BGE 131 II 656 |
52. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Regierungsrat sowie Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) |
1A.228/2004 vom 3. August 2005 |
Regeste |
Art. 12 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1 OHG, Art. 3c ELG, Art. 14a ELV; Zeitpunkt der Einkommensberechnung zur Bemessung der Opferhilfeentschädigung, Berücksichtigung der Restarbeitsfähigkeit bei der Einkommensberechnung, Entschädigungsanspruch für den Haushaltschaden. |
Die Restarbeitsfähigkeit ist bei der Einkommensberechnung zur Bemessung der Opferhilfeentschädigung zu berücksichtigen. Ermittlung des anrechenbaren Erwerbseinkommens bei Teilinvaliden, die von einer Verwertung der verbleibenden Erwerbsfähigkeit absehen (E. 5). |
Der normative Haushaltschaden fällt unter den Schadensbegriff des Opferhilferechts. Das Opfer hat einen opferhilferechtlichen Anspruch auf Ersatz des normativen Haushaltschadens (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 6). |
Sachverhalt |
Am 9. Mai 1994 wurde X. Opfer eines versuchten Tötungsdelikts und dabei durch einen Schuss am linken Ellbogen verletzt. X. ist von Beruf Kellner, verheiratet und Vater von vier Kindern. Die älteste Tochter wurde 1991 geboren. Sie verstarb 1997 an einem Hirntumor. Die zweite Tochter wurde 1995 und die beiden jüngsten Kinder als Zwillinge 1998 geboren. Die Ehefrau ist mit den Kindern nach mehrjährigem Aufenthalt in der Schweiz im August 2001 nach Bosnien zurückgekehrt.
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Am 10. April 1996 ersuchte X. um Ausrichtung von Opferhilfe, wobei er einen Schaden von mindestens Fr. 100'000.- geltend machte und eine Genugtuung von Fr. 20'000.- verlangte. Am 22. Oktober 2002 präzisierte der Rechtsvertreter von X. das Gesuch um Opferhilfe, indem er den Schaden auf Fr. 382'397.- (Erwerbsausfall und Haushaltschaden) bezifferte und eine Genugtuung von Fr. 80'700.- forderte.
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Mit Beschluss vom 14. April 2004 wies der Regierungsrat sowohl das Entschädigungsgesuch als auch das Gesuch um Ausrichtung einer Genugtuung ab. Gegen diesen Beschluss erhob X. Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz. Neben der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses beantragte er, es sei ihm eine Entschädigung im derzeitigen Höchstbetrag von Fr. 100'000.-, vorbehältlich einer eventuellen gesetzlichen Erhöhung, auszurichten, wobei von einem Erwerbsschaden von Fr. 96'525.- zukünftig und Fr. 44'000.- bisher sowie einem Haushaltschaden von Fr. 138'448.- zukünftig und Fr. 49'424.- bisher auszugehen sei. Weiter sei ihm eine Genugtuungssumme von Fr. 80'700.- auszurichten.
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Mit Entscheid vom 27. August 2004 hiess das Verwaltungsgericht die Beschwerde insofern teilweise gut, als dass es die Sache zur weiteren Sachverhaltsabklärung und zur Neubeurteilung des Schadenersatzanspruchs im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückwies. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab.
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X. hat gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 27. August 2004 beim Bundesgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingelegt. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
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Aus den Erwägungen: |
Erwägung 3 |
Der Beschwerdeführer bringt dagegen vor, das Verwaltungsgericht habe "zeitliche Kongruenzen" nicht beachtet. Zur Bestimmung des anrechenbaren Einkommens werde auf die bis zum 1. Januar 1998 (recte: 31. Dezember 1997) geltenden Gesetze abgestellt, bei der Berechnung des Einkommens aber auf die per 1. Januar 2001 festgesetzten Renteneinkünfte.
