72. Urteil der II. Zivilabteilung vom 10. Juni 1982 i.S. X. (Berufung)
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Regeste
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Tod des Inhabers der elterlichen Gewalt bei einem Kind geschiedener Eltern; Übertragung der elterlichen Gewalt auf den überlebenden Elternteil.
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2. Hat jedoch die Vormundschaftsbehörde gestützt auf Art. 368 Abs. 1 ZGB bereits eine Vormundschaft errichtet und ein allfälliges Gesuch des überlebenden Elternteils um Einsetzung in die elterliche Gewalt ein erstes Mal abgewiesen, bleibt nur noch der Weg der Klage auf Abänderung des Scheidungsurteils offen (E. 3).
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Sachverhalt
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Die am 1. Februar 1970 geborene A. X. wurde bei der Scheidung ihrer Eltern unter die elterliche Gewalt der Mutter gestellt. Nachdem diese gestorben und das Mädchen unter Vormundschaft gestellt worden war, reichte der Vater B. X. bei der zuständigen Vormundschaftsbehörde das Begehren ein, die Vormundschaft sei aufzuheben und das Mädchen sei unter seine elterliche Gewalt zu stellen.
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Die Vormundschaftsbehörde wies das Begehren am 9. November 1979 ab, und der Regierungsstatthalter bestätigte diesen Entscheid am 10. Juni 1980/5. Februar 1981.
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B. X. zog die Sache an den Regierungsrat weiter, der am 26. Mai 1981 entschied, auf die Beschwerde werde nicht eingetreten. Gleichzeitig überwies der Regierungsrat die Akten an das kantonale Obergericht. Mit Entscheid vom 12. Oktober 1981 anerkannte dieses die Zuständigkeit der Zivilgerichte, und am 22. Dezember 1981 entschied der Appellationshof (II. Zivilkammer), auf die Appellation werde nicht eingetreten, da es an einem erstinstanzlichen richterlichen Entscheid fehle.
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Gegen das Urteil des Appellationshofes hat B. X. beim Bundesgericht sowohl staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV als auch Berufung erhoben. Mit letzterer stellt er den Antrag, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Sache sei zur materiellen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Die staatsrechtliche Beschwerde ist durch Urteil vom 28. April 1982 abgewiesen worden, soweit darauf einzutreten war.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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1. Strittig ist, wer bezüglich eines Kindes geschiedener Eltern zu einer Übertragung der elterlichen Gewalt auf den überlebenden Elternteil zuständig sei, wenn der Elternteil, dem der Scheidungsrichter das Kind zugewiesen hatte, gestorben ist. Während die Vorinstanz dafür hält, eine solche Anordnung könne nicht von der Vormundschaftsbehörde getroffen werden, sondern falle ausschliesslich in die Kompetenz des Richters, der mit einer Klage auf Abänderung des Scheidungsurteils anzurufen sei, stellt sich der Berufungskläger auf den Standpunkt, der Richter brauche in einem solchen Fall nicht von Anfang an mit der Sache befasst zu sein; es genüge, wenn - in Analogie zur Entziehung der elterlichen Gewalt (Art. 314 Ziff. 1 ZGB) - eine richterliche Behörde als Rechtsmittelinstanz angerufen werden könne.
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Zur Begründung ihrer Rechtsauffassung beruft sich die Vorinstanz auf BGE 107 II 100 ff. Diesem Entscheid lag zugrunde, dass die letzte kantonale richterliche Instanz erklärt hatte, der Abänderungsrichter, bei dem der überlebende Elternteil die Zusprechung der elterlichen Gewalt verlangt hatte, sei hiefür nicht zuständig. Das Bundesgericht führte dazu aus, das neue Kindesrecht, insbesondere Art. 315a Abs. 3 ZGB, habe nichts daran geändert, dass für die Übertragung der elterlichen Gewalt auf den überlebenden Elternteil bei einem Kind geschiedener Eltern gestützt auf Art. 157 ZGB auf Abänderung des Scheidungsurteils geklagt werden könne. Ob die Zuständigkeit des Abänderungsrichters eine ausschliessliche sei oder ob ein Kind auch durch die Vormundschaftsbehörde unter die elterliche Gewalt des überlebenden Elternteils gestellt werden könne, liess das Bundesgericht unter Äusserung gewisser Zweifel letztlich offen (vgl. BGE 107 II 104 unten). Zu Unrecht glaubt die Vorinstanz deshalb, aus dem erwähnten Entscheid eine ausschliessliche Zuständigkeit des Abänderungsrichters ableiten zu können. Die Frage einer allfälligen konkurrierenden Zuständigkeit der Vormundschaftsbehörde bleibt daher zu prüfen.
