36. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 28. September 1971 i.S. Lehmann und Mitbeteiligte gegen The Northern Assurance Company Ltd.
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Regeste
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Motorfahrzeughaftpflicht und Versicherung.
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Haftet der Halter nach Abs. 1 dieser Bestimmung, so hat der Geschädigte im Rahmen der vertraglichen Versicherungsdeckung ein Forderungsrecht unmittelbar gegen den Versicherer (Erw. I).
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Der Halter haftet nach Art. 75 Abs. 1 SVG, wenn eine "Person, für die er verantwortlich ist," das Fahrzeug zum Gebrauch entwendet hat (Erw. II/3a).
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Der Halter haftet für seine Hausgenossen im Sinne des SVG nur, wenn und soweit er ihnen das Motorfahrzeug zur Verfügung hält, es ihnen überlässt oder durch sie Betriebsfunktionen ausüben lässt (Erw. II/3b).
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Der Halter hat nur für solchen Schaden einzustehen, der mit dem Betrieb des Fahrzeugs ursächlich zusammenhängt, zu dem er eine Hilfsperson beigezogen oder zu dem er einem anderen die Führung des Fahrzeugs überlassen hat (Erw. II/3c).
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Entwendung zum Gebrauch (Erw. II/4).
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Der Halter ist für jedes Verschulden verantwortlich, das mit der Entwendung des Fahrzeuges ursächlich zusammenhängt (Erw. III/1).
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Scheitern des Entlastungsbeweises im konkreten Fall (Erw. III/2).
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Sachverhalt
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A.- E.H., geb. 12. August 1948, lebte mit seinen Eltern in Hausgemeinschaft in einer Wohnung, die sich im Erdgeschoss des Hauses X in Regensdorf befindet. Im Kellergeschoss des gleichen Häuserblockes verfügte sein Vater M.H., geb. 1923, über eine Garage, in der er seinen Personenwagen verwahrte. Die Schlüssel zur Garage und zum Fahrzeug versorgte Vater H. immer in der Tasche seines Rockes, und diesen hängte er normalerweise im Korridor der Wohnung auf. Dort entnahm E.H. am Sonntag, den 29. August 1965 gegen 08.30 Uhr oder etwas später, als seine Eltern noch schliefen, der Rocktasche seines Vaters die erwähnten Schlüssel. Er benützte sie, um sich den in der Garage stehenden Wagen zum Gebrauch anzueignen. Er fuhr über Wettingen-Baden-Brugg gegen die Passhöhe des Bötzberges. In Unterbötzberg/Stalden, wo er sich ungefähr um 09.30 Uhr befand und mit einer Geschwindigkeit von 80-90 km/h gefahren sein will, verlor er in einer leichten Linksbiegung die Herrschaft über das Fahrzeug. Er geriet auf die linke Seite der Strasse und stiess mit zwei aus entgegengesetzter Richtung kommenden Personenwagen zusammen. Die Insassen des vorderen Wagens, Werner Lehmann und dessen Ehefrau, wurden schwer verletzt. Frau Lehmann erlag in der Folge ihren Verletzungen.
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B.- Am 30. Juli/10. August 1970 traf Werner Lehmann, geb. 1929, für sich und als gesetzlicher Vertreter seiner Kinder Werner, geb. 1952, und Helena Judith, geb. 1955, mit der Firma "The Northern Assurance Company Limited, London, Direktion Zürich, F. Gilgen AG", bei der M.H. als Motorfahrzeughalter gegen Haftpflicht versichert war, eine Vereinbarung. Er einigte sich mit ihr, durch das Bundesgericht gemäss Art. 41 lit. c OG entscheiden zu lassen, ob die Unfallfahrt "als Strolchenfahrt im Sinne des Art. 75 SVG zu qualifizieren sei" und ob Werner Lehmann sen. über die Schadenersatz- und Genugtuungsbeträge hinaus, welche die "Northern" ihm und seinen Kindern für den Fall der Verneinung dieser Frage zu schulden anerkannte, Fr. 10 000.-- als "Teuerungsausgleich" zu fordern habe.
