BGE 92 II 141 |
23. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 7. Juli 1966 i.S. Ehegatten X. gegen Vormundschaftsbehörde O. |
Regeste |
Entmündigung wegen Misswirtschaft (Art. 370 ZGB). |
Welche tatsächlichen Abklärungen obliegen den kantonalen Behörden? (Erw. 2, 4 und 5). |
Die Bedeutung einer erheblichen Verschuldung des Bevormundeten, gegen den 49 Pfändungsverlustscheine im Gesamtbetrage von Fr. 18 573.-- bestehen (Erw. 3). |
Sachverhalt |
B.- Am 16. Februar 1965 schrieb die Bezirksfürsorgestelle A. der zuständigen Vormundschaftsbehörde, sie habe die Eheleute X. seit dem 9. November 1964 "etwas beobachtet", habe Unterredungen geführt und Erkundigungen eingezogen. Sie sei nunmehr zum Schluss gekommen, die Eheleute seien wegen Misswirtschaft im Sinne von Art. 370 ZGB zu bevormunden. Zur Begründung wurde hauptsächlich ausgeführt: Gegen Alois X. seien ca. 30 Verlustscheine über Fr. 15 777.60 ausgestellt worden. Die Eheleute kauften immer neue Küchengeräte, ohne auch nur einen Rappen anzahlen zu können. Wenn Feriengäste ihre Rechnungen bezahlten, würden die beiden grossartig mit dem Taxi fortfahren. Sparsinn und planmässiges Einteilen fehlten. Der Ehemann solle nie gern gearbeitet haben. Er beklage sich jetzt über ein Herz- und Asthmaleiden, das zum Teil wirklich vorhanden sein werde. Frau X. habe angegeben, sie sei in Behandlung bei einem Nervenarzt gewesen, hätte aber jetzt kein Geld mehr, einen Arzt beizuziehen. Sie mache den Eindruck einer nicht sehr aufrichtigen Person. Einer Beratung seien die Eheleute nicht zugänglich und ohne Entmündigung besitze die Fürsorgestelle keine Möglichkeit, in die Finanzlage Einsicht zu nehmen und zu helfen.
|
C.- Die Vormundschaftsbehörde O. lud die Ehegatten zu einer Verhandlung auf den 14. April 1965 vor und stellte ihnen die Entmündigung in Aussicht. Sie widersetzten sich der Massnahme - auch anlässlich einer zweiten Verhandlung - und unterzeichneten das Verhandlungsprotokoll nicht. Mit Beschluss vom 26. Mai 1965 entmündigte die Vormundschaftsbehörde die Ehegatten X. in Anwendung von Art. 370 ZGB wegen Misswirtschaft und bestellte einen Vormund. Gegen diesen Beschluss rekurrierten die Eheleute an den Bezirksgerichtsausschuss ohne Erfolg. Auch eine an den Kleinen Rat des Kantons Graubünden gerichtete Beschwerde wurde am 31. Januar 1966 abgewiesen.
|
D. - Gegen den Entscheid des Kleinen Rates haben die Ehegatten X. rechtzeitig Berufung beim Bundesgericht eingereicht. Sie beantragen:
|
"Es wolle der Entscheid des Kleinen Rates, mitgeteilt am 23./24. Februar 1966 aufgehoben werden und auch die von der Vormundschaftsbehörde ausgesprochene Entmündigung.
|
Eventualantrag: Eventuell wolle mir ein Beistand oder Beirat gegeben werden."
|
Aus den Erwägungen: |
In vorliegender Sache scheiden Trunksucht und lasterhafter Lebenswandel als Entmündigungsgrund zum vornherein aus.
|
Das Gleiche gilt für den Grund der Verschwendung, da keine sichern Anhaltspunkte auf diesen Tatbestand hinweisen. Es ist deshalb einzig zu prüfen, ob Misswirtschaft vorliegt. Dabei ist dieser Begriff einschränkend auszulegen (BGE 40 II 13;BGE 38 II 426f.; vgl. auch BGE 82 II 282 Erw. 4). Nach der in der Rechtsprechung und Doktrin entwickelten Auffassung besteht die Misswirtschaft in einem schlechten Wirtschaften, in einer ausserordentlichen Vernachlässigung der eigenen Vermögensverwaltung, die ihren subjektiven Grund in einer Schwäche des Intellekts oder des Willens haben muss (EGGER, Art. 370 ZGB N. 17). Sie ist die in einem Hang wurzelnde, dauernd unsinnige Bewirtschaftung des ökonomischen Gutes auf liederliche oder uneinsichtige Art (SUTER, Verschwendung, Misswirtschaft, Trunksucht und lasterhafter Lebenswandel, S. 36). Sie setzt ein ähnlich unsinniges Verhalten des zu Entmündigenden in der Vermögensverwaltung oder den ihr gleichzustellenden Verhaltensweisen voraus wie der Entmündigungsgrund der Verschwendung beim Ausgeben (BGE 38 II 426Erw. 2;BGE 40 II 13, 97 Erw. 1;BGE 52 II 315).
