BGE 89 II 429 |
57. Urteil der I. Zivilabteilung vom 11. Dezember 1963 i.S. von Moos gegen Kunz. |
Regeste |
Notwendige Streitgenossenschaft. |
Abweisung einer Klage auf Nichtigerklärung oder Aufhebung eines Kaufvertrags, die eine der beiden Erbinnen der Verkäuferin nur gegen den Käufer, nicht auch gegen die am Vertrag festhaltende Miterbin eingeleitet hat. |
Sachverhalt |
A.- Frau Businger war Eigentümerin des aus den Grundstücken Nr. 37, 39 und 40 bestehenden Landguts Krämerstein in der Gemeinde Horw. Am 14. Mai 1956 verkaufte ihre Enkelin Bernadette von Sury als ihre bevollmächtige Vertreterin dieses Landgut mit Ausnahme gewisser davon abzutrennender Teile zum Preise von Fr. 600'000.-- an Gerold Kunz.
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Am Abend des gleichen Tags starb Frau Businger. Sie wurde von ihren Töchtern Frau von Sury und Frau von Moos beerbt.
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Im November 1956 klagte Kunz beim Amtsgericht Luzern-Land gegen die beiden Erbinnen auf Zusprechung des Eigentums an den verkauften Grundstücken. Frau von Sury erklärte am 2. Dezember 1956, sie anerkenne die Klage. Frau von Moos bestritt dagegen die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Luzern-Land. Ihre Einrede wurde geschützt, zweitinstanzlich durch Entscheid des luzernischen Obergerichts vom 2. Mai 1957. Kunz unterliess es in der Folge, beim zuständigen Gericht auf Erfüllung des Kaufvertrags zu klagen.
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Auf Grund des Erbteilungsvertrags vom 1. Mai 1959 und des Nachtrags dazu vom 26. November 1959 wurden die beiden Erbinnen am 24. Februar 1960 als Miteigentümerinnen (je zur Hälfte) der verkauften Grundstücke in das Grundbuch eingetragen.
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B.- Im Mai 1962 klagte Frau von Moos beim Bezirksgericht Zürich gegen Kunz auf Feststellung, dass der Kaufvertrag vom 14. Mai 1956 "nichtig und daher aufzuheben" sei. Sie machte geltend, der Vertrag habe einen widerrechtlichen und unmöglichen Inhalt (Art. 20 OR), verstosse gegen Formvorschriften und entspreche nicht dem Willen der Erblasserin; Bernadette von Sury habe ihn gegen Treu und Glauben und in Verletzung des ihr erteilten Auftrags abgeschlossen.
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Die Klägerin verkündete Frau von Sury und deren Tochter Bernadette den Streit. Die Litisdenunziatinnen nahmen am Prozess nicht teil.
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Das Bezirksgericht Zürich wies die Klage einstweilen ab, weil sie gemäss Art. 602 ZGB von der Klägerin und ihrer Schwester als Streitgenossinnen hätte erhoben werden müssen.
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Das Obergericht des Kantons Zürich hat am 9. Juli 1963 das erstinstanzliche Urteil bestätigt mit der Begründung, der angefochtene Kaufvertrag könne nur entweder gegenüber allen oder gegenüber keinem der daran Beteiligten gültig oder ungültig sein. Weil der Vertrag eine unteilbare Einheit bilde und ein Urteil nur zwischen den Prozessparteien wirke, könne ein Recht schaffendes (d.h. die Rechtslage festlegendes) Urteil über die Gültigkeit des Vertrags nur in einem Prozess ergehen, "in welchem alle Vertragsparteien auch Prozessparteien sind". Frau von Sury als Partei in den Prozess einzubeziehen, hätte sich nur erübrigt, wenn sie auf ihre Rechte verzichtet oder sich einem zwischen den übrigen Vertragsparteien ergehenden Urteil zum voraus unterzogen hätte, was sie nicht getan habe. Da Frau von Sury sich der Ungültigerklärung des Vertrags widersetze, hätte sie als Beklagte ins Recht gefasst werden sollen. Die Streitverkündung genüge nicht, weil der Litisdenunziat nur Nebenpartei, nicht Hauptpartei sei und den Vorbringen des Streitverkünders nicht widersprechen dürfe.
