BGE 117 II 211 |
44. Auszug ans dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 6. Juni 1991 i.S. X. gegen X. (Berufung) |
Regeste |
Abänderung des Scheidungsurteils; Herabsetzung einer Unterhaltsersatzrente (Art. 151 Abs. 1 und Art. 153 Abs. 2 ZGB). |
Sachverhalt |
Mit Urteil des Kantonsgerichts vom 21. September 1977 wurde die am 12. Juli 1966 geschlossene Ehe von O.X., geboren 1936, und P.Y., geboren 1937, geschieden. Die drei Kinder wurden unter die elterliche Gewalt der Mutter gestellt, und O.X. wurde verpflichtet, an deren Unterhalt monatliche Beiträge von je Fr. 750.-- zu leisten. Ferner genehmigte das Kantonsgericht die Scheidungskonvention vom 16. August 1977, wonach sich O.X. unter anderem verpflichtete, der geschiedenen Ehefrau eine "Rente gemäss Art. 151 ZGB" von Fr. 1'900.--, bei Untergang der Unterhaltspflicht gegenüber den Kindern jedes Mal um Fr. 100.-- erhöht, im Monat zu zahlen.
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Mit Eingabe vom 27. Juni 1988 reichte P.X.-Y. beim Kantonsgericht gegen O.X. Klage ein mit dem Rechtsbegehren, die Unterhaltsbeiträge für den (von den Kindern damals noch einzig unterhaltsberechtigten) Sohn M. und für sie persönlich seien mit Wirkung ab 1. November 1987 um 25% zu erhöhen; ferner sei dem Scheidungsurteil eine Indexklausel beizugeben, welche ohne Abänderungsklage die der Teuerung angepasste Rente erkennen lasse.
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Der Beklagte schloss auf Abweisung der Klage und erhob Widerklage mit dem Begehren, die der Klägerin gemäss Scheidungsurteil zustehende Rente nach Art. 151 ZGB sei auf einen Betrag zu reduzieren, den er nach durchgeführtem Instruktionsverfahren noch bezeichnen werde.
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Das Kantonsgericht hiess die Klage am 1. Juni 1989 insofern gut, als es die scheidungsrichterliche Regelung der Unterhaltsbeiträge durch eine Indexklausel ergänzte; die Widerklage wies es vollumfänglich ab.
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Hiergegen erhoben der Beklagte Appellation und die Klägerin Anschlussappellation, worauf das kantonale Obergericht am 29. März 1990 erkannte, Klage und Widerklage würden abgewiesen.
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Die Klägerin schliesst auf Abweisung der Berufung.
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Aus den Erwägungen: |
b) Hingegen hat das Bundesgericht bisher stets dafürgehalten, eine Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse auf seiten des Berechtigten bilde bei der Unterhaltsersatzrente nach Art. 151 ZGB keinen Herabsetzungsgrund (dazu BGE 110 II 114 f. E. 3b mit Hinweis; vgl. auch BGE 115 II 316 E. 4a mit Hinweis; abweichend das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 14. Mai 1947, veröffentlicht in: ZR 46/1947 Nr. 70). Unter Hinweis auf die Anregungen von HINDERLING (Das schweizerische Ehescheidungsrecht, 3. A., S. 144) und BÜHLER/SPÜHLER (N. 59 zu Art. 1 53 ZGB) sowie auf die Kritik von DESCHENAUX/TERCIER (Le mariage et le divorce, 3. A., S. 129, Rz. 673) vertritt der Beklagte die Ansicht, die bisherige Praxis sei aufzugeben und eine Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse auf seiten des Rentenberechtigten sei auch bei der Unterhaltsersatzrente als Herabsetzungsgrund zuzulassen (zu dieser Frage auch PIOTET, Des rapports entre les articles 151 et 152 CC, in: JdT 1986 I S. 100, und PETER SCHUMACHER, Die Abänderbarkeit der Unterhaltsersatzrente nach Art. 151 Abs. 1 ZGB, in: SJZ 87/1991, S. 93 ff.).
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2. a) Dass die der Klägerin gemäss Scheidungsurteil zustehende Rente ausschliesslich auf Art. 151 Abs. 1 ZGB beruht, anerkennt auch der Beklagte. Sein Standpunkt weicht jedoch insofern von der klägerischen Auffassung ab, als er die Rente in vollem Umfang als Entschädigung für den entgangenen ehelichen Unterhalt geschuldet wissen will, während die Klägerin in der Rente auch Ersatz für den Verlust von Ansprüchen güterrechtlicher Natur erblickt.
