BGE 89 II 321 |
43. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 30. September 1963 i.S. Mühlemann gegen Konkursmasse der Buchdruckerei Weinfelden AG |
Regeste |
Kontrahieren des Stellvertreters mit sich selbst. |
- Das Kontrahieren mit sich selbst ist grundsätzlich verboten, aber ausnahmsweise zulässig, wenn der Vertreter dazu besonders ermächtigt wurde oder wenn die Natur des Geschäfts die Gefahr einer Benachteiligung des Vertretenen ausschliesst. Ist es bei reinen Erfüllungsgeschäften allgemein zulässig? (Frage offen gelassen, da kein solches Geschäft vorliegt.) Unzulässiges Selbstkontrahieren macht das betreffende Geschäft ungültig, sofern dieses nicht nachträglich vom Vertretenen genehmigt wird (Erw. 5). |
- Ermächtigung zum Kontrahieren mit sich selbst? Nachträgliche Genehmigung des Geschäfts? (Erw. 6). |
- Gefahr der Benachteiligung des Vertretenen wegen Interessenkollision (Erw. 7). |
Sachverhalt |
Meierhofer, der Verwaltungspräsident und Hauptaktionär der Buchdruckerei Weinfelden AG, stellte im Jahre 1949 Mühlemann als Direktor dieser Firma an. Im Lauf der Jahre gewährte Mühlemann seiner Arbeitgeberin, deren Geschäfte nie gut gingen, verschiedene Vorschüsse. Am 24. Februar 1955 liess er sich von ihr sechs Guthaben von insgesamt rund Fr. 60'500. - abtreten. In der vom Prokuristen Bisig unterzeichneten Abtretungsurkunde steht u.a., die Abtretung diene "zur Sicherstellung aller gegenwärtigen und zukünftigen Ansprüche" Mühlemanns gegenüber der Zedentin; sie erfolge "zahlungshalber im Sinne von Art. 172 OR."
|
Am 29. März 1955 wurde Mühlemann fristlos entlassen. Tags zuvor hatte die Buchdruckerei Weinfelden AG, für die Meierhofer zeichnete, einigen Zessionaren mitgeteilt, sie widerrufe die Abtretung an Mühlemann, die dieser in unkorrekter Weise erwirkt habe.
|
Am 30. März 1957 erhob die Buchdruckerei Weinfelden AG gegen Mühlemann Klage auf Feststellung, dass die Abtretung vom 24. Februar 1955 ungültig sei (Prozess I). Am 17. Mai 1957 leitete Mühlemann gegen sie Klage ein, mit der er u.a. verlangte, sie sei zu verpflichten, ihm Fr. 33'252.25 zu bezahlen (Prozess II).
|
Am 13. April 1959 fiel die Buchdruckerei Weinfelden AG in Konkurs. Die Konkursmasse führte die Prozesse weiter. In der Folge wurde der Prozess II bis zur Erledigung des Prozesses I eingestellt.
|
In Gutheissung der Klage der Buchdruckerei Weinfelden AG erklärten die thurgauischen Gerichte die Abtretung vom 24. Februar 1955 als ungültig. Das Bundesgericht weist die Berufung des Beklagten Mühlemann gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 2. Februar 1963 ab.
|
Aus den Erwägungen: |
Die beanstandete Annahme der Vorinstanz betrifft jedoch tatsächliche Verhältnisse (den vom Beklagten gehegten Willen) und ist daher gemäss Art. 63 Abs. 2 OG für das Bundesgericht verbindlich. Im übrigen wäre die streitige Abtretungserklärung angesichts der Tatsache, dass Bisig sie gemäss dienstlicher Weisung des Beklagten unterzeichnete, selbst dann wie eine eigene Erklärung des Beklagten zu behandeln, wenn dieser eine Umgehung des erwähnten Verbots nicht beabsichtigt, sondern Bisig aus einem andern Grunde eingeschaltet hätte.
|
Spätere Entscheide des Bundesgerichts (BGE 50 II 183. BGE 57 II 560, BGE 63 II 174, BGE 82 II 393; Urteil vom 30. Mai 1961 i.S. Terrex AG und Mitbeteiligte gegen Meier) erwähnen den Vorbehalt zugunsten der reinen Erfüllungsgeschäfte nicht mehr. In BGE 57 II 556 ff. äusserte das Bundesgericht unter Hinweis auf das Fehlen einer dem § 181 BGB entsprechenden Bestimmung im Gegenteil Zweifel daran, ob es zulässig sei, dass der Vertreter eine Zahlung zuhanden des Vertretenen an sich selbst leistet, wenn (wie das in solchen Fällen meist zutreffen dürfte) die Rücknahme des Geldes tatsächlich möglich ist (S. 561). Für das damals gefällte Urteil gab jedoch eine andere, hier nicht interessierende Erwägung den Ausschlag. Zur Frage der reinen Erfüllungsgeschäfte grundsätzlich Stellung zu nehmen, hatte das Bundesgericht bisher nie Anlass.
