15. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 22. Februar 1979 i. S. Pancommerce AG gegen 3M East AG (Berufung)
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Regeste
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Kaufvertrag, Schadenersatz.
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Art. 42 Abs. 2 OR. Schätzung des Schadens.
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Sachverhalt
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A.- Die 3M East AG, Tochterfirma eines internationalen Konzerns, vertreibt dessen Produkte in Osteuropa, namentlich Kopierpapier und Kopierapparate. Die Pancommerce AG befasst sich demgegenüber mit Handelsgeschäften jeder Art im In- und Ausland und bezog von der 3M East AG für Osteuropa bestimmtes Kopierpapier. Im Dezember 1973 ersuchte die 3M East AG die Pancommerce AG darum, gegen entsprechende Vergütung die rumänischen und bulgarischen Einkaufsgesellschaften dazu zu bewegen, unmittelbar bei ersterer zu bestellen; die Pancommerce AG lehnte das ab. Eine Bestellung vom Januar 1974 über 16 Paletten Papier für Rumänien wurde ausgeführt. Am 22. Januar 1974 orientierte die Pancommerce AG ihre Lieferfirma über eine beabsichtigte Aktion in Bulgarien; das führte zur Offerte der 3M East AG vom 25. Januar 1974 über die Lieferung von 2600 Maschinen und 33840 Pakete Kopierpapier (entsprechend ca. 117 Paletten).
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Am 6. März 1974 bestätigte die 3M East AG eine weitere Bestellung für 6 Paletten Papier nach Rumänien, lehnte dagegen am 11. März 1974, die Lieferung weiterer 7 Paletten ab (sogenanntes Rumäniengeschäft). Das gleiche Schicksal erfuhr eine Bestellung der Pancommerce AG vom 6. April 1974 über 100 Maschinen und 32 Paletten Papier für Bulgarien, die am 10. April 1974 zurückgewiesen wurde (sogenanntes kleines Bulgariengeschäft). Infolge Nichtausführung dieser beiden Bestellungen forderte die Pancommerce AG von der 3M East AG Schadenersatz von Fr. 54'432.- und Fr. 258'832.-. Wegen Behinderung in der Ausführung der geplanten grösseren Lieferungen nach Bulgarien (sogenanntes grosses Bulgariengeschäft) forderte sie weitere Fr. 1'044'528.-.
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B.- Im September 1974 erhob die Pancommerce AG beim Handelsgericht des Kantons Zürich Klage auf Zahlung von Fr. 1'357'792.- nebst Zins. Mit Urteil vom 19. Mai 1978 sprach das Handelsgericht der Klägerin Fr. 171'955.- nebst Zins zu.
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Am 9. Oktober 1978 wies das Kassationsgericht des Kantons Zürich eine Nichtigkeitsbeschwerde der Beklagten ab, soweit es auf sie eintrat.
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C.- Die Klägerin hat die Berufung an das Bundesgericht erklärt, die Beklagte die Anschlussberufung. Mit dieser beantragt die Beklagte die Abweisung der Klage.
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Aus den Erwägungen:
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Das Handelsgericht geht davon aus, dass die Klägerin sich für das Rumänien- und das kleine Bulgariengeschäft auf abstrakte Schadensberechnung nach Art. 191 Abs. 3 OR berufe, indem sie ausgehend von einem Marktpreis von Fr. 21.- und einem Vertragspreis von Fr. 15.60 auf einen entgangenen Gewinn von Fr. 5.40 kam, alles je 100 Blatt Papier. Auf Grund des Beweisverfahrens verneint das Handelsgericht jedoch sowohl einen solchen Marktpreis als auch einen blossen Verkäuflichkeitspreis, was zur Ablehnung der Berechnung nach Art. 191 Abs. 3 OR führt. Die Klägerin hat sich damit abgefunden. Die Beklagte hält ihrerseits fest, dass die Klägerin das Vorgehen nach Art. 191 Abs. 3 OR gewählt habe. Da der Nachweis eines Marktpreises misslungen sei, müsse die Klage abgewiesen werden. Zwar könne ein Käufer noch während des Prozesses auf die getroffene Wahl zurückkommen, doch sei das hier während des massgebenden Behauptungsverfahrens nicht geschehen.
