BGE 103 II 88 |
14. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 24. Februar 1977 i.S. B. gegen B. |
Regeste |
Erbteilung; Herabsetzung. |
2. Die Herabsetzungseinrede kann auch im Teilungsprozess geltend gemacht werden, und zwar unabhängig davon, wer als Kläger und wer als Beklagter auftritt (E. 3c). |
3. Hat der Erblasser bruchteilmässig über den Nachlass verfügt, nehmen die Erben im Verhältnis ihrer Erbquoten an der zwischen Todestag und Teilungstag eingetretenen Wertveränderung der Nachlassgegenstände teil (E. 4). |
Sachverhalt |
"1. Meiner lieben Frau wende ich soviel von meinem Vermögen zu, als es das Gesetz gestattet.
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2. Meine Frau soll meine Liegenschaft Feldstrasse 16 in L. zum amtlichen Werte übernehmen können. Will sie von diesem Recht keinen Gebrauch machen, so soll ihr an der ganzen Liegenschaft für solange ein Wohnrecht zustehen, als sie sich im Witwenstande befindet.
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3. Mein Sohn Marcel hat sich von seinen Studienkosten Fr. 10'000. - als Vorempfang anrechnen zu lassen."
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Dieses Testament wurde nie gerichtlich angefochten. Am 2. September 1960 wurde über den Nachlass des Erblassers ein Inventar aufgenommen. Am 9. Oktober 1960 vereinbarten die Erben, das Nachlassvermögen bis auf weiteres unverteilt zu lassen; der Sohn des Erblassers erklärte sich zudem damit einverstanden, seiner Mutter das Nutzungs- und Verfügungsrecht über das Nachlassvermögen zu überlassen. Im Grundbuch wurde die Erbengemeinschaft als Eigentümerin des zum Nachlass gehörenden Wohnhauses eingetragen; zugunsten der überlebenden Ehefrau wurde gleichzeitig ein Wohnrecht begründet.
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Der Appellationshof gelangte in seinem Urteil vom 9. August 1976 zur Auffassung, die von den Parteien abgeschlossene Vereinbarung, den Nachlass bis auf weiteres unverteilt zu lassen, stehe dem Anspruch des Klägers auf Durchführung der Erbteilung nach so langer Zeit nicht mehr entgegen. Der Gerichtshof stellte ferner fest, die überlebende Ehefrau habe das ihr gemäss Art. 462 Abs. 1 ZGB zustehende Wahlrecht zwischen der hälftigen Nutzniessung am Nachlass und dem Eigentumsviertel vor dem Prozess noch nicht ausgeübt gehabt. Erst im Laufe des Verfahrens habe sie sich für den Eigentumsviertel entschieden. Auf den Zeitpunkt des Todes des Erblassers wurde sodann ein für die Bestimmung des verfügbaren Teils massgebendes Nachlassvermögen von Fr. 114'351.16 errechnet. Davon ausgehend wurde eine disponible Quote von Fr. 21'440.84 (3/16 von Fr. 114'351.16) ermittelt. Zur Bestimmung des teilbaren Nachlassvermögens liess das Gericht den heutigen Verkehrswert der Nachlassliegenschaft durch die zuständige Gültschatzungskommission feststellen. Diese schätzte die Liegenschaft auf Fr. 351'800.--, währenddem der Verkehrswert im Zeitpunkt des Todes des Erblassers noch Fr. 131'800.-- betragen hatte. Nach Abzug der Passiven gemäss Nachlassinventar ergab sich eine zu teilende Erbmasse von Fr. 322'551.17.
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Den Erbanspruch der Beklagten ermittelte der Appellationshof in der Weise, dass er den zu teilenden Nachlass durch vier dividierte und zu diesem Viertelanteil die verfügbare Quote, berechnet nach dem Wert des hinterlassenen Vermögens im Zeitpunkt des Todes des Erblassers, hinzuzählte (Fr. 80'637.79 + Fr. 21'440.84). Diese Berechnung ergab einen Erbanteil der Beklagten in der Höhe von Fr. 102'078.63 und - durch Subtraktion dieses Betrages vom zu teilenden Vermögen - einen solchen des Klägers von Fr. 220'472.54. Auf dieser Grundlage wurde folgender Urteilsspruch gefällt:
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"1. Es wird festgestellt, dass der zu teilende Nachlass des Marcel Léon B. sel. Fr. 322'551.17 beträgt.