|
Misswirtschaft im objektiven Sinne wird in erster Linie, worauf der Gesetzeswortlaut hinweist, anzunehmen sein, wenn ein bereits vorhandenes Vermögen in unsinniger und unverständiger Weise verwaltet wird. Es ist aber nach der Rechtsprechung darunter auch die Gestaltung der Einkommensverhältnisse zu verstehen, sodass entmündigt werden muss, wer aus Energielosigkeit, Leichtfertigkeit oder ähnlichen Gründen sich nicht die nötigen Subsistenzmittel verschafft (BGE 54 II 353und EGGER, Art. 370 ZGB N. 20).
|
Dabei ist das Bundesgericht auf Fragen der Rechtsanwendung beschränkt, zu der auch die rechtliche Würdigung festgestellter Tatsachen gehört. Den kantonalen Behörden obliegt es dagegen, den Sachverhalt abzuklären, auf den sie die Entmündigung stützen wollen, und in ihrem Entscheid das Ergebnis der daherigen Ermittlungen festzustellen (Art. 51 Abs. 1 lit. c OG, vgl. auchBGE 44 II 229). Blosse Vermutungen und Annahmen der kantonalen Behörden genügen nicht und sind für das Bundesgericht nicht verbindlich (BGE 76 II 15Erw. 5, 279,BGE 68 II 133u.a.). Den kantonalen Instanzen lag es in vorliegender Sache somit ob, Feststellungen zu treffen über die Art und Weise der Vermögensverwaltung und Lebensführung der Berufungskläger, über den Stand ihrer wirtschaftlichen Angelegenheiten und die Gründe, die zur gegenwärtigen Situation geführt haben, sowie über die Folgen, die sich daraus für die Berufungskläger mit Sicherheit ergeben werden. Ob die nachgewiesene Art und Weise der Vermögensverwaltung aber eine Misswirtschaft darstellt, was Notstand und Verarmung bedeuten, ob die Sicherheit anderer durch das Verhalten der Ehegatten in einem Masse gefährdet sei, dass die Entmündigung sich rechtfertigt, sind vom Bundesgericht zu überprüfende Rechtsfragen.
|
Endlich fehlen Angaben darüber, wie die Pension geführt wird, ob zweckmässig oder unwirtschaftlich, ob sorgfältig oder liederlich. Festgehalten ist lediglich die gegenwärtige finanzielle Lage, die freilich eine erhebliche Verschuldung des Berufungsklägers ergibt: Es bestehen gegen ihn unbestrittenermassen 49 Verlustscheinsforderungen im Gesamtbetrag von Franken 18 573.--.
|
a) Diese Verschuldung legt die Annahme einer Misswirtschaft nahe, umsomehr als das Verzeichnis zeigt, dass erhebliche Lieferantenschulden bestehen müssen. Die Annahme, die Schuldenlast sei das Ergebnis einer Misswirtschaft, kann auch gestützt werden durch das Verhalten des Berufungsklägers und seiner Ehefrau, als sie von ihrem früheren Wohnsitz S. weg und - angeblich fluchtartig - nach R. zogen, wobei sie Möbel und Lebensmittel zurückliessen. Das lässt auf eine erhebliche Gleichgültigkeit als seelische Eigenschaft schliessen, die sich auch in der Wirtschaftsführung nachteilig ausgewirkt haben kann. Immerhin sind die genauern Umstände dieser Vorfälle zu wenig abgeklärt und sie liegen auch schon Jahre zurück.