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2. a) Gemäss Art. 315a Abs. 3 ZGB können die vormundschaftlichen Behörden die vom Scheidungsrichter getroffenen Kindesschutzmassnahmen in bezug auf einen Elternteil ändern, sofern dadurch die Stellung des andern nicht unmittelbar berührt wird. Das Bundesgericht hat in BGE 107 II 103 f. E. 3 festgehalten, dass diese Bestimmung die Übertragung der elterlichen Gewalt vom einen auf den andern Elternteil nicht erfasse, auch nicht für den Fall des Todes des Inhabers der elterlichen Gewalt. Anderer Auffassung ist demgegenüber HEGNAUER, der die scheidungsrichterliche Kindeszuteilung im Sinne von Art. 156 ZGB materiell als Kindesschutzmassnahme betrachtet (vgl. "Kann die Vormundschaftsbehörde nach dem Tod des im Scheidungsurteil bestimmten Inhabers der elterlichen Gewalt diese dem überlebenden Elternteil übertragen?", in: ZVW 36/1981, S. 17; in diesem Sinne auch HENKEL, Die Anordnung von Kindesschutzmassnahmen gemäss Art. 307 rev. ZGB, Diss. Zürich 1977, S. 124 f.). Dieser Ansicht ist indessen nicht beizupflichten. Dass der Scheidungsrichter die elterliche Gewalt einem der beiden Elternteile faktisch entziehen muss, indem er sie dem andern zuspricht, ist eine notwendige Folge davon, dass das schweizerische Recht eine gemeinsame Ausübung der elterlichen Gewalt durch geschiedene Eltern nicht kennt. Auch wenn beide Elternteile zur Pflege und Erziehung des Kindes fähig sind, verliert einer davon bei der Scheidung zwangsläufig die elterliche Gewalt. Es kann unter diesen Umständen nicht von einer Kindesschutzmassnahme im Sinne der Art. 307 ff. ZGB gesprochen werden, die bei einem Versagen des Inhabers der elterlichen Gewalt anzuordnen ist. An der in BGE 107 II 103 f. E. 3 vertretenen Auffassung ist deshalb festzuhalten.
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b) Ausgangspunkt für die Beurteilung des vorliegenden Falles ist der Umstand, dass bei einem Kind geschiedener Eltern der Tod des Inhabers der elterlichen Gewalt nicht ohne weiteres den Übergang dieser Gewalt auf den andern Elternteil zur Folge hat (BGE 107 II 101 f. mit weiteren Hinweisen). Zu beachten ist sodann, dass gemäss Art. 368 Abs. 1 ZGB jede unmündige Person, die sich nicht unter der elterlichen Gewalt befindet, unter Vormundschaft gehört. In Anwendung dieser Bestimmung bestellte die Vormundschaftskommission... A. X. einen Vormund, nachdem ihre Mutter gestorben war. Zu prüfen ist nun, ob daraus der Schluss gezogen werden darf, die Vormundschaftsbehörde wäre auch befugt gewesen, das Kind statt dessen unter die elterliche Gewalt seines Vaters, des Berufungsklägers, zu stellen oder in diesem Sinne auf ihren ursprünglichen Entscheid zurückzukommen. Die Antwort darauf hängt auch ihrerseits von der Tragweite des Art. 157 ZGB ab.
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Gemäss Art. 157 ZGB ist die Abänderung eines rechtskräftigen Scheidungsurteils dem Richter vorbehalten, und eine solche Änderung stellt grundsätzlich auch die Übertragung der elterlichen Gewalt vom einen geschiedenen Ehegatten auf den anderen dar. Wo der Elternteil gestorben ist, dem der Scheidungsrichter die elterliche Gewalt zugesprochen hatte, liegen indessen insofern besondere Verhältnisse vor, als die elterliche Gewalt des verstorbenen Elternteils untergegangen und das Scheidungsurteil dadurch ergänzungsbedürftig geworden ist. Von Bedeutung ist in einem solchen Fall, dass keine sich widerstreitenden Interessen der beiden einstigen Ehegatten mehr bestehen. Wenn eine Vormundschaftsbehörde ein Kind statt unter Vormundschaft unter die elterliche Gewalt des überlebenden Ehegatten stellt, was in der Regel im Vordergrund stehen dürfte und worauf der überlebende Elternteil unter gewissen Voraussetzungen einen Anspruch hat (BGE 107 II 104; BGE 82 II 474 f.), werden dadurch einzig die Interessen dieses Ehegatten und vor allem die Schutzinteressen des Kindes selbst betroffen. Unter solchen Umständen ist die Übertragung der elterlichen Gewalt nicht als unzulässiger Eingriff in ein rechtskräftiges Scheidungsurteil zu werten.