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C.- Mit Klage vom 15. Dezember 1970 stellten Werner Lehmann sen. (Kläger 1), Werner Lehmann jun. (Kläger 2) und Helena Judith Lehmann (Klägerin 3) beim Bundesgericht gegen "The Northern Assurance Company Limited, London, Direktion Zürich F. Gilgen AG" die Rechtsbegehren:
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"1. Die Beklagte sei zu folgenden Leistungen zu verurteilen: 1. Zahlung von Fr. 84 703.15 zuzüglich 5% Zins seit 1. Januar 1968 an den Kläger 1;
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2. Zahlung von Fr. 12 100.-- zuzüglich 5% Zins ab 1. Januar 1968 an den Kläger 1 zu Handen des Klägers 2;
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3. Zahlung von Fr. 12 100.-- zuzüglich 5% Zins ab 1. Januar 1968 an den Kläger 1 zu Handen der Klägerin 3;
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4. Zahlung folgender unvererblicher Invaliditätsrenten ab 1. Januar 1971, zahlbar in zwei hälftigen Raten, halbjährlich zum voraus, jeweils auf den 2. Januar und den 1. Juli zahlbar:
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Totalrente pro Jahr: 1971: Fr. 8 520.--
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1972: Fr. 9 403.--
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1973: Fr. 10 286.--
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1974: Fr. 11 069.--
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1975: Fr. 10 708.--
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1976: Fr. 10 267.--
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1977: Fr. 9 768.--
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1978-1994 je: Fr. 9 768.--
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5. Zahlung von Fr. 10 000.-- an den Kläger 1 als Teuerungsausgleich auf den sub 1.4 hievor geltend gemachten Rentenzahlungen.
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Eventualiter seien die sub 1.4 hievor geltend gemachten Rentenzahlungen nach dem Landesindex der Konsumentenpreise zu indexieren, bis zu einem summenmässigen Gesamtbetrag der nach Landesindex zu leistenden Zahlungen von Fr. 10 000.--.
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2. Es sei festzustellen, dass es sich bei den vorstehend unter Rechtsbegehren 1.1 bis 1.5 geltend gemachten Ansprüchen um den Direktschaden der Klägerschaft handelt, von welchem die Leistungen der SUVA bereits in Abzug gebracht worden sind, und es sei festzustellen, dass die Regressansprüche der SUVA gegenüber der Beklagten ausdrücklich vorbehalten bleiben.
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Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Sie führte in der Antwort und in der Vorbereitungsverhandlung vom 25. März 1971 aus, die Vereinbarung vom 30. Juli/10. August 1970 habe dahin als ergänzt zu gelten, dass die Beklagte auch die Forderung von Fr. 10 000.-- gemäss Klagebegehren 1.5 nur noch mit dem "Einwand der Strolchenfahrt" bestreite.
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Anderseits liessen die Kläger in der Vorbereitungsverhandlung das Rechtsbegehren 2, das auf eine schon unter Ziffer 2.6 der Vereinbarung vom 30. Juli/10. August 1970 getroffene "Feststellung" ausgegangen und von der Beklagten in der Antwort für den Fall der Verneinung der Strolchenfahrt anerkannt worden war, als überflüssig fallen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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Die Beklagte kann also an sich selbst dann haften, wenn die Fahrt vom 29. August 1965 eine Strolchenfahrt war. Sie kann nur dann nicht belangt werden, wenn sie den Beweis erbracht hat, dass weder der Halter M.H. noch eine Person, für die er verantwortlich war, die Entwendung des Fahrzeuges zum Gebrauch schuldhaft ermöglicht hat. Indem die Parteien in der Vereinbarung vom 30. Juli/10. August 1970 die vom Bundesgericht zu entscheidende Rechtsfrage darin sahen, "ob die Unfallfahrt als Strolchenfahrt im Sinne von Art. 75 SVG zu qualifizieren sei" (Ziff. 1), und indem sie ausführten, der Kläger beschränke den Prozessstoff "auf die Frage der Strolchenfahrt" (Ziff. 2.7), drückten sie sich ungenau aus. Legt man die Vereinbarung als Ganzes vernünftig aus, so wollten die Parteien nicht nur entscheiden lassen, ob die Unglücksfahrt eine Strolchenfahrt war, sondern auch, ob die Beklagte die weiteren ihr nach Art. 75 Abs. 1 SVG obliegenden Entlastungsbeweise erbracht habe. Die Beklagte hat sich denn auch im vorliegenden Prozess bemüht, diese Beweise zu erbringen, und die Kläger haben es unternommen, sie zu widerlegen.
