BGE 92 II 107
 
18. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 7. Juni 1966 i.S. Meier gegen Konkursmasse der Früchtekonserven A.-G.
 
Regeste
Feststellungsklage.
 
Jakob Meier war Verwaltungsratspräsident und Inhaber der Aktienmehrheit der Früchtekonserven A.-G. Ebenso war er Eigentümer der Liegenschaft, in der sich der Fabrikationsbetrieb befand. Im Zusammenhang mit einer Sanierung des Unternehmens verkaufte Meier die Liegenschaft an die Aktiengesellschaft. Als diese in Konkurs geriet, erhob er gegen die Konkursmasse Klage mit dem Begehren, es sei gerichtlich zu erkennen, dass der Kaufvertrag über die Liegenschaft nichtig sei. Zur Begründung machte er geltend, es sei ein geringerer als der in Wirklichkeit vereinbarte Kaufpreis öffentlich beurkundet worden.
Das Kantonsgericht St. Gallen wies die Klage ab, wobei es offen liess, ob die Voraussetzungen für eine blosse Feststellungsklage gegeben seien.
Das Bundesgericht führt zur Frage der Zulässigkeit der Feststellungsklage aus:
1. Das vom Kläger gestellte Klagebegehren lautet ausschliesslich auf Feststellung der Nichtigkeit des Kaufvertrages. Irgendein weiterer Anspruch wird damit nicht verbunden, insbesondere kein Begehren um Änderung oder Löschung des Grundbucheintrages vom 5. April 1962. Es liegt somit eine reine Feststellungsklage vor, nicht eine Leistungsklage, bei der wie üblich das in erster Linie gestellte Begehren um Feststellung der Unverbindlichkeit des Kaufvertrages nur das Motiv für das Hauptbegehren auf Grundbuchberichtigung darstellt. Die Bemerkung des Klägers in der Berufungsschrift, mit der vorliegenden Klage werde die Abänderung des Eintrags im Grundbuch verlangt, findet in den Akten keine Stütze; massgebend ist der im kantonalen Verfahren gestellte Antrag; aus diesem kann aber auch auf dem Wege der Auslegung kein Begehren um Grundbuchberichtigung herausgelesen werden.
2. Nach der gegenwärtigen Rechtsprechung des Bundesgerichts ist die allgemeine Feststellungsklage kraft eidgenössischen Rechts überall dort zulässig, wo sie zur Durchsetzung des materiellen Bundesprivatrechts erforderlich ist (BGE 77 II 344,BGE 79 II 394, BGE 80 II 121, BGE 81 II 464, BGE 82 II 319, BGE 84 III 19). In BGE 84 II 495 (bestätigt durch BGE 84 II 691) wurde diese Rechtsprechung dahin ergänzt und verdeutlicht, dass - entgegen der von KUMMER (Das Klagerecht und die materielle Rechtskraft im schweizerischen Recht, S. 57 ff., S. 61) vertretenen Ansicht - die Kantone nicht daran gehindert seien, über die vom eidgenössischen Recht geforderten Feststellungsansprüche hinaus noch weitere zuzulassen, sofern das eidgenössische Recht nicht ausdrücklich oder sinngemäss einen solchen Anspruch ausschliesst; ein Kanton dürfe daher auch weniger strenge Anforderungen an das Feststellungsinteresse stellen als das eidgenössische Recht; diese Zurückhaltung sei geboten, weil Eingriffe in das kantonale Prozessrecht nur dort erfolgen dürften, wo sie für die Durchsetzung des eidgenössischen Privatrechts unerlässlich sind. In BGE 85 II 75 endlich wurde aus dieser Rechtslage gefolgert, dass die Frage, ob eine von den kantonalen Gerichten auf Grund des kantonalen Prozessrechts zugelassene und durch das Bundesrecht nicht ausgeschlossene Feststellungsklage materiell begründet sei oder nicht, vom Bundesgericht auf Berufung hin zu überprüfen sei, sofern eine Bundesrechtsverletzung geltend gemacht werde, der Streit um ein vom Bundeszivilrecht beherrschtes Rechtsverhältnis gehe und auch die übrigen Voraussetzungen der Berufung gegeben seien.
Gerade der vorliegende Fall, wo sich die Feststellungsklage höchstens mit der Begründung versagen liesse, es fehle ein Rechtsschutzinteresse, weil der Kläger hätte auf Leistung klagen können, zeigt deutlich, dass es eine Frage des Verfahrens, nicht des materiellen Rechtes ist, ob die Feststellung der umstrittenen Rechtslage in einem besonderen Prozess vorweggenommen werden dürfe oder ob der Kläger gezwungen sei, im gleichen Prozess auch das Leistungsbegehren anzubringen. Die Verwirklichung des materiellen Bundesrechts verlangt nicht, dass über die Nichtigkeit des Kaufvertrages und über die Folgen dieser Nichtigkeit in ein und demselben Prozess entschieden werde. Es besteht daher vom Gesichtspunkt des Bundesrechtes aus kein Anlass einzuschreiten, wenn der kantonale Prozessgesetzgeber dem Kläger erlauben will, schrittweise vorzugehen und zunächst nur auf Feststellung und erst später gegebenenfalls auch noch auf Leistung zu klagen.