|
Die in BGE 39 II 568 angestellte Erwägung, dass beim Fehlen der Gefahr einer Benachteiligung des Vertretenen anzunehmen sei, dieser habe dem Vertreter das "Selbstkontrahieren" gestattet, kehrt nur in BGE 63 II 174 wieder. Abgesehen von diesem Entscheide lässt die angeführte neuere Rechtsprechung für die Zulassung des Kontrahierens mit sich selbst den objektiven Umstand genügen, dass zwischen dem Vertreter und dem Vertretenen kein Interessengegensatz besteht und eine Benachteiligung des Vertretenen folglich nicht zu befürchten ist. Dies hat seinen guten Grund; denn die Rechtsprechung, die in Ausfüllung einer Gesetzeslücke das Kontrahieren mit sich selbst grundsätzlich verbietet, wird im wesentlichen durch das Bestreben gerechtfertigt, die bei derartigen Geschäften regelmässig vorhandene Gefahr einer Benachteiligung des Vertretenen zu vermeiden, und darf daher nicht angewendet werden, wo diese Gefahr ausnahmsweise nicht besteht. Zur Annahme einer stillschweigenden Gestattung braucht der schweizerische Richter in solchen Fällen nicht Zuflucht zu nehmen, weil das schweizerische Recht, anders als das deutsche, keine Vorschrift enthält, die bestimmen würde, das Kontrahieren mit sich selbst sei (ausser bei reinen Erfüllungsgeschäften) nur zulässig, wenn es dem Vertreter gestattet wurde (vgl. zum Unterschied zwischen dem deutschen und dem schweizerischen Recht in dieser Frage namentlich EGGER in Festgabe für Carl Wieland, 1934, S. 49 ff.).
|
Die Folge des unzulässigen Kontrahierens mit sich selbst besteht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts darin, dass das betreffende Geschäft ungültig ist, sofern es nicht nachträglich vom Vertretenen genehmigt wird (BGE 39 II 572 oben, BGE 63 II 175, BGE 82 II 393).
|
Die heute geltende Praxis lässt sich somit in Übereinstimmung mit dem bereits angeführten Urteil vom 30. Mai 1961 i.S. Terrex AG dahin zusammenfassen, dass das Kontrahieren des Stellvertreters mit sich selbst wegen der regelmässig vorhandenen Interessenkollision grundsätzlich unzulässig ist und das Geschäft ungültig macht, und dass eine Ausnahme nur dort Platz greift, wo die Natur des Geschäfts die Gefahr der Benachteiligung des Vertretenen ausschliesst oder wo der Vertretene den Vertreter zum Geschäftsabschluss besonders ermächtigt oder diesen nachträglich genehmigt hat. Diese Regeln gelten für Geschäfte, welche die Organe juristischer Personen in deren Namen mit sich selbst abschliessen, in gleicher Weise wie für die entsprechenden Handlungen von Stellvertretern im Sinne von Art. 32 ff. OR (BGE 63 II 174; in BGE 39 II 561 ff. und BGE 50 II 168 ff. wurde dies als selbstverständlich stillschweigend vorausgesetzt).