|
b) Um eine Entmündigung nach Art. 370 ZGB zu rechtfertigen, muss die schlechte Finanzlage des Berufungsklägers durch unsinnige Akte der Vermögensverwaltung oder durch liederliche Geschäftsführung verursacht worden sein. Ist sie beispielsweise auf Krankheit zurückzuführen, kann eine Entmündigung aus dem Grunde der Misswirtschaft nicht in Frage kommen. Als unsinnige Akte der Vermögensverwaltung werden von der Vorinstanz nicht ausdrücklich, aber mit dem Hinweis auf erstinstanzliche Darlegungen Taxifahrten und Ferienmachen erwähnt, sowie der Ankauf neuer Mobilien, von denen die Eheleute gewusst hätten, sie könnten sie nicht bezahlen. Auch hier fehlt es aber an näheren Angaben. Es lässt sich nicht nachprüfen, ob die Taxifahrten und das Ferienmachen von derartigem Ausmass waren, dass sie im Hinblick auf die Verhältnisse der Ehegatten ins Gewicht fallen und als ökonomisch unsinnig betrachtet werden müssen.
|
c) Oekonomisch unsinniges Verhalten könnte, wenn einzelne Akte unzweckmässiger Geschäftsführung oder das Unterlassen der nötigen Dispositionen in der Betriebsführung nicht nachgewiesen sind, auch darin liegen, dass jemand einen Geschäftsbetrieb, der objektiverweise keine Existenzgrundlage bietet, hartnäckig weiterführt, sei es aus irrationalen Motiven, aus Beharrungsvermögen oder weil er sich aus Bequemlichkeit nicht nach einer andern, vielleicht mühevolleren Beschäftigung umsehen will. Eine Entmündigung würde ermöglichen, den Bevormundeten zur Liquidation des Betriebes zu zwingen.
|
Welche Indizien die Vorinstanz zur Schlussfolgerung geführt haben, die Pension sei nicht richtig lebensfähig und lasse sich ohne die Mitarbeit des Berufungsklägers betreiben, ist nicht ersichtlich. Jedenfalls lässt sich aus der Tatsache der Überschuldung nicht der zwingende Schluss ziehen, entweder biete die Pension keine Existenz oder dann hätten die Eheleute die Einkünfte für übertriebenen persönlichen Aufwand verwendet. Denkbar wäre ohne weiteres, dass Fehlkalkulationen, unnötige Anschaffungen und Investitionen, Krankheit oder Witterungseinflüsse die schlechte finanzielle Lage des Pensionsbetriebes bewirkten.
|
d) Die von der Fürsorgestelle selbst angeregte medizinische Untersuchung des Berufungsklägers, die genauern Aufschluss über die subjektive Seite einer allfälligen Misswirtschaft zu geben vermöchte, ist nicht angeordnet worden. Die Vorinstanz hat sich mit der für das Bundesgericht nicht massgebenden Vermutung begnügt, zwischen der Erkrankung des Berufungsklägers und seinen Vermögensverhältnissen scheine kein Zusammenhang zu bestehen, und der nachgewiesenen Behandlungsbedürftigkeit des Alois X., auch seiner teilweisen Arbeitsunfähigkeit zwischen November 1964 und November 1965 (vgl. Arztzeugnis Dr. P.), keine besondere Bedeutung zugemessen.
|
e) Zusammenfassend ergibt sich, dass die wenigen unter lit. a erwähnten Anhaltspunkte Misswirtschaft nicht genügend darzutun vermögen. Eine Bevormundung zum blossen Zwecke, der Behörde den sonst fehlenden Einblick in die Verhältnisse zu verschaffen, ist nicht zulässig.
|
Die Berufung des Alois X. ist deshalb gutzuheissen und die angeordnete Bevormundung aufzuheben, ohne dass die weitern Voraussetzungen der Entmündigung zu prüfen wären.
|
5. Es hängt von einer eingehenderen Abklärung des Sachverhalts durch die Vormundschaftsbehörde ab - wie sie das Kreisschreiben des Bundesgerichts vom 18. Mai 1914 anstrebte (BGE 40 II 182; vgl. dazu BGE 84 II 146) -, ob eine Bevormundung - in einem spätern Zeitpunkt - anzuordnen ist. Im Rahmen dieser Abklärung wird es zweckmässig sein, vorerst zu prüfen, ob als Sofortmassnahme die Errichtung einer Beistandschaft oder Beiratschaft sich aufdrängt. Nach den Ausführungen der Ehegatten X. in der Berufungsschrift würden sie die Hilfe eines Beistandes nicht zurückweisen.
|
Demnach erkennt das Bundesgericht:
|