BGE 87 II 28 |
6. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 7. März 1961 i.S. Frei gegen Tobler. |
Regeste |
1. Art. 216 Abs. 1 OR. Der Grundstückkauf ist ungültig, wenn nicht der wirklich gewollte Kaufpreis öffentlich beurkundet wird, mag auch der unterdrückte Teil desselben vorher bezahlt worden sein. |
Sachverhalt |
A.- Der Landwirt Jakob Frei versprach dem Zimmermeister Fritz Tobler, ihm die in der Gemeinde Grub (Appenzell-A. Rh.) liegenden Grundstücke Kat. Nr. 405 und 418 abzukaufen. Auf dem einen steht ein Wohnhaus mit Stadel. In der am 10. Juli 1958 errichteten öffentlichen Urkunde liessen die Vertragschliessenden den Kaufpreis auf Fr. 45'000.-- beziffern und ausführen, davon würden Fr. 6717.-- durch Übernahme der Grundpfandschulden und Fr. 18'000.-- durch die Kantonalbank von Appenzell-A. Rh. getilgt, für weitere Fr. 4000.-- verschreibe der Käufer die Liegenschaft zugunsten des Verkäufers als Grundpfand und Fr. 16'283.-- zahle er am Tage der Verschreibung bar. Frei will dem Tobler vor der Verurkundung des Vertrages als Teil des Kaufpreises weitere Fr. 6000.-- übergeben haben. Tobler gibt den Empfang eines nicht beurkundeten Betrages zu, jedoch nur in der Höhe von Fr. 5000.--. Er sieht darin das Entgelt für seine in der öffentlichen Urkunde erwähnte Verpflichtung, in die Liegenschaft auf eigene Kosten einen Schweinestall einzubauen.
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B.- Am 25. Mai 1959 klagte Frei gegen Tobler. Er stellte unter anderem die Begehren, den Kaufvertrag nichtig zu erklären und den Beklagten zu verpflichten, ihn von den übernommenen Grundpfandschulden zu entlasten und ihm die nicht beurkundeten Fr. 6000.--, einen anlässlich der Verschreibung geleisteten Betrag von Fr. 15'000.-- und nachträglich bezahlte Fr. 500.-- zurückzuerstatten. Das Bezirksgericht Vorderland wies die Klage entsprechend dem Antrage des Beklagten ab.
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Der Kläger erklärte die Appellation. Das Obergericht von Appenzell-A.Rh. wies sie am 26. September 1960 ab.
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C.- Der Kläger hat die Berufung erklärt. Er hält an den Begehren auf Nichtigerklärung des Kaufvertrages, Befreiung von den übernommenen Grundpfandschulden und Rückerstattung von Fr. 21'500.-- fest.
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Der Beklagte beantragt, auf die Berufung nicht einzutreten, sie allenfalls insoweit abzuweisen, als auf sie eingetreten werde.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: |
Dieses ist also wie jenes der Auffassung, dass beide Parteien den vorausbezahlten Betrag als Teil des Kaufpreises für die (durch Einbau des Stalles zu verbessernde) Liegenschaft betrachteten. Darin liegt eine Feststellung über tatsächliche Verhältnisse, die das Bundesgericht bindet, weil sie weder offensichtlich auf Versehen beruht, noch unter Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften zustande gekommen ist (Art. 43 Abs. 3, 63 Abs. 2 OG). Sie schliesst die Würdigung der Fr. 5000.-- oder 6000.-- als Werklohn aus.
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3. Die öffentliche Beurkundung des Grundstückkaufes muss nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes alle wesentlichen Punkte des Vertrages decken, besonders auch die ganze für die Kaufsache versprochene Gegenleistung (BGE 51 II 573,BGE 53 II 164,BGE 68 II 233,BGE 75 II 148,BGE 78 II 224, BGE 84 II 374, BGE 86 II 36, 260). Als die Streitigkeiten aus solchen Käufen vorübergehend in den Geschäftsbereich der II. Zivilabteilung fielen, entschied indessen das Bundesgericht, der vor der Beurkundung getilgte Teil des Kaufpreises dürfe in der Urkunde unterdrückt werden (BGE 49 II 468,BGE 50 II 145,BGE 52 II 61). Später, als wieder die I. Zivilabteilung zuständig war, liess es dagegen die Frage wiederholt offen (BGE 78 II 224, BGE 84 II 374), und schliesslich stimmte diese Abteilung im Verfahren nach Art. 16 OG der Auffassung des Kassationshofes zu, wonach der Kaufpreis in der Urkunde selbst dann vollständig angegeben werden müsse, wenn er schon teilweise erlegt sei (BGE 84 IV 165 f.). Daran wurde seither von beiden Zivilabteilungen festgehalten (BGE 86 II 37, 230 Erw. 5, 260). Es besteht auch heute kein Anlass, davon abzuweichen. Der einzige Einwand des Beklagten, im Zeitpunkt der Beurkundung sei nur noch der Rest des Preises geschuldet und die Angabe dieses Restes entspreche "dem von den Parteien in diesem Zeitpunkt gewollten Kaufpreis", hält nicht stand. Art. 216 Abs. 1 OR bestimmt nicht, die Vertragschliessenden müssten beurkunden lassen, was sie einander aus dem Vertrage noch schuldeten, sondern verlangt die Beurkundung des Kaufvertrages schlechthin, also seines ganzen Inhaltes, soweit er nicht nebensächlich ist. Wesentlicher Bestandteil des Kaufes ist unter anderem der Kaufpreis, und zu diesem gehört nicht nur der geschuldete Rest, sondern auch die vor der Beurkundung geleistete Anzahlung.
