BGE 88 II 60
 
10. Urteil der I. Zivilabteilung vom 20. Februar 1962 i.S. Opopharma A.-G. gegen P. Brugger & Co.
 
Regeste
Revision.
Begriff der neuen Tatsache im Sinne des Art. 137 lit. b OG. (Erw. 2).
 
Sachverhalt
Das Bundesgericht hatte auf Berufung der Beklagten, P. Brugger & Co., ein Urteil des Handelsgerichts Zürich aufgehoben und die Sache zur Abnahme der von der Beklagten angetragenen Beweise an die Vorinstanz zurückgewiesen. Die rechtlichen und ausserrechtlichen Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens wurden der Klägerin Opopharma A.-G. auferlegt.
Das Handelsgericht fällte nach Durchführung des ihm aufgetragenen Beweisverfahrens ein mit seinem ersten Entscheid übereinstimmendes Urteil. Hierauf reichte die Klägerin gegen das bundesgerichtliche Rückweisungsurteil ein Revisionsgesuch gemäss Art. 137 lit. b OG ein mit dem Antrag, der Kostenspruch dieses Urteils sei aufzuheben und die rechtlichen und ausserrechtlichen Kosten des Rückweisungsverfahrens seien der Beklagten aufzuerlegen. Das Bundesgericht tritt auf das Revisionsgesuch nicht ein aus folgenden
 
