BGE 107 II 50
 
10. Urteil der I. Zivilabteilung vom 27. Januar 1981 i.S. Nandrò Bergbahnen AG gegen Gerhard Müller Maschinenbau AG (Berufung)
 
Regeste
Art. 368 Abs. 2 OR.
 
Sachverhalt
A.- Die Nandrò Bergbahnen AG beauftragte die Gerhard Müller Maschinenbau AG, die Gondelbahn von Savognin nach Radons zu projektieren, zu liefern und zu erstellen, und zwar einschliesslich der Hoch- und Tiefbauten. Für die beiden Sektionen, getrennt durch die Mittelstation Malmigiucr, wurden im Werkvertrag vom 31. Mai 1969 Pauschalpreise von Fr. 1'798'400.- und Fr. 1'538'400.- vereinbart. Die Bauten sollten mindestens den technischen Anforderungen des SIA entsprechen, und es wurden die Bestimmungen des Obligationenrechts als anwendbar erklärt. Im Abschnitt "Liefertermine" bestimmte der Vertrag, die beiden Sektionen seien ab 8. Dezember 1969 bzw. ab. 20. Januar 1970 für das Eidg. Amt für Verkehr abnahmebereit zu halten und am 12. Dezember 1969 bzw. am 27. Januar 1970 von diesem abgenommen der Nandrò Bergbahnen AG zu übergeben.
Die Sektion I, zu der auch die Mittelstation gehört, wurde anfangs Dezember fertiggestellt und vom Eidg. Amt für Verkehr (EAV) mit Inspektionsbericht vom 7. Januar 1970 abgenommen, jedoch mit einem Vorbehalt wegen der baulichen Ausführung der Mittelstation. Der Vorbehalt wurde zwar am 27. Mai 1971 zurückgezogen, doch wies die Mittelstation zahlreiche weitere Mängel auf, was zu einer Auseinandersetzung zwischen der Gerhard Müller Maschinenbau AG und der von dieser beigezogenen Baufirma Stefan Barandun führte. Die Nandrò Bergbahnen AG lehnte die Genehmigung der Mittelstation ab und liess durch das Ingenieurbüro Menn resp. Rigendinger ein Gutachten erstatten, welches am 18. November 1971 die Baumeisterarbeiten der Mittelstation generell als schlecht bezeichnete. Der Experte empfahl eine Sanierung, um die Gebäudestabilität zu gewährleisten und die Einsturzgefahr abzuwenden. Gestützt auf eine Schätzung der Sanierungskosten durch den Experten teilte die Nandrò Bergbahnen AG der Gerhard Müller Maschinenbau AG am 2. März 1972 mit, sie werde vom vertraglichen Werklohn Fr. 90'000.- zurückbehalten, nämlich Fr. 45'000.- für die behebbaren Mängel, je Fr. 10'000.- pro Station wegen Wertverminderung und Fr. 25'000.- für weitere Mängel.
In der Folge wurde der Ausgang des Prozesses zwischen der Gerhard Müller Maschinenbau AG und der Firma Barandun abgewartet, in welchem ein Gutachten Canova die frühere Expertise weitgehend bestätigte. Am 1. März 1974 forderte die Nandrò Bergbahnen AG, die vom EAV zur Sanierung gedrängt wurde, die Gerhard Müller Maschinenbau AG zur unverzüglichen Vornahme der Arbeiten auf. Diese Aufforderung sowie eine Fristansetzung blieben erfolglos, vielmehr verlangte die Gerhard Müller Maschinenbau AG die Restzahlung von Fr. 90'000.-. Darauf liess die Nandrò Bergbahnen AG die Sanierungsarbeiten im Winter 1975/76 selbst ausführen. Die betreffenden Kosten von Fr. 135'271.40 machte sie im September 1976 unter Abzug der Fr. 90'000.- Restschuld mit Fr. 45'271.40 gegen die Gerhard Müller Maschinenbau AG geltend.