Gewiss hat der Beklagte ein Interesse, sich nicht ohne begründeten Anlass vor Gericht verantworten zu müssen; er mag auch ein Interesse daran haben, dass alle Streitfragen in einem Zuge statt in zwei Prozessen entschieden werden. Dieses Interesse hat er aber nicht nur, wenn er auf Feststellung, sondern auch wenn er auf Leistung verklagt wird. Gleichwohl wird nirgends die Auffassung vertreten, das eidgenössische Recht verlange, dass der Richter auf Leistungsklagen unter bestimmten Voraussetzungen nicht eintrete, z.B. dann nicht wenn der Beklagte seine Leistungspflicht nicht bestreitet und daher dem Kläger ein schutzwürdiges Interesse an der Beschreitung des Rechtsweges fehlt. Man geht vielmehr davon aus, es sei Sache des kantonalen Prozessrechts, zu verhindern, dass ohne schutzwürdiges Interesse auf Leistung geklagt wird. Es kann z.B. Ordnungsstrafe, Kostenauflage oder sogar Nichteintreten auf die Klage vorschreiben. Es ist aber nicht einzusehen, weshalb der Beklagte sich auf eine Leistungsklage schlechthin sollte einlassen müssen, auf eine Feststellungsklage dagegen von Bundesrechts wegen nur beim Vorliegen bestimmter Voraussetzungen. Diese Ordnung wäre unvereinbar mit Art. 64 Abs. 3 BV, der ausdrücklich bestimmt, das gerichtliche Verfahren verbleibe den Kantonen. Dieser Grundsatz gilt, solange nicht feststeht, dass das kantonale Prozessrecht die Verwirklichung des materiellen eidgenössischen Rechts verunmöglicht.
Ein im Interesse des materiellen eidgenössischen Rechts gebotener Eingriffin das kantonale Prozessrecht wurde gemacht, als das Bundesgericht entschied, die Feststellungsklage müsse von Bundesrechts wegen zugelassen werden, wenn der Kläger daran ein schutzwürdiges Interesse habe. Daraus folgt aber keineswegs, dass das eidgenössische Recht die Feststellungklage beim Fehlen eines solchen Rechtsschutzinteresses verbiete. Das eidgenössische Recht verlangt, dass der Anspruchsberechtigte Rechtsschutz finde, sei es in Form eines Leistungsurteils, sei es unter Umständen auch bloss in Form eines Feststellungsurteils. Es verlangt dagegen nicht, dass der Rechtsschutz in bestimmten Fällen unterbleibe, z.B. wenn er überflüssig ist, weil der Beklagte den Standpunkt des Gegners gar nicht bestritten hat oder weil dem Kläger sonstwie das Interesse am Rechtsschutz fehlt. Das Interesse des Beklagten, sich nicht unnötigerweise vor dem Richter verantworten zu müssen, ist bloss prozessualer Art. Das materielle Recht leidet nicht darunter, wenn jemand ohne begründetes Interesse des Gegners in einen Prozess verwickelt wird. Das verkennen GULDENER und VOYAME (a.a.O.), wenn sie glauben, am Beispiel der negativen Feststellungsklage dartun zu können, das eidgenössische Recht bestimme, wann eine Feststellungsklage verboten sei. Zur Begründung dieser Auffassung bringen sie vor, durch die negative Feststellungsklage werde der Berechtigte genötigt, sein Recht geltend zu machen, wenn er nicht Gefahr laufen wolle, dass der Richter es ihm aberkenne; dieser Zwang zur Geltendmachung aber widerspreche dem Bundesprivatrecht, da dieses es der freien Entschliessung des Berechtigten anheimstelle, ob und in welchem Zeitpunkt er seine subjektiven Privatrechte, sei es gerichtlich, sei es aussergerichtlich, geltend machen wolle. In Wirklichkeit verlangt aber das Wesen des subjektiven Rechtes nur, dass der Berechtigte auf seinen materiellrechtlichen Anspruch verzichten kann. Es verlangt nicht, dass nur er allein bestimmen könne, ob und wann der Richter das Bestehen oder Nichtbestehen des Rechtes feststelle. Auch der angeblich Verpflichtete kann ein Interesse daran haben, das Nichtbestehen des Rechtes feststellen zu lassen. Gewiss hat die negative Feststellungsklage für den Beklagten den Nachteil, dass er sich verteidigen muss. Das ist aber ein rein prozessualer Nachteil. Es verhält sich dabei nicht grundsätzlich anders als bei der Leistungsklage. Auch gegen eine solche muss der Beklagte sich verteidigen, selbst wenn der vom Kläger behauptete Anspruch sachlich völlig unbegründet ist. Lässt aber das Bundesprivatrecht zu, dass ein Nichtschuldner verklagt werde und sich verteidigen müsse, um nicht zu unterliegen, so kann es nicht verbieten wollen, dass ein Gläubiger auf Nichtbestehen seines Rechtes verklagt werde und einen Prozess führen müsse, um es nicht zu verlieren. An der bisherigen Rechtsprechung ist daher festzuhalten.