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Das Bundesgericht weist die Berufung ab.
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Erwägungen: |
Mit dem Tode von Frau Businger entstand zwischen der Klägerin und ihrer Schwester Frau von Sury als den beiden Erbinnen gemäss Art. 602 Abs. 1 ZGB eine bis zur Teilung dauernde Gemeinschaft aller Rechte und Pfllichten der Erbschaft. Sie wurden gemäss Art. 602 Abs. 2 ZGB Gesamteigentümerinnen der Erbschaftsgegenstände und verfügen nach der gleichen Vorschrift unter Vorbehalt der vertraglichen und gesetzlichen Vertretungs- und Verwaltungsbefugnisse über die Rechte der Erbschaft gemeinsam, solange und soweit diese nicht geteilt ist. Für die Schulden der Erblasserin wurden sie gemäss Art. 603 ZGB solidarisch haftbar.
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Mit Bezug auf die Preisforderung, die der Kaufvertrag vom 14. Mai 1956 im Falle seiner Gültigkeit zugunsten der Verkäuferin begründete, ist die Erbteilung zwischen der Klägerin und Frau von Sury noch nicht durchgeführt. Im Erbteilungsvertrag vom 1. Mai 1959 und im Nachtrag dazu vom 26. November 1959 ist von dieser Forderung (wie überhaupt vom Kaufvertrag mit dem Beklagten) nicht die Rede. Die Überführung der verkauften Liegenschaften aus dem Gesamt- ins Miteigentum der beiden Erbinnen berührte diese Forderung nicht. Anderseits ist nicht behauptet, geschweige denn dargetan worden, dass die beiden Erbinnen unter Zustimmung des Beklagten (Art. 639 Abs. 1 ZGB) die durch den Kaufvertrag zulasten der Verkäuferin begründete Schuld der einen von ihnen überbunden oder geteilt (d.h. für jede von ihnen auf die Pflicht zur Übertragung eines Teils der Kaufliegenschaften oder eines Miteigentumsanteils daran beschränkt) hätten. Unter der Voraussetzung, dass der Kaufvertrag zu Recht besteht, bildet demnach die Kaufpreisforderung einen noch unverteilten Vermögenswert der Erbschaft, der den beiden Erbinnen zu gesamter Hand zusteht, und haften nach wie vor beide Erbinnen dem Beklagten solidarisch für die Übertragung der verkauften Liegenschaften.
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Das vorliegende Klagebegehren geht jedoch nicht auf Feststellung des Nichtbestehens einer Schuld der Klägerin gegenüber dem Beklagten, sondern die Klägerin verlangt die Feststellung, "dass der ... am 14. Mai 1956 abgeschlossene und öffentlich beurkundete Kaufvertrag ... nichtig und daher aufzuheben ist". Die Klage zielt also auf Nichtigerklärung oder Aufhebung des ganzen Vertrages ab. Das ist nicht das gleiche wie eine Klage auf blosse Aberkennung der solidarischen Mitverpflichtung.
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Das Rechtsverhältnis, das der Kaufvertrag vom 14. Mai 1956 im Falle seiner Gültigkeit zwischen dem Beklagten als Käufer und der Klägerin und ihrer Schwester als den Erbinnen der Verkäuferin begründet, ist unteilbar, weil die Kaufpreisforderung, wenn sie besteht, gemäss Erwägung 2 hievor den beiden Erbinnen zu gesamter Hand gehört. Ein unteilbares Rechtsverhältnis kann seiner Natur gemäss nur einheitlich für alle Beteiligten bestehen oder nicht bestehen oder aufgehoben werden. Daher darf auch der Richter ein solches Verhältnis nur einheitlich für alle Beteiligten als bestehend oder nicht bestehend erklären oder aufheben. Über den Bestand oder die Aufhebung eines solchen Verhältnisses ein Urteil zu erlassen, das nur zwischen einzelnen Beteiligten Recht schaffen würde, ist unzulässig, weil sich das unter einzelnen Beteiligten bestehende Verhältnis eben nicht vom unteilbaren Gesamtverhältnis abspalten und losgelöst von diesem beurteilen lässt. Eine Klage, die nur zu einem für einzelne Beteiligte verbindlichen Urteil führen könnte, muss daher wegen dieser mit dem Wesen des Streitgegenstandes unvereinbaren Wirkung ohne Prüfung der geltend gemachten Klagegründe abgewiesen werden.
