55. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 28. November 1978 i.S. Consorzio Galleria San Bernardino, bestehend aus sechs Bauunternehmungen, gegen Kanton Graubünden
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Regeste
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Art. 373 Abs. 2 OR und Art. 5 Ziff. 1 der Bedingungen für den Bau von Nationalstrassen.
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2. Eine Erhöhung des Werklohnes durch den Richter setzt voraus, dass zum voraus bestimmte oder bestimmbare Preise vereinbart worden sind, ausserordentliche Umstände die Ausführung des Werkes aber übermässig erschwert haben und dies nicht einem Verhalten des Unternehmers zuzuschreiben ist (E. b).
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Aus den Erwägungen:
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Die Kläger berufen sich insbesondere auf Art. 373 Abs. 2 OR sowie auf Art. 5 Ziff. 1 der 1960 vom Bund aufgestellten Bedingungen für den Bau von Nationalstrassen (BBN), um ihre Nachforderungen zu rechtfertigen.
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Nach Art. 373 OR hat der Unternehmer das Werk zum vereinbarten Preis fertigzustellen, wenn dieser zum voraus genau bestimmt worden ist; er darf keine Erhöhung fordern, selbst wenn er mehr Arbeit oder grössere Auslagen gehabt hat, als vorgesehen war (Abs. 1). Anders verhält es sich nur, wenn die Fertigstellung des Werkes durch ausserordentliche Umstände, die nicht voraussehbar oder nach den von beiden Parteien angenommenen Voraussetzungen ausgeschlossen waren, gehindert oder übermässig erschwert wurde; diesfalls kann der Richter den vereinbarten Preis nach seinem Ermessen erhöhen oder die Auflösung des Vertrages bewilligen (Abs. 2). Art. 5 Ziff. 1 BBN sodann bestimmt: "Die Pauschal- und Einheitspreise enthalten alle Kosten für die fachmännische Ausführung des Baues, für die Fertigstellung innerhalb der vorgeschriebenen Frist und für den Unterhalt des Werkes bis zur vorläufigen Abnahme. Besondere Umstände, welche die Ausführung der Arbeiten erschweren können, sind darin berücksichtigt, so insbesondere Erschwernisse durch Ungunst der Witterung, Unterbrechung des Betriebes in den Wintermonaten, Übergang vom ein- zum mehrschichtigen Betrieb, Nachtarbeit. Vorbehalten bleiben ausserordentliche Umstände, die nicht vorausgesehen werden konnten."
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a) Art. 373 Abs. 2 OR enthält einen gesetzlich geregelten Fall der clausula rebus sic stantibus und damit eine Ausnahme vom allgemeinen Rechtssatz, dass ein Vertrag so zu halten ist, wie er abgeschlossen worden ist. Grundsätzlich hat jede Partei die Risiken zu tragen, die sich für sie aus der versprochenen Leistung ergeben; sie hat selbst bei langfristigen Verträgen mit folgenschweren Verpflichtungen keinen Anspruch darauf, dass die Erfüllung sich für sie zu einem "guten Geschäft" gestalte und der Vertrag aufgehoben oder angepasst werde, wenn die Verhältnisse sich während der Vertragsdauer zu ihrem Nachteil ändern oder nicht mehr ihren Erwartungen entsprechen.
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Dieser Grundsatz wird sinngemäss in Art. 373 Abs. 1 für den Unternehmer und in Abs. 3 auch für den Besteller wiederholt.
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Er ist aber bereits in Art. 364 Abs. 2 a OR für den Fall ausserordentlicher, unvoraussehbarer Umstände zugunsten des Unternehmers gelockert worden, wenn dieser nicht ausdrücklich auch eine solche Gefahr übernommen hat. Die geltende Regel geht noch etwas weiter, da sie von der negativen Voraussetzung der Gefahrübernahme absieht und von den Parteien übereinstimmend für ausgeschlossen gehaltene Umstände nicht voraussehbaren gleichsetzt. Solche Umstände können das Vertragsverhältnis so stören, dass die Bindung an den zum voraus festgesetzten Preis Treu und Glauben widerspricht und der richterliche Eingriff gerechtfertigt ist (BGE 59 II 377 E. 3; OSER/SCHÖNENBERGER, N. 6 zu Art. 373 OR; EGGER, Richterliche Aufhebung oder Änderung eines Werkvertrages, in Ausgewählte Schriften, Bd. 2, S. 178 ff.).
