36. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 22. Mai 1975 i.S. G. gegen L.
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Regeste
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Altrechtliche Adoption; Anfechtung wegen Willensmängeln (Art. 269 ZGB).
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Sachverhalt
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A.- Die im Jahre 1894 geborene, in der Schweiz heimatberechtigte und im Fürstentum Liechtenstein wohnhafte Frau G. nahm durch einen am 22. April 1965 in der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossenen Adoptionsvertrag die im Jahre 1933 geborene deutsche Staatsangehörige Frau L. mit Zustimmung deren Ehemannes an Kindes statt an. In der Adoptionsurkunde wurde unter anderem bestimmt, dass "in Übereinstimmung mit Art. 465 des Schweizerischen ZGB" die zwei in den Jahren 1959 und 1962 geborenen und eventuelle spätere Kinder der Adoptierten "in das gesetzliche Erbrecht der Frau L. nach deren Tod" eintreten. Abweichungen vom gesetzlichen Erbrecht im Sinne des damals geltenden Art. 268 Abs. 3 ZGB wurden nicht vereinbart. Das Fürstlich-Liechtensteinische Landgericht Vaduz bewilligte am 17. November 1965 den Adoptionsvertrag. Die Genehmigung wuchs am 28. Dezember 1965 in Rechtskraft.
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B.- Am 12. November 1970 reichte Frau G. beim Bezirksgericht A. gegen ihre Adoptivtochter eine Klage ein mit den Begehren, es sei festzustellen, dass die Adoption der Frau L. wegen Fehlens der Genehmigung durch die hiezu zuständige Behörde, eventuell wegen Fehlens der nach Art. 267 ZGB erforderlichen materiellen Prüfung durch die Genehmigungsbehörde nicht zustande gekommen sei; eventuell sei die Adoption wegen wesentlichen Irrtums als ungültig zu erklären; subeventuell sei sie aus wichtigen Gründen gemäss Art. 269 Abs. 2 ZGB in Verbindung mit Art. 477 Ziff. 2 ZGB aufzuheben. In der Replikschrift vom 2. Februar 1972 ergänzte die Klägerin die Klage, indem sie die Adoption nicht nur wegen Irrtums, sondern auch wegen Täuschung anfocht. Das Bezirksgericht wies die Klage am 29. März 1973 ab.
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Die Klägerin zog das Urteil des Bezirksgerichts an das kantonale Obergericht weiter, wobei sie das Begehren um Feststellung des Nichtzustandekommens der Adoption fallen liess. Das Obergericht wies die Appellation am 3. Dezember 1974 ab.
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C.- Gegen das Urteil des Obergerichts erhebt die Klägerin Berufung an das Bundesgericht mit den Anträgen, die Adoption sei wegen Täuschung oder wesentlichen Irrtums als ungültig zu erklären oder eventuell aus wichtigen Gründen gemäss Art. 269 Abs. 2 ZGB in Verbindung mit Art. 477 Ziff. 2 ZGB aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt die Abweisung der Berufung.
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Das Bundesgericht heisst die Berufung gut, hebt den angefochtenen Entscheid auf und weist die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück.
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Aus den Erwägungen:
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Im vorliegenden Fall erfolgte die Adoption im Jahre 1965. Dass die Parteien ihr Verhältnis durch gemeinsames Begehren dem neuen Recht unterstellt hätten, wird nicht behauptet. Das Adoptionsverhältnis ist somit nach altem Recht zu beurteilen.
