BGE 100 II 177
 
27. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 11. Juli 1974 i.S. Siegenthaler gegen della Valle.
 
Regeste
Verletzung des Persönlichkeitsrechts durch die in einem Presseartikel zum Ausdruck gebrachte Vermutung, eine Oltankanlage weise Mängel auf (Erw. 5).
 
Sachverhalt
Aus dem Tatbestand:
A.- Mario della Valle, dipl. Architekt ETH, besorgt die Verwaltung und Vermietung der Wohnungen der Gyrhalden-Immobilien AG, Eigentümerin einer Überbauung mit gegen dreihundert Wohnungen in Spreitenbach/AG. Am 23. Dezember 1970 ereignete sich in dieser Überbauung bei der Auffüllung der Öltanks ein Ölunfall. Ein Verbindungsverschluss des Einfüllschlauchs des Tankwagens hatte sich gelöst, so dass ca. 1500 Liter Heizöl ausflossen und im Erdreich versickerten. Vorerst wurde angenommen, der Unfall sei auf das Nichtfunktionieren der Überfüllsicherung der Öltankanlage zurückzuführen; da kein Öl durch die Überfüllsicherung habe fliessen können, sei ein Überdruck erzeugt und der Anschlussmechanismus des Verlängerungsschlauchs aufgesprengt worden. Nachträglich stellte sich dann heraus, dass die Ursache des Unfalls im Ungenügen des Schlauchverschlusses bestanden hatte.
B.- In der Ausgabe des "Badener Tagblatt" vom 24. Dezember 1970 veröffentlichte Kurt Siegenthaler unter dem Titel "Ölunfall in Spreitenbach - 30 000 Franken Schaden" einen Artikel, in welchem er sich mit diesem Vorkommnis befasste. Der Artikel liess zwar die Schuldfrage am Unfall offen, brachte aber die Vermutung zum Ausdruck, die Überfüllsicherung der Tankanlage habe nicht richtig funktioniert. Sodann wurde der Unfall aus der Sicht der Heizölfirma sowie der Tankwagenfahrer kommentiert. Dabei war von "unglaublichen", ja von "himmeltraurigen" Öltankanlagen in der Region Baden die Rede.
C.- Mario della Valle fühlte sich durch diesen Artikel in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt und reichte, nachdem Vergleichsverhandlungen nicht zu einem Erfolg geführt hatten, am 16. Februar 1971 beim Bezirksgericht Baden gegen Kurt Siegenthaler Klage ein mit folgenden Begehren:
"1. Es sei richterlich festzustellen, dass der Kläger durch den beklagtischen Artikel "Ölunfall in Spreitenbach ..." im Badener Tagblatt vom 24. Dezember 1970 in seiner Persönlichkeit verletzt ist.
2. Der Beklagte sei richterlich zu verpflichten, die tatsachenwidrigen und tendenziösen Behauptungen im.Badener Tagblatt zu berichtigen.
3. Der Beklagte sei richterlich zu verpflichten, dem Kläger für die Verletzung in den persönlichen Verhältnissen unter Vorbehalt des richterlichen Ermessens Fr. 5000.-- zu bezahlen, welcher Betrag vom Kläger an das Schweiz. Rote Kreuz weitergeleitet wird.
4. Dem Beklagten sei unter Strafandrohung für den Widerhandlungsfall richterlich zu verbieten, den Kläger weiterhin durch unzutreffende und tendenziöse Berichte im Badener Tagblatt in den persönlichen Verhältnissen zu verletzen."
Das Bezirksgericht bejahte mehrheitlich, dass der Kläger durch den Artikel des Beklagten in seinen persönlichen Verhältnissen verletzt worden sei. Es schützte die beiden ersten auf Feststellung und Berichtigung gerichteten Klagebegehren, wies jedoch die übrigen Begehren (Genugtuungs- und Unterlassungsklage) ab.
Der Beklagte reichte gegen diesen Entscheid Appellation ein und beantragte die vollumfängliche Abweisung der Klage. Mit Urteil vom 21. Dezember 1973 wies das Obergericht des Kantons Aargau die Appellation ab und bestätigte den erstinstanzlichen Entscheid. Eine Minderheit des Gerichtes hätte die Appellation gutheissen wollen.
D.- Der Beklagte hat gegen das obergerichtliche Urteil Berufung an das Bundesgericht eingereicht, mit welcher er an seinem Antrag auf vollumfängliche Abweisung der Klage festhält.
Der Kläger beantragt die Abweisung der Berufung.
Das Bundesgericht weist die Berufung ab, präzisiert jedoch das Urteilsdispositiv.
 