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b) Dem angefochtenen Urteil lässt sich entnehmen, dass das Obergericht die Rente mindestens zum Teil als Unterhaltsersatzrente betrachtet hat, begründet es doch die Abweisung der Widerklage damit, die Abänderung einer Rente nach Art. 151 Abs. 1 ZGB sei nur insoweit möglich, als sich die Verhältnisse auf seiten des Pflichtigen verschlechtert hätten. Aufgrund ihrer Betrachtungsweise hatte die Vorinstanz keinen Anlass, zu prüfen, in welchem Masse die zwischen den Parteien seinerzeit vereinbarte Rente allenfalls auch als Abgeltung von Anwartschaften gedacht war. Sollte die vom Beklagten mit gewichtigen Argumenten verlangte Überprüfung der bisherigen Rechtsprechung zum Schluss führen, dass der geltend gemachte Herabsetzungsgrund auch bei Unterhaltsersatzrenten gemäss Art. 151 Abs. 1 ZGB zum Tragen kommt, müsste die Sache nach dem Gesagten zur näheren Abklärung der Natur der strittigen Rente an das Obergericht zurückgewiesen werden.
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3. a) Bei Art. 151 Abs. 1 ZGB, wonach der schuldige Ehegatte dem schuldlosen Ehegatten eine angemessene Entschädigung zu entrichten hat, falls durch die Scheidung der Ehe dessen Vermögensrechte oder Anwartschaften beeinträchtigt werden, handelt es sich nach herrschender Auffassung um eine Bestimmung mit schadenersatzrechtlichen Zügen (dazu BGE 107 II 400 E. b; BÜHLER/SPÜHLER, N. 11 zu Art. 151 ZGB; HAUSHEER, Das neue Eherecht und seine Auswirkungen auf die Scheidung, in: Berner Tage für die juristische Praxis 1987, S. 212; DESCHENAUX/TERCIER, a.a.O., S. 122 f., Rz. 634). Dies kommt auch in der jüngsten Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Ausdruck, wo erklärt wird, Art. 151 Abs. 1 ZGB habe den Zweck, grundsätzlich den Schaden zu decken, der bei der Scheidung dadurch entstehe, dass die Versorgung der Ehegatten (und gegebenenfalls der Kinder) nicht mehr durch das einträchtige Zusammenwirken von Mann und Frau im gemeinsamen Haushalt gesichert sei (BGE 115 II 8 f. E. 3). Soweit das Bundesgericht in seiner bisherigen Praxis ausdrücklich dargelegt hat, weshalb eine sinngemässe Anwendung von Art. 153 Abs. 2 ZGB auf Unterhaltsersatzrenten nach Art. 151 Abs. 1 ZGB im Falle einer Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse auf seiten des Berechtigten nicht in Frage komme, hat es ebenfalls auf den Schadenersatzcharakter dieser Rente hingewiesen (BGE 100 II 249 E. a).
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b) Dem Beklagten ist einzuräumen, dass eine streng schadenersatzrechtliche Betrachtungsweise eine nachträgliche Abänderung einer Unterhaltsersatzrente in jedem Fall, d.h. auch dann verbieten würde, wenn sie wegen einer (wesentlichen) Verminderung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Rentenpflichtigen verlangt wird (so auch BÜHLER/SPÜHLER, N. 59 zu Art. 153 ZGB). Allerdings finden - wie der Beklagte ebenfalls mit Recht bemerkt - die Grundsätze des allgemeinen Schadenersatzrechts schon bei der Festsetzung einer Rente nach Art. 151 Abs. 1 ZGB durch den Scheidungsrichter nicht uneingeschränkt Anwendung. Dass diese Bestimmung nicht Anspruch auf vollen Schadenersatz gewährt, hat das Bundesgericht etwa mit der Feststellung zum Ausdruck gebracht, der geschiedenen Ehefrau stehe für den Verlust des ehelichen Unterhaltsanspruchs gemäss Art. 160 Abs. 2 aZGB lediglich eine angemessene Entschädigung zu, die nicht die Beibehaltung des Lebensstandards vor der Scheidung ermögliche, aber in einem gewissen Masse, und soweit es die Verhältnisse rechtfertigten, die infolge der Scheidung wegfallenden wirtschaftlichen Vorteile ausgleichen solle (so BGE 98 II 165 E. 2). In andern Entscheiden wurde erklärt, die schadenersatzrechtlichen Grundsätze dürften nicht schematisch angewendet werden (vgl. BGE 109 II 290; BGE 108 II 82).