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Der massgebliche Zeitpunkt zur Berechnung der Einnahmen des Opfers ist im OHG nicht ausdrücklich geregelt. Zur Ermittlung des massgebenden Zeitpunkts ist deshalb auf den Sinn des Opferhilferechts abzustellen. Das OHG hat zum Ziel, den Opfern von Straftaten wirksame Hilfe zu leisten und ihre Rechtsstellung zu verbessern (Art. 1 Abs. 1 OHG; BGE 131 II 217 E. 2.5 und 3.2, wonach dem Gesetzgebungsauftrag in Art. 124 BV entsprechend Opferhilfe nur erhalten soll, wer dies aufgrund seiner wirtschaftlichen Lage braucht). Das Gesetz knüpft damit an die Hilfsbedürftigkeit des Opfers an. Dieses Kriterium muss auch bezüglich des Zeitpunkts der Berechnung der Einkünfte des Opfers ausschlaggebend sein. Daraus folgt, dass richtigerweise die Einnahmen im Zeitpunkt der Festsetzung der Entschädigung und somit der Zeitpunkt der Verfügung über die Entschädigung massgeblich ist (implizit BGE 129 II 145 E. 3.5.3 S. 158 f.; PETER GOMM, Subsidiarität und Koordination von Entschädigungsleistungen mit Leistungen Dritter nach dem Opferhilfegesetz, in: Bundesamt für Justiz [Hrsg.], Opferhilfe in der Schweiz, Bern 2004, S. 297 f.; PETER GOMM/PETER STEIN/DOMINIK ZEHNTNER, Kommentar zum Opferhilfegesetz, Bern 1995, N. 31 zu Art. 12 OHG, zur Frage der anwendbaren ELG-Werte; ferner die Hinweise auf die kantonale Rechtsprechung bei EVA WEISHAUPT, Finanzielle Ansprüche nach Opferhilfegesetz, in: SJZ 98/2002 S. 328, Anm. 73). Haben sich die Einnahmen des Gesuchstellers seit der Straftat vergrössert, so führt dies zu einer Verringerung seines Entschädigungsanspruchs, während umgekehrt eine teuerungsbedingte Erhöhung der ELG-Beträge (Einkommensgrenze nach Art. 2 Abs. 1 ELG, Fassung vom 7. Oktober 1994; Höchstbetrag für den allgemeinen Lebensbedarf nach Art. 3b Abs. 1 lit. a ELG, Fassung vom 20. Juni 1997) eine Erhöhung des Entschädigungsanspruchs bewirkt. Das Abstellen auf den Zeitpunkt der Verfügung über die Opferhilfeentschädigung entspricht dem Kriterium der Hilfsbedürftigkeit des Opfers vollumfänglich.
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Eine Ausnahme könnte höchstens für den Fall angenommen werden, dass die Behörden das Opferhilfeverfahren übermässig verzögern. In einem solchen Fall dürfte eine Erhöhung der Einnahmen seit der Einreichung des Opferhilfegesuchs nicht berücksichtigt werden, da das Opfer die Nachteile aus einer behördlichen Verfahrensverzögerung nicht zu tragen hätte.
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3.3 Nach dem Gesagten ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht bei der Einkommensberechnung auf die per 1. Januar 2001 festgesetzten Renteneinkünfte abstellte. Der Beschwerdeführer verkennt, dass die Frage des Zeitpunkts der Einkommensberechnung nichts mit der Frage zu tun hat, ob das alte oder das revidierte OHG zur Anwendung gelangt. Auch in Anwendung des OHG in der Fassung vom 4. Oktober 1991 hat das Verwaltungsgericht zu Recht auf die Einkünfte zur Zeit des angefochtenen Beschlusses des Regierungsrats vom 14. April 2004, somit auf die aktuellen, per 1. Januar 2001 festgesetzten Renteneinkünfte des Beschwerdeführers abgestellt.
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Im Übrigen macht der Beschwerdeführer nicht geltend, und aus den Akten geht nicht hervor, dass die lange Verfahrensdauer auf behördliche Untätigkeit zurückgeht. Eine seit dem Opferhilfegesuch eingetretene Einkommenssteigerung darf deshalb bei der Einkommensberechnung berücksichtigt werden.