Aus den Erwägungen:
Der Schutz der Ehre durch das Zivilrecht reicht jedoch weiter als der strafrechtliche Schutz dieses Rechtsguts, der nur die Geltung eines Menschen als sittliche Person gewährleistet (MERZ, SJZ 1971 S. 68). Der zivilrechtlich geschützte Bereich der Ehre hängt, abgesehen von dem jedem Menschen zukommenden Mindestmass von Menschenwürde, weitgehend von der sozialen Stellung und der Umgebung der betroffenen Person ab (MERZ, a.a.O. S. 67; GROSSEN, Schweiz. Privatrecht, Band II, S. 365). Ob eine Äusserung geeignet ist, das Ansehen einer Person zu mindern, ist sodann nach einem allgemeinen Massstab, und zwar vom Standpunkt des Durchschnittsbürgers aus, zu beurteilen.
Im vorliegenden Fall fällt in Betracht, dass der Kläger Architekt ist und als solcher die Verantwortung für den Unterhalt der von ihm verwalteten Liegenschaft trägt. Der Durchschnittsleser einer verbreiteten Tageszeitung neigt dazu, einen die Verwaltung einer Liegenschaft besorgenden Architekten nicht leichthin von der Verantwortung zu entbinden, wenn sich die Tankanlagen dieser Liegenschaft in einem schlechten oder gar "himmeltraurigen" Zustand befinden. In der Vermutung, die Tankanlagen wiesen Mängel auf, ist daher der Vorwurf eines nachlässigen Verhaltens eingeschlossen. Das muss umso eher angenommen werden, je schlechter angeblich der Zustand dieser Anlagen ist. Nun hat aber der Beklagte das Ungenügen vieler Tankanlagen mit ungewöhnlich scharfen Worten gegeisselt und damit beim Leser den - möglicherweise berechtigten - Eindruck hervorgerufen, es werde auf diesem Gebiet stark gesündigt, mit andern Worten, viele Liegenschaftenbesitzer würden ihrer Verantwortung für die. Verhinderung von Ölunfällen nicht gerecht. Der Artikel liess allermindestens offen, ob nicht auch der Kläger zu diesen ihrer. Verantwortung für den Schutz der Umwelt nicht genügend nachkommenden Personen zu rechnen sei. Darin liegt eine Verletzung in den persönlichen Verhältnissen, wenn nicht unverzüglich eine Richtigstellung erfolgt, nachdem sich die Unbegründetheit des Vorwurfes ergeben hat. Die Vorinstanz hat deshalb nicht Bundesrecht verletzt, wenn sie den vom Beklagten verfassten Artikel als geeignet erachtete, das Ansehen des Klägers beim Durchschnittsleser herabzusetzen.
Was die Art der Berichtigung anbetrifft, hat sich die erste Instanz in Ziff. 2 ihres Urteilsdispositivs damit begnügt, den Beklagten zu verpflichten, "seine damals gemachten tatsachenwidrigen und tendenziösen Übertreibungen im Badener Tagblatt in angemessener Form zu berichtigen". Das Obergericht hat das erstinstanzliche Urteil auch in diesem Punkt bestätigt. Mangels jeder Verdeutlichung der Berichtigungsart ist die Richtigstellungspflicht des Beklagten jedoch nur ungenügend bestimmt. Sie ist in dieser Form nicht vollstreckbar, denn es kann nicht dem Vollstreckungsrichter überlassen bleiben, darüber zu befinden, ob eine Berichtigung als angemessen im Sinne des Urteils zu betrachten sei. Eine Verdeutlichung der Berichtigungsverpflichtung von Amtes wegen erscheint daher als geboten, um deren Vollstreckung zu gewährleisten, ohne dass im Vollstreckungsverfahren Fragen materieller Art zu entscheiden sind (vgl. in diesem Sinne bezüglich der richterlichen Festlegung von Unterlassungspflichten BGE 97 II 93 /94). Diese Verdeutlichung des Urteilsdispositivs kann das Bundesgericht selbst vornehmen; eine Rückweisung der Sache an die Vorinstanz ist dazu nicht erforderlich. Es genügt die Anordung, der Beklagte habe die von ihm ausgesprochene Vermutung, der betreffende Ölunfall sei auf einen Mangel der Tankanlage zurückzuführen, als unzutreffend zurückzunehmen und gleichzeitig zum Ausdruck zu bringen, dass die in seinem Artikel enthaltenen Worte "so himmeltraurige Anlagen" und "unglaubliche Anlagen" auf die in Frage stehende Tankanlage in keiner Weise zutreffen. Die Berichtigung ist ferner als solche zu bezeichnen und an gleicher Stelle und in möglichst gleicher Aufmachung wie der beanstandete Artikel im Textteil der Zeitung "Badener Tagblatt" zu veröffentlichen.
Diese Präzisierung bedeutet ebensowenig eine teilweise Gutheissung der Berufung wie in BGE 97 II 93 /94; der Beklagte hat auch im vorliegenden Fall nie geltend gemacht, das entsprechende Klagebegehren und das dieses gutheissende Urteilsdispositiv seien zu weit gefasst. Die kantonalen Instanzen hätten die nachzuholende Verdeutlichung von sich aus vornehmen müssen, um die Vollstreckung des Urteils zu ermöglichen.