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In diesem Umfange hat das Bundesgericht im Sinne von Art. 41 lit. c OG als angerufen zu gelten.
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Es ist deshalb davon auszugehen, dass E.H. vor dem 29. August 1965 wiederholt im Einverständnis seines Vaters dessen Personenwagen aus der Garage auf den privaten Vorplatz hinaus geführt und ihn vom Vorplatz in die Garage zurückgestellt hat, wobei er sich jeweilen zu diesem Zwecke an das Steuer setzte. Ob er sich des Motors bediente oder nur die Schwerkraft des Wagens ausnützte, mag offen bleiben.
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Nach Art. 75 SVG entfällt dagegen grundsätzlich die Haftung des Halters nicht, wenn ein Dritter das Fahrzeug eigenmächtig verwendet, sondern wenn es "zum Gebrauch entwendet" wird. Daher befasst sich diese Bestimmung nicht mit dem Begriff des "Dritten". Sie sagt auch nicht ausdrücklich, die Fahrt einer Person, für die der Halter "verantwortlich ist", könne von vornherein keine Strolchenfahrt sein. Art. 75 Abs. 1 Satz 3 bestimmt nur, um der Haftung zu entgehen, müsse der Halter beweisen, dass nicht nur er selber, sondern auch keine Person, für die er verantwortlich ist, die Entwendung zum Gebrauch schuldhaft ermöglicht habe. Daraus ergibt sich jedoch, dass der Halter haftet, wenn eine "Person, für die er verantwortlich ist", das Fahrzeug zum Gebrauch entwendet hat. Denn wer das Fahrzeug selber entwendet, hat die Entwendung verschuldet. Sein Verschulden ist zum mindesten ebensoschwer, wie wenn er die Entwendung - absichtlich oder fahrlässig - einem Dritten ermöglicht hätte. Das Gesetz kann dem (schuldlosen) Halter nicht erlauben wollen, sich auf den Befreiungsgrund der Strolchenfahrt zu berufen, wenn eine Person, für die er verantwortlich ist, selber das Fahrzeug entwendet hat, während es ihn haften lässt, wenn eine solche Person die Entwendung durch einen Dritten schuldhaft ermöglicht hat.
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b) Damit ist nicht gesagt, dass der Halter schlechthin hafte, wenn der Entwender des Motorfahrzeuges eine Person ist, für die der Halter auf Grund irgendwelcher Normen unter gewissen Voraussetzungen verantwortlich ist. Das SVG versteht in Art. 75 Abs. 1 wie in den Art. 58 Abs. 2, 59 Abs. 1, 61 Abs. 2 und 71 Abs. 1 unter den Personen, für die der Halter "verantwortlich ist", nur solche, deren Verhalten ihn nach dem Sinne dieses Gesetzes seiner Haftung als Halter des schadenstiftenden Motorfahrzeuges nicht enthebt. Art. 63 Abs. 2 und 63 Abs. 3 lit. a sprechen deutlicher von "Personen, für die er nach diesem Gesetz verantwortlich ist". Deshalb kann der Halter sich unter Berufung auf Art. 75 SVG an sich z.B. auch befreien, wenn ihm das Fahrzeug von einer Person entwendet wurde, die im Sinne des Art. 333 ZGB sein unmündiger Hausgenosse war.