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4. a) Noch unter der Herrschaft des Eherechts, wie es bis zum 31. Dezember 1987 galt, ist das Bundesgericht davon ausgegangen, dass die Ehescheidung für die nach Art. 160 Abs. 2 aZGB unterhaltsberechtigte Frau nicht zwangsläufig zu einer dauernden wirtschaftlichen Einbusse führe und es deshalb nicht in jedem Fall gerechtfertigt sei, eine unbefristete Unterhaltsersatzrente zuzusprechen. Nach Massgabe der konkreten Gegebenheiten (Dauer der Ehe; Alter und Gesundheitszustand der Frau; Alter allfälliger Kinder) und Möglichkeiten (berufliche Fähigkeiten; Lage auf dem Arbeitsmarkt) ist der geschiedenen Ehefrau - gewissermassen im Sinne einer Schadenminderungspflicht (dazu HAUSHEER, a.a.O., S. 213) - zunehmend zugemutet worden, hauptsächlich vom Zeitpunkt an, da das Betreuungsbedürfnis allfälliger Kinder entscheidend nachgelassen hat, eine Erwerbstätigkeit anzunehmen (vgl. BGE 109 II 185 ff.). Die bundesgerichtliche Rechtsprechung verlangt mit andern Worten schon seit einiger Zeit, dass im einzelnen Fall geprüft werde, ob die geschiedene Ehefrau sich auf längere Sicht eine wirtschaftliche Situation wird schaffen können, welche die durch die Scheidung erlittenen Nachteile auszugleichen vermag und die Zusprechung einer Unterhaltsersatzrente nur für eine bestimmte Zeit rechtfertigt (so BGE 111 II 306). Mit Rücksicht auf die Wandlungen in der Gesellschaft im allgemeinen und insbesondere auch auf die Tendenz, die Ehe immer mehr als partnerschaftliche Gemeinschaft zu betrachten, wurde mithin noch vor dem Inkrafttreten des neuen Eherechts damit begonnen, der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der geschiedenen Frau stärker Rechnung zu tragen.
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b) Der neue, seit 1. Januar 1988 - gemäss Art. 8 Abs. 1 SchlTZGB auch für altrechtliche Ehen - geltende Art. 163 ZGB hat im Vergleich zum früheren Recht eine bedeutsame Änderung gebracht, indem nicht mehr grundsätzlich der Ehemann allein für den (finanziellen) Unterhalt von Frau und Kind aufzukommen hat (Art. 160 Abs. 2 aZGB), sondern nunmehr die Ehegatten gemeinsam, ein jeder nach seinen Kräften, für den Unterhalt der Familie zu sorgen haben (Art. 163 Abs. 1 ZGB). Dabei wird es den Ehegatten überlassen, sich über den Beitrag eines jeden zu verständigen. Dieser kann namentlich etwa durch Geldzahlungen, Besorgen des Haushaltes, Betreuen der Kinder oder durch Mithilfe im Beruf oder Gewerbe des andern Ehegatten erbracht werden (Art. 163 Abs. 2 ZGB). Die Ehefrau hat damit keinen gesetzlichen Anspruch mehr, ihren Beitrag durch die Führung des Haushaltes zu leisten und von einer Erwerbstätigkeit grundsätzlich befreit zu sein (BGE 114 II 16 E. 3, 302 E. a). Eine solche anzunehmen, kann sie sich unter Umständen auch dann genötigt sehen, wenn sich die Ehegatten anfänglich auf eine andere Aufgabenteilung geeinigt haben, die Verhältnisse - etwa wegen Krankheit oder Verlust einer Arbeitsstelle, aber auch infolge Scheidung der Ehe - sich jedoch wesentlich verändert haben (BGE 114 II 302 E. a). Zu beachten ist auch, dass die Leistungspflicht eines Ehegatten sich erhöhen kann, wenn seine Leistungsfähigkeit - beispielsweise als Folge eines beruflichen Aufstiegs - erheblich zugenommen hat (vgl. HAUSHEER, a.a.O., S. 221 f.; HAUSHEER/REUSSER/GEISER, Kommentar zum Eherecht, N. 46 zu Art. 163 ZGB).
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c) Nach der dargelegten Praxis hat der Scheidungsrichter bei der Festsetzung von Höhe und Dauer einer Unterhaltsersatzrente gemäss Art, 151 Abs. 1 ZGB schon seit einiger Zeit, hauptsächlich seit dem Inkrafttreten des neuen Eherechts, auch die Leistungsfähigkeit des anspruchsberechtigten Ehegatten einzubeziehen. Eine unvorhergesehene spätere Verbesserung dieser Leistungsfähigkeit vollkommen ausser acht zu lassen und eine entsprechende Abänderung der Rente in jedem Fall von vornherein zu verweigern, lässt sich nach dem Gesagten durch nichts rechtfertigen. In Abänderung der bisherigen Rechtsprechung ist deshalb davon auszugehen, dass grundsätzlich auch eine Unterhaltsersatzrente bei einer Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse auf seiten des rentenberechtigten Ehegatten herabgesetzt werden kann.
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b) Das Obergericht, das die Widerklage des Beklagten gestützt auf die bisherige Praxis zur Herabsetzung von Unterhaltsersatzrenten aus grundsätzlichen Überlegungen abwies, hatte keinen Anlass, auf die genannten Punkte näher einzugehen und die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen zu treffen. Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben, und die Sache ist an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese einerseits abkläre, in welchem Masse der strittigen Rente Unterhaltsersatzcharakter zukommt (vgl. E. 2), und andererseits prüfe, ob die vom Beklagten geltend gemachte Verbesserung der klägerischen Einkommensverhältnisse erheblich und von Dauer sei und im Zeitpunkt der Scheidung nicht habe vorausgesehen werden können. Gegebenenfalls wird das Obergericht schliesslich zu entscheiden haben, in welchem Umfang die Rente herabzusetzen sei.
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