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Art. 5 Ziff. 1 BBN hat keine selbständige oder gar von Art. 373 OR abweichende Bedeutung. Die Bestimmung stellt bloss klar, welche Kosten von den Pauschal- und Einheitspreisen des Angebotes erfasst werden (Satz 1) und welche erschwerenden Umstände nach den angeführten Beispielen darin berücksichtigt sind (Satz 2); mit dem anschliessenden Vorbehalt ausserordentlicher, unvoraussehbarer Umstände (Satz 3) sodann kann nur die Regelung des Art. 373 Abs. 2 OR gemeint sein, weshalb die Rechtsfolgen solcher Umstände nach den Voraussetzungen und Gesichtspunkten des Gesetzes zu beurteilen sind.
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b) In Fällen wie dem vorliegenden setzt Art. 373 Abs. 2 OR voraus, dass zum voraus genau bestimmte oder bestimmbare Preise vereinbart worden sind, ausserordentliche Umstände die Ausführung des Werkes aber übermässig erschwert haben und dies nicht einem Verhalten des Unternehmers zuzuschreiben ist.
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Nach dem Werkvertrag verpflichtete sich das Konsortium, das Los Süd "im Umfang und zu den Pauschal- und Einheitspreisen des bereinigten Angebotes (Vertragsbeilage I) im Betrag von Fr. 36'319'445.50" auszuführen. Das Angebot enthält auf rund 240 Seiten zu zahlreichen Positionen solche Preise, auf deren Grundlage für jede Arbeitskategorie abgerechnet und der geschuldete Werklohn ermittelt werden sollte. Die vereinbarte Summe wurde weder ganz noch teilweise vom Aufwand des Konsortiums oder vom Wert der Arbeit abhängig gemacht. Es handelte sich vielmehr um eine zum voraus genau bestimmbare Vergütung, die sich insbesondere aus den vorgesehenen Preisen und dem Ausmass der ausgeführten Arbeiten ergab. Damit ist die erste Voraussetzung für die Anwendung des Art. 373 Abs. 2 OR erfüllt (OSER/SCHÖNENBERGER, N. 2 zu Art. 373 OR; GAUTSCHI, N. 6 zu Art. 373 OR), was der Beklagte denn auch nicht zu widerlegen sucht.
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Als ausserordentlich im Sinne dieser Bestimmung gelten Umstände, mit denen der Unternehmer nicht zu rechnen braucht, weil sie nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge nicht voraussehbar sind, oder mit denen beide Parteien nach gemeinsamer Vorstellung nicht gerechnet haben. Sie können bereits bei Vertragsabschluss bestehen (z.B. geologische Verhältnisse) oder erst nachträglich eintreten (z.B. aussergewöhnliches Ansteigen von Löhnen, Zinsen oder Materialpreisen), nach diesen Beispielen also nicht bloss natürlicher, sondern auch wirtschaftlicher Art sein. Das Erfordernis der Unvoraussehbarkeit ist vom Standpunkt des sachkundigen und sorgfältigen Unternehmers aus und nach eher strengen Massstäben zu beurteilen, da jede Werkausführung zu festen Pauschal- oder Einheitspreisen ein spekulatives Element enthält, das auch als Risiko zu berücksichtigen ist (BGE 59 II 380, BGE 58 II 423). Mit welchen Schwierigkeiten ein Unternehmer bei der Ausführung eines Baues nach der Erfahrung rechnen muss, hängt im übrigen weitgehend von den Besonderheiten des einzelnen Falles, insbesondere der Art und Dauer des Werkvertrages ab (GAUTSCHI, N. 15a und c zu Art. 373 OR).
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Dies gilt auch von der Voraussetzung der übermässigen Erschwerung, die in den höheren Herstellungskosten des Werkes zum Ausdruck kommt und daher vor allem nach den gegenseitigen Leistungen zu beurteilen ist. Erforderlich ist ein krasses, offenbares Missverhältnis zwischen dem Wert der erbrachten Leistung des Unternehmers und der versprochenen Gegenleistung des Bestellers (BGE 58 II 423; vgl. ferner BGE 93 II 188 und BGE 68 II 173 mit Zitaten). Die Mehrkosten sind beim Vergleich mit der vereinbarten Vergütung ohne Gewinn einzusetzen, denn Art. 373 Abs. 2 OR gibt dem Unternehmer keinen Anspruch darauf, dass die Erfüllung des Vertrages zu einem verlustfreien Geschäft, das Missverhältnis also ganz ausgeglichen werde (BGE 50 II 167, BGE 47 II 457). Der Ausgleich hat sich vielmehr auf ein Mass zu beschränken, das zwar nicht von der Leistungsfähigkeit des Unternehmers abhängig gemacht werden darf, aber die Werkausführung als objektiv zumutbar erscheinen lässt (OSER/SCHÖNENBERGER, N. 9 und 14 zu Art. 373 OR; GAUCH, Der Unternehmer im Werkvertrag, 2. Aufl., Nr. 165-169; MERZ, in ZSR 61/1942, S. 500a und N. 188 zu Art. 2 ZGB).
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