BGE 85 II 302
 
49. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 14. Juli 1959 i.S. M. gegen M.
 
Regeste
Ehescheidung, güterrechtliche Auseinandersetzung.
 
Sachverhalt
Am 4. Dezember 1958 schied das Bezirksgericht Liestal die im Jahre 1930 geschlossene Ehe der Parteien wegen Geisteskrankheit der Ehefrau. Das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft, vor dem nur noch die wirtschaftlichen Nebenfolgen der Scheidung streitig waren, verneinte die Ersatzpflicht des Ehemannes für nicht mehr vorhandene Inhaberobligationen im Betrage von Fr. 14'000.--, welche die Ehefrau in einem eigenen Schrankfach verwahrt und selber verwaltet hatte, statt sie gemäss Art. 200 Abs. 1 ZGB durch den Ehemann verwalten zu lassen. Das Bundesgericht bestätigt das obergerichtliche Urteil.
 
Begründung:
Hinsichtlich der güterrechtlichen Entschädigung ist vor Bundesgericht noch streitig, ob der Kläger der Beklagten den Betrag von Fr. 21'000.--, den sie in Gestalt von Obligationen in einem Schrankfach verwahrt und selber verwaltet hatte, voll ersetzen müsse oder ob seine Ersatzpflicht sich auf den Betrag von Fr. 7000.-- beschränke, der sich im Schrankfach der Beklagten noch vorfand, als der Kläger dessen Inhalt im Jahre 1948 nach der Einweisung der Beklagten in eine Heilanstalt in Besitz nahm. ...
Die Beklagte stützt ihren Anspruch auf Ersatz des vollen Betrages von Fr. 21'000.-- (statt der von der Vorinstanz allein in Rechnung gestellten Fr. 7000.--) auf Art. 201 Abs. 3 ZGB, wonach unter dem ordentlichen Güterstande der Güterverbindung bares Geld, andere vertretbare Sachen und Inhaberpapiere, die nur der Gattung nach bestimmt worden sind, in das Eigentum des Ehemannes übergehen und die Ehefrau für deren Wert eine Ersatzforderung erhält.
Indem diese Bestimmung für Inhaberpapiere bloss insoweit Geltung beansprucht, als diese nur der Gattung nach bestimmt worden sind, gibt sie den Ehegatten die Möglichkeit, den Eigentumsübergang an Serientiteln und die Entstehung einer Ersatzpflicht dafür durch Individualisierung der Titel zu verhindern (BGE 47 II 133ff.). Nach der Auffassung EGGERS genügt hiezu der einseitige Wille der Frau (oder auch des Mannes) und kann ein genügender Ausdruck dieses Willens darin gefunden werden, dass die Titel in einem offenen oder geschlossenen Depot der Frau belassen werden (N. 14 zu Art. 201 ZGB; vgl. auch GMÜR, N. 30 zu Art. 201 ZGB, der "vor allem" den Willen der Ehefrau als massgebend betrachtet und ebenfalls das Beispiel erwähnt, dass die Titel in einem Bankdepot auf den Namen der Frau liegen). Folgt man dieser Auffassung, so sind die Obligationen im Betrage von Fr. 14'000.--, die sich neben den vom Kläger im Jahre 1948 behändigten Titeln im Betrage von Fr. 7000.-- im Schrankfach der Beklagten befunden hatten, aber 1948 nicht mehr vorhanden waren, nie ins Eigentum des Klägers übergegangen und ist dieser folglich dafür auch nicht ersatzpflichtig geworden.
Der Kläger kann aber auch dann nicht zum Ersatz des Wertes dieser Titel angehalten werden, wenn man mit KNAPP (Le régime matrimonial de l'union des biens, N. 119 S. 26) und LEMP (N. 62 zu Art. 201 ZGB) annimmt, zur Individualisierung bedürfe es einer Willensäusserung beider Ehegatten (weshalb die in BGE 47 II 136 offen gelassene Frage, ob dazu die einseitige Erklärung eines Ehegatten genüge oder nicht, auch heute dahingestellt bleiben kann). Es bestehen zwar keine Anhaltspunkte dafür, dass die Parteien bei der Eheschliessung oder kurz nachher (vgl. hiezu BGE 47 II 137, BGE 57 II 451) vereinbart hätten, die von der Beklagten eingebrachten Obligationen sollten dieser verbleiben. Der Kläger scheint vielmehr bis zum Jahre 1943 (also 13 Jahre lang) vom Vorhandensein dieser Titel überhaupt nichts gewusst zu haben. Hat aber die Beklagte die in ihrem Schrankfach liegenden Inhabertitel nicht auf Grund einer Vereinbarung mit dem Kläger, sondern eigenmächtig für sich behalten, so kann sie den Kläger gerechterweise auch nicht für den Wert der Titel verantwortlich machen, die bei der Übernahme der Verwaltung des Schrankfachs durch den Kläger im Jahre 1948 nicht mehr vorhanden waren. In BGE 47 II 137 wurde die Verantwortlichkeit des Ehemannes für die ihm von der Ehefrau vorenthaltenen Titel deswegen abgelehnt, weil ihre Geltendmachung einen Rechtsmissbrauch im Sinne von Art. 2 ZGB bedeuten würde. In den von KNAPP (Anm. 66 S. 80 zu N. 94 S. 22) zitierten Entscheiden vom 10. Dezember 1931 i.S. Schwendeler und vom 5. Juli 1945 i.S. Giroud hat das Bundesgericht die Ersatzpflicht des Ehemannes für Bargeld usw., das die Ehefrau selber behalten hatte, auf Grund der Annahme verneint, dass diese Ersatzpflicht nach dem Sinne von Art. 201 Abs. 3 ZGB für dem Ehemann vorenthaltene Vermögenswerte nicht bestehe. Diese Auffassung, der KNAPP (N. 94 S. 22) beistimmt, lässt sich mit dem Wortlaut von Art. 201 Abs. 3 ZGB in der Weise in Einklang bringen, dass man annimmt, diese Bestimmung habe den Normalfall im Auge, dass der Ehemann das eheliche Vermögen einschliesslich der von der Ehefrau eingebrachten Vermögenswerte verwaltet (vgl. den Entscheid i.S. Giroud). Wollte man aber auf Grund einer streng wörtlichen Auslegung von Art. 201 Abs. 3 ZGB davon ausgehen, der Ehemann werde nach dieser Bestimmung grundsätzlich auch für ihm vorenthaltene Werte ersatzpflichtig (LEMP N. 66 und 68 in Verbindung mit N. 46 zu Art. 201 ZGB), so könnte er seine Schuld mit der Schadenersatzforderung verrechnen, die er gegen die Ehefrau mit der Begründung erheben könnte, dass sie über in sein Eigentum übergegangene Vermögensstücke unbefugterweise verfügt habe (vgl. LEMP N. 30 zu Art. 203 in Verbindung mit N. 44 zu Art. 200 ZGB). Die Beklagte kann demnach auf keinen Fall verlangen, dass der Kläger ihr den Wert der ihm vorenthaltenen und nicht mehr vorhandenen Titel im Betrage von Fr. 14'000.-- ersetze.