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OFTINGER vertritt nicht eine andere Auffassung, wenn er auf S. 493 seines Haftpflichtrechts "vorab die Familienangehörigen des Halters, denen er das Fahrzeug zur Verfügung hält", zu den Personen zählt, für die der Halter verantwortlich ist, und auf S. 573 die Personen, die "für den Halter Betriebsfunktionen ausüben oder denen er das Fahrzeug sonst überlassen hat (die Chauffeure, Familienangehörigen usw.)" grundsätzlich nicht als Strolchenfahrer betrachtet. Der Halter ist für das, was seine Hausgenossen tun, nicht schlechthin im Sinne des SVG verantwortlich, sondern er haftet für sie nur, wenn und soweit er ihnen das Motorfahrzeug zur Verfügung hält, es ihnen überlässt, durch sie Betriebsfunktionen ausüben lässt. OFTINGER behält denn auch auf S. 493 die Fälle von Strolchenfahrten ausdrücklich vor. Er unterscheidet deutlich zwischen der Haftpflicht als Halter und jener als Familienhaupt. Erstere ersetzt seines Erachtens zwar die letztere, doch greift die Haftung als Familienhaupt Platz, wenn die Voraussetzungen der Haftung als Halter entfallen. Das kann zutreffen, wenn ein Hausgenosse eine Strolchenfahrt unternimmt. OFTINGER sagt auf S. 584, je nach Sachlage könne auch Haftung eines Familienhauptes für den vom Strolchenfahrer als einem Hausgenossen verursachten Schaden in Betracht fallen. Auf S. 568 Anm. 534 führt er ferner aus, Hausgenossen des Halters, die keine im Zusammenhang mit dem Betrieb des Motorfahrzeuges stehende Funktionen ausübten, seien Dritte, deren Verhalten den Halter gemäss Art. 59 Abs. 1 SVG entlasten könne, und Haftung für sie bestehe nicht nach SVG, sondern nach gemeinem Recht, Art. 55, 101 OR, 333 ZGB usw.
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Auch KELLER (a.a.O.) kann nicht deutlich eine andere Auffassung entnommen werden. Er führt auf S. 250 zwar aus, wenn der Strolch eine Person sei, für die der Halter verantwortlich ist, habe dieser keine Möglichkeit, sich von der Haftung zu befreien. Er fügt bei, solche Personen seien in erster Linie die unmündigen Hausgenossen. Damit will er aber wohl nur sagen, in erster Linie könne der Halter in die Lage kommen, für unmündige Hausgenossen verantwortlich zu sein, wenn sie ihm den Wagen zum Gebrauch entwendeten. Dass er für ihr Verhalten als Strolche immer als Halter hafte, nämlich wegen seiner Stellung als Familienhaupt, behauptet KELLER nicht.
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c) Zieht der Halter zum Betriebe des Motorfahrzeuges eine Hilfsperson bei (vgl. Art. 58 Abs. 4 SVG und OFTINGER a.a.O. S. 491 Ziff. 1) oder überlässt er das Fahrzeug jemandem zur selbständigen Führung (vgl. OFTINGER a.a.O. S. 493 Ziff. 2), so ist er für Schaden aus dem Verhalten dieser Personen verantwortlich. Der im Haftpflichtrecht allgemein geltende Grundsatz, dass der Schaden mit dem haftungsbegründenden Sachverhalt ursächlich zusammenhangen muss, zieht jedoch seiner Verantwortung eine Grenze. Der Halter haftet nicht für allen Schaden, den die erwähnten Personen irgend einmal mit seinem Fahrzeug verursachen mögen, sondern nur für Schaden, der mit jenem Betriebe ursächlich zusammenhängt, zu dem er eine Hilfsperson beigezogen oder zu dem er einem anderen die Führung des Fahrzeuges überlassen hat (vgl. für das alte Recht BGE 77 II 180 Erw. 1).
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So ist z.B. der Halter, der sich regelmässig durch seine Ehefrau Zeichen geben lässt, wenn er von verdeckter Stelle auf die Strasse hinaus fährt, verantwortlich, wenn sie diese Aufgabe unrichtig ausübt. Er haftet dagegen nicht, wenn sie, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, sein Fahrzeug zum Gebrauch entwendet und damit Schaden stiftet, denn es fehlt am ursächlichen Zusammenhang zwischen ihrer erwähnten üblichen Hilfsfunktion und dem Schaden.