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Der Kaufvertrag der Parteien weist somit die von Art. 216 Abs. 1 OR vorgeschriebene Form nicht auf. Der Kaufpreis von Fr. 45'000.--, den die Vertragschliessenden am 10. Juli 1958 beurkunden liessen, entsprach ihrem Willen nicht und wurde daher gemäss Art. 18 Abs. 1 OR nicht verbindlich versprochen. Der wirklich gewollte Preis von Fr. 50'000.-- oder 51'000.--, auf den es nach dieser Bestimmung ankäme, ist dagegen nicht beurkundet.
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Wer geltend macht, ein Vertrag sei wegen Formmangels nichtig, braucht nicht darzutun, dass er schutzwürdige Interessen habe, sich auf diesen Standpunkt zu stellen. Wer ihm das Recht, die sich aus der Nichtigkeit ergebenden Folgerungen zu ziehen, streitig macht, muss vielmehr besondere Umstände nachweisen, die offensichtlich machen, dass die Berufung auf den Formmangel gegen Treu und Glauben verstösst (BGE 86 II 262).
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a) Ein solcher Umstand liegt nicht darin, dass, wie das Obergericht ausführt, die Anzahlung "mindestens teilweise zum Zwecke der Umgehung der Handänderungssteuer" in der Urkunde unterdrückt wurde und der Kläger daraus Vorteil zog, weil diese Steuer nach dem Vertrage von beiden Parteien je zur Hälfte zu tragen war. Abgesehen davon, dass das Obergericht sich über den Umfang dieses Vorteils ausschweigt, der nach der Darstellung des Klägers nur Fr. 30.- (1/2% von Fr. 6000.--) ausgemacht haben soll, zog der Beklagte aus der Falschbeurkundung den gleichen Gewinn. Es ist daher nicht zu ersehen, inwiefern der Kläger gegen Treu und Glauben verstossen sollte, indem er sich auf den Formmangel beruft, dagegen nicht auch der Beklagte, indem er dessen Folgen ablehnt. Dazu kommt, dass der Beklagte die Liegenschaft im Jahre 1951 für Fr. 10'300.-- erworben hatte und daran selber Verbesserungen im Werte von rund Fr. 23'000.-- ausgeführt haben will. Der Kläger folgert daraus, der Beklagte habe mit Hilfe der Falschbeurkundung einen Teil der Einkommenssteuer hinterziehen wollen. Das Obergericht geht über diese Behauptung mit der Bemerkung hinweg, die Beurkundung eines niedrigeren Kaufpreises habe nicht nur zugunsten des Beklagten einen Einfluss auf die Steuerverhältnisse haben, sondern ebensosehr für den Kläger von Vorteil sein können. Es sagt nicht, worin dieser Vorteil, von der Einsparung eines Teils der Handänderungssteuer abgesehen, bestanden habe. Es fehlt somit schon an einer tauglichen Feststellung darüber, dass der Kläger auf grösseren Gewinn ausgegangen sei als der Beklagte selber. Dieser behauptet auch nicht, der Kläger habe die Nichtbeurkundung der Anzahlung verlangt und den Beklagten dazu überredet. Es kann deshalb nicht gesagt werden, der Kläger habe den Formmangel etwa arglistig herbeigeführt und es verstosse aus diesem Grunde gegen Treu und Glauben, ihn geltend zu machen (vgl.BGE 43 II 24).
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b) Das Obergericht hält dem Kläger ferner vor, er berufe sich offensichtlich deshalb auf die Ungültigkeit des Vertrages, weil er sich übervorteilt fühle, doch habe er den Vertrag nicht wegen Übervorteilung angefochten. Der Beklagte weist ebenfalls auf diesen Umstand hin und bringt ferner an, der Kläger wolle erreichen, was ihm aus dem Titel der Vertragserfüllung oder Gewährspflicht für Mängel nicht zustehe. Er glaubt, damit entfalle im wesentlichen der von Art. 216 OR verfolgte Schutzzweck.
