15. Urteil der II. Zivilabteilung vom 16. Juni 1966 i.S. Frey gegen Haas.
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Regeste
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Art. 736 ZGB: Löschung einer (altrechtlichen) Grunddienstbarkeit wegen Dahinfallens des Zweckes ihrer seinerzeitigen Begründung.
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Sachverhalt
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A.- Frl. Lily Frey kaufte im Jahre 1962 das Grundstück N r. 25a im Oberdorf der Gemeinde Urnäsch, bestehend in einem Stück Wiesland, das nördlich der Teufenbergstrasse bis zu dem ca. 10 m höher liegenden Grat ansteigt, der auf der andern Seite steil in eine Schlucht abfällt. Unter einem Teil des Grundstücks befindet sich, zugänglich von der Strasse her, ein in den Nagelfluhfelsen eingehauener Naturkeller von ca. 10 m Länge, 5 m Breite und 3 m Höhe. An der Hinterwand gegen die Schlucht befindet sich ein Ventilationsloch. Bis zur Jahrhundertwende wurde dieser Keller (von den Einheimischen auch "Eiskeller" genannt) zum Lagern von Jungbier gebraucht, das in der Liegenschaft Nr. 21/22, Gasthaus zum Ochsen in Urnäsch, gebraut wurde. Diese Nutzung des Felsenkellers haben folgende Einträge im Servitutenprotokoll der Gemeinde Urnäsch zum Gegenstand:
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Bd I/324 zur Liegenschaft Nr. 25 (Lily Frey): "Im obern Teil hat Karl Meyer zum Ochsen hart an der Grenze gegen den Rosenhügel, und an der Teufenbergstrasse einen Felsenkeller mit unbedingtem Recht zur Aufbewahrung des Lagerbiers."
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Bd I/330 zur Liegenschaft Nr. 21/22 (Ochsen): "Der bestehende Bierkeller ist von seinem Besitzer jederzeit so zu unterhalten, dass das ob demselben liegende Stück Wiesland ungehindert bearbeitet und betrieben werden kann und zu jeder Zeit Mist oder Jauche ausgeführt werden kann. Der bestehende Bierkeller darf ohne Bewilligung des Besitzers von Nr. 25 in keiner Weise vergrössert werden."
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Gemäss Art. 205 des appenzell-ausserrhodischen EG/ZGB kommt diesen Eintragungen bis zur Einführung des Grundbuches die beschränkte Grundbuchwirkung nach Art. 48 SchlT/ZGB zu.
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Über Zeitpunkt, Form und Bedingungen der Begründung des Nutzungsrechts ist nichts festgestellt.
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Als im "Ochsen" die Bierbrauerei eingestellt wurde, blieb der Keller während Jahrzehnten unbenutzt. Der offene Zugang wurde erst auf Beanstandungen der Vorsteherin des benachbarten Kinderheimes "Rosenhügel" der Stadt Zürich mit einem Bretterverschlag verschlossen und dieser im Jahre 1960 durch eine Eisentüre ersetzt. In der Folge begannen die Wirtsleute zum "Ochsen", im Keller Mineralwasser, Apfelsaft, Flaschenbier und Benzin in Fässern zu lagern.
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B.- Am 30. Januar 1964 reichte die Eigentümerin des belasteten Grundstücks Nr. 25a, Frl. Frey, beim Bezirksgericht Hinterland gegen die Eigentümerin der Liegenschaft zum "Ochsen", Frau Haas, Klage ein mit dem Begehren, die Dienstbarkeit auf Benützung des Felsenkellers sei aufzuheben und im Grundbuch zu löschen. Sie machte im wesentlichen geltend, dem jeweiligen Eigentümer der Ochsenliegenschaften habe das dingliche Recht zugestanden, im Keller Lagerbier aus der im "Ochsen" betriebenen Brauerei aufzubewahren. Da die Brauerei im Jahre 1897 aufgegeben worden sei, habe die Dienstbarkeit für das berechtigte Grundstück alles Interesse verloren, sodass die Belastete gemäss Art. 736 Abs. 1 ZGB die Löschung verlangen könne.
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Die Beklagte bestritt nicht, dass die Bierbrauerei seit Jahrzehnten eingestellt worden sei, behauptete jedoch unter Hinweis auf den Wortlaut der Einträge im Servitutenprotokoll, es handle sich um ein Bauwerk, an dem ihr ein dingliches Baurecht im Sinne von Art. 779 ZGB zustehe, so dass eine entschädigungslose Enteignung ohnehin nicht in Frage komme. Selbst wenn man aber ein blosses dingliches Nutzungsrecht annehmen sollte, wären die Voraussetzungen für eine Löschung nach Art. 736 ZGB nicht gegeben. Es handle sich nämlich nur um eine Änderung der Bedürfnisse des herrschenden Grundstücks im Rahmen der Dienstbarkeit: statt dass Jungbier gelagert werde, diene der Keller nun zur Aufbewahrung von Mineralwasser, Apfelsäften und Flaschenbier, ferner zur Lagerung von flüssigem Treibstoff, weil die Beklagte Depothalterin der Brauerei Schützengarten und der Mosterei Egnach sei und die Getränke mit Motorfahrzeugen vertreibe.