B.- Die Gerhard Müller Maschinenbau AG hatte die Streitsache bereits am 3. Oktober 1975 beim Vermittleramt Oberhalbstein angemeldet, doch fand die Sühneverhandlung erst am 3. März 1977 statt. Nach bezogenem Leitschein prosequierte sie die Klage mit Prozesseingabe vom 16. Mai 1977, und zwar für ihre Forderung von Fr. 90'000.- nebst 6 1/2% Zins seit 1. Januar 1975. Die Nandrò Bergbahnen AG widersetzte sich der Klage und verlangte widerklageweise die Zahlung von Fr. 45'271.40 nebst 5% Zins seit Klageanhebung. Das Bezirksgericht Albula und auf Appellation des Beklagten am 5. März 1980 auch das Kantonsgericht von Graubünden hiessen die Klage gut und wiesen die Widerklage ab.
C.- Die Beklagte hat gegen das obergerichtliche Urteil Berufung eingelegt mit dem Antrag, es aufzuheben, die Klage abzuweisen und die Widerklage gutzuheissen, eventuell sowohl Klage als auch Widerklage abzuweisen.
Die Klägerin schliesst auf Abweisung der Berufung.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
a) Die Beklagte wendet ein, dem Werkvertrag hätte nur eine vorbehaltlose Abnahme durch das EAV entsprochen. Ausserdem sei der Vorbehalt nicht schon am 27. Mai 1971, sondern erst mit Verfügung vom 15. April 1976 zurückgezogen worden. Letzteres widerspricht der eindeutigen tatsächlichen Feststellung der Vorinstanz und ist gemäss Art. 55 Abs. 1 lit. c OG unbeachtlich. Ob als massgebender Abnahmetermin der 7. Januar 1970 oder der 27. Mai 1971 zu betrachten ist, kann hinsichtlich der Widerklage offen bleiben. Nach den Grundsätzen von Treu und Glauben, die bei der Auslegung des Werkvertrages anzuwenden sind, ist entscheidend, dass das EAV die Betriebsbewilligung erteilte und der Bedeutung in dem Sinn, dass die Abnahme erst nach vollkommener baulicher Mängelfreiheit als erfolgt anzusehen wäre, kann der Vertragsbestimmung vernünftigerweise nicht beigemessen werden.
b) Das Kantonsgericht stellt fest, die Beklagte habe die ab 7. Januar 1970 gerechnete Fünfjahresfrist versäumt, da sie ihre Widerklage erst in der Sühneverhandlung vom 3. März 1977 erhoben habe. Demgegenüber will die Beklagte die Frist, gerechnet ab 27. Mai 1971, rechtzeitig unterbrochen haben. Gemäss Leitschein sei nämlich die Litispendenz für Klage und Widerklage am 3. Oktober 1975 eingetreten.
Soweit die Beklagte eine Missachtung kantonaler Verfahrensvorschriften geltend macht, ist dies im Berufungsverfahren unzulässig (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG). Ob aufgrund der tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz eine Unterbrechungshandlung anzunehmen sei, ist dagegen eine Frage des Bundesrechts, namentlich von Art. 135 Ziff. 2 OR. Nach dem angefochtenen Entscheid wurde der Prozess zwar am 3. Oktober 1975 eingeleitet, die Widerklage jedoch erst in der Vermittlungsverhandlung vom 3. März 1977 erhoben. Als Unterbrechungshandlung behauptet die Beklagte daher nicht die Erhebung ihrer Widerklage, sondern die Ladung zum amtlichen Sühneversuch. Gemäss Leitschein und vorinstanzlichem Urteil war es indes die Klägerin, die am 3. Oktober 1975 das Vermittlungsbegehren stellte. Nichts lässt darauf schliessen, dass die Beklagte ihrerseits damals die Vermittlung verlangt oder eine Widerklage angemeldet habe. Die Ladung zum Sühneversuch, deren Datum übrigens weder festgestellt noch behauptet ist, vermag aber von Bundesrechts wegen und selbstverständlich die Verjährung nur zugunsten des jeweiligen Klägers zu unterbrechen, nicht auch zugunsten des Beklagten für allfällige Gegenforderungen, die erst später geltend gemacht werden.
