19. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 16. Februar 1961 i.S. Frau L. gegen Vormundschaftsbehörde der Stadt Zürich.
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Regeste
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Besteht eine in der Schweiz gegenüber einem Schweizer angeordnete Beiratschaft (Art. 395 Abs. 1 und 2 ZGB) weiter, wenn der Schutzbefohlene seinen Wohnsitz in das Ausland verlegt hat? In welchem Verhältnis steht Art. 28 NAG zu den Artikeln 29 und 30 NAG?
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Sachverhalt
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A.- Frau Ruth L., geboren 1914, von Zürich, steht seit 16. August 1954 gemäss einem Beschluss des Bezirksrates Zürich unter Beiratschaft im Sinne des Art. 395 Abs. 1 und 2 ZGB. Seit dem Monat Februar 1959 weilt sie mit einer Tochter in Buenos Aires, während ihr Vermögen weiter von ihrem Beirat in Zürich verwaltet wird.
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B.- Mit Gesuch vom 14. Juli 1959 hat sie die Aufhebung der Beiratschaft verlangt. Der Bezirksrat Zürich hat das Gesuch abgewiesen, ebenso die Justizdirektion des Kantons Zürich und, mit Entscheid vom 30. Juni 1960, der Regierungsrat.
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C.- Gegen diesen Entscheid hat die Gesuchstellerin Berufung an das Bundesgericht eingelegt. Der Antrag geht auf Aufhebung der Beiratschaft, eventuell auf Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur nähern Abklärung des Sachverhaltes und zu neuer Beurteilung. Die Gesuchstellerin nimmt weiterhin den Standpunkt ein, sie habe in Argentinien Wohnsitz genommen, und die argentinische Gesetzgebung unterstelle alle Bewohner des Landes in Bezug auf vormundschaftliche Massnahmen dem dort geltenden Recht. Darauf sei nach Art. 28 NAG auch in der Schweiz Rücksicht zu nehmen. Somit sei die seinerzeit in der Schweiz angeordnete Beiratschaft infolge der Wohnsitznahme in Argentinien ohne weiteres aufzuheben.
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Aus den Erwägungen:
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In welchem Verhältnis Art. 28 NAG zu den speziell die Vormundschaft für Auslandschweizer betreffenden Artikeln 29 und 30 NAG stehe, ist umstritten. Nach der einen Ansicht gilt Art. 28 NAG auch für die Vormundschaft (und andere vormundschaftliche Massnahmen) uneingeschränkt. Art. 29 (und ebenso Art. 30) grenzt nach dieser Betrachtungsweise lediglich die Zuständigkeit der schweizerischen Vormundschaftsbehörden unter sich ab für den in Art. 28 Ziff. 2 NAG vorgesehenen Fall, dass die ausländische Gesetzgebung den in ihrem Gebiet wohnhaften Schweizer dem ausländischen Recht nicht unterwirft (so namentlich ISENSCHMID, Die Vormundschaft über Ausländer in der Schweiz und über Schweizer im Ausland, S. 30 ff.). Nach der andern Ansicht stellen die Artikel 29 und 30 selbständige, nicht an die Schranken des Art. 28 gebundene Regeln auf. Bei dieser Art der Auslegung greift die in den Artikeln 29 und 30 NAG vorgesehene Fürsorge schweizerischer Vormundschaftsbehörden für Auslandschweizer Platz ohne Rücksicht auf die im Wohnsitzstaate geltenden Zuständigkeits- und Rechtsanwendungsnormen (so namentlich ALEXANDER, Die Vormundschaft für Ausländer in der Schweiz und für Auslandschweizer, S. 88 ff.). Das Bundesgericht ist neulich in bezug auf Art. 30 NAG der zweiten Auffassung beigetreten (BGE 86 II 323 ff.). Was in jenem Entscheid, unter Würdigung der verschiedenen Lehrmeinungen, zu Art. 30 NAG ausgeführt wurde, gilt um so mehr für die Anwendung des Art. 29, der die Weiterführung einer bereits vor der Auswanderung des Betroffenen angeordneten Vormundschaft vorsieht. Unzutreffend ist auf alle Fälle die von ISENSCHMID (a.a.O.) vertretene Meinung, schon infolge des systematischen Zusammenhanges könne Art. 29 keinen Gegensatz zu Art. 28 NAG bilden. Denn die beiden Vorschriften weichen in einer Hinsicht offenkundig voneinander ab: Nach Art. 28 Ziff. 2 wäre für die vormundschaftliche Betreuung eines dem ausländischen Rechte nicht unterworfenen Schweizers der Heimatkanton zuständig; nach Art. 29 in Verbindung mit Art. 10 NAG und Art. 376 ZGB ist es dagegen der Wohnsitzkanton. Aber auch abgesehen hievon gilt Art. 29 nicht nur in den Schranken des Art. 28 NAG. Das ist aus dem in jener Bestimmung ausgesprochenen Gebote zu schliessen, die schweizerische Vormundschaft sei am bisherigen Orte weiterzuführen, "solange der Grund der Vormundschaft fortbesteht". Damit ist zweifellos der nach schweizerischem Recht gegebene Grund der Vormundschaft (bezw. Beiratschaft) gemeint, wie er eben zu dieser Massnahme geführt hat, und im übrigen wird eine fortdauernde Zuständigkeit der schweizerischen Vormundschaftsbehörde vorgesehen ohne jeden Vorbehalt, wie er sich aus Art. 28 ergeben könnte. Die Vorschrift des Art. 29 hat nur dann einen guten Sinn, wenn sie dahin verstanden wird, die Vormundschaft falle in keinem Falle schon mit der Begründung eines ausländischen Wohnsitzes weg, also auch dann nicht, wenn das Mündel nach der Gesetzgebung des Wohnsitzstaates dem ausländischen Recht untersteht.