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Auch haftet z.B. der Halter, der seinem Sohne regelmässig mit dem Wagen zur Schule zu fahren erlaubt, für den Schaden, den das Fahrzeug auf dem Schulweg verursacht. Er haftet auch, wenn der Sohn, statt von der Schule auf kürzestem Wege nach Hause zu fahren, einen nicht bewilligten Abstecher macht und dabei einen Unfall verursacht. Der ursächliche Zusammenhang zwischen dem bewilligten Gebrauch und dem Schaden liegt vor. Es kann übrigens auch nicht gesagt werden, der Sohn habe den Wagen entwendet, denn er war ihm anvertraut, als er den Abstecher machte. Dagegen liegt eine Strolchenfahrt vor, wenn der gleiche Sohn den Wagen während der Schulferien entwendet, um damit eine Reise zu unternehmen. Für den Schaden, den das Fahrzeug auf dieser Reise verursacht, haftet der an der Entwendung schuldlose Vater als Halter nicht.
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Auf Grund dieser Überlegungen wäre auch der Sachverhalt, der dem unter der Herrschaft des MFG gefällten bundesgerichtlichen Urteile vom 8. Februar 1951 i.S. Alpina-Versicherungs-AG gegen Schatzmann zugrunde lag (BGE 77 II 58), heute gleich zu beurteilen wie damals. Der Inhaber einer Autoreparaturwerkstatt hatte den von ihm gehaltenen Personenwagen seinem nicht führungsberechtigten Sohne und technischen Leiter des Geschäftes allgemein zum Gebrauch auf dem Werkstattareal zur Verfügung gestellt, ihm dagegen das Fahren ausserhalb dieses Areals verboten und den Kontaktschlüssel in Verwahrung genommen, aber eines Abends nach der Rückkehr von einer Fahrt den Wagen auf Weisung des Sohnes vor der Garage stehen gelassen, worauf der Sohn ihn mit einem nachgemachten Kontaktschlüssel gebraucht und auf der öffentlichen Strasse einen Unfall verursacht hatte. Das Bundesgericht entschied, durch die Ermächtigung, den Wagen auf dem Areal der Werkstatt in Betrieb zu setzen und zu führen, habe sich der Halter seines Sohnes zum Betrieb des Fahrzeuges bedient, was ausschliesse, den Sohn als Dritten im Sinne des Art. 37 Abs. 6 MFG anzusehen. Daher wurde der Versicherer des Halters für den Schaden haftbar erklärt. Unter der Herrschaft des Art. 75 SVG müsste der Richter argumentieren, der Gebrauch des Wagens auf der öffentlichen Strasse hange ursächlich damit zusammen, dass der Halter seinem Sohne allgemein den Gebrauch auf dem Werkstattareal gestattet und ihm zu diesem Zwecke den Wagen ein für allemal anvertraut hatte; der Sohn habe am Wagen Gewahrsam gehabt, weshalb nicht eine Entwendung, sondern nur eine Überschreitung der erteilten Ermächtigung zum Gebrauch vorliege. Es verhält sich in einem solchen Falle ähnlich wie beim vorerwähnten Beispiel, wo der Sohn auf dem Schulwege einen durch die Ermächtigung des Vaters nicht gedeckten Abstecher macht.
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Im übrigen hängt das Verschulden nicht davon ab, wie üblicherweise
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der Entwendung von Motorfahrzeugen vorgebeugt wird (SJZ 39 114 Nr. 17, 51 128 Nr. 93). Vom Halter muss verlangt werden, dass er alle Sorgfalt anwende, die ein vorsichtiger Mensch unter den besonderen Umständen des Falles hätte walten lassen und auch dem Halter persönlich zugemutet werden konnte.