Die Widerklage ist daher von der Vorinstanz zu Recht wegen Verjährung abgewiesen worden.
a) Dass die Übermittlung der Expertise Rigendinger an die Klägerin als Mängelrüge genügte, ist nicht mehr streitig. Es steht auch ausser Frage, dass diese Zustellung innerhalb der fünfjährigen Garantiefrist von Art. 219 Abs. 3 OR geschah. In der Berufungsantwort wird dagegen bestritten, dass die Anzeige sofort nach Entdeckung der Mängel erfolgte, sei doch zwischen der Ablieferung des Gutachtens an die Beklagte und der Weiterleitung an die Klägerin beinahe ein Monate verstrichen.
Dieses Vorbringen der Klägerin ist neu und deshalb vor Bundesgericht unzulässig (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG). Das Bezirksgericht hielt fest, unbestrittenermassen sei der Klägerin die Expertise unmittelbar nach Vorliegen zugestellt worden. Vor Kantonsgericht machte die Klägerin ausschliesslich geltend, in der Zustellung des Gutachtens liege keine Mängelrüge. Nachdem dieser Einwand zurückgewiesen wurde, folgt nun - nach den Akten erstmals - die Behauptung der Verspätung. Zwar hat der Besteller wie der Käufer die Rechtzeitigkeit der Mängelrüge zu beweisen, doch ändert das nichts daran, dass es dem Unternehmer obliegt, die mit verzögerter Mängelrüge eintretende Genehmigung des Werkes vorzubringen, wobei dies im Rahmen des prozessualen Novenrechts zu geschehen hat (GIGER, N. 99 und 106 zu Art. 201 OR). Dass der Richter die Rechtzeitigkeit von Amtes wegen ermitteln müsste (GAUCH, Der Unternehmer im Werkvertrag, 2. Auflage, Ziff. 782), kann um so weniger zutreffen, als es dabei stark auf die Umstände des Einzelfalles, auf Handelsübungen und dergleichen ankommt.
b) Somit ist davon auszugehen, dass der Beklagten infolge gehöriger Rüge die Einreden wegen vorhandener Mängel erhalten blieben. Das anerkennt auch die Vorinstanz, doch verneint sie sinngemäss aufgrund von Art. 120 Abs. 3 OR eine Verrechungsmöglichkeit. Nach dieser Bestimmung kann eine verjährte Forderung zur Verrechnung gebracht werden, wenn sie zur Zeit, wo sie mit der andern Forderung verrechnet werden konnte, noch nicht verjährt war. Das Kantonsgericht stellt fest, die Beklagte habe bis zum Eintritt der Verjährung am 7. Januar 1975 nicht Minderwert geltend gemacht, sondern allein unentgeltliche Nachbesserung verlangt, was eine Verrechnung mit dem Werklohn ausschliesse. Erst am 2. September 1975 habe sie auf Nachbesserung verzichtet und in der Folge die Mängel durch einen Dritten beheben lassen.
Die Beklagte beanstandet, dass sich die Vorinstanz auf die Prüfung der Verrechnungsmöglichkeit beschränke. Aus Art. 210 Abs. 2 OR ergebe sich eine Einrede, welche immerfort ein Zahlungsverweigerungsrecht begründe. Der Beklagten bleiben indes lediglich die Einreden erhalten, die ihren verjährten Gewährleistungsansprüchen entsprechen, mithin dem Recht auf Minderung, auf kostenlose Verbesserung und bei Verschulden auf Schadenersatz (Art. 368 Abs. 2 OR; GAUTSCHI, N. 8b zu Art. 371 OR; GAUCH, a.a.O., Ziff. 851). Im Prozess behauptet die Beklagte eine Schadenersatzforderung von Fr. 135'271.40, wovon sie Fr. 90'000.- zur Verrechnung mit der Klageforderung stellt. Das Kantonsgericht wendet daher zutreffend Verrechnungsrecht und damit sinngemäss auch Art. 120 Abs. 3 OR an (BGE 91 II 214; GIGER, N. 68 zu Art. 210 OR).
