BGE 86 II 103
 
18. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 23. Februar 1960 i.S. C. Gartenmann & Cie. A.-G. gegen Palmér.
 
Regeste
Voraussetzungen für die Anordnung von Beweismassnahmen durch das Bundesgericht nach Art. 67 OG (Erw. 2).
 
2. Die Beklagte beantragt, es seien im Sinne von Art. 67 Ziff. 1 OG die tatbeständlichen Feststellungen der Vorinstanz über die technischen Verhältnisse zu überprüfen und zu diesem Zweck ein neuer Sachverständiger zu bestellen.
Die angeführte Bestimmung räumt dem Bundesgericht zwar diese Befugnis ein. Das bedeutet aber nicht, dass das Bundesgericht die massgebenden technischen Verhältnisse in jedem Fall wie eine Appellationsinstanz von Grund auf und ohne Rücksicht auf die Feststellungen der kantonalen Instanz selber zu ermitteln habe, sobald ein Berufungskläger einen dahin gehenden Antrag stellt. Für eine solche Weiterung müssen vielmehr besondere Gründe vorliegen. Wie schon wiederholt entschieden wurde (BGE 85 II 142 Erw. 4 b, 513 Erw. 2, 593; Urteile vom 14. Januar 1960 i.S. Müller c. Schwertfeger und vom 26. Januar 1960 i.S. Roth & Cie. A.-G. c. Krebs), ist auch in Patentsachen die Berufung an das Bundesgericht grundsätzlich ein Rechtsmittel zur Rüge von Verletzungen des Bundesrechts, während die Ermittlung des Sachverhalts in der Zuständigkeit und Verantwortlichkeit des kantonalen Richters verbleibt. Das Bundesgericht kann lediglich dessen Feststellungen über technische Verhältnisse überprüfen und zu diesem Zwecke allenfalls neue Beweismassnahmen, insbesondere Expertisen, anordnen, wenn es solche als notwendig erachtet. Macht es von dieser in sein Ermessen gestellten Befugnis keinen Gebrauch, weil ihm die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz über die technischen Verhältnisse einleuchten, so hat es von diesen auszugehen.
So verhält es sich im vorliegenden Fall. Die Vorinstanz hat auf das Gutachten abgestellt, das ihr durch die gerichtlich bestellten Sachverständigen Ing. W. Könitzer und P. Haller erstattet worden ist. Könitzer ist Patentfachmann und als solcher seit Jahren beim eidgenössischen Amt für geistiges Eigentum tätig. Haller ist Baufachmann und Vorsteher der Abteilung für natürliche Bausteine und künstliche Baumaterialien an der EMPA. Es handelt sich bei beiden Experten also um persönlich und fachlich ausgewiesene Fachleute. Die Beklagte behauptet zu Unrecht, die Fragen, ob die klägerische Erfindung neu, schöpferisch und fortschrittlich sei, sowie, ob und inwieweit eine Patentverletzung vorliege, liessen sich auf Grund der Gerichtsexpertise nicht beantworten. Die Experten haben sich zu allen diesen Fragen ausgesprochen und sind dabei entgegen der Behauptung der Beklagten keineswegs von grundlegend unzutreffenden rechtlichen Überlegungen ausgegangen, wie im folgenden zu zeigen sein wird. Die Beklagte hatte Gelegenheit, im kantonalen Verfahren Einwendungen gegen das Gutachten vorzubringen und Ergänzungsfragen zu stellen, zu denen die Experten in einem einlässlichen Ergänzungsgutachten Stellung genommen haben. Auch wurden seitens beider Parteien Privatgutachten zu den Akten gegeben. Durch all das sind die technischen Verhältnisse ausreichend abgeklärt. Das Begehren der Beklagten um Anordnung neuer Beweismassnahmen ist daher abzuweisen.
3. Die Vorinstanz geht davon aus, durch die vom Kläger vorgenommene Zusammenlegung des ursprünglichen Patentanspruchs mit den Unteransprüchen 1 und 2 sei ein neuer Patentanspruch entstanden, in welchem alle Merkmale des früheren Patentanspruches wie auch der früheren Unteransprüche 1 und 2 erhalten geblieben seien.
Die Beklagte nimmt demgegenüber den Standpunkt ein, durch den erklärten Teilverzicht sei der ursprüngliche Patentanspruch zum ungeschützten Oberbegriff geworden und das Kennzeichen des neuen Patentanspruchs könne nur in den bisherigen Unteransprüchen 1 und 2 erblickt werden.
a) Nach Art. 24 Abs. 1 PatG kann der Patentinhaber auf das Patent teilweise verzichten; dabei kann er einen Patentanspruch oder Unteranspruch aufheben (Art. 24 Abs. 1 lit. a) oder einen Patentanspruch durch Zusammenlegung mit einem oder mehreren Unteransprüchen einschränken (Art. 24 Abs. 1 lit. b).
Die Beklagte vertritt nun die Auffassung, zwischen einer Aufhebung des Patentanspruchs gemäss lit. a und der Zusammenlegung im Sinne von lit. b bestehe in Wirklichkeit kein Gegensatz; in beiden Fällen werde auf einen Patentanspruch verzichtet. Sowohl nach lit. a wie nach lit. b falle mit dem Teilverzicht der Patentanspruch oder Unteranspruch, auf den verzichtet werde, "ins Freie"; es sei daher nicht mehr zu untersuchen, ob der Patentanspruch, auf den sich der Verzicht beziehe, neu, erfinderisch oder fortschrittlich sei, und eine Patentverletzung könne keinesfalls angenommen werden, wenn in einer Nachbildung bloss die Merkmale des Hauptanspruchs, auf die verzichtet wurde, übernommen worden seien; nach einer Zusammenlegung sei lediglich noch zu prüfen, ob der beibehaltene Unteranspruch für sich allein eine Erfindung darstelle und ob das derart eingeschränkte Patent durch einen Nachahmer verletzt werde.
b) Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Der Fall von lit. a muss schon aus Gründen der Gesetzessystematik von demjenigen gemäss lit. b verschieden sein; denn sonst wäre nicht einzusehen, weshalb die Unterscheidung im Gesetz vorgenommen wurde.
Gewiss wird in beiden Fällen auf etwas verzichtet, wie schon aus dem Wortlaut von Art. 24 Abs. 1 Satz 1 und aus der Randnote zu Art. 24 PatG erhellt, wo von einem teilweisen Verzicht gesprochen wird. Aber der Gegenstand des Verzichtes ist nicht der gleiche. Im Falle der lit. a besteht er darin, dass ein Patentanspruch oder Unteranspruch aufgehoben, also fallen gelassen wird. Das hat zur Folge, dass für die Merkmale, die in ihm genannt waren, kein Erfindungsschutz mehr beansprucht wird. Hinsichtlich dieser Merkmale wird mit der Anspruchsaufhebung anerkannt, dass sie keinen erfinderischen Charakter aufweisen, vorbekannt sind und somit zum Stande der Technik im Zeitpunkt der Anmeldung gehörten.
Bei der Zusammenlegung gemäss lit. b dagegen besteht der Verzicht darin, dass der ursprüngliche Patentanspruch und damit der Schutzumfang des Patentes eingeschränkt wird. Es wird, sofern in der Verzichtserklärung des Patentinhabers kein gegenteiliger Wille zum Ausdruck kommt, keines der im früheren Patentanspruch und den bisherigen Unteransprüchen genannten Erfindungsmerkmale fallen gelassen, sondern sie werden gesamthaft aufrechterhalten. Es wird lediglich der Schutzumfang dadurch eingeschränkt, dass der ursprünglich definierten Erfindung weitere spezielle, den Unteransprüchen entnommene, kennzeichnende Merkmale beigefügt werden. Damit wird der Schutzanspruch auf eine besondere Ausführungsart beschränkt, die neben den vorher im Patentanspruch genannten Merkmalen noch ein zusätzliches und damit die Erfindung spezialisierendes Merkmal (oder mehrere solcher) aufweist. Im Gegensatz zum Falle gemäss Art. 24 Abs. 1 lit. a PatG kann daher aus der Zusammenlegung nicht ohne weiteres gefolgert werden, dass die im ursprünglichen Patentanspruch genannten Merkmale als Kennzeichen der Erfindung fallen gelassen worden seien und damit als zum Stand der Technik gehörend zu gelten hätten. Vielmehr bilden sämtliche Merkmale, die bis anhin in den kennzeichnenden Teilen des Patentanspruchs und der Unteransprüche enthalten waren, zusammen die Definition der Erfindung. Der so neugebildete Patentanspruch tritt an die Stelle des ursprünglichen Patentanspruches und der früheren Unteransprüche. Dieser neue, zusammengefasste Patentanspruch ist als Ganzes zu betrachten, und die durch ihn umschriebene besondere Ausführungsart ist auf ihre Patentwürdigkeit zu prüfen, wie wenn sie von Anfang an in dieser Gestalt Gegenstand des Patentes gebildet hätte.
Etwas anderes gilt nur, wenn der Patentinhaber ausdrücklich erklärt, auf eines der früheren Merkmale des Hauptanspruchs zu verzichten und es durch ein entsprechendes Merkmal eines Unteranspruchs zu ersetzen, das sich zum wegfallenden wie die Art zur Gattung verhält, also sachlich enger ist als jenes (vgl. hiezu: BLUM/PEDRAZZINI Bd. 2, Art. 24 PatG Anm. 2 S. 79). In einem solchen Falle liegt im Verzicht auf das Merkmal des ursprünglichen Patentanspruchs allerdings die Anerkennung, dass dieses des erfinderischen Charakters entbehre und darum ausserhalb des Schutzbereiches stehe. So verhält es sich indessen hier nicht. Der Kläger hat in Ziff. 1 seiner dem eidgenössischen Amt für geistiges Eigentum am 14. Juli 1956 abgegebenen Erklärung vielmehr ausdrücklich gesagt, zur Bildung eines neuen Patentanspruches werde der bisherige Patentanspruch mit den bisherigen Unteransprüchen 1 und 2 vollinhaltlich zusammengelegt. Damit hat er eindeutig den Willen bekundet, dass die sämtlichen bisherigen Merkmale sowohl des Patentanspruchs wie der bisherigen Unteransprüche aufrecht erhalten bleiben sollen, wie dies dem Wesen der Zusammenlegung entspricht.
c) Es ist somit der Vorinstanz beizustimmen, wenn sie gestützt auf die Auffassungen der gerichtlichen Sachverständigen und des Privatgutachtens Troller davon ausgegangen ist, dass der durch die Zusammenlegung gebildete neue Patentanspruch alle Merkmale des früheren Patentanspruchs und der beiden früheren Unteransprüche 1 und 2 umfasse.