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b) Vater H. verwahrte die Schlüssel zur Garage und zum Wagen immer in seiner Rocktasche und hängte den Rock normalerweise im Korridor auf. Dass E.H. am 29. August 1965 die Schlüssel dort behändigen konnte, ist also nicht einem Missgeschick zuzuschreiben, das dem Vater einmal unterlaufen wäre und je nach Umständen vielleicht entschuldigt werden könnte. Der Vater wollte vor dem Sohne die Schlüssel gar nicht verbergen. Er will zum Sohne Zutrauen gehabt haben. Den Schlüssel zur Garage hätte er ihm denn auch ohne weiteres übergeben, wenn der Junge sein Motorfahrrad dort hätte versorgen wollen, wie der Vater es ihm schon oft und erfolglos befohlen hatte.
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c) Der Chevrolet-Wagen des M.H. hatte ein automatisches Getriebe. Der Besitzer hatte wegen seiner Invalidität den Wagen ferner so umgebaut, dass die Fahrt nach Belieben des Führers statt mit den Füssen von Hand beschleunigt oder verlangsamt werden konnte. Die Bedienung des Fahrzeuges war somit sehr einfach.
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E.H. kannte und beherrschte sie, obschon er keinen Fahrunterricht genossen hatte. Er hatte sie seinem Vater und anderen Führern des Wagens abgeschaut. Er besass und führte seit der Vollendung seines vierzehnten Altersjahres ein Motorfahrrad, begeisterte sich jedoch für Motorwagen und wünschte sehnsüchtig, das Fahrzeug des Vaters zu führen. Dieser wusste das. Er sagt, sein Sohn habe die Vollendung des achtzehnten Altersjahres kaum erwarten können, um den Führerausweis für Personenwagen zu erwerben. Am 29. August 1965 war dieser Wunsch noch nicht erfüllt, weil E.H. erst knapp das siebzehnte Altersjahr vollendet hatte.
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Wie bereits ausgeführt wurde, holte E.H. den Wagen öfters mit Wissen und auf Wunsch des Vaters aus der Garage heraus oder schob ihn in diese zurück. Im Frühjahr oder Sommer 1965 - nach der Darstellung des Sohnes zwei bis drei Monate, nach der Aussage des Vaters dagegen etwa sechs Monate vor dem Unfall - eignete er sich das Fahrzeug einmal zum Gebrauche an, als es im Freien stand und der Vater zwar den Zündschlüssel entfernt, das Zündschloss aber so gestellt hatte, dass der Motor ohne diesen Schlüssel angelassen werden konnte (sog. Garage-Stellung, die ermöglichen soll, einen in einer Kollektivgarage untergebrachten Wagen ohne Zündschlüssel zu verstellen). E.H. fuhr damals mit dem Fahrzeug in Regensdorf auf der öffentlichen Strasse herum. Vor der aargauischen Kantonspolizei gab er am 30. August 1965 an, er habe etwa 2 km zurückgelegt. In der Vorbereitungsverhandlung schätzte er die Strecke nur noch auf 60-70 m und bestritt, vor der Polizei die erwähnte Angabe gemacht zu haben. Sein Vater redet sogar nur von 30-40 m, nachdem er vor dem Sachbearbeiter Danuser der Beklagten am 15. Februar 1966 noch von "einigen hundert Metern" gesprochen hatte. Es besteht jedoch kein Anlass, an der Richtigkeit der ursprünglichen Aussage des Sohnes zu zweifeln. Von einem Fehler in der Protokollierung kann nicht die Rede sein, denn E.H. bestätigte damals handschriftlich, er habe das Protokoll "selbst" gelesen. Näher liegt die Annahme, die beiden H. erinnerten sich heute, sechs Jahre nach dem Vorfall, nicht mehr recht oder versuchten ihn bewusst zu beschönigen. Im Jahre 1965 will Vater H., der durch einen Dritten telephonisch von ihm Kenntnis erhalten hatte, ihn durchaus ernst genommen haben. Er will dem Sohne damals ins Gewissen geredet und ihm das Ehrenwort abgenommen haben, dass er nie mehr solche Fahrten unternehmen werde.