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Auch diese Gesichtspunkte rechtfertigen den Vorwurf des Rechtsmissbrauches nicht. Wenn der Kläger sich übervorteilt fühlt oder der Meinung ist, die Kaufsache sei mangelhaft, hat er gegenteils ein berechtigtes Interesse, sich vom Vertrage wegen Formmangels loszusagen. Die öffentliche Beurkundung des Grundstückkaufes soll unter anderem die Vertragschliessenden vor übereilten Entschlüssen schützen. Der Kläger missbraucht daher Art. 216 OR nicht zur Erreichung eines dieser Bestimmung fremden Zieles, wenn er den Mangel der öffentlichen Beurkundung anruft, weil er den Erwerb der Liegenschaft nachträglich unvorteilhaft findet. Übrigens geht er auch logisch richtig vor. Der Formmangel macht den Vertrag nichtig. Ansprüche aus Übervorteilung oder Gewährspflicht setzen dagegen voraus, dass der Vertrag gültig zustandegekommen sei.
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c) Das Obergericht nimmt in Übereinstimmung mit dem Beklagten Rechtsmissbrauch auch deshalb an, weil der Kläger einen vorerst noch ausstehenden Rest des Kaufpreises nachträglich bezahlt und damit seine vertraglichen Verpflichtungen erfüllt habe.
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Auch das ist nicht entscheidend. Freilich bejahte das Bundesgericht seinerzeit wiederholt den Rechtsmissbrauch, wenn eine Partei sich auf den Formmangel berief, nachdem beide den Vertrag, so wie er gewollt war, erfüllt hatten (BGE 50 II 148,BGE 53 II 165; vgl.BGE 54 II 332). Das wurde damit begründet, dass die Vertragschliessenden den Schutz, den die öffentliche Beurkundung bezwecke, nach der Erfüllung des Vertrages nicht mehr nötig hätten. Aus dem Umstande, dass Art. 216 Abs. 1 OR unter anderem erlassen wurde, um die Vertragschliessenden zu schützen, folgt jedoch nicht, die Bestimmung sei im einzelnen Falle nur anzuwenden, wenn sie dieses Schutzes bedürften. Der Richter hat nicht zu prüfen, ob die Gründe, die den Gesetzgeber zum Erlass einer Formvorschrift bewogen haben, deren Anwendung im Einzelfall erfordern oder entbehrlich machen. Wer sich auf sie beruft, verstösst grundsätzlich nicht gegen Treu und Glauben, auch wenn er den Schutz, den sie ihm bietet, nicht nötig hat. In neueren Urteilen wurde denn auch offen gelassen, ob die Erfüllung des Vertrages die Berufung auf den Formmangel in jedem Falle ausschliesse; sie wurde nur als Umstand bezeichnet, der zusammen mit andern für die Beurteilung wichtig sein könne (BGE 72 II 43,BGE 78 II 227, BGE 84 II 376, BGE 86 II 404). Daran ist festzuhalten, denn die Frage, ob jemand durch Geltendmachung seines Rechtes offensichtlich gegen Treu und Glauben verstosse, kann nur anhand der Umstände des einzelnen Falles beurteilt werden. Der Beklagte müsste dem Kläger daher mehr vorwerfen können als nur die Tatsache, dass er seine Verpflichtungen trotz des Formmangels des Vertrages erfüllte. Er müsste z.B. dartun, dass der Kläger im Zeitpunkt der Erfüllung von der Ungültigkeit des Vertrages Kenntnis hatte und dass er erst durch nachträglich eingetretene und vom Beklagten nicht zu verantwortende Umstände, wie etwa eine Änderung der Wirtschaftslage, zur Berufung auf den Formmangel bewogen wurde. Der Beklagte macht dergleichen nicht geltend. Er sieht im Gegenteil den Beweggrund für die Einleitung des Rechtsstreites darin, dass der Kläger sich übervorteilt fühle. Wenn dem so ist, verstösst der Kläger nicht gegen Treu und Glauben, wenn er sich auf die Ungültigkeit des schon erfüllten Vertrages beruft. Es kann ihm auch nicht etwa vorgeworfen werden, er habe ungebührlich lange Zeit verstreichen lassen und dadurch Interessen des Beklagten verletzt. Er klagte in einem Zeitpunkt, in dem er sich gemäss Art. 21 OR auch noch auf Übervorteilung hätte berufen können.
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5. Da der Vertrag nichtig und die Einwendung des Rechtsmissbrauches unbegründet ist, hat der Kläger Anspruch auf Rückerstattung seiner Leistungen und Befreiung von den übernommenen Grundpfandschulden, wogegen er freilich seinerseits die Liegenschaft auf den Beklagten zurückübertragen muss. Die Klage ist mit dieser Einschränkung gutzuheissen, wenn und soweit der Kläger die Beträge, die er fordert, dem Beklagten tatsächlich bezahlt hat. Hierüber hat sich der kantonale Richter auszusprechen. Namentlich bleibt zu entscheiden, ob sich die zurückgeforderte Anzahlung auf Fr. 6000.-- oder nur auf Fr. 5000.-- belief.
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Über die anderen Rechtsbegehren, die der Kläger im kantonalen Verfahren stellte, ist nicht neu zu urteilen, da sie nicht Gegenstand der Berufung bilden.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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