Nun legt aber die Vorinstanz zu Recht nicht dar, dass die Gegenforderung der Beklagten schon verjährt gewesen wäre, als die klägerische Forderung auf Werklohn entstand. Sie argumentiert gegenteils, die Ersatzforderung sei erstmals geltend gemacht worden nach Verjährung der Mängelrechte und sei ebenfalls verjährt. Darauf kommt jedoch nichts an, weil im vorliegenden Zusammenhang nur noch eine Einrede zu beurteilen ist. Es genügt, dass eine rechtzeitige Mängelrüge erfolgte. Die Verrechnungsmöglichkeit ist um so eher gegeben, als die Ersatzforderung ohnehin erst nach der Klageforderung entstanden ist (BGE 48 II 334).
Auf die Verrechnungseinrede der Beklagten ist deshalb einzutreten.
Zu prüfen ist, ob das Recht des Bestellers zur Beseitigung des Mangels auf Kosten des Unternehmers eine richterliche Ermächtigung voraussetzt. BGE 96 II 353 E. 2c gesteht dem Besteller, der die Möglichkeit der Verbesserung des Werkes wählt, gegenüber dem dazu nicht gewillten oder nicht fähigen Unternehmer das Recht zu, die Nachbesserung durch einen Dritten ausführen zu lassen und vom Unternehmer dafür Ersatz zu verlangen. Ein solches Recht wird dem Besteller in Art. 368 Abs. 2 OR im Gegensatz zu Art. 366 Abs. 2 OR zwar nicht ausdrücklich gewährt. Weshalb das Gesetz die Mängelbehebung durch Dritte ohne richterliche Bewilligung zulassen soll, wenn Mängel vor der Erstellung des Werkes zu erwarten sind, nicht aber, wenn sie erst nach der Ablieferung auftreten, leuchtet indes nicht ein. Die von GAUCH (a.a.O., Ziff. 567) angebotene Erklärung vermag nicht zu überzeugen. Am Bedürfnis des Bestellers, seinen Verbesserungsanspruch allenfalls mittels Ersatzvornahme durchzusetzen, ändert sich mit der Ablieferung des Werkes nichts, so dass ihm in analoger Anwendung von Art. 366 Abs. 2 OR ein entsprechendes Recht einzuräumen ist. Da die Klägerin mit der geschuldeten Verbesserung des Werkes in Verzug war, konnte die Beklagte nach erfolgloser Ansetzung einer Nachfrist die Mängelbehebung ohne richterliche Ermächtigung einem Dritten übertragen und der Klägerin gegenüber Kostenersatz geltend machen. Es kann deshalb offen bleiben, ob die allgemeine Bestimmung des Art. 107 OR zum nämlichen Resultat führen würde (Von TUHR-ESCHER, Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, Band II, S. 92).
Die Vorinstanzen haben daher zu Unrecht die Verrechnungseinrede gegenüber dem Klagebetrag von Fr. 90'000.- nicht zugelassen. Da tatsächliche Feststellungen über die Begründetheit und Höhe der Gegenforderung der Beklagten fehlen, ist dem Bundesgericht diesbezüglich eine Beurteilung nicht möglich. Das muss hinsichtlich der Hauptklage zur teilweisen Gutheissung der Berufung und Rückweisung der Sache an das Kantonsgericht zur neuen Entscheidung führen (Art. 64 Abs. 1 OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Hinsichtlich der Hauptklage wird die Berufung teilweise gutgeheissen, das Urteil des Kantonsgerichts von Graubünden vom 5. März 1980 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.
Bezüglich der Widerklage wird die Berufung abgewiesen und das angefochtene Urteil bestätigt.