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b) Nach dem Wortlaut des früheren Art. 269 ZGB, welcher die Aufhebung der Adoption regelte, kann der Annehmende die Adoption nur anfechten, wenn er gegenüber dem Adoptivkind einen Enterbungsgrund hat, worunter lediglich die Enterbungsgründe des Art. 477 ZGB, nicht auch derjenige des Art. 480 ZGB zu verstehen sind (HEGNAUER, N. 14 zu Art. 269 ZGB). In der Lehre wird die Meinung vertreten, dass die Adoption darüber hinaus auch angefochten werden könne, wenn die Adoptionsvereinbarung an einem Willensmangel leide (HEGNAUER, N. 5 zu Art. 269 ZGB mit Hinweisen). Dieser Auffassung ist beizupflichten. Das Bundesgericht hat auch die Anfechtung anderer familienrechtlicher Rechtsgeschäfte wegen Willensmängeln als zulässig erklärt, obschon eine solche vom Gesetzgeber ebenfalls nicht ausdrücklich vorgesehen wurde (vgl. dazu BGE 40 II 299 bezüglich der Ehelicherklärung, BGE 53 II 95 f. und BGE 49 II 156 ff. bezüglich der Vaterschaftsanerkennung sowie BGE 70 II 195 ff. bezüglich des Alimentationsvertrages).
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Über die Fristen, innert denen eine Klage auf Anfechtung der Adoption anzuheben ist, schwieg sich das frühere Recht aus; auch das Bundesgericht hat bisher zu dieser Frage nie Stellung bezogen. Es ist deshalb zu prüfen, ob unter dem bis 1. April 1973 geltenden Recht die Klage auf Anfechtung einer Adoption innert einer Frist angehoben werden musste und gegebenenfalls innert welcher Frist dies zu geschehen hatte.
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Damit nimmt die Klägerin den Standpunkt ein, dass für die Anfechtung einer Adoption wegen Willensmängeln eine relative Verwirkungsfrist von einem Jahr und eine absolute Verwirkungsfrist von mindestens zehn Jahren gelten müsse.
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b) Demgegenüber vertritt die Vorinstanz die Ansicht, dass für derartige Klagen in analoger Anwendung von Art. 127 ZGB eine relative Verwirkungsfrist von sechs Monaten und eine absolute Verwirkungsfrist von fünf Jahren gelte. Zur Begründung seiner Ansicht machte das Obergericht folgende Ausführungen: Im Gegensatz zu den schuldrechtlichen Verträgen bestehe sowohl bei der Ehe wie bei der Adoption ein öffentliches Interesse an der Aufrechterhaltung des geschaffenen familienrechtlichen Verhältnisses. Die Vorschriften des OR dürften auf familienrechtliche Verhältnisse nur angewendet werden, wenn dies der besondern Natur des Rechtsgeschäftes entspreche. Wenn dies nicht der Fall sei und eine Anwendung des OR somit nicht in Betracht komme, habe der Richter gemäss den Grundsätzen des Art. 1 Abs. 2 ZGB nach den Regeln zu entscheiden, die er selbst als Gesetzgeber aufstellen würde. Eine relative Anfechtungsfrist von einem Jahr sei bei keiner der gesetzlichen Anfechtungsklagen des Familienrechts vorgesehen. Bei der Anfechtung der Ehelichkeit eines Kindes und der Anerkennung des ausserehelichen Kindes betrage die Frist drei Monate (Art. 253, 257, 262 und 306 ZGB), bei der Anfechtung der Ehe sechs Monate (Art. 127 ZGB). Eine absolute Verwirkungsfrist kenne das Gesetz nur bei der Ehe, nicht auch bei den übrigen ausdrücklich wegen Willensmängeln anfechtbaren, den familiären Status betreffenden Rechtsgeschäften; die Anfechtung der Ehe sei gemäss Art. 127 ZGB in jedem Fall mit Ablauf von fünf Jahren seit der Eheschliessung verjährt. Es erscheine sinnvoll, diese für die Ehe geltende Regelung auch bei der Anfechtung der Adoption anzuwenden, da die Ehe von den als Modell für die Bestimmung der Anfechtungsfrist in Frage kommenden Rechtsverhältnissen in ihrer rechtlichen Struktur die grösste Ähnlichkeit mit der Adoption aufweise. Mit der Ehe habe die Adoption gemeinsam, dass sie grundsätzlich (im Unterschied zum ehelichen und ausserehelichen Kindesverhältnis) auflösbar sei.