|
Vorbehalten bleibt die vom Bundesgericht seit dem Entscheide BGE 57 II 561 nicht mehr berührte Frage der reinen Erfüllungsgeschäfte. Soweit sich das Schrifttum zu § 181 des deutschen BGB darüber ausspricht, weshalb das Kontrahieren mit sich selbst bei solchen Geschäften zugelassen sei, gibt es als Grund dafür an, dass hier die Gefahr einer Benachteiligung des Vertretenen ausgeschlossen sei oder doch normalerweise nicht bestehe (vgl. PLANCK, 4. Aufl. 1913, Anm. 1b zu § 181 BGB; v. TUHR, Allg. Teil des Bürgerl. Rechts, 2. Bd 2. Hälfte S. 363; OERTMANN, 3. Aufl. 1927, Anm. 3 c zu § 181 BGB; ENNECCERUS/NIPPERDEY, Allg. Teil des Bürgerl. Rechts, 2. Halbbd., 15. Auflage 1960, S. 1111 Note 15). Ist dies wirklich der massgebende Grund für die Zulassung des Kontrahierens mit sich selbst bei reinen Erfüllungsgeschäften, so bedarf es im schweizerischen Recht, wo das Verbot des Kontrahierens mit sich selbst beim Fehlen der Gefahr einer Benachteiligung des Vertretenen nach dem Gesagten ohnehin nicht anwendbar ist, keiner besondern Regel für diese Geschäfte (vgl. v. TUHR/SIEGWART, Allg. Teil des schweiz. OR, § 42 V, wo die Erfüllung einer zwischen dem Vertreter und dem Vertretenen bestehenden Schuld als Anwendungsfall des Grundsatzes genannt wird, dass das Selbstkontrahieren zulässig ist, wenn keine Gefahr der Übervorteilung des Vertretenen besteht). Diese Frage braucht jedoch heute so wenig wie in den angeführten frühern Entscheiden abschliessend erörtert zu werden; denn man hat es im vorliegenden Falle nicht mit einem reinen Erfüllungsgeschäfte zu tun. Eine zahlungs- oder sicherungshalber vorgenommene Abtretung, wie sie hier erfolgt ist, bedeutet nicht die Erfüllung der Forderung des Empfängers der Abtretung, d.h. die Erbringung der diesem geschuldeten Leistung, sondern es wird damit zwischen dem Abtretenden und dem Abtretungsempfänger eine neue, zum bestehenden Schuldverhältnis hinzutretende Rechtsbeziehung begründet, welche die noch ausstehende Erfüllung oder die Sicherung der Forderung zum Ziel hat. Von einem reinen Erfüllungsgeschäft könnte hier im übrigen auch deshalb nicht die Rede sein, weil die Forderungen des Beklagten zweifelhaft waren (vgl. Erw. 7 hienach) und die Bezahlung einer zweifelhaften Forderung nicht nur deren Erfüllung darstellt, sondern zugleich ein Anerkenntnis oder doch die Gewährung eines prozessualen Vorteils in sich schliesst (vgl. OERTMANN a.a.O. S. 664; Kommentar zum BGB, herausgegeben von Reichsgerichtsräten und Bundesrichtern, 11. Aufl., Anm. 27 zu § 181 BGB.)
|
6. Dass der Beklagte zur Vornahme der streitigen Abtretung besonders ermächtigt worden sei, kann nicht angenommen werden. In den von Meierhofer bezw. Bisig unterzeichneten Quittungen vom 24. Juni 1950 und 5. September 1951 für Darlehen von Fr. 10'000. - bezw. Fr. 5000. - steht zwar, der Beklagte sei berechtigt, den geliehenen Betrag aus den laufenden Geschäftseinnahmen sofort wieder zurückzuziehen oder sich dafür Zessionen ausstellen zu lassen. Die Vorinstanz hat jedoch mit Recht gefunden, damit sei der Beklagte nicht allgemein ermächtigt worden, "sich seine Forderungen durch Zessionen sichern zu lassen oder selber zu sichern." Auf andere als die erwähnten Erklärungen vermag der Beklagte seine Behauptung, er habe die streitige Abtretung im Einverständnis des Verwaltungspräsidenten Meierhofer vorgenommen, nicht zu stützen.
|
Ebensowenig kann von einer nachträglichen Genehmigung dieser Abtretung durch Meierhofer die Rede sein. Für die Annahme einer solchen Genehmigung genügt nicht, dass Meierhofer nicht sofort Einspruch erhob, als der Beklagte ihm in seinem Schreiben vom 23. Februar 1955 u.a. mitteilte, er habe sich zur Deckung seiner Ansprüche gegenüber der Firma gewisse Guthaben (vier von den sechs in der Abtretungsurkunde vom 24. Februar 1955 genannten Forderungen) abtreten lassen und behalte sich die Vornahme weiterer Abtretungen vor. Auch kann eine Genehmigung nicht daraus abgeleitet werden, dass dem Beklagten die streitige Abtretung bei seiner Entlassung nicht zum Vorwurf gemacht wurde und dass die Klägerin die Abtretung am 28. März 1955 nicht gegenüber allen Zessionaren "widerrief".
|
Die streitige Abtretung erweist sich daher als unzulässig, es wäre denn, dass dabei keine Gefahr einer Benachteiligung der Klägerin bestanden habe.