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Für eine solche Zuständigkeit der Vormundschaftsbehörde spricht neben der Zweckmässigkeit (einfacheres Verfahren; Eingreifen von Amtes wegen) auch der Umstand, dass in einem ähnlichen Fall die Vormundschaftsbehörde von Gesetzes wegen ausdrücklich kompetent erklärt wird, einem Elternteil die elterliche Gewalt zu übertragen: Ein Kind unverheirateter Eltern steht unter der elterlichen Gewalt der Mutter (Art. 298 Abs. 1 ZGB). Ist diese gestorben, so hat die Vormundschaftsbehörde dem Kind einen Vormund zu bestellen oder die elterliche Gewalt dem Vater zu übertragen, wobei sich dieser Entscheid nach dem Wohl des Kindes zu richten hat (Art. 298 Abs. 2 ZGB). Es rechtfertigt sich, diese Regelung auch für das Kind geschiedener Eltern gelten zu lassen.
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c) Zusammengefasst ist festzuhalten, dass der überlebende Elternteil sowohl bei der Vormundschaftsbehörde als auch beim Abänderungsrichter das Begehren stellen kann, es sei die im Scheidungsurteil dem nunmehr verstorbenen Elternteil zugesprochene elterliche Gewalt auf ihn zu übertragen. In dieser Frage ist die Zuständigkeit des Abänderungsrichters mithin nicht eine ausschliessliche. Sie bleibt jedoch in jedem Fall vorbehalten (BGE 107 II 104 f.). Unterbleibt aber ein Antrag des überlebenden Elternteils, hat die Vormundschaftsbehörde von Amtes wegen dafür zu sorgen, dass das minderjährige Kind nicht ohne gesetzlichen Vertreter bleibt.
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3. Die Vormundschaftsbehörde der Stadt Y. hätte dennoch auf das im Jahre 1979 gestellte Begehren des Berufungsklägers auf Übertragung der elterlichen Gewalt nicht mehr eintreten dürfen. Dadurch, dass nach dem Tode der im Scheidungsurteil zur Inhaberin der elterlichen Gewalt bestimmten Mutter im Jahre 1973 von Amtes wegen ein Vormund bestellt worden war, wurde die im Zusammenhang mit dem Scheidungsurteil aufgetretene Lücke geschlossen. Die Anordnung einer Vormundschaft bedeutete aber - wie es auch die Abweisung eines gleich nach dem Tod der früheren Ehefrau gestellten Begehrens um Übertragung der elterlichen Gewalt bedeutet hätte - eine Bestätigung der scheidungsrichterlichen Kindeszuteilung. Dies allerdings in einschränkender Weise, weil aus einem solchen vormundschaftlichen Entscheid auch der Schluss zu ziehen ist, dass der Berufungskläger nicht für geeignet gehalten wird, seine Tochter zu pflegen und zu erziehen. Ist aber ein Scheidungsurteil in dieser Weise durch die Vormundschaftsbehörde bestätigt worden und will sich der überlebende der geschiedenen Ehegatten damit nicht abfinden, so kann er nur noch Klage auf Abänderung des Scheidungsurteils erheben. Dadurch allein lässt sich ein der Rechtssicherheit abträglicher konkurrierender Instanzenzug vermeiden. Nach dem von Amtes wegen getroffenen Entscheid der Vormundschaftsbehörde, der in die Zeit vor der Änderung des Kindesrechts fällt, musste daher dem Berufungskläger auch unter neuem Recht ein erneuter Zugang zur Vormundschaftsbehörde verschlossen bleiben. Auch unter neuem Recht bleibt in diesem Fall nur die Abänderung des Scheidungsurteils offen. Aus dem Gesagten erhellt somit, dass sich die Vorinstanz im Ergebnis zu Recht für unzuständig betrachtet hat, das Begehren des Berufungsklägers materiell zu beurteilen.
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Ist nach dem Gesagten gegen einen ein Scheidungsurteil im Ergebnis bestätigenden Entscheid der Vormundschaftsbehörde betreffend die Übertragung der elterlichen Gewalt auf den überlebenden von zwei geschiedenen Ehegatten nur eine Abänderungsklage gemäss Art. 157 ZGB möglich, ist dem Standpunkt des Berufungsklägers, Art. 314 Ziff. 1 ZGB (Vorbehalt des Weiterzugs an eine kantonale richterliche Behörde im Falle der Entziehung der elterlichen Gewalt durch die vormundschaftliche Aufsichtsbehörde) sei auf den vorliegenden Fall sinngemäss anzuwenden, von vornherein die Grundlage entzogen.
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