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(...)
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Erwägung 5 |
Der Beschwerdeführer wendet ein, das Verwaltungsgericht stütze sich bezüglich der Anrechnung der Restarbeitsfähigkeit auf das Sozialversicherungsrecht, das auf einen zwischen Angebot und Nachfrage ausgeglichenen Arbeitsmarkt abstelle. Dies widerspreche den Grundsätzen des Haftpflichtrechts, welches von der konkreten Arbeitsmarktlage ausgehe. Verfehlt sei auch, einen medizinisch-theoretischen Invaliditätsgrad mit dem haftpflichtrechtlichen Invaliditätsgrad gleichzusetzen. Aufgrund der jetzigen Situation auf dem Arbeitsmarkt, seiner schweren Behinderung und der Tatsache, dass er seit fünf Jahren nicht mehr im Erwerbsleben stehe, habe er keine Chancen, eine neue Stelle zu finden. Die kantonalen Instanzen hätten berufsberaterische Abklärungen treffen müssen, um festzustellen, für welche konkreten Arbeitsstellen er überhaupt noch in Frage komme. Er habe trotz behördlicher Unterstützung nicht vermittelt werden können.
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Die Ermittlung des anrechenbaren Einkommens bei Teilinvalidität (Art. 3 Abs. 1 lit. f ELG) wird durch Art. 14a ELV (Fassung vom 7. Dezember 1987; AS 1987 II 1797) näher bestimmt. Danach wird Invaliden als Erwerbseinkommen grundsätzlich der Betrag angerechnet, den sie im massgebenden Zeitabschnitt tatsächlich verdient haben (Abs. 1). Nach Abs. 2 ist Invaliden unter 60 Jahren als Erwerbseinkommen jedoch mindestens anzurechnen der um einen Drittel erhöhte Betrag der Einkommensgrenze für Alleinstehende bei einem Invaliditätsgrad von 40 bis 49 Prozent (lit. a), der Betrag dieser Einkommensgrenze bei einem Invaliditätsgrad von 50 bis 59 Prozent (lit. b) und zwei Drittel dieses Betrages bei einem Invaliditätsgrad von 60 bis 66 2 /3 Prozent (lit. c). Gemäss Rechtsprechung ist bei der Festsetzung des anrechenbaren Erwerbseinkommens bei Teilinvalidität von der Invaliditätsbemessung (Invaliditätsgrad) der Invalidenversicherung auszugehen (BGE 117 V 202 E. 2b S. 205).
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Art. 14a ELV (Fassung vom 7. Dezember 1987; ebenso Art. 14a ELV, Fassung vom 20. Juni 1997) geht von der Vermutung aus, dass es dem Teilinvaliden möglich und zumutbar ist, im Rahmen seines von der Invalidenversicherung festgestellten verbliebenen Leistungsvermögens die in Abs. 2 der genannten Vorschrift festgelegten Grenzbeträge zu erzielen. Der Betroffene kann die Vermutung widerlegen, indem er Umstände geltend macht, welche bei der Bemessung der Invalidität ohne Bedeutung waren, ihm jedoch verunmöglichen, seine theoretische Restarbeitsfähigkeit wirtschaftlich zu nutzen. Erfahrungsgemäss gibt es Fälle, in denen die Invalidenversicherung zu Recht bloss eine halbe Rente zuspricht, obwohl der Versicherte aus invaliditätsfremden Gründen nicht in der Lage ist, die verbliebene Arbeitsfähigkeit tatsächlich zu verwerten. Müssten sich auch solche Personen die schematisch festgelegten hypothetischen Erwerbseinkommen anrechnen lassen, hätte dies zur Folge, dass Art. 3 Abs. 1 lit. f ELG (Fassung vom 4. Oktober 1985; Art. 3c Abs. 1 lit. g ELG, Fassung vom 20. Juni 1997) seines Sinnes entleert würde, da diese Bestimmung nur die Anrechnung von Einkünften vorschreibt, auf die der Ansprecher verzichtet hat. Massgebend für die Berechnung der Ergänzungsleistung ist daher dasjenige hypothetische Einkommen, das der Versicherte tatsächlich realisieren könnte (BGE 117 V 202 E. 2a S. 204; BGE 115 V 88 E. 2 S. 92). Damit deckt sich der Einkommensbegriff nach ELG und OHG mit dem zivilrechtlichen Schadensbegriff bei Teilinvalidität (GOMM/STEIN/ZEHNTNER, a.a.O., N. 34 zu Art. 14 OHG; vgl. zur konkreten Berechnung des Invaliditätsschadens im Haftpflichtrecht Urteil des Bundesgerichts 4C.107/2001 vom 20. August 2001, E. 2b; BGE 117 II 609 E. 9 S. 624; BGE 113 II 345 E. 1a S. 347 f.).