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Die Durchsetzung dieses Grundsatzes kann freilich auf praktische Schwierigkeiten stossen. Die schweizerischen Behörden sind bisweilen nicht in der Lage, den landesabwesenden Bürger gehörig zu betreuen. Das ist jedoch kein Grund, die gesetzliche Regel überhaupt nicht anzuerkennen und, soweit es möglich ist, anzuwenden (wofür unter Umständen die Rechtshilfe ausländischer Behörden in Anspruch genommen werden kann). Gerade im vorliegenden Falle lässt sich die Beiratschaft in ihrer wichtigsten Beziehung, der Vermögensverwaltung, trotz dem Wegzug der schutzbedürftigen Person ausüben. Das ganze Wertschriftenvermögen der Berufungsklägerin liegt in der Schweiz und kann daher vor einer etwa noch drohenden Verschleuderung durch die unter Beiratschaft gestellte Person bewahrt werden.
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Im übrigen wäre es unrichtig anzunehmen, einem im Wohnsitzstaate dem (dortigen) ausländischen Recht unterworfenen Schweizer werde in jenem Staat ohnehin die nötige Fürsorge zuteil. Das trifft nur zu, wenn die Behörden des Wohnsitzstaates ihre Befugnisse tatsächlich ausüben, wobei vom Standpunkt der Art. 29 und 30 NAG ausserdem die Geltung einer dem schweizerischen Recht entsprechenden Vormundschaftsordnung vorausgesetzt werden müsste. Selbst Autoren, die grundsätzlich auch im Gebiete des Vormundschaftswesens den Art. 28 NAG angewendet wissen wollen, halten denn auch dafür, es komme nicht einfach auf die Zuständigkeits- und Rechtsanwendungsnormen des Wohnsitzstaates an, sondern auf die effektive, dem Auslandschweizer wirksamen Schutz bietende Ausübung der vormundschaftlichen Befugnisse (A. SCHNITZER, Internationales Privatrecht, 4. Auflage, I S. 487; A. HEINI, Zum kollisionsrechtlichen Problem der Vormundschaft üher Auslandschweizer, SJZ 55-1959 S. 301 ff., besonders S. 307 Ziff. 2). Ein solcher Vorbehalt liesse sich aber schwerlich mit den Regeln des Art. 28 NAG in Einklang bringen. Indessen bedarf es einer speziellen Auslegung des Art. 28 für die Zwecke des Vormundschaftswesens gar nicht, da die Artikel 29 und 30 NAG von jener Bestimmung unabhängig sind und den schweizerischen Behörden volle Handlungsfreiheit zum Schutz der Auslandschweizer gewähren.
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Anderseits zwingen die Artikel 29 und 30 NAG die schweizerischen Behörden nicht, an jeglichen etwa im Ausland getroffenen vormundschaftlichen Massnahmen vorbeizusehen und ihre Befugnisse unter allen Umständen auszuüben. Wie in BGE 86 II 330 ausgeführt wurde, können sich Massnahmen im Sinne des Art. 30 NAG als "unnötig" erweisen, wenn dem betreffenden Bürger im Wohnsitzstaate der ihm gebührende Schutz gewährt wird. Auch eine in der Schweiz bereits vor der Auswanderung des Bürgers angeordnete vormundschaftliche Massnahme kann wegen entsprechender Vorkehren der ausländischen Behörden unter Umständen gänzlich überflüssig werden. Lässt der Wohnsitzstaat dem Auslandschweizer einen gleichwertigen Schutz angedeihen, so ist damit der Grund einer in der Schweiz zu führenden Vormundschaft (bezw. Beiratschaft), wie ihn Art. 29 NAG im Auge hat, dahingefallen, was ihre Aufhebung im gegebenen Falle rechtfertigen würde.
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