BGE 87 II 286
 
41. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 12. Dezember 1961 i.S. A. gegen E.
 
Regeste
Vaterschaftsklage.
2. Der kantonale Richter kann die vom Beklagten beantragte Anordnung einer anthropologisch-erbbiologischen Expertise jedenfalls dann ohne Verletzung von Bundesrecht ablehnen, wenn keine Anhaltspunkte für Mehrverkehr der Mutter in der kritischen Zeit bestehen. Anders verhält es sich höchstens, wenn der Beklagte auffallende Merkmale des Kindes nennen kann.
 
Sachverhalt
Vom Obergericht des Kantons Zürich durch Urteil vom 30. September 1960 zu Vermögensleistungen im Sinne von Art. 317 und 319 ZGB verurteilt, machte der Beklagte A. mit seiner Berufung an das Bundesgericht u.a. geltend, das Obergericht habe es zu Unrecht abgelehnt, die Blutuntersuchung durch Bestimmung des Blutfaktors P zu ergänzen und ein anthropologisch-erbbiologisches Gutachten anzuordnen, wie er es beantragt hatte.
Das Bundesgericht weist die Berufung ab und bestätigt das angefochtene Urteil.
 
Aus den Erwägungen:
a) Der Beklagte anerkennt, dass die Bestimmung des Blutfaktors P jedenfalls für sich allein kein taugliches Mittel sein kann, um die Vaterschaft eines bestimmten Mannes mit dem erforderlichen Grade von Sicherheit auszuschliessen, und die Vorinstanz konnte ohne Verletzung von Bundesrecht finden, dass die Bestimmung des in Frage stehenden Faktors auch in Verbindung mit den vom Beklagten angeführten weitern Momenten (nur einmaliger Verkehr mit der Mutter; angesichts des Spermabefunds verminderte Zeugungschance; Verhalten der Mutter) nicht zu einem solchen Ausschluss führen könne. Das angefochtene Urteil verweist u.a. auf eine Äusserung des Blutgruppensachverständigen Dr. HOLLÄNDER in SJZ 1958 S. 8, wonach "über die Richtigkeit der bisherigen Auffassung des Erbgangs des P-Systems in der letzten Zeit erhebliche Zweifel aufgekommen" sind, und auf eine Auskunft des Gerichtlich-Medizinischen Instituts Zürich, wonach sich seit 1958 in der Forschung bezüglich dieses Faktors nichts Neues ergeben hat. Wenn die Vorinstanz gestützt hierauf die forensische Verwertbarkeit des Faktors P verneinte, so hielt sie sich dabei im Rahmen der ihr zustehenden Beurteilung tatsächlicher Verhältnisse.
b) Ob und allenfalls unter welchen Voraussetzungen die Weigerung eines kantonalen Gerichts, ein anthropologischerbbiologisches Gutachten einzuholen, mit der Berufung als bundesrechtswidrig gerügt werden könnte, wurde in BGE 87 II 74 Erw. 6 ausdrücklich offen gelassen. Diese Frage braucht auch heute nicht umfassend geprüft zu werden. Vielmehr genügt die Feststellung, dass die Vorinstanz keinen Satz des Bundesrechts verletzte, indem sie in Übereinstimmung mit dem von HEGNAUER (N. 66 zu Art. 254 ZGB) zitierten Entscheide des deutschen Bundesgerichtshofs vom 3. April 1952 (BGHZ 5 S. 306/07) annahm, das Gericht sei nicht verpflichtet, auf Antrag eines seine Vaterschaft bestreitenden Mannes ein solches Gutachten einzuholen, wenn nach dem bisherigen Beweisergebnis bestimmte Anhaltspunkte für Mehrverkehr der Mutter in der kritischen Zeit fehlen. So verhält es sich... im vorliegenden Falle. Ob dann, wenn der Beweisführer bestimmte gegen seine Vaterschaft sprechende Merkmale des Kindes anzurufen vermag, trotz dem Fehlen von (andern) Indizien für Mehrverkehr der Mutter ein bundesrechtlicher Anspruch auf Anordnung einer anthropologisch-erbbiologischen Expertise bestehe (vgl. HEGNAUER a.a.O.), kann dahingestellt bleiben, da der Beklagte keine solchen Merkmale genannt hat.