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C.- Im Verlaufe des Prozesses trat anstelle der verstorbenen Beklagten deren Sohn Leonhard Haas als Rechtsnachfolger in den Prozess ein.
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D.- Das Bezirksgericht Hinterland schützte die Klage und ordnete die Löschung der Dienstbarkeit an.
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In teilweiser Gutheissung der Appellation des Beklagten hat das Obergericht des Kantons Appenzell A.Rh., II. Abteilung, mit Urteil vom 26. Oktober 1965 die Löschung der Dienstbarkeit nur gegen eine Entschädigung von Fr. 4800.-- gestattet. Die Erwägungen des Obergerichts gehen zusammengefasst dahin:
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Obwohl die Dienstbarkeit vor Inkrafttreten des ZGB begründet worden sei, müsse nach Art. 17 Abs. 2 SchlT/ZGB ihr Inhalt nach den Grundsätzen des neuen Rechts (Art. 738 ZGB) ermittelt werden, also in erster Linie nach dem Eintrag; nur soweit dieser undeutlich oder unvollständig sei, kämen die dem früheren Recht unterstehenden Belege über den Erwerbsgrund in Betracht (BGE 88 II 271). Das frühere kantonale Recht gebe nun aber über die Frage, ob seinerzeit ein Baurecht oder ein blosses dingliches Nutzungsrecht begründet worden sei, keine Auskunft. Diese Frage könne indessen überhaupt offen gelassen werden, da sie nicht prozessentscheidend sei; denn Art. 736 Abs. 1 ZGB über die Ablösung von Dienstbarkeiten gelte auch für Baurechte. Man könne nun nicht sagen, der Beklagte habe gar kein Interesse mehr an der Dienstbarkeit. Im Laufe der Zeit seien anstelle von Jungbier andere Getränke wie Flaschenbier, Mineralwasser und Apfelsaft im Felsenkeller eingelagert worden. Das bedeute eine durch die modernen Konsumgewohnheiten bedingte Änderung der Nutzungsbedürfnisse des herrschenden Grundstücks, die sich noch im Rahmen des Dienstbarkeitsinhaltes halte, während dies für die Lagerung etwa von Wein, Obst und Brennstoffen nicht zutreffe. Freilich sei das Interesse des Beklagten an der Lagerung von Getränken gegenüber dem Interesse der Klägerin auf Benutzung des Landes zum Bau eines Ferienhauses von unverhältnismässig geringer Bedeutung, so dass die Dienstbarkeit gemäss Art. 736 Abs. 2 ZGB gegen Bezahlung einer Entschädigung abgelöst werden könne. Der Minderwert, den das berechtigte Grundstück durch den Hinfall der Dienstbarkeit erleide, entspreche dem Lagerwert solcher Räume von Fr. 20.- im Monat = Fr. 240.-- im Jahr, was zu 5% kapitalisiert Fr. 4800.-- ergebe.
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E.- Gegen dieses Urteil richtet sich die vorliegende Berufung der Klägerin mit dem Antrag auf gänzliche Gutheissung der Klage, also entschädigungslose Löschung der Dienstbarkeit.
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F.- Der Beklagte beantragt, auf die Berufung sei mangels Streitwertes nicht einzutreten, eventuell sie sei abzuweisen. und verlangt mit Anschlussberufung gänzliche Abweisung der Klage.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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2. Der Inhalt der vorliegenden Dienstbarkeit ist weder durch das alte Recht - wie die Vorinstanz für das Bundesgericht verbindlich festgestellt hat - noch durch das ZGB bestimmt. Da es sich somit nicht um eine sog. gesetzliche Dienstbarkeit handelt, ist ihr Inhalt nach den Regeln des Art. 738 ZGB zu ermitteln (vgl. dazu LIVER, N. 56 ff. zu Art. 738 ZGB). In erster Linie ist demgemäss auf die Einträge im Servitutenprotokoll abzustellen. Danach steht fest, dass dem jeweiligen Eigentümer der Ochsenliegenschaften das dingliche Recht zusteht, im Felsenkeller des Grundstücks Nr. 25a Lagerbier aufzubewahren. Die Vorinstanz hat in für das Bundesgericht verbindlicher Weise festgestellt, dass diese Dienstbarkeit im Zusammenhang mit dem Umstand begründet wurde, dass in der Ochsenliegenschaft bis um die Jahrhundertwende Bier gebraut wurde. Daraus ergibt sich, dass der Felsenkeller als Teil der Einrichtungen, die dem Eigentümer der Brauerei zur Herstellung des Biers dienten, betrachtet werden muss. Bekanntlich muss bei der Bierbrauerei, nachdem die Hauptgärung des Bieres nach 8 - 10 Tagen beendet ist, das Jungbier in Lagerfässern bei einer Temperatur von 0 - 2o während 6 - 8 Wochen gelagert werden, wo es reifen und sich klären kann.
