BGE 104 II 6 |
2. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 23. März 1978 i.S. Dr. R. gegen Gesellschaft der Ärzte des Kantons Zürich |
Regeste |
Anfechtung eines Vereinsbeschlusses; Persönlichkeitsrecht des Vereinsmitglieds. |
Sachverhalt |
A.- § 17 des zürcherischen Gesetzes über das Gesundheitswesen vom 4. November 1962 verbietet den Ärzten in den Städten Zürich und Winterthur die Abgabe von Arzneimitteln, die sogenannte Selbstdispensation. Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich erklärte mit Entscheid vom 13. Juli 1973 dieses Verbot der Selbstdispensation als Verstoss gegen die Handels- und Gewerbefreiheit, mithin als verfassungswidrig und nichtig. Darauf erteilte die Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich verschiedenen Ärzten die Bewilligung zur Selbstdispensation, am 25. Februar 1975 auch Dr. R.
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In der Folge kam es zwischen der Gesellschaft der Ärzte des Kantons Zürich und dem Apothekerverein des Kantons Zürich zu einer Vereinbarung, in der einerseits die in den Städten Zürich und Winterthur praktizierenden Ärzte sich bereit erklärten, keine Privatapotheke zu führen, während anderseits die Vereinigungen der Apotheker der genannten Städte sich verpflichteten, für einen ausreichenden Notfall-und Nachtdienst in den beiden Städten zu sorgen und ohne ärztlichen Auftrag weder Blutdruckmessungen noch andere medizinische Untersuchungen am Patienten vorzunehmen sowie weder Blut noch andere Körperflüssigkeiten zu entnehmen und zu untersuchen (ausgenommen einfache Urinanalysen). Gemäss Ziffer 1 lit. a der Vereinbarung sind vom Verbot der Selbstdispensation ausgenommen die Ärzte, die am 1. Januar 1974 bereits eine Bewilligung zur Führung einer Privatapotheke besassen. Durch Urabstimmungsbeschluss stimmte die Gesellschaft der Ärzte des Kantons Zürich dieser Vereinbarung zu.
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B.- Dr. R. klagte beim Bezirksgericht Zürich gegen die Gesellschaft der Ärzte des Kantons Zürich auf Aufhebung des Vereinsbeschlusses. Das Bezirksgericht Zürich und das Obergericht des Kantons Zürich wiesen die Klage ab, letzteres mit Urteil vom 6. Juni 1977 und im wesentlichen mit der Begründung, eine unbefugte Verletzung der Persönlichkeitsrechte des Klägers liege nicht vor; der Beschluss der Beklagten stelle auch keine Statutenverletzung im Sinne von Art. 75 ZGB dar; Rechtsmissbrauch könne der Beklagten nicht vorgeworfen werden, und die Rückwirkung der Vereinbarung auf Ärzte, welche die Bewilligung zur Selbstdispensation nach dem 1. Januar 1974 erworben hätten, verletze weder Bundesrecht noch ein wohlerworbenes Recht des Klägers, weil dieser bei der Einrichtung einer Privatapotheke das Risiko bewusst in Kauf genommen habe, dass für Vereinsmitglieder die Selbstdispensation in Zürich künftig verboten werden könnte.
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C.- Gegen dieses Urteil erhob der Kläger Berufung ans Bundesgericht.
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Das Bundesgericht weist die Berufung ab.
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Aus den Erwägungen: |
1. Der Kläger geht vom Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 13. Juli 1973 aus, durch den das in § 17 des kantonalen Gesundheitsgesetzes verankerte Verbot der Selbstdispensation in den Städten Zürich und Winterthur als Verstoss gegen die Handels- und Gewerbefreiheit und somit als verfassungswidrig und nichtig bezeichnet worden war. Er anerkennt grundsätzlich, dass ein Privater auf ein ihm verfassungsmässig garantiertes Recht verzichten könne, hält aber dafür, dass der Verzicht einem Vereinsmitglied nicht durch Vereinsbeschluss aufgezwungen werden dürfe. Ein solcher Beschluss verletze das Persönlichkeitsrecht des Mitglieds im Sinne von Art. 27 ZGB.