Der angeführte Entscheid des deutschen Bundesgerichtshofes (von dem dieser Gerichtshof bisher nicht abgewichen zu sein scheint) stützt sich freilich auf eine prozessuale Erwägung, die sich auf die schweizerischen Verhältnisse nicht ohne weiteres übertragen lässt. Der Bundesgerichtshof lehnt darin für den Bereich der Parteimaxime eine Verpflichtung des Gerichts, auch beim Fehlen von Anhaltspunkten für Mehrverkehr ein erbbiologisches Gutachten einzuholen, mit der Begründung ab, wenn man so weit ginge, "dann würde, da das Gutachten dem Gericht zugleich einen neuen, in den Prozess bisher nicht eingeführten Tatsachenstoff vermittelt, dieses in vielen Fällen zu einem prozessual unzulässigen Ausforschungsmittel werden". Mit dieser Begründung könnte auch die Pflicht des Gerichts, ein Blutgutachten einzuholen, davon abhängig gemacht werden, dass die beweisbelastete Partei vorerst Anhaltspunkte für Mehrverkehr dartut. Ein solches Erfordernis hat die Rechtsprechung des Bundesgerichts für die Vaterschaftssachen nicht aufgestellt (wogegen die Blutprobe in Prozessen auf Anfechtung der Ehelichkeit eines Kindes aus den Gründen, die in BGE 87 II 15 und den dort zitierten frühern Entscheiden dargelegt wurden, nur verlangt werden kann, wenn bereits durch andere Beweismittel Tatsachen erstellt sind, die eine aussereheliche Erzeugung des Kindes als möglich erscheinen lassen). Im Vaterschaftsprozess hat nach der schweizerischen Rechtsprechung jeder Beklagte ohne weiteres Anspruch auf Durchführung einer Blutuntersuchung (vgl.BGE 61 II 76). Was für die Blutuntersuchung gilt, braucht jedoch nicht notwendigerweise auch für die anthropologisch-erbbiologische Expertise zu gelten. Diese Begutachtung hat die Eigenheit, dass sie in der Regel erst durchgeführt werden kann, nachdem das Kind drei Jahre alt geworden ist (BGE 87 II 74). Die Verzögerung des Verfahrens, die damit verbunden ist, schafft namentlich für die klagende Partei (die auf die Unterhaltsbeiträge wartet) einen Nachteil, der nicht leicht zu nehmen ist. Dazu kommt, dass die Vererbungsvorgänge bei den Körpermerkmalen, auf die es bei dieser Expertise ankommt, im allgemeinen viel verwickelter sind als bei den Bluteigenschaften und dass sich diese Merkmale meist auch nicht so genau erfassen lassen wie Blutfaktoren, so dass bei einer solchen Expertise anders als beim Blutgutachten die persönliche Meinung des Sachverständigen unter Umständen eine nicht unwesentliche Rolle spielen kann. Ausserdem scheint zumal bei sog. Einmannfällen unter den Fachleuten noch keine Einigkeit darüber zu bestehen, unter welchen Voraussetzungen die Vaterschaft eines Mannes auf Grund des anthropologischen Befundes ausgeschlossen werden kann (vgl. zu alledem den Entscheid des deutschen Bundesgerichtshofs vom 16. Juni 1953 in der Neuen Juristischen Wochenschrift 7, 1954, S. 83 ff., wo zwar ausgesprochen wurde, dass die erbkundliche Vergleichung auch in Einmannfällen je nach der Sachlage ausreichen könne, um die Vaterschaft eines bestimmten Mannes auszuschliessen, wo aber zugleich auch auf die unter den Fachleuten anscheinend zumal hinsichtlich der Beurteilung von Einmannfällen noch bestehenden Meinungsverschiedenheiten hingewiesen wurde). Bei dieser Sachlage ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz gefunden hat, der Vaterschaftsbeklagte habe (allenfalls unter Vorbehalt der Fälle, wo er gewisse auffallende Merkmale namhaft machen kann) jedenfalls dann keinen Anspruch auf Durchführung einer solchen Expertise, wenn keine Anhaltspunkte für Mehrverkehr bestehen.