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Nach Ablauf dieser sog. Nachgärung wird es trinkbar. Damit erklärt sich auch die von der Vorinstanz festgestellte Tatsache, dass der Keller während Jahrzehnten nicht benützt wurde, nachdem die Bierbrauerei vom damaligen Eigentümer der Ochsenliegenschaft aufgegeben worden war. Weiter folgt daraus, dass dem Berechtigten das Recht zur Benützung des Felsenkellers nur zu einem ganz bestimmten Zweck eingeräumt worden war, nämlich zur Lagerung zwecks Nachgärung des in seinem Betrieb gebrauten Jungbiers, und nicht etwa allgemein zum Lagern von Waren seines Betriebes.
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Nach Art. 738 Abs. 2 ZGB kann sich "im Rahmen des Eintrags" eine Präzisierung des Inhalts einer Dienstbarkeit aus dem Erwerbsgrund, dem Errichtungsvertrag, ergeben. Ein schriftlicher Erwerbstitel liegt hier nicht vor. Es braucht daher nicht geprüft zu werden, nach welchen Grundsätzen ein solcher, unter dem alten Recht errichteter Titel ausgelegt werden müsste und ob daraus allenfalls abgeleitet werden dürfte, das Benützungsrecht erstrecke sich über den Wortlaut des Eintrags im Servitutenprotokoll hinaus auch auf das Lagern anderer Waren als Jungbier zur Nachgärung.
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Für den vorliegenden Fall ergibt sich demzufolge auf Grund des in Erw. 2 hievor Ausgeführten, dass der Zweck, zu dessen Erreichung die Dienstbarkeit seinerzeit begründet worden ist - die Lagerung von auf der Ochsenliegenschaft frisch gebrautem Jungbier zur Nachgärung -, mit der endgültigen Einstellung der Brauerei auf dieser Liegenschaft dahingefallen ist. Unter diesem Gesichtspunkt hat die Dienstbarkeit für das berechtigte Grundstück alles Interesse verloren.
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Das ist an sich richtig, nur wird dabei übersehen, dass es sich im vorliegenden Fall nicht um eine gesteigerte Ausübung im Rahmen des bisherigen Zweckes handelt, sondern um die Inanspruchnahme des Dienstbarkeitsrechtes für einen neuen Zweck. Nun braucht aber der Eigentümer des belasteten Grundstücks die Ausübung der Dienstbarkeit zu einem andern Zweck als dem, für den sie begründet worden war, nicht zuzulassen (LIVER, N. 27 zu Art. 737 ZGB;BGE 64 II 414Erw. 2;BGE 70 II 46f.; BGE 87 II 85 ff.; nicht veröffentl. Urteile des Bundesgerichts vom 13. November 1958 i.S. Gross c. Rindlisbacher; vom 18. Mai 1961 i.S. SBB c. Zürrer). Diese Beschränkung hinsichtlich des Zweckes gilt auch unter dem Gesichtspunkt der Aufhebung einer Dienstbarkeit nach Art. 736 Abs. 1 ZGB. Ein anderes Interesse des Dienstbarkeitsberechtigten als das des Begründungszweckes der Dienstbarkeit schützt ihn nicht vor der Aufhebung (vgl. LIVER, N. 58 - 63 zu Art. 736 ZGB).
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An dieser Betrachtungsweise vermag der Umstand nichts zu ändern, dass der Beklagte bzw. sein Rechtsvorgänger seit etwa 1960 begonnen hat, den während Jahrzehnten nicht verwendeten Keller zur Lagerung von Flaschenbier, Mineralwasser und sogar Benzin in Fässern zu benutzen. Weder ist darin im Sinne von Art. 738 Abs. 2 ZGB eine Benutzungsart zu erblicken, wie sie "während längerer Zeit" ausgeübt worden ist, noch könnte die Benützung des Kellers überhaupt "in den Rahmen des Eintrags" fallen, der ausdrücklich auf die Bierbrauerei Bezug nimmt (Aufbewahrung von Lagerbier, d.h. Jungbier aus der eigenen Brauerei).
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Daraus folgt, dass der Beklagte für den Verlust der Möglichkeit, im Felsenkeller andere Waren aufzubewahren, keinen Anspruch auf eine Entschädigung im Sinne von Art. 736 Abs. 2 ZGB hat.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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Die Berufung wird gutgeheissen, die Anschlussberufung abgewiesen und Disp. 1 des Urteils des Obergerichts des Kantons Appenzell AR, 2. Abteilung, vom 26. Oktober 1965 insoweit aufgehoben, als es die Klägerin verpflichtet, dem Beklagten eine Entschädigung zu bezahlen.
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