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Bei der Prüfung der Frage, ob dem Teilinvaliden die Ausübung einer Tätigkeit möglich und zumutbar ist, sind sämtliche Umstände zu berücksichtigen, welche die Realisierung eines Einkommens verhindern oder erschweren, wie Alter, mangelnde Ausbildung oder Sprachkenntnisse, aber auch persönliche Umstände, die es dem Leistungsansprecher verunmöglichen, seine verbliebene Erwerbsfähigkeit in zumutbarer Weise auszunützen (BGE 117 V 202 E. 2a S. 204 f. mit Hinweisen).
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5.3 Im Verfahren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist das Bundesgericht an die Feststellungen des Sachverhalts einer richterlichen Behörde als Vorinstanz gebunden, es sei denn, der Sachverhalt sei offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden (Art. 105 Abs. 2 OG).
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Erwägung 5.4 |
Diese tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts sind insgesamt nachvollziehbar. Der Beschwerdeführer bringt nichts vor, was sie als offensichtlich falsch oder unvollständig erscheinen liesse. Insbesondere vermag sein Argument, das Verwaltungsgericht habe bei der Beurteilung seiner Chancen auf dem Arbeitsmarkt nicht berücksichtigt, dass er bereits seit fünf Jahren nicht mehr im Erwerbsleben stehe, nicht zu überzeugen. Wie sich aus dem angefochtenen Entscheid ergibt, meldete sich der Beschwerdeführer ab Oktober 2000 nicht mehr bei der Arbeitslosenversicherung. Er hat sich die lange Dauer seiner Erwerbslosigkeit somit zumindest teilweise selbst zuzuschreiben. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers sind keine berufsberaterischen Abklärungen nötig, um seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt abschätzen zu können. Der Beschwerdeführer arbeitete bereits vor der Straftat als Kellner im Gastgewerbe, somit in einem Bereich, wo freie (Teil zeit-)Arbeitsstellen nach der Sachverhaltsermittlung des Verwaltungsgerichts noch zu finden sind. Das Bundesgericht ist an die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Entscheid somit gebunden (Art. 105 Abs. 2 OG).