|
7. Die Vorinstanz hat festgestellt, dass die Forderungen des Beklagten, welche er durch die Abtretung von Guthaben der Klägerin im Nominalbetrag von rund Fr. 60'000.-- sicherstellen wollte, "keineswegs ausgewiesen waren und nach seinen eigenen Angaben zudem nur etwa Fr. 35'000. - oder 36'000. - betrugen." Der Beklagte anerkennt vor Bundesgericht, dass seine Forderungen sich nur auf rund Fr. 35'000.-- beliefen, bestreitet dagegen die Feststellung, dass sie nicht "ausgewiesen" waren. und weist im übrigen darauf hin, die abgetretenen Guthaben seien nicht vollwertig gewesen. Die von ihm beanstandete Feststellung ficht er mit der Begründung an, es sei richtig, dass die Klägerin seine Forderung im Prozess bestritten habe, ohne jedoch einen Grund hiefür anführen zu können. Wenn die Vorinstanz der Frage, ob seine Forderung ausgewiesen war oder nicht, Bedeutung beigemessen habe, so hätte sie "die entsprechende tatbeständliche Abklärung durchführen müssen." Sie habe nicht einfach zu seinem Nachteil davon ausgehen dürfen, seine Forderung habe nicht zu Recht bestanden. Eine Abklärung habe sich um so eher aufgedrängt, "als massgebende Indizien für den Bestand dieser Forderung sprechen" (was näher ausgeführt wird). Falls die Vorinstanz Zweifel gehabt habe, ob die von ihm eingelegte Kopie eines Originalkontoblattes (mit einem Saldo zu seinen Gunsten von Fr. 35'150.90) dem Original entspreche, hätte sie dem im Prozess II gestellten Antrag auf Edition des Originals stattgeben sollen. Die Feststellung, seine Forderung sei nicht ausgewiesen, erweise sich unter diesen Umständen als willkürlich.
|
Die angefochtene Feststellung, die bedeutet, dass der Bestand der Forderungen des Beklagten zur Zeit der Abtretung zweifelhaft war, ist jedoch das Ergebnis einer Würdigung der Akten, die keine Bundesrechtsverletzung in sich schliesst. Die Vorinstanz konnte in nach Bundesrecht nicht zu beanstandender Weise zum erwähnten Schlusse kommen, ohne das Beweisverfahren durchzuführen, das allenfalls erforderlich sein wird, um im Prozess II (der im Einverständnis beider Parteien sistiert wurde) abschliessend über den Bestand der Forderungen des Beklagten zu urteilen. Es ist nicht dargetan, dass bestimmte. zum Nachweis erheblicher Tatsachen gestellte Beweisanträge des Beklagten einfach übergangen oder aus dem Grunde abgelehnt wurden, weil die Vorinstanz die betreffenden Tatsachen zu Unrecht als unerheblich betrachtete. Der einzige Beweisantrag, den der Beklagte in diesem Zusammenhang nennt, ist der Antrag auf Vorlegung eines Originalkontoblatts. Wenn die Vorinstanz diesem Antrag im vorliegenden Prozesse keine Folge gab, so ist dies entweder auf prozessuale Gründe (weil der Antrag nicht in diesem Prozess, sondern im Prozess II gestellt wurde) oder darauf zurückzuführen, dass die Vorinstanz annahm, das herausverlangte Kontoblatt wäre kein schlüssiges Beweismittel dafür, dass die Forderung des Beklagten zur Zeit der Abtretung zweifelsfrei feststand. Weder die Anwendung des massgebenden kantonalen Prozessrechts noch die vorweggenommene Würdigung der angetragenen Beweise durch die Vorinstanz lässt sich mit der Berufung an das Bundesgericht anfechten. Es ist auch nicht Sache des Bundesgerichts, den Beweiswert von Indizien zu prüfen. Die Rüge, eine Feststellung der Vorinstanz sei willkürlich, kann im Berufungsverfahren nicht gehört werden. Bei der angefochtenen Feststellung muss es daher sein Bewenden haben.
|
War der Bestand der Forderungen des Beklagten zur Zeit der Abtretung zweifelhaft, so ist klar, dass eine Benachteiligung der Klägerin zu befürchten war, wenn der Beklagte sich für seine Forderungen selber bezahlt machte oder sich dafür selber Sicherheiten verschaffte. Es widerspricht in aller Regel den Interessen des Schuldners, eine zweifelhafte Forderung zu erfüllen oder dafür Sicherheit zu leisten. Die buchhalterischen Überlegungen, mit denen der Beklagte darzutun sucht, dass eine Benachteiligung der Klägerin nicht habe entstehen können, vermögen diesen Sachverhalt nicht aus der Welt zu schaffen.
|
Die Gefahr einer Benachteiligung der Klägerin ist auch deshalb zu bejahen, weil ernstlich mit der Möglichkeit zu rechnen war, dass der Beklagte sich darauf beschränken würde, bei den Schuldnern der abgetretenen, von ihm als unsicher bezeichneten Guthaben die zur Deckung seiner eigenen Forderungen erforderliche Summe (statt des Gesamtbetrags) einzutreiben. Ausserdem befand sich die Klägerin nach der eigenen Darstellung des Beklagten in seinen Schreiben vom Februar 1955 finanziell in einer sehr schlechten Lage, so dass die Abtretung von bedeutenden, die zu deckenden Forderungen weit übersteigenden Guthaben geeignet war, die Klägerin vollends illiquid zu machen.
|
Der Beklagte hat die streitige Abtretung also in Missachtung entgegenstehender Interessen der Klägerin vorgenommen.
|