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2. Davon entfallen auf den Kläger Fr. 220'472.54 und auf die Beklagte Fr. 102'078.63.
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a) Barschaft und Wertschriften Fr. 61'224.42
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b) Vorempfang Fr. 10'000.--
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c) Guthaben Fr. 2'308.85
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d) Forderung gegenüber der Beklagten Fr. 146'939.27
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Total Fr. 220'472.54
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4. Der Erbteil der Beklagten besteht aus der Liegenschaft in L., Gdbl. Nr. 2715, Plan 35 (Feldstr. 16) mit den darauf lastenden Aufhaftungen und dem Hausrat."
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C.- Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung an das Bundesgericht erhoben. Sie beantragt, es sei ihr das Recht zuzuerkennen, sämtliche Aktiven und Passiven des Nachlasses des Erblassers zu übernehmen, wogegen sie zu verpflichten sei, dem Kläger den Betrag von Fr. 45'997.55 auszubezahlen.
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Der Kläger stellt in der Berufungsantwort den Antrag auf Abweisung der Berufung.
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Das Bundesgericht heisst die Berufung teilweise gut und beziffert die Forderung des Klägers gegenüber der Beklagten auf Fr. 107'901.76.
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Aus den Erwägungen: |
Die Beklagte macht demgegenüber geltend, der Erblasser habe sie in Ziffer 2 seines Testamentes über den Pflichtteil des Klägers hinaus begünstigen wollen; in der Möglichkeit zur Übernahme der Liegenschaft zum amtlichen Wert sei ein den Pflichtteil verletzendes Vorausvermächtnis zu erblicken; der Kläger habe das Recht, die Herabsetzung dieser Pflichtteilsverletzung zu verlangen, endgültig verwirkt, so dass in der Erbteilung auf den Pflichtteil des Klägers keine Rücksicht zu nehmen sei.
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a) Die Auslegung eines Testamentes durch den kantonalen Richter kann vom Bundesgericht frei überprüft werden, da es sich dabei um Fragen der Rechtsanwendung handelt. Gebunden ist das Bundesgericht lediglich an tatsächliche Feststellungen über den wirklichen Willen des Erblassers. Ausserhalb der Testamentsurkunde liegende Beweise darüber, was der Erblasser mit einer bestimmten Anordnung gewollt hat, dürfen indessen nur insoweit zur Auslegung herangezogen werden, als der Wortlaut des Testamentes nicht aus sich selber heraus verstanden werden kann (BGE 100 II 446 E. 6 mit Zitaten). Dies trifft für die hier streitige Frage, welche Tragweite dem Recht der Beklagten auf Übernahme der Liegenschaft beizumessen ist, nicht zu. Die Vorinstanz hat daher mit Recht auf dem Wege der Auslegung der letztwilligen Verfügung zu ermitteln versucht, welches der Wille des Erblassers war. Es ist im folgenden zu prüfen, ob dieser Auslegung gefolgt werden kann.
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b) Die Vorinstanz ist an sich zutreffend von der gesetzlichen Regel ausgegangen, dass die Zuweisung einer Erbschaftssache an einen Erben im Zweifel als blosse Teilungsvorschrift und nicht als Vermächtnis zu verstehen ist (Art. 608 Abs. 3 und 522 Abs. 2 ZGB). Hätte der Erblasser im Testament nichts über den Anrechnungs- oder Übernahmewert der Liegenschaft gesagt, so wäre auf Grund dieser gesetzlichen Vermutung ohne weiteres eine reine Teilungsvorschrift anzunehmen, welche den in Ziffer 1 des Testamentes vorbehaltenen Pflichtteil des Klägers unangetastet lässt.
