BGE 85 II 443
 
67. Urteil der I. Zivilabteilung vom 15. Dezember 1959 i. S. Schweiz. Textildetaillisten-Verband, Sektion Luzern und Mitkläger gegen de Boer.
 
Regeste
1. Art. 17 Abs. 1 UWG, Art. 1 Abs. 1 AO. Ausverkäufe und ähnliche Veranstaltungen bedürfen nur dann einer Bewilligung, wenn sie öffentlich angekündet werden. Begriff der öffentlichen Ankündigung.
 
Sachverhalt
A.- Hermann de Boer führte vom 16. bis 30. Januar 1958 in seinem Damenkonfektionsgeschäft in Luzern einen amtlich bewilligten Saisonausverkauf durch. Da es ihm nicht gelang, durch diese Veranstaltung alle unmodisch gewordene Ware zu verkaufen, entschloss er sich, solche auch nach dem 30. Januar 1958 zu den im Ausverkauf angewendeten Preisen abzugeben und ausserdem jeder Käuferin eines Mantels unentgeltlich ein gleichwertiges Kleid und jeder Käuferin eines Kleides einen gleichwertigen Mantel zu überreichen. Er rief am 1. Februar 1958 nach dem Ladenschluss sein Verkaufspersonal zusammen, gab ihm seinen Entschluss kund und verbot ihm, für den geplanten Verkauf zu werben. Er sagte ihm nicht, wie lange die Veranstaltung dauern werde. Er führte sie vom 3. bis 8. Februar 1958 durch, wobei er 2400 bis 3000 Kleider und Mäntel absetzte. Ein Strafverfahren, das man deswegen gegen ihn unter dem Vorwurf der Widerhandlung gegen die Ausverkaufsvorschriften anhob, wurde erst- und oberinstanzlich eingestellt.
B.- Am 7. Februar 1959 klagten der Schweizerische Textildetaillisten-Verband, Sektion Luzern, und die in Luzern mit Damenkleidern handelnden Gesellschaften Müller-von Flüe AG und Schnyder & Co. gegen de Boer beim Obergericht des Kantons Luzern auf Feststellung, dass die vom Beklagten in der Zeit vom 3.-8. Februar 1958 getätigten ausserordentlichen Verkäufe mit Gratisabgabe von Mänteln und Kleidern gegen das Gesetz über den unlauteren Wettbewerb verstiessen und somit widerrechtlich seien. Sie beantragten ferner, dem Beklagten die Wiederholung solcher Handlungen unter Androhung der Ungehorsamsstrafe des Art. 292 StGB zu untersagen und das Urteil auf seine Kosten zu veröffentlichen.
Das Obergericht wies am 11. Juni 1959 die Klage ab.
C.- Die Kläger haben die Berufung erklärt. Sie beantragen dem Bundesgericht, das Urteil aufzuheben und die im kantonalen Verfahren gestellten Begehren auf Feststellung und Unterlassung gutzuheissen.
Der Beklagte beantragt, die Berufung abzuweisen und das angefochtene Urteil zu bestätigen.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Nicht nötig ist, dass den Beklagten ein Verschulden treffe; solches ist nur Voraussetzung der Schadenersatzpflicht, nicht auch der Ansprüche auf Feststellung der Widerrechtlichkeit und auf Unterlassung, um die hier allein gestritten wird (Art. 2 Abs. 1 UWG).
a) Für die Auffassung der Kläger, Ausverkäufe und ähnliche Veranstaltungen bedürften auch dann einer Bewilligung, wenn sie nicht öffentlich bekanntgegeben werden, spricht der französische Wortlaut des Art. 17 Abs. 1 UWG: "Aucune liquidation ou opération analogue tendant à accorder temporairement des avantages particuliers aux acheteurs ne peut être annoncée ou exécutée publiquement sans une autorisation du service cantonal compétent." Darnach wäre die Bewilligung schon nötig, wenn die Veranstaltung entweder nur angekündet oder nur durchgeführt wird. Die deutsche und die italienische Fassung der Bestimmung schreiben dagegen die Bewilligung vor für "die öffentliche Ankündigung und Durchführung" bzw. "per annunciare ed eseguire pubblicamente"; sie lassen also die blosse Durchführung ohne Ankündigung nicht genügen.