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Erwägung 6 |
6.2 In seiner Stellungnahme zum vorliegenden Verfahren hält das Bundesamt für Justiz (BJ) dafür, dass die Rechtsprechung zum Ersatz des normativen Haushaltschadens im Rahmen des Opferhilfegesetzes, welche zum Teil uneinheitlich sei, vom Bundesgericht revidiert werden sollte. Der Gesetzgeber habe bewusst ein vom Haftpflichtrecht abweichendes Opferhilfe-System gewählt, das spezifische Lösungen zulasse. Die Empfehlungen zur Anwendung des Bundesgesetzes über die Hilfe an Opfer von Straftaten (OHG), 2. Aufl. 2002, und ein Teil der Lehre würden den Standpunkt vertreten, dass nicht alle haftpflichtrechtlich relevanten Schäden im Rahmen des Opferhilfegesetzes zu berücksichtigen seien. Aus den Ergebnissen des Vernehmlassungsverfahrens zum Vorentwurf der Expertenkommission für die Totalrevision des Bundesgesetzes über die Hilfe an Opfer von Straftaten vom 25. Juni 2002 ergebe sich, dass die Kantone eine Regelung wünschten, wonach bestimmte Schadensarten, insbesondere der normative Haushaltschaden, von der opferhilferechtlichen Entschädigung ausgeschlossen sind. Auch das BJ folge der Auffassung, dass der normative Haushaltschaden im Rahmen der Opferhilfe nicht zu ersetzen sei. Wegleitender Gedanke dieses Gesetzes sei nicht derjenige der Staatshaftung, sondern jener der Billigkeit und Solidarität. Der Ersatz eines Schadens ohne Nachweis einer konkret entstandenen Vermögenseinbusse, wie es das Konzept des normativen Haushaltschadens vorsehe, würde über die Ziele der Opferhilfe hinausgehen. Bei der Bestimmung des anrechenbaren Haushaltschadens nach Art. 12 Abs. 1 und Art. 13 Abs. 1 OHG seien deshalb nur die durch die Straftat effektiv verursachten Vermögenseinbussen zu berücksichtigen.
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6.3 Im Verfahren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde hat das Bundesgericht das Bundesrecht von Amtes wegen anzuwenden (BGE 129 II 420 E. 2.1 S. 424). An die Begründung der Begehren ist es nicht gebunden (Art. 114 Abs. 1 OG). Vorliegend hat das Verwaltungsgericht über den geltend gemachten Entschädigungsanspruch noch nicht entschieden, sondern lediglich die Frage der Anspruchsvoraussetzungen und der Berechnungsgrundlage des normativen Haushaltschadens im Rahmen der Opferhilfe beantwortet. Das Bundesgericht darf diese rechtlichen Erwägungen ohne weiteres überprüfen. Dadurch wird das Verbot, zu Ungunsten über die Parteibegehren hinauszugehen (Art. 114 Abs. 1 OG), nicht verletzt, selbst wenn das Bundesgericht entgegen seiner bisherigen Praxis zum Schluss kommen sollte, dass der normative Haushaltschaden im Rahmen der Opferhilfe nicht zu entschädigen sei.
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Nach dem Bundesgerichtsurteil 1A.252/2000 vom 8. Dezember 2000 (E. 2c, publ. in: ZBl 102/2001 S. 486) fällt auch der Haushaltschaden unter die Entschädigungspflicht nach Opferhilfegesetz (bestätigt in BGE 129 II 145 E. 2 S. 147 ff.). Der Haushaltschaden kann entweder konkret nach der effektiven Vermögenseinbusse (Differenztheorie) oder aber abstrakt (normativ) berechnet werden. Nach der abstrakten (normativen) Berechnungsmethode wird der Wert der verunmöglichten Arbeitsleistung geschätzt, unter Berücksichtigung des Grades der Arbeitsunfähigkeit, des Zeitaufwands für den Haushalt und des Werts der Arbeitsstunde im Haushalt (Urteil des Bundesgerichts 4C.194/2002 vom 19. Dezember 2002, publ. in: Pra 92/2003 Nr. 69 S. 341 ff., E. 4.2.1; BGE 117 II 609 E. 7 S. 623 f.; BGE 113 II 345 E. 2 S. 350 ff.). Im Bundesgerichtsurteil 1A.252/2000 zur Entschädigung des Haushaltschadens im Rahmen der Opferhilfe berief sich das Bundesgericht auf den Regelungszweck des OHG, wonach diejenigen Personen in den Genuss von Opferhilfeleistungen kommen sollen, die infolge der Straftat in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Gerade solche Personen werden zögern, eine Haushaltshilfe anzustellen und damit Kosten zu verursachen, deren Ersatz ungewiss ist. Zudem kann dem Opfer, das an den psychischen Folgen der Straftat leidet, die Anstellung einer Ersatzkraft im Haushalt und damit im höchstpersönlichen Bereich nicht aufgedrängt werden. Dies wäre aber die Konsequenz einer Berechnung des Haushaltschadens nach der Differenztheorie. Das Bundesgericht ist deshalb zum Schluss gekommen, dass der Haushaltschaden auch im Rahmen der Opferhilfe normativ berechnet werden darf (E. 2e, in fine).