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Nun hat jedoch der Erblasser ausdrücklich verfügt, die Beklagte solle die betreffende Liegenschaft zum amtlichen Wert übernehmen können. Bei diesem (im Kanton Bern feststehenden und jederzeit feststellbaren) Wert handelt es sich, wie der vorliegende Fall zeigt, um eine Grösse, die mit dem Verkehrswert in keiner Weise übereinzustimmen braucht. Andernfalls hätte es gar keinen Sinn gehabt, im Testament auf den amtlichen Wert zu verweisen. Es muss daher angenommen werden, der Erblasser habe der Beklagten das Recht zur Übernahme der Liegenschaft zum amtlichen Wert auch für den Fall einräumen wollen, dass dieser Wert niedriger sei als der Verkehrswert. Dann ist aber mindestens in der Differenz zwischen dem amtlichen Wert und dem höheren Verkehrswert ein Vermächtnis zu erblicken, auch wenn die Zuweisung der Sache selbst als blosse Teilungsvorschrift verstanden werden will, was durchaus möglich bleibt (BGE 101 II 38; 100 II 444 E. 5b). Der Vorinstanz kann somit nicht gefolgt werden, wenn sie die Ziffer 2 des Testaments auch insoweit als Teilungsvorschrift auffassen zu können glaubt, als darin der Übernahme- oder Anrechnungswert der Liegenschaft in einer Weise festgesetzt wird, die nicht mit dem Verkehrswert übereinstimmt. Aus dem Wortlaut von Ziffer 1 des Testaments lässt sich entgegen der Auffassung der Vorinstanz und des Klägers nichts anderes ableiten. In der vom Erblasser gewollten Festsetzung eines für die Beklagte günstigen Anrechnungswertes ist vielmehr eine Verletzung des Pflichtteils des Klägers zu erblicken, nachdem der Erblasser die verfügbare Quote bereits durch Ziffer 1 des Testamentes erschöpft hat.
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c) Gelangt man zu diesem vom angefochtenen Urteil abweichenden Auslegungsergebnis, stellt sich die von der Vorinstanz nicht näher geprüfte Frage, ob dem Kläger in bezug auf das seinen Pflichtteil verletzende Vermächtnis ein Anspruch auf Herabsetzung zustehe oder ob dieser Anspruch heute endgültig verwirkt sei, wie die Beklagte annimmt. Zwar ist eine Herabsetzungsklage innert der gesetzlichen Frist des Art. 533 Abs. 1 ZGB unbestrittenermassen nicht angehoben worden. Hingegen fragt es sich, ob der Kläger den Herabsetzungsanspruch im Rahmen des vorliegenden Prozesses gestützt auf Art. 533 Abs. 3 ZGB einredeweise geltend machen kann.
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Diese Frage ist auf Grund der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu bejahen. Die nicht verwirkbare Herabsetzungseinrede kann vom pflichtteilsgeschützten Erben auch im Teilungsprozess geltend gemacht werden, und zwar unabhängig davon, wer als Kläger und wer als Beklagter auftritt (BGE 98 II 181 E. 10, 86 II 462 f., BGE 58 II 404 ff.). Die einredeweise Geltendmachung des Herabsetzungsanspruches besteht in einem Fall wie dem vorliegenden darin, dass der sich in seinem Pflichtteilsrecht verletzt fühlende Erbe als Gesamteigentümer und Mitbesitzer des Nachlassvermögens gegen die Überführung der vermachten Sache in das Alleineigentum des Begünstigten Widerspruch erhebt (vgl. auch MÜLLER-HELLBACH, Die Verjährung der erbrechtlichen Klagen, Zürcher Diss. 1975, S. 107 ff.). Im angefochtenen Urteil wird ausdrücklich festgehalten, dass der Kläger die Einrede der Herabsetzung erhoben hat. Dass er dies nicht in der Klageschrift, sondern erst im späteren Verlauf des Prozesses tat, kann ihm nicht schaden. Anlass zur Erhebung der Herabsetzungseinrede hatte der Kläger erst, nachdem feststand, dass die Beklagte von dem ihr in Ziffer 2 des Testaments eingeräumten Recht, die Liegenschaft zum amtlichen Wert zu übernehmen, Gebrauch machen wollte. Die Geltendmachung des Herabsetzungsanspruches ist somit entgegen der Auffassung der Beklagten nicht als verspätet zu betrachten.