Erwägungen:
a) Ein selbständiges, gegen die Kostenregelung allein gerichtetes Revisionsbegehren ist jedoch nach Sinn und Zweck des Instituts der Revision nicht zulässig. Dieses will die Möglichkeit schaffen, beim Vorliegen bestimmter, im Gesetz (Art. 136/37 OG) näher umschriebener Voraussetzungen einen rechtskräftig gewordenen Sachentscheid zu ändern. Dies trifft insbesondere auch zu für den im vorliegenden Fall angerufenen Revisionsgrund des Art. 137 lit. b OG, wonach die Revision zulässig ist, wenn der Gesuchsteller nachträglich neue erhebliche Tatsachen erfährt oder entscheidende Beweismittel auffindet, die er im früheren Verfahren nicht beibringen konnte. Dieser Revisionsgrund kann sich seinem Sinn nach nur auf den Sachentscheid beziehen; denn neue "Tatsachen" und "Beweismittel" sind Behelfe, die zu einer Abänderung des Sachentscheides dienen können, während die Kosten- und Entschädigungsbestimmungen durch sie nicht unmittelbar beeinflusst werden; diese richten sich vielmehr gemäss Art. 156 Abs. 1 und Art. 159 Abs. 2 OG grundsätzlich ohne weiteres nach dem im Sachentscheid zum Ausdruck kommenden Umstand (bzw. nach dem Masse) des Unterliegens oder Obsiegens der einen oder andern Partei.
b) Die Revision der in einem Rückweisungsentscheid getroffenen Kosten- und Entschädigungsregelung erweist sich aber auch aus folgendem Grund als unzulässig. Nach Art. 156 Abs. 1 OG sind die Gerichtskosten in der Regel der vor Bundesgericht unterliegenden Partei aufzuerlegen, und Art. 159 Abs. 2 OG sieht für die Parteikosten eine entsprechende Ordnung vor. Diese Vorschriften gelten auch für Rückweisungsentscheide, da das Gesetz für solche keinen Vorbehalt macht. Es unterscheidet sich in dieser Hinsicht von der im deutschen Recht durch § 538 ZPO getroffenen Ordnung, wonach die Kosten des Rückweisungsverfahrens erst im Schlussurteil der unteren Instanz nach Massgabe des materiellen Prozessausganges verlegt werden. Die abweichende Regelung des OG beruht auf der Auffassung, dass es sich beim bundesgerichtlichen Berufungsverfahren nicht um eine Fortsetzung des Prozesses vor der kantonalen Instanz, sondern um ein rechtlich selbständiges Verfahren handle, das unter dem Gesichtspunkt der Kosten für sich allein zu betrachten ist.
Auch die in Art. 156 Abs. 1 OG gebrauchte Wendung, dass die Kosten "in der Regel" von der vor Bundesgericht unterliegenden Partei zu bezahlen sind, erlaubt nicht, im Rückweisungsentscheid die endgültige Verlegung der Kosten des Rückweisungsverfahrens vom materiellen Prozessausgang abhängig zu machen. Ein derartiger Vorbehalt ist nach Art. 156 Abs. 4 OG zulässig "in den Fällen des Art. 60 Abs. 1 lit. b", d.h. wenn der Entscheid der Vorinstanz auf Grund von Art. 51/52 OG wegen prozessualer Mängel aufgehoben und die Sache zu neuer Beurteilung an die kantonale Instanz zurückgewiesen wird. Behält das Gesetz aber bloss für diesen Sonderfall der Rückweisung die endgültige Verlegung der Kosten des Rückweisungsverfahrens dem Hauptentscheid vor, so muss daraus zwingend gefolgert werden, dass in allen andern Rückweisungsfällen ein solcher Vorbehalt nicht zulässig ist. Hätte die in Art. 156 Abs. 1 OG gebrauchte Wendung "in der Regel" einen andern Sinn, so hätte es des ausdrücklichen Vorbehalts in Abs. 4 für die gestützt auf Art. 60 Abs. 1 lit. b/Art. 52 OG getroffenen Rückweisungsentscheide nicht bedurft, oder dann hätte der Gesetzgeber bestimmen müssen, dass gleich wie in diesem Fall eine Ausnahme von der Regel des Abs. 1 auch statthaft sei bei Rückweisungen, die wegen unrichtiger Anwendung des materiellen Bundesrechts erfolgen.
Da die Kostenverlegung des Rückweisungsentscheides nach den Vorschriften des Gesetzes als endgültig betrachtet werden muss, ist gemäss der Rechtsprechung (BGE 84 II 652 Erw. 5) die kantonale Instanz, selbst wenn ihr zweites Urteil gleich ausfällt wie das aufgehobene erste, nicht befugt, der obsiegenden Partei wegen ihrer Belastung mit den Kosten des Rückweisungsverfahrens eine höhere Prozessentschädigung zuzusprechen und damit im Ergebnis den Kostenspruch des bundesgerichtlichen Rückweisungsentscheides aufzuheben.
Lässt sich aber die endgültige Tragung der Kosten des Rückweisungsverfahrens weder durch einen Vorbehalt im Rückweisungsurteil, noch durch Erhöhung der Prozessentschädigung im neuen kantonalen Entscheid vom materiellen Ausgang des Prozesses abhängig machen, so kann der Umstand, dass das neue Urteil des Sachrichters wieder gleich ausgefallen ist wie das aufgehobene, auch nicht zu einer Revision des Rückweisungsentscheides in Bezug auf den Kostenspruch Anlass geben.
Auf das vorliegende Revisionsgesuch kann somit wegen Unzulässigkeit nicht eingetreten werden.
a) Nach der Rechtsprechung (BGE 86 II 199) sind unter "neuen Tatsachen" im Sinne des Art. 137 lit. b OG Umstände zu verstehen, die geeignet sind, den vom Richter angenommenen Sachverhalt zu verändern. Diese Bestimmung bezieht sich somit nur auf Tatsachen, die für den Entscheid des Bundesgerichtes als Teil des von ihm rechtlich zu beurteilenden Tatbestandes von Bedeutung waren. Im gleichen Sinn wird z.B. auch der sachlich mit Art. 137 lit. b OG übereinstimmende § 351 Ziff. 2 der zürch. ZPO in Schrifttum und Rechtsprechung dahin ausgelegt, dass als Tatsachen Geschehnisse zu verstehen seien, welche sich auf die Sachdarstellung, den Prozessstoff beziehen (STRÄULI/HAUSER, Kommentar zur zürch. ZPO, § 351 N. 9). Eine Tatsache prozessualer Natur, die als solche nicht dem Tatbestand angehört, der zur Beurteilung stand, vermag deshalb keinen Revisionsgrund im Sinne des Art. 137 lit. b OG zu bilden. Um eine solche Tatsache lediglich prozessualer Natur aber handelt es sich bei dem Umstand, dass die kantonale Instanz einen zweiten Entscheid gefällt hat.
b) Zudem fallen Tatsachen, die erst seit dem früheren Urteil eingetreten sind, gemäss ständiger Rechtsprechung nicht als Revisionsgründe in Betracht. Es muss sich vielmehr um Tatsachen handeln, die bei der Fällung des zu revidierenden Entscheides bereits hätten berücksichtigt werden können (BGE 61 II 362,BGE 73 II 124,BGE 77 II 287, BGE 86 II 386). Im vorliegenden Falle ist die "Tatsache" des zweiten Urteils des Handelsgerichts aber erst nach dem Urteil des Bundesgerichts eingetreten, dessen Revision verlangt wird, und scheidet somit als Tatsache im Sinne des Art. 137 lit. b OG aus.