46. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 11. Dezember 1979 i.S. Widmer gegen Häfliger AG (Berufung)
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Regeste
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1. Art. 339b und 339c OR.
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2. Art. 2 Abs. 2 ZGB.
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Rechtsmissbräuchliches Verhalten eines Arbeitnehmers, der eine vorausbezahlte Abgangsentschädigung nach Ablauf des Arbeitsverhältnisses nochmals fordert.
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Sachverhalt
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Seit Ende April 1947 stand Rosa Widmer-Buchs in den Diensten der Häfliger AG oder deren Rechtsvorgängerinnen. Das Arbeitsverhältnis wurde von den Parteien auf den 30. November 1977 gelöst. Zu dieser Zeit war Rosa Widmer rund 62 Jahre alt.
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Da sie keiner Fürsorgeeinrichtung angehört, klagte sie im Januar 1979 gegen die Häfliger AG auf Zahlung einer Abgangsentschädigung von Fr. 18'120.-. Sie setzte ihren seit 1974 durchschnittlich erzielten Monatslohn auf Fr. 2'265.- an, und erhob damit Anspruch auf eine Abgangsentschädigung in der Höhe von acht Monatslöhnen. Die Beklagte widersetzte sich diesem Anspruch nicht grundsätzlich. Sie bezifferte aber den massgebenden Monatslohn mit Fr. 2'015.- und machte geltend, die von ihr in den letzten Jahren zusätzlich erbrachten Leistungen von durchschnittlich Fr. 250.- im Monat gehörten zur Altersvorsorge, seien auf die geschuldete Abgangsentschädigung anzurechnen und überstiegen diese.
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Durch Urteil vom 22. Mai 1979 schützte der Appellationshof des Kantons Bern die Klage in der Höhe von Fr. 2'000.-.
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Die Klägerin hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt mit den Anträgen, es aufzuheben und ihre Klage vollumfänglich gutzuheissen.
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Das Bundesgericht weist die Berufung ab.
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Aus den Erwägungen:
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Zusätzlich, über die sogenannten "Quittungsbeträge" hinaus, hat die Klägerin nach verbindlicher Feststellung der Vorinstanz in den Jahren 1974 bis 1977 in bar Fr. 4'000.- und in Obligationen Fr. 7'000.- erhalten. Dabei habe es sich um anrechenbare "Vorempfänge" gehandelt. Der Appellationshof legt auf Grund des Schreibens vom 29. Juni 1973 des damaligen Firmainhabers Oskar Häfliger an die Klägerin und deren eigenen Aussagen im Parteiverhör dar, beide Parteien hätten jene "Vorempfänge" nicht einfach als Lohnbestandteile, sondern als Beiträge an die Altersvorsorge verstanden; es sei ihnen, selbst wenn der Begriff der Abgangsentschädigung nicht verwendet worden sei, klar gewesen, dass diese Leistungen der Beklagten ab 1974 "jenem Zwecke dienen sollten, den der Gesetzgeber für die Abgangsentschädigung im Auge hatte, nämlich fehlende Leistungen einer Personalfürsorgeeinrichtung zu ersetzen". Auch diese Angaben sind, da auf Beweiswürdigung fussend und einen besonderen inneren Parteiwillen betreffend (BGE 105 II 18, BGE 100 II 27), tatsächlicher Natur und für das Bundesgericht verbindlich. Die Berufung wendet weder Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften noch offensichtliches Versehen ein, andere Kritik ist nicht zu hören (Art. 55 Abs. 1 lit. c und d, 63 Abs. 2 OG).
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Der Appellationshof führt dazu aus, es sei nicht einzusehen, warum einem Arbeitgeber verwehrt sein sollte, einem die Voraussetzungen von Art. 339b Abs. 1 OR bereits erfüllenden, wenige Jahre vor der Pensionierung stehenden Arbeitnehmer auf eine dereinst geschuldete Abgangsentschädigung anzurechnende Leistungen zu erbringen, damit dieser beispielsweise zu seiner Altersvorsorge ein Sparkapital bilden könne. Während der Arbeitgeber nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Entschädigung bedingungslos auszahlen müsse und der Arbeitnehmer in deren Verwendung gänzlich frei sei, habe der Arbeitgeber es in der Hand, eine vorzeitige Auszahlung an die Bedingung zu knüpfen, dass die Entschädigung ihrer eigentlichen Zweckbestimmung entsprechend in den Dienst der Altersvorsorge gestellt werde. Verzichte der Arbeitgeber zudem darauf, sich einen Diskontoabzug vorzubehalten, stehe einer vorzeitigen Auszahlung der Entschädigung - jedenfalls in Zeiten mässiger Geldentwertung - umso weniger entgegen, als der Arbeitnehmer noch einen Zinsertrag erwirtschaften könne.