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c) Gemäss Art. 7 ZGB finden die allgemeinen Bestimmungen des OR über die Entstehung, Erfüllung und Aufhebung der Verträge auch Anwendung auf andere zivilrechtliche Verhältnisse. Dass gestützt auf diese Bestimmung die Vorschriften des OR über die Willensmängel grundsätzlich auch auf den Adoptionsvertrag Anwendung finden, wird von keiner Seite bestritten. Dabei handelt es sich aber nur um eine entsprechende, die besondern Verhältnisse des streitigen Rechtsgeschäfts berücksichtigende Anwendung (FRIEDRICH, N. 50 zu Art. 7 ZGB). Demgemäss ist der Adoptionsvertrag bei Vorliegen eines Willensmangels nicht einseitig unverbindlich und kann er vom Betroffenen nicht durch eine einfache Erklärung ausser Kraft gesetzt werden. Vielmehr ergibt sich aus der besondern Natur dieses Rechtsverhältnisses, dass es trotz des Willensmangels bis auf weiteres gültig ist und nur auf Klage hin vom Richter ungültig erklärt werden kann (vgl. DESCHENAUX, Schweizerisches Privatrecht, Bd. II S. 62). Wie das Bundesgericht bereits im Zusammenhang mit der Anfechtung der Anerkennung des ausserehelichen Kindes durch den Anerkennenden festgestellt hat, rechtfertigt sich im übrigen eine Abweichung von den Art. 23 ff. OR nur, wenn sie sich gebieterisch aufdrängt. Diese Bemerkung bezieht sich auch auf die Frist, innert welcher der Willensmangel geltend zu machen ist (BGE 79 II 28 /29).
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Die Gründe, welche die Vorinstanz für ein Abweichen von Art. 31 OR und der darin statuierten relativen Verwirkungsfrist von einem Jahr anführt, vermögen nicht zu überzeugen. Das Vorliegen einer Gesetzeslücke muss verneint werden, nachdem Art. 7 ZGB die Vorschriften des OR als anwendbar erklärt. Wenn die Art. 23-30 OR auf den Adoptionsvertrag Anwendung finden sollen, was auch von der Beklagten nicht bestritten wird, ist nicht einzusehen, weshalb dies nicht auch für Art. 31 OR der Fall sein soll. Die Anerkennung einer absoluten Verwirkungsfrist von fünf Jahren wäre nur dann möglich, wenn sich im ZGB allgemein der Gedanke durchgesetzt hätte, dass familienrechtliche Rechtsgeschäfte nur innerhalb dieser Frist angefochten werden könnten. Dies müsste sich aus dem Gesetz deutlich ergeben, was keineswegs der Fall ist. Die einzige absolute Verwirkungsfrist, die im Familienrecht enthalten ist, findet sich in Art. 127 ZGB. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz lässt sich diese Frist für die Anfechtung der Ehe nicht auf den Adoptionsvertrag übertragen, weil es sich dabei um zwei ganz verschiedene Rechtsinstitute handelt. Die Ehe ist mit Rücksicht auf die öffentliche Ordnung gemäss Art. 124 ff. ZGB nur in beschränktem Umfange wegen Willensmängeln anfechtbar. Nach Ablauf der absoluten Frist von fünf Jahren kann sie aber immer noch aufgelöst werden, wenn ein Scheidungsgrund vorliegt. Die altrechtliche Adoption kann mit beidseitiger Zustimmung jederzeit aufgehoben werden. Sie steht daher einem schuldrechtlichen Vertrag viel näher als die Ehe, weshalb sich auch die Anwendung der obligationenrechtlichen Bestimmungen über die Willensmängel auf den Adoptionsvertrag rechtfertigt. Auf jeden Fall kann nicht gesagt werden, dass sich ein Abweichen von Art. 31 OR gebieterisch aufdränge.