Diese Fassungen verdienen den Vorzug. In der Botschaft vom 3. November 1942 zum Entwurf des Gesetzes über den unlauteren Wettbewerb (BBl 1942 713) führte der Bundesrat aus, Richtlinie für seine Verordnung über Ausverkäufe sei, dass die öffentliche Ankündigung solcher Veranstaltungen einer Bewilligungspflicht zu unterstellen sei. Die Worte "öffentliche Ankündigung" wurden dabei durch Sperrung hervorgehoben. Die Bundesversammlung war also schon vor dem Erlass des Gesetzes unterrichtet, dass der Bundesrat die öffentliche Ankündigung als Merkmal bewilligungspflichtiger Ausverkäufe und ähnlicher Veranstaltungen betrachte. In der Verordnung vom 16. April 1947 über Ausverkäufe und ähnliche Veranstaltungen (AO), die er auf Grund des Art. 17 Abs. 4 UWG erliess, stellte er sich denn auch ausdrücklich auf diesen Boden, indem er in Art. 1 Abs. 1 bestimmte, diese Veranstaltungen seien solche "des Detailverkaufes, bei denen dem Käufer durch öffentliche Ankündigung in Aussicht gestellt wird, dass ihm vorübergehend besondere, vom Verkäufer sonst nicht gewährte Vergünstigungen zukommen werden". Es ist dem Geschäftsinhaber nicht verboten, vorübergehend seine Preise zu senken, z.B. um einen bestimmten Vorrat an Waren leichter abstossen oder sein Personal während eines Zeitraumes, in dem der Geschäftsgang sonst flau wäre, besser beschäftigen zu können. Solches Vorgehen ist erlaubt, soweit es nicht wegen besonderer Umstände im einzelnen Falle gegen Treu und Glauben verstösst. Einer Bewilligung bedarf es nur im Falle der öffentlichen Ankündigung, weil diese die Gefahr in sich birgt, dass die Käufer getäuscht werden, d.h. im Falle eines Kaufes Vorteile glauben erlangen zu können, die ihnen in Wirklichkeit nicht oder nicht im verkündeten Ausmass gewährt werden. Ein Geschäftsinhaber, der das Publikum nicht durch öffentliche Ankündigung vorübergehender besonderer Vorteile anlockt, führt es nicht irre. Dass ein Ausverkauf oder eine ähnliche Veranstaltung nur bei öffentlicher Ankündigung vorübergehender besonderer Vergünstigungen bewilligungspflichtig ist, sagen auch die Erläuterungen des eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartementes zur erwähnten Verordnung (BBL 1947 II 77). Art. 20 Abs. 1 lit. a AO, wonach strafbar ist, wer vorsätzlich "eine unter diese Verordnung fallende, nicht bewilligte Verkaufsveranstaltung öffentlich ankündigt oder durchführt", widerlegt das nicht. Art. 20 Abs. 1 lit. a sagt nicht, unter welchen Voraussetzungen die Veranstaltung bewilligungspflichtig ist, sondern bestimmt nur, wenn sie nicht bewilligt sei, obschon sie unter die Verordnung falle, also der Bewilligung bedürfe, sei strafbar sowohl, wer sie ankündet, als auch, wer sie durchführt. Diese Unterscheidung ist begründet, weil möglich ist, dass jemand sich nur mit der Durchführung der Veranstaltung befasst, während die öffentliche Ankündigung, die sie bewilligungspflichtig macht, von einer anderen Person besorgt wird. Strafbar ist auch, wer nur ankündet, ohne die Veranstaltung dann wirklich durchzuführen. BGE 83 II 465 stellt ebenfalls auf den Wortlaut des Art. 1 Abs. 1 AO ab, ohne darin einen Widerspruch zum Gesetz oder zu Art. 20 Abs. 1 lit. a AO zu sehen.
b) Ein Ausverkauf oder eine ähnliche Veranstaltung ist angekündet, wenn der Geschäftsinhaber oder eine mit der Führung des Geschäftes betraute Person sie entweder selber oder durch Hilfspersonen anders als bei der Verhandlung über den einzelnen Kauf bekanntgeben lässt, und öffentlich ist die Ankündigung, wenn sie sich an einen grösseren ausserhalb des Geschäftes stehenden Kreis von Personen richtet. Eine öffentliche Ankündigung liegt dagegen nicht vor, wenn die Veranstaltung nur dem Geschäftspersonal, nur einigen bestimmten Aussenstehenden oder nur dem einzelnen Kunden anlässlich des Kaufes bekanntgegeben wird oder wenn die Mitteilung an weitere Kreise durch Dritte erfolgt, für deren Tun weder der Geschäftsinhaber noch eine mit der Geschäftsführung betraute Person verantwortlich ist.