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Dass der Sohn den Wagen des Vaters vor dem 29. August 1965 noch weitere Male auf der öffentlichen Strasse geführt habe, steht nicht fest. Auf einer Fahrt vom Sommer 1965, die sein Freund Grendene im Einverständnis von Vater H. mit diesem Wagen in seiner Begleitung ausführte, sass E.H. zwar am Reiseziel Wettingen am Steuer, als er auf Grendene wartete. Es ist jedoch nicht bewiesen, dass er auf dieser Fahrt den Wagen geführt habe. Hätte er es getan, so bliebe übrigens noch offen, ob der Vater davon Kenntnis hatte.
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d) Berücksichtigt man die dem Vater bekannte Neigung E.H.'s zum Führen seines Wagens und die Tatsache, dass der Junge sich einmal gegen den Willen des Vaters mit dem Wagen auf die öffentliche Strasse begeben hatte, so ist nicht entschuldbar, dass der Vater die Schlüssel zur Garage und zum Wagen in seiner Rocktasche liess, wenn er den Rock im Korridor aufzuhängen pflegte. Er hätte sie in ständiger Obhut behalten sollen, z.B. in seiner Hosentasche und nachts in seinem Schlafzimmer. Es genügte nicht, dem Sohn das "Ehrenwort" abzunehmen, er werde den Wagen nicht mehr gebrauchen. E.H. war nicht ein musterhaft ausgeglichener und zuverlässiger Bursche, auf dessen Charakterfestigkeit der Vater hätte vertrauen dürfen. Das Gegenteil traf zu. E.H. hatte schon in der Schule gewisse Schwierigkeiten wegen ungenügenden Durchhaltewillens. Seine Unausgeglichenheit beschäftigte den Vater sehr. E.H. war "kein Engel". Auch bei der beruflichen Ausbildung fehlte es ihm an Ausdauer. Die Lehre als Radiotechniker, die er im April 1964 im Geschäft des Vaters begann, gab er mangels Freude am Beruf und wegen Schwierigkeiten in der Gewerbeschule um Weihnachten 1964 auf. Nachdem er einen Berufsberater befragt hatte, trat er zu Ostern 1965 in einem Hotel in Wettingen probeweise eine Lehre als Koch an. Sie befriedigte ihn aber wiederum nicht und führte zu Anständen mit dem Küchenchef. Nach kurzer Zeit lief er davon, kehrte dann aber wieder zurück. Auf 5. August 1965 wurde E.H. entlassen. Sein Lehrmeister Marti war mit ihm nicht zufrieden. Als Zeuge erklärte Marti allerdings in der Vorbereitungsverhandlung, er habe über seinen Charakter keine Feststellungen gemacht. Gegenüber dem Zeugen Büchi hatte er sich dagegen anfangs Januar 1966 dahin geäussert, E.H. sei nachts bis zu später Stunde herumgestrolcht und habe anderen Tags in der Küche wenig geleistet; erzieherische Fehler der Eltern hätten ihn zum Nichtsnutz gemacht, sein Vater habe ihm zuviel Taschengeld gegeben, was ihn erst recht zu einem unseriösen Lebenswandel verleitet habe. Diese Angaben verdienen Glauben. Vater H. selber hat im November 1965 vor dem Jugendanwalt bezeugt, sein Sohn habe sich gegen ihn aufgebäumt und sich als Opfer von Schikanen ausgegeben; mit dem Sackgeld sei er nicht sparsam umgegangen; von den Fr. 10.-, die der Vater ihm jeden Freitag gegeben habe, habe er am Montag regelmässig nichts mehr besessen. Einmal wurde E.H. gebüsst, weil er mit dem Motorfahrrad ohne Kontrollschild gefahren war. Wahrscheinlich erst nach dem Unglück vom 29. August 1965 wies der Vater ihn einer Psychologin zu, damit sie ihn über die weitere Berufswahl berate. Den Bericht, den sie erstattet habe, findet er angeblich nicht mehr auf. Im November 1965 sagte er vor dem Jugendanwalt aus, sie habe E.H. als noch kindlich bezeichnet. Die Bemühungen, einen Beruf zu erlernen, bereiteten dem Sohne weiterhin Schwierigkeiten. Nach der Entlassung aus der Kochlehre arbeitete er einige Zeit bei einem Baumeister als Zeichner. Ein Jahrlang besuchte er ferner die Schule "Minerva", in der er jedoch schwänzte. Dann versah er in einem Rationalisierungsinstitut eine Stelle als Planzeichner. Schliesslich eröffnete er ein "Tonstudio". Früher hätte er Musiker werden wollen. Sein Vater wäre damit einverstanden gewesen, wenn er ein klassisches Instrument erlernt hätte. E.H. spielte indessen Guitarre.