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Viel näher als mit der Ehe ist der Adoptionsvertrag mit der Anerkennung des ausserehelichen Kindes verwandt. Auf die Anfechtung der Anerkennung durch den Anerkennenden hat das Bundesgericht ausdrücklich die Frist von Art. 31 OR als anwendbar erklärt (BGE 79 II 29). Die Anwendung der Art. 23-31 OR auf den Adoptionsvertrag bietet auch den Vorteil, dass das Rechtssystem als geschlossen erscheint, eine Lückenfüllung nicht nötig und die Rechtslage leicht und sicher erkennbar ist. Damit erübrigt sich aber auch eine Anknüpfung an das eheliche Kindesverhältnis, die mit dem Hinweis, durch die Adoption werde ein diesem ähnliches Verhältnis geschaffen, begründet werden könnte. Die Anfechtung der Ehelichkeit eines Kindes ist innert drei Monaten seit Kenntnis des Anfechtungsgrundes zulässig (Art. 253, 257 und 262 ZGB). Dem Umstand, dass nach dem heute geltenden Rechtszustand (Art. 269b rev. ZGB) die Klage auf Anfechtung der Adoption binnen sechs Monaten seit Entdeckung des Anfechtungsgrundes und auf jeden Fall binnen zwei Jahren seit der Adoption anzuheben ist, kommt für die hier zu beantwortende Frage keine entscheidende Bedeutung zu, weil die altrechtliche Adoption rechtlich anders strukturiert war als die neurechtliche. Die altrechtliche Adoption ist mit beidseitiger Zustimmung jederzeit auflösbar, während die neurechtliche grundsätzlich unauflösbar sein soll. Damit wurde dem Willen der Beteiligten früher ein viel grösserer Spielraum gewährt.
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Gemäss dem hier anwendbaren Art. 31 OR hat die durch Irrtum, Täuschung oder Furcht beeinflusste Vertragspartei binnen Jahresfrist dem andern Teil zu eröffnen, dass sie den Vertrag nicht halte oder eine schon erfolgte Leistung zurückfordere, ansonst der Vertrag als genehmigt gilt. Die Frist beginnt in den Fällen des Irrtums und der Täuschung mit der Entdeckung des Willensmangels zu laufen. Art. 31 OR enthält damit nur eine relative Verwirkungsfrist von einem Jahr und nicht auch eine absolute Verwirkungsfrist von zehn Jahren, auf die sich die Klägerin beruft. Sie führte hiezu aus, nach schweizerischem Recht müsse die Anfechtung des Adoptionsvertrages wegen Willensmängeln bis zum Ablauf der auf zehn Jahre bemessenen ordentlichen Verjährungsfrist möglich sein. Da Art. 31 OR keine subsidiäre Frist von zehn Jahren vorsehe, müsse eine Adoption sogar noch angefochten werden können, wenn der Irrtum oder die Täuschung nach mehr als zehn Jahren entdeckt werde.
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In der Lehre wurde zum Teil angenommen, dass der Anfechtungsanspruch wegen Willensmängeln entsprechend der im OR geltenden Verjährungsfrist nach Ablauf von zehn Jahren seit Vertragsabschluss verwirkt sei. Diese Ansicht vertraten ENGEL, Traité des Obligations en Droit Suisse, S. 233, MEIER-HAYOZ, Das Vertrauensprinzip beim Vertragsabschluss, Diss. Zürich 1948, S. 189, und VON TUHR, Über die Mängel des Vertragsabschlusses nach schweizerischem Obligationenrecht, ZSR 1898 S. 62. Anderer Meinung sind GUHL/MERZ/KUMMER, Das schweizerische Obligationenrecht, S. 141, VON TUHR/SIEGWART, Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, 1. Halbband S. 295 Anm. 22, und OGUZMAN, L'annulation d'un contrat à cause de dol est-elle limitée par un délai maximum? SJZ 59 (1963) S. 265 ff., insbes. S. 269. Diese Autoren nehmen an, dass eine vom Vertragsschluss an laufende Maximaldauer der Anfechtungsfrist gesetzlich nicht vorgesehen sei, so dass bei später Aufdeckung des Willensmangels dieser auch noch nach Jahrzehnten geltend gemacht werden könne. Im vorliegenden Fall braucht diese Frage nicht entschieden zu werden, weil die von der Klägerin in der Replikschrift vom 2. Februar 1972 behaupteten Willensmängel noch innerhalb von zehn Jahren seit Abschluss des Adoptionsvertrages geltend gemacht worden sind.
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