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Die Vorinstanz ist - allerdings auf einem ganz anderen Weg - zum gleichen Schluss gelangt, indem sie das Testament in einem Sinn auslegte, der eine Pflichtteilsverletzung zum vornherein ausschloss. Mit der Berufung wird für diesen Fall geltend gemacht, die Ansprüche der Parteien seien falsch berechnet worden; es sei nicht anhängig, dass die verfügbare Quote auf den Zeitpunkt des Todes des Erblassers hin berechnet werde und von der späteren Zunahme des Wertes der Hinterlassenschaft unberührt bleibe.
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Es stellt sich in der Tat die Frage, wie die grosse Wertsteigerung der zum Nachlass gehörenden Liegenschaft in der Zeit zwischen dem Tode des Erblassers und der Erbteilung rechtlich zu behandeln sei. Die Vorinstanz hat die verfügbare Quote gestützt auf Art. 474 Abs. 1 ZGB auf Grund des Nachlasswertes zur Zeit des Todes auf Fr. 21'440.84 berechnet und sie von der späteren Wertsteigerung der Nachlassliegenschaft ausgeschlossen. Den Mehrwert der Liegenschaft zur Zeit der Erbteilung liess sie den Parteien im Verhältnis ihrer gesetzlichen Erbteile zukommen. Die Beklagte würde nach dieser Berechnung nur zu einem Viertel an der Wertsteigerung der Liegenschaft teilhaben, hätte diese jedoch zum heutigen Verkehrswert zu übernehmen.
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Art. 474 Abs. 1 ZGB, wonach sich der verfügbare Teil nach dem Stande des Vermögens zur Zeit des Todes des Erblassers berechnet, ist indessen auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar. Hat nämlich der Erblasser bloss bruchteilmässig über den Nachlass verfügt, was insbesondere dann zutrifft, wenn er wie hier einen Erben auf den Pflichtteil verweist, so braucht der verfügbare Teil gar nicht berechnet zu werden; vielmehr ist der Nachlass nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ohne weiteres entsprechend der den Erben zustehenden Bruchteilen zu verteilen (BGE 80 II 200 ff.). Damit nehmen die Erben im Verhältnis ihrer Erbquoten an der zwischen Todestag und Teilungstag eingetretenen Wertveränderung der Nachlassgegenstände teil.
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5. Das zu teilende Nachlassvermögen beträgt nach dem angefochtenen Urteil Fr. 322'551.17. Davon kommen nach dem Gesagten dem auf den Pflichtteil gesetzten Kläger 9/16 zu, während die Beklagte 7/16 erhält. Für den Kläger ergibt sich damit ein Erbanspruch von Fr. 181'435.03, für die Beklagte ein solcher von Fr. 141'116.14. Dementsprechend reduziert sich die dem Kläger in Ziffer 3 des Dispositivs des angefochtenen Urteils gegenüber der Beklagten zugesprochene Forderung auf Fr. 107'901.76. Dem Antrag der Beklagten, es seien ihr sämtliche Aktiven und Passiven des Nachlasses zuzuweisen und dem Kläger lediglich eine Forderung ihr gegenüber zuzusprechen, kann nicht gefolgt werden. Eine nähere Begründung für die verlangte Änderung des angefochtenen Urteils wurde nicht gegeben. Es ist auch nicht ersichtlich, inwiefern die von der Vorinstanz angeordnete Zuteilung der Nachlassaktiven und -passiven an die Parteien gegen Bundesrecht verstossen sollte. Auf der andern Seite kann der Kläger vor dem Bundesgericht nicht mehr geltend machen, die Beklagte könne die Übernahme der Liegenschaft nicht verlangen, nachdem er es unterlassen hat, das vorinstanzliche Urteil in diesem Punkte selber anzufechten.
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