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Gestützt auf die Entstehungsgeschichte des OHG und den Opferbegriff wird in der Rechtslehre mehrheitlich die Auffassung vertreten, dass im Rahmen der Opferhilfe nur diejenigen Schadensposten von Bedeutung sein können, die einen Zusammenhang mit der die Opfereigenschaft begründenden Straftat resp. mit der dadurch bewirkten Beeinträchtigung der körperlichen, sexuellen oder psychischen Integrität aufweisen, nicht aber Sachschäden und reine Vermögensschäden. Im Vordergrund stehen deshalb Personenschäden, wie Heilbehandlungs- und Spitalkosten, Verdienstausfall, Bestattungskosten, Versorgerschaden und namentlich Haushaltschaden (GOMM/STEIN/ZEHNTNER, a.a.O., N. 4 ff. zu Art. 13 OHG; WEISHAUPT, a.a.O., S. 326; RUTH BANTLI KELLER/ULRICH WEDER/KURT MEIER, Anwendungsprobleme des Opferhilfegesetzes, in: Plädoyer 1995 5 S. 42; CÉDRIC MIZEL, La qualité de victime LAVI et la mesure actuelle des droits qui en découlent, in: JdT 2003 IV S. 90 f.; THOMAS KOLLER, Das Opferhilfegesetz: Auswirkungen auf das Strassenverkehrsrecht, in: AJP 1996 S. 591). Ob auch (haftpflichtrechtlich relevante) Sachschäden im Rahmen der Opferhilfe zu ersetzen sind, musste das Bundesgericht bislang nicht entscheiden (vgl. THOMAS HÄBERLI, Das Opferhilferecht unter Berücksichtigung der Praxis des Bundesgerichts, in: ZBJV 138/2002 S. 369, mit Hinweisen). Im vom BJ zitierten BGE 131 II 121 bejahte das Bundesgericht die Frage, ob das Opfer im Rahmen von Art. 11 ff. OHG Anwaltskosten geltend machen kann, die nach den Regeln des Haftpflichtrechts zu ersetzen wären (E. 2.4.4). Zwar erkannte das Bundesgericht, dass die Entschädigung auf den Betrag beschränkt werden kann, welcher in Anwendung des Tarifs für die unentgeltliche Rechtspflege zugesprochen würde. Jedoch stützte es sich dabei nicht auf einen vom Haftpflichtrecht abweichenden Schadensbegriff, sondern begründete die Zulässigkeit der Beschränkung mit der Subsidiarität des Anspruchs auf Ersatz der Anwaltskosten nach Art. 11 ff. OHG gegenüber dem Entschädigungsanspruch nach Art. 3 Abs. 4 OHG, wonach Anwaltskosten nur nach dem Tarif für die unentgeltliche Rechtspflege zugesprochen werden (E. 2.5.2). Auch in BGE 131 II 217 stützte sich das Bundesgericht auf den haftpflichtrechtlichen Schadensbegriff, indem es entschied, dass das Opfer Anspruch auf die Vergütung des Schadenszinses im Rahmen der opferhilferechtlichen Entschädigung hat. Entgegen der Auffassung des BJ trifft es somit nicht zu, dass die Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Schadensbegriff im Opferhilferecht uneinheitlich ist.