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e) Die Beklagte versucht das Vertrauen, das Vater H. seinem Sohne entgegenbrachte, damit zu entschuldigen, Massnahmen gegen die Entwendung der Schlüssel und des Wagens hätten das Familienleben "zur Sau" werden lassen. Damit meint sie offenbar, der Sohn hätte sich gegen solche Massnahmen gesträubt und Auftritte in der Familie verursacht.
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Ein wohlerzogener und verständiger Sohn, der das zum Erwerb des Führerausweises vorgeschriebene Alter noch nicht erreicht hat, verübelt es indessen dem Vater nicht, wenn dieser ihm den Zugriff auf die Schlüssel zur Garage und zum Wagen verunmöglicht. Nur ein auf vorzeitige Führung des Wagens erpichter, unzuverlässiger Bursche, wie E.H. einer war, kann sich gegen eine solche Vorsichtsmassnahme des Vaters auflehnen und dadurch die Harmonie des Familienlebens stören. Gegenüber einem solchen Sohne hat der Vater aber ganz besonders Anlass, nicht nachzugeben. Seine Pflicht, Strolchenfahrten durch ein charakterlich nicht geeignetes und in der Führung und sicheren Beherrschung des Wagens nicht ausgebildetes Kind zu verhüten, geht einem guten Einvernehmen mit diesem vor. Das Leben und die Gesundheit der Strassenbenützer sind wichtiger als der Wunsch des Vaters, Erziehungsschwierigkeiten aus dem Wege zu gehen. M.H. war ein zu nachsichtiger Erzieher.
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Die Auffassung der Beklagten, die sichere Verwahrung der Garage- und Wagenschlüssel durch den Vater hätte nur die pubertäre Lust des Sohnes geweckt, sie zu suchen und zu finden, entschuldigt ersteren ebenfalls nicht. Pubertäre Lust des Jünglings, den Wagen zu entwenden, erfordert geradezu eine Verwahrung der Schlüssel, die deren Behändigung verunmöglicht oder ganz erheblich erschwert. Von einem Vater wird z.B. auch verlangt, dass er trotz der Neigung und Triebe der Kinder, ja gerade wegen derselben, eine Handfeuerwaffe vor ihnen sicher verwahre.
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M.H. hat nicht alles getan, was objektiv möglich war und ihm nach den Umständen zugemutet werden konnte, um der Entwendung des Wagens vorzubeugen. Er hat diese im Sinne des Art. 75 Abs. 1 SVG schuldhaft ermöglicht.
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Die Klage ist daher gutzuheissen.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.- Die Beklagte hat dem Kläger Werner Lehmann, geb. 1929, zu zahlen:
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a) Fr. 84'703.15 nebst 5% Zins seit 1. Januar 1968;
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b) eine vom 1. Januar 1971 an laufende und je zur Hälfte am 2. Januar und 1. Juli jeden Jahres zum voraus zahlbare unver erbliche Rente von jährlich:
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Fr. 8'520.-- für 1971;
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Fr. 9'403.-- für 1972;
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Fr. 10'286.-- für 1973;
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Fr. 11'069.-- für 1974;
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Fr. 10'708.-- für 1975;
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Fr. 10'267.-- für 1976;
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Fr. 9'768.-- für 1977 bis 1994.
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c) Fr. 10'000.--.
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2.- Die Beklagte hat dem Kläger Werner Lehmann. geb. 1952, Fr. 12'100.-- nebst 5% Zins seit 1. Januar 1968 zu zahlen.
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3.- Die Beklagte hat der Klägerin Judith Lehmann, geb. 1955, Fr. 12'100.-- nebst 5% Zins seit 1. Januar 1968 zu zahlen.
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