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Die Schutzbestimmungen des Art. 27 ZGB sind insbesondere auch auf wirtschaftliche Betätigungen anwendbar. Wo es jedoch um die Einschränkung der Vertragsfreiheit geht, nimmt das Bundesgericht einen Verstoss gegen Art. 27 ZGB nur mit Zurückhaltung an. Eine Beschränkung der individuellen Wettbewerbsfähigkeit verstösst nur dann gegen die genannte Bestimmung, wenn sie übermässig ist. Ob das der Fall sei, beurteilt sich nach den konkreten Umständen. Grundsätzlich ist eine vertragliche oder statutarische Einschränkung der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit nur dann eine übermässige, wenn sie den Verpflichteten der Willkür eines andern ausliefert, seine wirtschaftliche Freiheit aufhebt oder in einem Masse einschränkt, dass die Grundlagen seiner wirtschaftlichen Existenz gefährdet sind (EGGER, N. 35 zu Art. 27 ZGB). In diesem Sinne hat das Bundesgericht wiederholt geurteilt. In BGE 95 II 57 /58 führte es aus, die Aufgabe oder Beschränkung der Entschlussfreiheit verstosse jedenfalls dann nicht gegen Art. 27 Abs. 2 ZGB, wenn sie die wirtschaftliche Existenz des Verpflichteten nicht gefährde; Art. 27 Abs. 2 ZGB wolle nur die persönliche Freiheit vor zu weitgehenden, den guten Sitten widersprechenden vertraglichen Eingriffen schützen, nicht aber sagen, in welchem Ausmass vertragliche Bindungen anderer Art zulässig seien. In BGE 84 II 23 wurde bemerkt, wer einen Teil seiner wirtschaftlichen Freiheit vertraglich aufgebe, verstosse nur dann gegen die guten Sitten, wenn er dadurch seine wirtschaftliche Existenz gefährde. Und in BGE 51 II 168 steht zu lesen, im heutigen Geschäftsleben kämen weitgehende persönliche und wirtschaftliche Bindungen der Bewegungsfreiheit, insbesondere auch in Verkoppelung der gegenseitigen Interessen der Kontrahenten, vor, die nicht als anstössig erschienen; es komme darauf an, ob die Bindung das zulässige Mass überschreite und ob der Verpflichtete im Freiheitsgebrauch in einem das sittliche Gefühl verletzenden Grad im Sinne von Art. 27 Abs. 2 ZGB beschränkt sei; die Beschränkung der wirtschaftlichen Persönlichkeit werde nur dann zu einer unsittlichen, wenn sie die Grundlage der wirtschaftlichen Existenz des Verpflichteten gefährde (vgl. auch BGE 102 II 218 E. 6, BGE 88 II 174, BGE 53 II 320).
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b) Was für vertragliche Bindungen zwischen Privaten gilt, muss analog auch für statutarische Geltung haben, die durch freiwilligen Beitritt zu einem Verein übernommen werden können. Im Hinblick auf die behauptete Verletzung von Art. 27 Abs. 2 ZGB ist somit im vorliegenden Fall lediglich zu prüfen, ob durch das zwischen der Beklagten und dem Apothekerverein des Kantons Zürich vertraglich vereinbarte Verbot der Selbstdispensation der Kläger in seiner Wettbewerbsfähigkeit bzw. individuellen beruflichen Tätigkeit übermässig, d.h. in solchem Ausmass beeinträchtig wird, dass er in seiner wirtschaftlichen Existenz gefährdet erscheint. Soweit die Ausführungen der Berufungsschrift über dieses Thema hinausgehen, sind sie unerheblich. Insbesondere ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung, aus welchen Gründen sich die Beklagte zum Abschluss der fraglichen Vereinbarung entschlossen hat.
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3. a) Das Verbot der Selbstdispensation hindert den Kläger an seiner eigentlichen Berufsausübung nicht, sondern untersagt ihm lediglich eine Tätigkeit, die seiner Praxis neben-oder untergeordnet ist. Ob die Medikamentenabgabe eine spezifisch ärztliche Tätigkeit sei oder nicht, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls bildet sie weder die Haupttätigkeit noch die Haupteinnahmequelle des Arztes. Zahlreiche Ärzte geben denn auch keine Medikamente direkt an Patienten ab, was beweist, dass die ärztliche Berufsausübung ohne Selbstdispensation möglich ist und häufig vorkommt. Es kann deshalb keine Rede davon sein, dass das Verbot der Selbstdispensation den Kläger in seiner wirtschaftlichen Existenz gefährden würde. Das Verbot stellt schon aus diesem Grunde keine Verletzung von Art. 27 Abs. 2 ZGB dar.
