BGE 116 II 209
 
38. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 3. Mai 1990 i.S. P. gegen P. (Berufung)
 
Regeste
Zuständigkeit für Scheidungsklage. Intertemporales Recht (Art. 59 und 197 IPRG).
2. Der Rechtswechsel ist auch dann beachtlich, wenn er erst nach dem letzten kantonalen Entscheid und nach Einreichung der Berufung, aber vor der Beurteilung durch das Bundesgericht eintritt (E. 2b, cc).
 
Sachverhalt
A.- a) Die Eheleute Vilma und Zeljko P. sind jugoslawische Staatsangehörige aus der Republik Kroatien. Sie haben am 29. Juli 1967 in Zagreb geheiratet. Zeljko P. lebte bereits vor der Heirat in der Schweiz, während Vilma P. sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhielt. Wenige Monate nach der Heirat kam sie ebenfalls in die Schweiz. Seither wohnen beide Ehegatten hier.
b) Am 5. November 1986 klagte Vilma P. beim Bezirksgericht Uster gegen Zeljko P. auf Scheidung ihrer Ehe. Mit Beschluss vom 23. Oktober 1987 trat das Bezirksgericht Uster auf die Klage mangels schweizerischer Zuständigkeit nicht ein. Auf Rekurs von Vilma P. bestätigte die I. Zivilkammer des Obergerichts des Kantons Zürich mit Beschluss vom 7. September 1988 diesen Entscheid.
B.- Eine von Vilma P. dagegen gerichtete kantonale Nichtigkeitsbeschwerde wurde am 30. Juni 1989 vom Kassationsgericht des Kantons Zürich abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden konnte.
C.- Mit Eingabe vom 27. Oktober 1988 hat Vilma P. beim Bundesgericht Berufung erhoben. Sie beantragt, es sei der Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich aufzuheben und der Prozess zur Fortsetzung des Scheidungsverfahrens an die erste Instanz zurückzuweisen.
Zeljko P. hat keine Antwort eingereicht. Das Obergericht hat auf Gegenbemerkungen verzichtet.
 
Aus den Erwägungen:
"Ein ausländischer Ehegatte, der in der Schweiz wohnt, kann eine
Scheidungsklage beim Richter seines Wohnsitzes anbringen, wenn er
nachweist, dass nach Gesetz oder Gerichtsgebrauch seiner Heimat der
geltend gemachte Scheidungsgrund zugelassen und der schweizerische
Gerichtsstand anerkannt ist."
Das Obergericht hielt den Nachweis, dass der schweizerische Gerichtsstand in Jugoslawien anerkannt werde, für nicht erbracht. Dagegen wendet sich die Klägerin in ihrer Berufung. Nachdem das IPRG am 1. Januar 1989 in Kraft getreten ist, hat das Bundesgericht aber von Amtes wegen zu prüfen, ob sich vorliegend die Zuständigkeit überhaupt nach der genannten Bestimmung des NAG richtet oder nach dem IPRG.
b) Das IPRG enthält vier Übergangsbestimmungen. Art. 196 IPRG wiederholt den Grundsatz der Nichtrückwirkung, wie er sich schon aus Art. 1 SchlT ZGB ergibt, der die Auffassung des Bundesgesetzgebers über das intertemporale Recht nicht nur im Bereich des ZGB zum Ausdruck bringt (vgl. BGE 112 Ib 43). Art. 196 IPRG hat seine Bedeutung von seinem Sinn her indessen ausschliesslich für das anwendbare Recht (SCHWANDER, Die Handhabung des neuen IPRG, in: Hangartner (Hrsg.), Die allgemeinen Bestimmungen über das internationale Privatrecht, St. Gallen 1988, S. 31). An Art. 196 IPRG schliessen sich je eine Bestimmung über die Zuständigkeit (Art. 197 IPRG), das anwendbare Recht (Art. 198 IPRG) und die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen an (Art. 199 IPRG).