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4. Ein Urteil schafft grundsätzlich nur zwischen den Prozessparteien Recht. Für Personen, die am streitigen Rechtsverhältnis beteiligt sind, aber in den Prozess nicht einbezogen wurden, ist es nicht verbindlich (BGE 74 II 218; vgl. auchBGE 51 I 50). Insbesondere lässt sich die Rechtskraft eines durch Sonderklage eines einzelnen Erben gegen einen Dritten ausgewirkten Urteils nicht auf die übrigen Erben erstrecken (KUMMER a.a.O. S. 193). Eine Ausnahme von der Regel, dass ein Urteil nur die Prozessparteien bindet, gilt - abgesehen von gewissen Sonderfällen (vgl. z.B. Art. 706 Abs. 5 OR), von denen hier keiner in Frage steht - nur dann, wenn die am streitigen Rechtsverhältnis mitbeteiligten, aber nicht in den Prozess einbezogenen Personen zum voraus erklärt haben, das Urteil gegen sich gelten lassen zu wollen (was möglich ist, soweit nicht zwingende Vorschriften wie z.B. Art. 253 Abs. 2 ZGB die förmliche Einbeziehung der betreffenden Personen in den Prozess fordern). Ein für alle Beteiligten verbindliches Urteil lässt sich daher unter dem eben erwähnten Vorbehalt nur dadurch herbeiführen, dass der Kläger gegen alle (Mit-)Beteiligten klagt, die der Klage nicht beitreten. Unterlässt er dies, so ist die Klage in Fällen, wo wegen Unteilbarkeit des Rechtsverhältnisses ein für alle Beteiligten geltendes Urteil erforderlich ist, mangels Passivlegitimation des oder der Beklagten abzuweisen (vgl.BGE 38 II 508ff.: Abweisung einer von einem Gesellschafter erhobenen, nicht gegen alle Mitgesellschafter gerichteten Klage auf Auflösung einer Gesellschaft;BGE 51 II 8ff.: Abweisung einer Klage auf Anfechtung der Anerkennung eines ausserehelichen Kindes, weil nur das Kind rechtzeitig eingeklagt wurde;BGE 72 II 346,BGE 74 II 220undBGE 75 II 198/199: Unzulässigkeit einer nur gegen einen der Miterben gerichteten Klage auf Zuteilung eines Heimwesens nach bäuerlichem Erbrecht, Notwendigkeit einer Stellungnahme aller Miterben;BGE 74 II 217f.: Abweisung einer Klage auf Unverbindlich- und Nichtigerklärung eines mit einem Miterben abgeschlossenen Kaufvertrags, Löschung der Eintragung des Käufers im Grundbuch und Eintragung aller Erben mangels Einbeziehung sämtlicher Miterben in den Prozess).
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Frau von Sury hat sich der von ihrer Schwester und Miterbin eingeleiteten Klage auf Nichtigerklärung oder Aufhebung des Kaufvertrags vom 14. Mai 1956 nicht angeschlossen und auch nicht erklärt, das Urteil im Prozess zwischen ihrer Schwester und dem Beklagten gegen sich gelten lassen zu wollen. Um ein für alle Beteiligten verbindliches Urteil herbeizuführen, wie es im Hinblick auf die Unteilbarkeit des streitigen Rechtsverhältnisses erforderlich ist, hätte die Klägerin also auch Frau von Sury einklagen müssen. Die Streitverkündung, die Frau von Sury nach dem in diesem Punkte massgebenden kantonalen Prozessrecht nicht erlaubte, entsprechend ihrer Stellungnahme im Luzerner Prozess (oben A ) den Begehren der heutigen Klägerin entgegenzutreten, genügte nicht. Folglich ist die Klage mit Recht aus dem Grunde abgewiesen worden, weil Frau von Sury nicht als Mitbeklagte ins Recht gefasst wurde.
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