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b) Dem Kläger steht im übrigen, wenn er auf die Selbstdispensation grossen Wert legt, frei, das Verbot für ihn dadurch unwirksam werden zu lassen, dass er seine Praxis aus der Stadt Zürich in eine Vororts- oder Landgemeinde verlegt oder aus der Beklagten austritt. Weder die eine noch die andere Massnahme würden ihn in seiner wirtschaftlichen Existenz gefährden. Er legt zwar grosses Gewicht auf die Feststellung, dass ein Austritt aus der Beklagten für ihn erhebliche Nachteile nach sich ziehe. So macht er insbesondere geltend, der Verlust der Mitgliedschaft führe automatisch zum Rücktritt vom Vertrag der Beklagten mit den Krankenkassen, und wenn er als Aussenstehender ein Gesuch um Beitritt zu diesem Vertrag stelle, könne er nicht ohne weiteres mit dessen Gutheissung rechnen; überdies verliere er den FMH-Titel, und es bestehe keine Gewähr dafür, dass die Gesundheitsdirektion seinem Gesuch um Führung eines Spezialarzttitels entsprechen werde; er werde auch Schwierigkeiten beim Inkasso der Honorare erhalten und durch den Austritt in eine gewisse Isolation geraten.
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Dem Kläger mag zugestanden werden, dass ihm der Austritt aus der Beklagten gewisse Nachteile bringt. Die Vorinstanz, auf deren Ausführungen diesbezüglich verwiesen werden kann, hat indessen zutreffend dargetan, dass diese bei weitem nicht so schwer wiegen, wie der Kläger behauptet. Die schwerste Beeinträchtigung dürfte wohl der Verlust des FMH-Titels darstellen. Diesbezüglich hielt jedoch die Vorinstanz (offenbar auf Grund ihrer Ortskenntnisse) fest, dass die Bedeutung dieser drei Buchstaben bei einem ansehnlichen Teil des Publikums "kaum derart bekannt sein dürfte". Wichtiger ist in diesem Zusammenhang, dass nach den auf das kantonale Recht abgestützten Erwägungen des angefochtenen Urteils für den Kläger "eine Bewilligung der Gesundheitsdirektion zur Führung des Zusatzes "Spezialarzt" ohne weiteres erhältlich sein dürfte, da die fraglichen Voraussetzungen schon vorher offensichtlich vorhanden waren". Das Kassationsgericht des Kantons Zürich bemerkte dazu, das Obergericht sei im Rahmen seines Ermessens geblieben, wenn es den Schluss gezogen habe, dass für den Kläger die Bewilligung der Gesundheitsdirektion zur Führung des Spezialarzt-Titels "ohne weiteres erhältlich" sei. Der Vertreter des Klägers hat denn auch in seinem der ersten Instanz als Beweismittel eingereichten Exposé zur Selbstdispensation selber ausgeführt, es müsse gesagt werden, "dass die Gesundheitsdirektion den betroffenen Ärzten gestatten würde, den Titel "Spezialarzt für..." zu führen". Der Kläger kann also nach einem Austritt aus der Beklagten die Bewilligung erlangen, sich " Spezialarzt für innere Medizin" zu nennen; er muss nur auf den Zusatz "FMH" verzichten. Die von ihm behaupteten Nachteile des Austritts wiegen demnach nicht so schwer, dass der angefochtene Beschluss deswegen gegen Art. 27 Abs. 2 ZGB verstossen würde.
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Der Kläger steht heute vor der Wahl, entweder Mitglied der Beklagten zu bleiben und die Selbstdispensation aufzugeben oder die Selbstdispensation weiterzuführen und entweder aus der Beklagten auszutreten oder die Praxis zu verlegen. In dieser Wahl ist er frei (vgl. BGE 44 II 82). Bezüglich der Gestaltung seiner weiteren beruflichen Tätigkeit ist er also nicht der Willkür eines andern ausgeliefert. Wie immer sein Entscheid ausfallen mag, seine berufliche Tätigkeit wird dadurch nicht in solcher Weise übermässig beeinträchtigt, dass er in seiner beruflichen Existenz gefährdet wäre. Das zwischen der Beklagten und dem Apothekerverein des Kantons Zürich vereinbarte Verbot der Selbstdispensation in den Städten Zürich und Winterthur stellt deshalb für den Kläger keine Verletzung des Persönlichkeitsrechts im Sinne von Art. 27 ZGB dar. Die Berufung ist in diesem Punkte unbegründet.
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