BGE 108 II 92
 
18. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 3. Februar 1982 i.S. X. (Berufung)
 
Regeste
Entmündigung wegen Misswirtschaft (Art. 370 ZGB).
2. Nicht jede Person, die öffentliche Unterstützung beansprucht, ist zu entmündigen; massgebend ist der Grund der Unterstützungsbedürftigkeit (E. 3c).
3. Eine vormundschaftsrechtliche Massnahme ist nicht nur dann unverhältnismässig, wenn sie zu einschneidend ist, sondern auch dann, wenn das angestrebte Ziel nur mit einem stärkeren Eingriff erreicht werden kann (E. 4).
 
Aus den Erwägungen:
2. Gemäss Art. 370 ZGB gehört unter Vormundschaft jede mündige Person, die durch Verschwendung, Trunksucht, lasterhaften Lebenswandel oder durch die Art und Weise ihrer Vermögensverwaltung sich oder ihre Familie der Gefahr eines Notstandes oder der Verarmung aussetzt, zu ihrem Schutze dauernd des Beistandes und der Fürsorge bedarf oder die Sicherheit anderer gefährdet. Misswirtschaft im Sinne dieser Bestimmung besteht zunächst in einer ausserordentlichen Vernachlässigung der eigenen Vermögensverwaltung, die ihren subjektiven Grund in einer Schwäche des Intellekts oder des Willens hat. Nach der Rechtsprechung ist sie jedoch nicht nur dort gegeben, wo ein bereits vorhandenes Vermögen in unsinniger und unverständiger Weise verwaltet wird; sie kann sich vielmehr auch auf die Gestaltung der Einkommensverhältnisse beziehen. So ist auch zu entmündigen, wer aus Energielosigkeit, Leichtfertigkeit oder ähnlichen Gründen sich nicht die nötigen Subsistenzmittel verschafft (vgl. BGE 92 II 143 E. 1 mit Hinweisen). Es betreibt mit andern Worten Misswirtschaft auch derjenige, der schuldhaft ausserstande ist, ein genügendes Einkommen zu erzielen, oder sein Einkommen auf eine unvernünftige, wirtschaftlich sinnlose Weise ausgibt, z.B. Aufwendungen für die notwendigsten Lebensbedürfnisse nicht bezahlt und seine Einkünfte sonstwie verwendet (vgl. ZVW 33/1978 S. 115).
c) Unbehelflich ist auch das Vorbringen der Berufungsklägerin, die von der Vorinstanz vertretene Ansicht habe zur Folge, dass praktisch bei allen Personen, die öffentliche Unterstützung beanspruchten, eine Vormundschaft in Erwägung gezogen werden müsste. Entscheidend ist, worauf die Unterstützungsbedürftigkeit zurückzuführen ist. Liegt der Grund in vorübergehenden Schwierigkeiten, die der Betroffene aus eigener Kraft wird überwinden können, besteht für eine Entmündigung kein Anlass. Das gleiche gilt auch für eine Person, die zufolge Krankheit für ihren Lebensunterhalt nicht selbst aufkommen kann, jedoch durchaus in der Lage ist, die ihr zur Verfügung gestellten Mittel vernünftig einzuteilen. Wie sich aus dem oben Ausgeführten ergibt, lassen sich die vorliegenden Verhältnisse nicht mit diesen Fällen vergleichen.
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4. Die Berufungsklägerin ist der Ansicht, ihre Entmündigung verletze auf jeden Fall den Grundsatz der Verhältnismässigkeit. Hilfsweise verlangt sie deshalb, dass statt der Vormundschaft eine Mitwirkungs- und Verwaltungsbeiratschaft im Sinne von Art. 395 ZGB angeordnet werde. Es trifft zu, dass die Beiratschaft auch persönliche Fürsorge umfassen kann, sofern allerdings die körperliche und psychische Gesundheit nicht alleiniges Schutzobjekt ist (vgl. BGE 103 II 83 unten). Damit sie anstelle der Vormundschaft angeordnet werden kann, muss jedoch gewährleistet sein, dass sie dem Betroffenen in jeder Hinsicht ausreichenden Schutz vermittelt. Unverhältnismässig ist ein vormundschaftsrechtlicher Eingriff nämlich nicht nur dann, wenn er zu stark ist, sondern auch dann, wenn er zu schwach ist, das Ziel also nur mit einem stärkeren Eingriff erreicht werden kann (vgl. RIEMER, Grundriss des Vormundschaftsrechts, S. 30). Bei der Berufungsklägerin, die ihre Einkünfte nicht zweckmässig zu verwalten vermag, trifft letzteres zu. Weder ein Verwaltungsbeirat noch ein Mitwirkungsbeirat noch ein Beirat, dem beide Funktionen übertragen sind, wäre befugt, auf die Verwaltung der Erträgnisse und anderer Einkünfte der Berufungsklägerin Einfluss zu nehmen (vgl. Art. 395 Abs. 2 am Ende ZGB). Gerade letzteres ist aber am dringendsten. Unter den gegebenen Umständen kommt die Anordnung einer Beiratschaft somit von vornherein nicht in Frage.