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Die besonderen Rechtsbehelfe zugunsten des Käufers im Handelsverkehr (Art. 191 Abs. 2 und 3 OR) sollen seine beweismässige Stellung verbessern, schliessen aber einen Schadensnachweis nach allgemeinen Grundsätzen, auf die Art. 191 Abs. 1 OR verweist (Art. 99 und 42 OR), nicht aus (BGE 104 II 201 E. b, BGE 81 II 52 E. 2, BGE 49 II 81 mit Hinweisen). Die Beklagte anerkennt zu Recht, dass der Käufer an die von ihm einmal getroffene Wahl nicht gebunden bleibt, sondern auf sie vielmehr auch noch während des Prozesses zurückkommen kann (BGE 81 II 52 E. 2). Das setzt jedoch nach Meinung der Beklagten voraus, dass der Käufer entsprechende Anträge stellt, solange das Prozessrecht ihm das erlaubt; gerade das sei aber seitens der Klägerin unterblieben. Diese widerspricht unter Hinweis auf ihre sich auf das Rumäniengeschäft beziehenden Ausführungen in der Replikschrift, die sie auch auf das kleine Bulgariengeschäft bezogen verstanden wissen will. Wie es sich damit verhält, kann offen bleiben.
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Dem angefochtenen Urteil ist nicht zu entnehmen, dass die Klägerin für den Fall einer Verneinung des Marktpreises eine anderweitige Schadensberechnung beantragt habe; offenbar unternahm das Handelsgericht diese Prüfung von Amtes wegen. Es handelt sich denn auch dabei um die Anwendung von Bundesrecht, die dem kantonalen Richter von Amtes wegen obliegt. Soweit das Bundesgericht im Bereich von Art. 191 OR kantonales Prozessrecht vorbehält, kann sich das nur auf die Geltendmachung der tatsächlichen Grundlagen einer abweichenden Schadensberechnung beziehen. Ob in dieser Hinsicht das Handelsgericht allenfalls eine kantonalrechtliche Verhandlungsmaxime missachtet hat, ist im Berufungsverfahren nicht zu prüfen (BGE 97 II 218 E. 1 mit Hinweisen); eine entsprechende Rüge der Beklagten ist vom Kassationsgericht verworfen worden. Das Bundesrecht verbietet es dem kantonalen Richter jedenfalls nicht, einen Sachverhalt auf Grund allgemeinen Schadenersatzrechts zu würdigen, wenn der Schadensnachweis laut Art. 191 Abs. 3 OR misslingt.
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Davon abgesehen, kann vorliegend auch nicht schlechthin von Schadensschätzung im Sinn von Art. 42 Abs. 2 OR gesprochen werden. Was die Klägerin im Prozess fordert, ist Ersatz für entgangenen Gewinn; dieser beruht auf der Differenz zwischen dem mit der Beklagten vereinbarten Vertragspreis einerseits und dem Preis, zu dem die Klägerin bei gehöriger Belieferung die Waren hätte weiterverkaufen können. Dabei handelt es sich aber regelmässig um eine hypothetische Frage, die ihrerseits nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge beantwortet werden muss, wie das bei Art. 42 Abs. 2 OR der Fall ist (BGE 104 II 201 E. b mit Hinweisen); in diesem Sinn handelt es sich auch, von Art. 191 Abs. 3 OR abgesehen, um eine Art abstrakter Schadensberechnung (BGE 89 II 219, 43 II 222). Das Vorgehen des Handelsgerichts lässt sich deshalb durchaus mit Bundesrecht vereinbaren. Das Ergebnis der Schätzung als solches wird von der Beklagten nicht beanstandet.
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