auf dem Heufuder mitführte, handelte er somit keiner Vorschrift zuwider.
2. Der Führer eines Motorfahrzeuges hat auch Sorgfaltspflichten, die ihm nicht durch Gesetz oder Verordnung ausdrücklich oder dem Sinne nach auferlegt werden (vgl.BGE 33 II 558,BGE 50 II 399,BGE 78 IV 75). Hätte der Beklagte erkennen können, dass Kippel auf dem Heufuder wegen besonderer Umstände gefährdet sei, so hätte er ihm daher untersagen müssen, daselbst Platz zu nehmen. Das Mitfahren auf Heufudern ist jedoch üblich, mögen sie von Pferden oder von Traktoren gezogen werden. Auch den Umstand, dass der Anhänger einachsig war, brauchte der Beklagte nicht als gefährlich zu erachten, denn das Fahrzeug war mit dem Traktor fest verbunden und daher im Gleichgewicht. Der Beklagte musste auch nicht annehmen, die verhältnismässig geringe Grösse der Ladebrücke von 3,3 m Länge und 1,8 m Breite sei eine wesentliche Gefahrenquelle. Ein so beschaffener Wagen bietet genügend Sicherheit, wenn der Fahrgast ungefähr in der Längsachse des Fuders bleibt und sich an einer der Stützleitern oder an dem das Heu überspannenden Seil oder Querholz festhält. Beatrice Kuonen hat trotz ihres Alters von nur sieben Jahren keinen Schaden genommen, und auch Kippel wäre nicht verunfallt, wenn er nicht den vom Fuder gleitenden Rucksack hätte zurückhalten wollen. Das Kantonsgericht stellt fest, dass der Unfall weder auf das Gefährt noch auf die Art der Ladung, sondern darauf zurückzuführen ist, dass Kippel sich beim Griff nach dem Rucksack zu weit gegen den Rand des Fuders bewegte und dabei abstürzte. Die Kläger bestreiten das, sind aber nicht zu hören, da das Bundesgericht an Feststellungen der kantonalen Instanz über tatsächliche Verhältnisse gebunden ist. Ein offensichtliches Versehen, das berichtigt werden dürfte (Art. 63 Abs. 2 OG), liegt nicht vor. Das Kantonsgericht hat nicht übersehen, dass der Rucksack nicht in den Kanal, sondern auf die Strasse fiel. Dieser Sachverhalt widerlegt den Zusammenhang zwischen dem Abgleiten des Sackes und dem Sturz des Kippel nicht, geschweige denn offensichtlich. Es ist möglich, ja wahrscheinlich, dass sich Kippel nach dem Hinabfallen des Rucksackes noch kurze Zeit zu halten vermochte, bevor er seinerseits vom Wagen fiel, und dass das Gefährt unterdessen die Brücke erreichte. Das Bundesgericht hat sich entgegen der Auffassung der Kläger auch nicht über die Glaubwürdigkeit der Beatrice Kuonen auszusprechen. Das ist eine Frage der Beweiswürdigung, die ausschliesslich dem Kantonsgericht zustand. Bleibt es demnach beim festgestellten Sachverhalt, so gereicht der Unfall dem Beklagten nicht zum Verschulden. Dieser brauchte nicht damit zu rechnen, dass Kippel vom Wagen stürzen könnte. Er durfte voraussetzen, dass Kippel, der sich nebenberuflich als Landwirt betätigte, sich auf einem fahrenden Heufuder sachgemäss zu verhalten wisse.
Da den Beklagten kein Verschulden trifft, hat er den Klägern nicht Genugtuung zu leisten.
3. Wollte man dem Beklagten einen Vorwurf machen, weil er Kippel auf dem Fuder mitfahren liess, so müsste anderseits dem Verunfallten das Mitfahren als Mitverschulden angerechnet werden. Kippel als in der Landwirtschaft tätiger Mann konnte sich nicht weniger als der Beklagte sagen, dass man auf einem fahrenden Heufuder nur solange in Sicherheit sei, als man sich sachgemäss verhalte. Wenn er sich solches Verhalten nicht zutraute, hatte er daher aus eigenem Antrieb vom Mitfahren abzusehen. Dazu kommt, dass der unvorsichtige Griff nach dem abgleitenden Rucksack ihm allein, nicht auch dem Beklagten zur Last fällt. Es war grob fahrlässig, dass Kippel im Bestreben, den Sack zurückzuhalten, sich so weit gegen den Rand des Fuders lehnte, dass er abstürzte. Das Verschulden Kippels am Unfalle wäre daher erheblich grösser als der Fehler des Beklagten. Die Hinterbliebenen des Verunfallten haben auch aus diesem Grunde nicht Anspruch auf Genugtuung (BGE 57 II 472,BGE 58 II 344ff.,BGE 59 II 165).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird gutgeheissen, die Anschlussberufung abgewiesen, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.