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Das BJ ist der Auffassung, die Entschädigung des normativen Haushaltschadens stehe zur historisch-teleologischen Auslegung des OHG in Widerspruch. Der historische Gesetzgeber habe ein vom Haftpflichtrecht abweichendes Opferhilfe-System schaffen wollen, das spezifische Lösungen zulasse. Dies trifft zweifelsohne zu, betrifft aber nicht die Schadensberechnung, sondern die Bemessung der Opferhilfeentschädigung. So begrenzen das OHG und die dazu gehörige Verordnung die Entschädigung erstens durch Berücksichtigung der Einnahmen des Opfers (Art. 12 Abs. 1 und Art. 13 Abs. 1 OHG), zweitens durch die Subsidiarität der staatlichen Leistung (Art. 14 OHG) und drittens durch die Festlegung des Höchstbetrages von Fr. 100'000.- (Art. 4 Abs. 1 OHV). Diese Bemessungsregeln des OHG zeigen, dass der historische Gesetzgeber ein zum Haftpflichtrecht unterschiedliches Entschädigungssystem schaffen wollte (vgl. BGE 125 II 169 E. 2b/bb S. 173 f.). Daraus lässt sich aber nicht ableiten, dass der Schadensbegriff im Opferhilferecht ein anderer sein soll als derjenige im Haftpflichtrecht. Eine gewisse Kohärenz zwischen den Begriffen des OHG und denjenigen des Privatrechts ist auch aus Praktikabilitätsgründen geboten (vgl. BGE 128 II 49 E. 4.3 S. 55; BGE 125 II 169 E. 2b S. 173; BGE 123 II 210 E. 3b/dd S. 216).
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Das BJ stützt seine ablehnende Auffassung noch auf ein weiteres teleologisches Argument: Die Ausrichtung einer Entschädigung für einen nicht ausgewiesenen Schaden gehe über das Opferhilfegesetz hinaus. Im bereits zitierten Urteil 1A.252/2000 vom 8. Dezember 2000 hat das Bundesgericht die opferhilferechtliche Entschädigung des normativen Haushaltschadens mit der wirtschaftlichen Lage des Opfers begründet (vgl. E. 6.4 hiervor). Die wirtschaftliche Hilfsbedürftigkeit des Opfers ist zentrales Kriterium für die Frage, ob und in welcher Höhe ein Anspruch auf Ausrichtung von Opferhilfeleistungen besteht (vgl. Art. 124 BV; GOMM/STEIN/ZEHNTNER, a.a.O., N. 1 ff. zu Art. 13 OHG; WEISHAUPT, a.a.O., S. 322 und 327 f.; BANTLI KELLER/WEDER/MEIER, a.a.O., S. 40). Es ist daher nicht einleuchtend, weshalb die Entschädigung des normativen Haushaltschadens vom Sinn und Zweck des Opferhilfegesetzes nicht gedeckt sein soll. Daran ändert nichts, dass das Konzept des normativen Haushaltschadens in der Privatrechtslehre nicht einhellig befürwortet wird (vgl. WALTER FELLMANN, Normativierung des Personenschadens - der Richter als Gesetzgeber?, in: HAVE [Haftung und Versicherung], Personen-Schaden-Forum 2005, Zürich 2005, S. 13 ff.; GUY CHAPPUIS, Le préjudice ménager: encore et toujours ou les errances du dommage normatif, in: HAVE 4/2004 S. 282 ff.). Das Bundesgerichtsurteil 1A.252/2000 zur Entschädigung des normativen Haushaltschadens im Rahmen der staatlichen Opferhilfe ist jedenfalls, soweit ersichtlich, in der Lehre nicht auf Kritik gestossen.
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6.6 Nach dem Gesagten ist eine Änderung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zum Schadensbegriff im Opferhilferecht nicht gerechtfertigt. Es wird Sache des Gesetzgebers sein, im Rahmen der Totalrevision des OHG darüber zu befinden, ob der normative Haushaltschaden inskünftig nicht mehr entschädigt werden soll. Vorliegend hat das Verwaltungsgericht somit kein Bundesrecht verletzt, wenn es davon ausgeht, dass der normative Haushaltschaden unter den Schadensbegriff des OHG fällt und - unter der Voraussetzung, dass alle übrigen Voraussetzungen, insbesondere das Bestehen einer haushaltbezogenen Arbeitsunfähigkeit, erfüllt sind - nach Art. 12 Abs. 1 und Art. 13 Abs. 1 OHG zu ersetzen ist.
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