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Die Unabdingbarkeit der Vorschrift von Art. 339b OR spricht nicht gegen diese Betrachtungsweise. Sie ist ohnehin gemäss Art. 362 OR nur relativ gegeben, das heisst nur in Hinsicht auf Abweichungen zu Ungunsten des Arbeitnehmers. Darum geht es bei der von der Vorinstanz befürworteten Lösung nicht. Der Anspruch des Arbeitnehmers auf eine Abgangsentschädigung als solcher steht nicht in Frage. Die vorzeitige Auszahlung einer Geldsumme oder gar die Übereignung von Wertschriften zur Abgeltung ist auch nicht mit dem Begriff, sondern allenfalls mit dem Zweck der Abgangsentschädigung unvereinbar. Dies bleibt im näheren zu prüfen.
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Vorauszahlungen an sich aber können nicht unzulässig sein. Denn auch die Beiträge des Arbeitgebers an Fürsorge- oder Spareinrichtungen, deren Leistungen nach Massgabe von Art. 339d Abs. 1 OR die Abgangsentschädigung ganz oder teilweise ersetzen, sind Vorauszahlungen. Endlich ist daraus, dass laut Art. 339c Abs. 4 OR die Abgangsentschädigung mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig wird, nichts gegen Vorauszahlung als solche zu folgern. Vorzeitige Erfüllung ist dem Schuldner nicht untersagt, sondern nach Art. 81 OR ausdrücklich erlaubt, wo sich nicht aus dem Inhalt oder der Natur des Vertrages oder aus den Umständen eine andere Willensmeinung der Parteien ergibt. Trotz des vom Appellationshof festgestellten tatsächlichen Parteiwillens heisst dies freilich nicht, dass Vorauszahlung so, wie hier praktiziert, sich mit der Eigenart der arbeitsrechtlichen Institution der Abgangsentschädigung verträgt.
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Die Abgangsentschädigung dient nach Art. 339b und c OR einem, wenn auch subsidiären, Vorsorgezweck. Sie soll helfen eine Lücke zu schliessen, die entsteht, wo Leistungen einer Fürsorgeeinrichtung fehlen oder unzulänglich sind (BGE 101 II 274; Botschaft des Bundesrates vom 25. August 1967, BBl 1967 II, S. 282 und 394/5; SCHWEINGRUBER, Kommentar zum Arbeitsvertrag, 2. Auflage 1976, S. 294 zu Art. 339d OR; STREIFF, Leitfaden zum neuen Arbeitsvertrags-Recht, 2. Auflage, N. 2 zu Art. 339d OR). Daraus folgt - und die in Art. 339d OR vorbehaltenen Möglichkeiten der Ersetzung durch künftige Vorsorgeleistungen, welche von einer Personalfürsorgeeinrichtung erbracht werden oder verbindlich zugesichert sind, bestätigen es -, dass die Abgangsentschädigung im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitnehmer greif- und verfügbar sein muss. Hiefür aber hat, auch ohne dass ihm die Sicherstellung eigens gesetzlich auferlegt ist, der zur Ausrichtung verpflichtete Arbeitgeber einzustehen. Das schliesst auf die Abgangsentschädigung anrechenbare Vorauszahlungen neben oder anstelle der Alimentierung von Personalfürsorgeeinrichtungen entgegen der Auffassung, die Prof. Schweingruber in einem von der Klägerin beigebrachten Gutachten vertritt, nicht schlechthin aus (vgl. BGE 101 II 274), wohl aber solche direkt in die Hand des Arbeitnehmers unter Verzicht auf jede Verwendungsgewähr. Gewiss mag anerkennenswert sein, wenn der Arbeitgeber durch die Vorauszahlung dem Arbeitnehmer zur Bildung von Sparkapital für die Altersvorsorge verhelfen will. Aber es genügt nicht, damit lediglich eine entsprechende Bedingung zu verknüpfen, ohne zugleich deren Einhaltung zu sichern.
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Indessen hat die Klägerin im Parteiverhör gemäss Protokoll ausgesagt, sie habe die unter dem Titel Vorempfänge bezogenen Leistungen als Lohn entgegengenommen und auf die Seite gelegt, wozu sie diese auch erhalten habe. Hieraus ergibt sich, dass die Beträge in bar oder in Form von Obligationen am Tag der Hauptverhandlung tatsächlich noch vorhanden waren. Damit sind sie aber auch am Ende des Arbeitsverhältnisses für die Klägerin greif- und verfügbar gewesen. Insoweit ihr Anspruch auf Abgangsentschädigung die von der Beklagten ausbezahlte Summe nicht übersteigt, fordert sie Geld, das sie schon erhalten hat. Solches Vorgehen stellt einen offenbaren Rechtsmissbrauch dar und verdient keinen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 2 ZGB).
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