aa) Art. 197 IPRG, der von der Zuständigkeit handelt, hält in seinem ersten Absatz nur fest, das Inkrafttreten des neuen Rechts führe nicht dazu, dass die Zuständigkeit für eine in diesem Zeitpunkt hängige Klage entfalle, wenn diese nach altem Recht gegeben sei, nach neuem Recht aber nicht mehr bestehe. Absatz 2 hält sodann fest, dass die rechtskräftige Ablehnung einer schweizerischen Zuständigkeit vor Inkrafttreten des neuen Rechts nicht hindere, dass die gleiche Klage nachher vor einem schweizerischen Gericht oder einer schweizerischen Behörde erneut erhoben werde. Nicht ausdrücklich geregelt ist damit die Frage, die sich im vorliegenden Fall stellt, ob sich in einem bei Inkrafttreten hängigen Rechtsstreit die schweizerische Zuständigkeit nach altem oder neuem Recht richte, wenn sie nach altem Recht nicht bestand, nach neuem aber gegeben ist.
bb) Nach allgemeinen Grundsätzen des Zivilprozessrechtes müssen die Prozessvoraussetzungen im Zeitpunkt der Fällung des Sachurteils noch gegeben sein, wobei es genügt, wenn sie bis zu diesem Zeitpunkt eintreten (GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, Zürich 1979, S. 229; KUMMER, Grundriss des Zivilprozessrechts, Bern 1984, S. 87; VOGEL, Grundriss des Zivilprozessrechts, Bern 1988, S. 149 Rz. 85). Allerdings bleibt die einmal begründete örtliche Zuständigkeit während der ganzen Rechtshängigkeit bestehen, auch wenn ihre tatsächlichen Voraussetzungen nachträglich dahinfallen. Daraus darf aber nicht geschlossen werden, dass sie auch von Anfang an bestehen müsse. Es genügt vielmehr, dass sie - wie die andern Prozessvoraussetzungen - im Zeitpunkt des Sachurteils gegeben ist. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung gilt jedoch bei Scheidungsklagen eine Ausnahme: Hier muss die Zuständigkeit schon im Zeitpunkt der Anhängigmachung der Klage gegeben sein, um zu verhindern, dass die Parteien durch spätere Wohnsitzverlegung auf die Beurteilung der Zuständigkeit Einfluss nehmen können (BGE 91 II 322 E. 3, BGE 90 II 215 E. 2 mit Hinweisen; bestätigt in BGE 116 II 13 f. E. 5). Diese Ausnahme bezieht sich indessen nur auf die tatsächlichen Voraussetzungen der Wohnsitznahme, nicht auch auf das anwendbare Recht. Auf dieses haben die Parteien keinen Einfluss, so dass die befürchteten Machenschaften hier nicht möglich sind. Entsprechend hat das Bundesgericht in einem Scheidungsfall die schweizerische Zuständigkeit bejaht, obwohl diese für den Zeitpunkt der Anhängigmachung der Klage nicht nachgewiesen war, aber durch die Rechtsentwicklung in Spanien später eintrat (BGE 116 II 14).
Von daher steht nichts im Weg, eine schweizerische Zuständigkeit nach IPRG zu bejahen, selbst wenn der Prozess noch vor dessen Inkrafttreten angehoben wurde (zur Anwendung neuer Bestimmungen über Prozessvoraussetzungen vgl. SUSANNE SCHOCH, Das intertemporale Zivilprozessrecht, Diss. Zürich 1959, S. 46 ff.).