Das Obergericht stellt fest, dass der Beklagte seine Veranstaltung weder schriftlich noch mündlich über den Kreis seines Personals hinaus bekanntgab, und dass er dieses auch nicht anwies, bei Verwandten und Bekannten für sie zu werben, sondern dass er ihm die Werbung gegenteils untersagte. Diese Feststellungen binden das Bundesgericht. Sie sind nicht in Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften zustande gekommen, noch beruhen sie offensichtlich auf Versehen. Das Obergericht stützt sie mit dem Hinweis auf die Aussagen, die fünf Zeuginnen im Strafverfahren gegen den Beklagten machten, sowie auf die Überlegung, dass nach der Erfahrung des Lebens die Veranstaltung für sich selber geworben haben müsse, d.h. durch Kunden bekanntgegeben und von Mund zu Mund weitererzählt worden sei. Das ist Beweiswürdigung, die mit der Berufung nicht angefochten werden kann (Art. 55 Abs. 1 lit. c, 63 Abs. 2 OG). Das Bundesgericht darf nicht prüfen, ob sich aus den Aussagen der Zeugen Rita Lampart, Hermann Willi, Anna Estermann und Charlotte Haggenmüller, auf die die Kläger hinweisen, andere Schlüsse ziehen liessen. Übrigens bezeugen Rita Lampart, Hermann Willi und Anna Estermann nur, dass Lehrtöchter des Beklagten sich über dessen Veranstaltung äusserten. Damit ist nicht gesagt, dass der Beklagte die Lehrtöchter angewiesen habe, das zu tun.
Hat es bei den Feststellungen des Obergerichtes sein Bewenden, so fehlt eine vom Beklagten zu verantwortende öffentliche Ankündigung. Da der Beklagte seinem Personal die Werbung verbot, hat er für das, was Lehrtöchter oder Angestellte allenfalls Dritten von der Veranstaltung dennoch sagten, nicht einzustehen. Eine dem Beklagten zur Last zu legende öffentliche Ankündigung liegt insbesondere nicht darin, dass Dritte weitererzählten, was sie gegen den Willen des Beklagten im Gespräch mit Lehrtöchtern oder Angestellten oder notwendigerweise in ihrer Eigenschaft als Kunden beim Einkauf erfuhren. Dass der Beklagte solche Werbung durch Dritte in Kauf nahm, wie das Obergericht feststellt, ändert nichts. Das heisst nur, er habe es darauf ankommen lassen, dass die Veranstaltung für sich selber werbe, indem die Kundschaft und weitere Drittpersonen sie von Mund zu Mund weitererzählen würden. Indem er mit solcher Werbung rechnete, wurde die Veranstaltung nicht bewilligungspflichtig. Es steht auch nicht z.B. fest, dass der Beklagte die Beibehaltung der im Ausverkauf vom 16.-30. Januar 1958 angewendeten Preise durch auffällige, den Augen der Öffentlichkeit ausgesetzte Anschriften an der Ware kundgegeben, die Veranstaltung vom 3.-8. Februar 1958 also in diesem Sinne öffentlich angekündet habe.
c) Da der Beklagte keiner Bewilligung bedurfte, um die nicht öffentlich angekündete Veranstaltung vom 3.-8. Februar 1958 durchzuführen, kann dahingestellt bleiben, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Geschäftsinhaber unlauteren Wettbewerb begeht, wenn er sich um eine vorgeschriebene Bewilligung drückt.
Ob Zugaben im Sinne des Art. 20 UWG vorliegen, braucht nicht entschieden zu werden; denn selbst wenn das zuträfe, bliebe offen, ob sie gegen Treu und Glauben verstiessen und das Vorgehen des Beklagten unlauter machten.