Wäre für die Zuständigkeit immer nur jenes Recht massgeblich, welches im Zeitpunkt der Klageeinreichung galt, so wäre Art. 197 Abs. 1 IPRG überflüssig. Diese Norm setzt vielmehr voraus, dass für die Frage der Zuständigkeit schweizerischer Gerichte das neue Recht grundsätzlich sofort mit dessen Inkrafttreten anwendbar ist (SCHWANDER, a.a.O., S. 31). Absatz 1 sieht eine Ausnahme von diesem Grundsatz vor. In Absatz 2 wird sodann festgehalten, dass die Zurückweisung einer Klage infolge Unzuständigkeit nach altem Recht nicht hindert, nach neuem Recht in der Schweiz ein zweites Mal zu klagen. Mit Art. 197 IPRG will der Gesetzgeber die schweizerische Zuständigkeit fördern, nicht beschränken. War ein Prozess im Zeitpunkt rechtshängig, in dem das neue Recht in Kraft trat, so sind die schweizerischen Gerichte somit immer zuständig, wenn das alte oder das neue Recht einen schweizerischen Gerichtsstand vorsah bzw. vorsieht.
Wäre eine durch das neue Recht begründete Zuständigkeit nicht beachtlich, wenn die Klage noch unter altem Recht eingereicht wurde und damals kein Gerichtsstand in der Schweiz gegeben war, so hätte dies zur Folge, dass zuerst der Prozess über die Zuständigkeit nach altem Recht zu Ende geführt werden müsste. Würde die Zuständigkeit schliesslich verneint, so könnte der Kläger beim bisher unzuständigen Gericht sofort nach neuem Recht eine neue Klage einreichen und der Prozess müsste dennoch durchgeführt werden. Dieses Vorgehen widerspräche dem Gebot einer ökonomischen Prozessführung.
cc) Man kann sich indessen fragen, ob der Rechtswechsel auch beachtlich sei, wenn er erst nach dem letzten kantonalen Entscheid und nach Einreichung der Berufung eintritt.
Die Artikel 197 und 199 IPRG stellen für die Anwendbarkeit des neuen Rechts auf die Rechtshängigkeit ab. Diese besteht vom Zeitpunkt der Einreichung der Klage bis zu deren rechtskräftigen Beurteilung. Auch wenn dem Bundesgericht im Berufungsverfahren nur eine beschränkte Kognition zusteht, handelt es sich bei der Berufung dennoch um ein ordentliches Rechtsmittel. Durch zulässige Berufung und Anschlussberufung wird der Eintritt der Rechtskraft im Umfang der Anträge gehemmt (Art. 54 Abs. 2 OG). Wohl können vor Bundesgericht grundsätzlich keine neuen Tatsachen vorgebracht werden (Art. 55 Abs. 1c und 63 Abs. 2 OG); das Gericht ist aber in bezug auf die rechtliche Würdigung der Tatsachen frei (Art. 63 Abs. 3 OG) und wendet das Recht von Amtes wegen an. Es ist deshalb nicht einzusehen, warum die Rechtsänderung nicht auch noch vor Bundesgericht zu berücksichtigen wäre.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus BGE 115 II 301. Dort ging es um die Frage, nach welchem Recht sich die Rechtsmittel und das entsprechende Verfahren richten. Während mit bezug auf diese Fragen ein Prozess ohne weiteres in verschiedene Phasen aufgeteilt und damit auch nach verschiedenen Rechten beurteilt werden kann, trifft dies für die Frage der örtlichen Zuständigkeit nicht zu. Über diese muss für den ganzen Prozess nach einheitlichem Recht entschieden werden.
3. Im vorliegenden Fall ist somit Art. 59 IPRG anwendbar. Nach dieser Bestimmung sind die schweizerischen Gerichte am Wohnsitz des Klägers oder des Beklagten für Scheidungsklagen zuständig. Der Wohnsitz des Klägers genügt allerdings nur, wenn sich dieser seit mindestens einem Jahr in der Schweiz aufgehalten hat oder Schweizer Bürger ist. Ob ein Wohnsitz vorliegt, richtet sich nach Art. 20 IPRG. Es steht ausser Zweifel, dass sowohl die Klägerin als auch der Beklagte seit Jahren ihren Wohnsitz im Sinne dieser Bestimmung in der Schweiz haben. Damit steht auch die Zuständigkeit der schweizerischen Gerichte fest, und die Berufung ist gutzuheissen.