Der Beklagte trug dem Wert der unentgeltlich abgegebenen Kleider und Mäntel bei der Bestimmung des Preises der verkauften Kleidungsstücke nach verbindlicher Feststellung des Obergerichtes nicht Rechnung, sondern verkaufte zu den gleichen Preisen, die er während des Ausverkaufes vom 16. bis 30. Januar 1958 gefordert hatte. Die unentgeltliche Abgabe von Kleidern und Mänteln war also nicht blosser Schein; die Kunden wurden nicht irregeführt.
Der Beklagte verstiess auch nicht gegen Treu und Glauben, indem er je ein Kleid oder einen Mantel unentgeltlich abgab. Damit liess er der Kundschaft gleichviel zukommen, wie wenn er die Preise, die er im bewilligten Ausverkauf angewendet hatte, um die Hälfte gesenkt und alle Stücke des Lagers verkauft hätte. Der Umstand allein, dass das Vorgehen des Beklagten den grösseren Erfolg verhiess als der Verkauf zu den halben Ausverkaufspreisen, machte es nicht unlauter. Der Beklagte gaukelte den Kunden nichts vor, sondern steigerte nur ihre Kauflust und erreichte, dass er bei jedem Abschluss zwei statt allenfalls nur ein Stück absetzen konnte. Das war geschickt. Gewandte Ausnützung der Psychologie der Käufer ist aber jedem Geschäftsmann erlaubt, wenn er sich nicht irreführender oder sonstwie verbotener Mittel bedient. Er mag dadurch zwar erreichen, dass das Publikum einen erst künftigen Bedarf vorzeitig deckt und seine Kaufkraft auf einige Zeit hinaus erschöpft. Das zu tun, ist aber nicht unlauter, weder gegenüber dem Käufer noch im Verhältnis zum Mitbewerber, dessen künftiger Geschäftsgang darunter leidet. Im freien Wettbewerb ist es jedem erlaubt, dem Mitbewerber mit erlaubten Mitteln zuvorzukommen.
Dem Beklagten kann auch kein Vorwurf daraus gemacht werden, dass er sich mit einem Erlös begnügte, der im Ergebnis nur die Hälfte der vorher geforderten Ausverkaufspreise erreichte. Er durfte seine Preise grundsätzlich frei bestimmen (BGE 52 II 381, BGE 71 II 234). Die Kläger anerkennen, dass er es nicht z.B. darauf abgesehen hatte, durch Preisschleuderei sich der Mitbewerber zu entledigen, um nachher den Markt allein beherrschen zu können. Die tiefen Preise waren auch nicht darauf zurückzuführen, dass der Beklagte sich die Ware durch unerlaubte Mittel verschafft oder dass er die berufs- oder ortsüblichen oder die den Mitbewerbern durch Gesetz, Verordnung oder Vertrag auferlegten Arbeitsbedingungen verletzt hätte (vgl. Art. 1 Abs. 2 lit. h UWG). Sie hatten ihren Grund im Bestreben des Beklagten, seinen Vorrat an veralteter Ware rasch zu liquidieren. Dass er dabei zu Verlustpreisen verkaufte, machte sein Vorgehen nicht unlauter. Wer mit Kleidungsstücken für Damen handelt, muss solche Verluste in Kauf nehmen und rechnet sie, wenn er ein erfahrener Kaufmann ist, zum vornherein als Unkosten seines Geschäftes ein. Das sind Folgen des raschen Wechsels der Mode. Der Beklagte hätte Verluste auch erlitten, wenn er die veraltete Ware, die ihm nach Beendigung des bewilligten Ausverkaufes verblieb, z.B. in Bausch und Bogen einem Marktfahrer verkauft oder nach und nach in einer Ecke seines Geschäftes stückweise zu billigen Preisen an Kunden abgegeben hätte. Er verstiess nicht gegen Treu und Glauben, sie in einer kurzen, aber nicht öffentlich angekündeten Sonderveranstaltung zu Verlustpreisen an Verbraucher abzugeben und dadurch das Publikum auf sein Geschäft aufmerksam zu machen, seinen Umsatz zu steigern und sich vor den Mitbewerbern einen Vorsprung zu verschaffen.
Es wird nicht behauptet, dass der Beklagte gegenüber den Käufern aufdringlich gewesen sei, sie unter Druck gesetzt, ihnen die Ware aufgeschwatzt habe. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, unter welchen Voraussetzungen ein solches Vorgehen als Verstoss gegen Treu und Glauben zu würdigen wäre.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen, und das Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern vom 11. Juni 1959 wird bestätigt.