BGE 140 II 185 |
18. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Universität Luzern, Studiendienste, und Bildungs- und Kulturdepartement des Kantons Luzern (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) | |||||||||||||||||||||||
2C_457/2013 vom 13. März 2014 | |||||||||||||||||||||||
Regeste | |||||||||||||||||||||||
Art. IV.1 des Lissabonner Übereinkommens vom 11. April 1997, Art. 1 der Europaratskonvention Nr. 15; Art. 1, 2 und 5 Abs. 2 des Bundesgesetzes über die internationale Zusammenarbeit im Bereich der Bildung, der Berufsbildung, der Jugend und der Mobilitätsförderung; Art. 22 UFG; Grundsatz der Akzeptanz bzw. Äquivalenz bei der Zulassung zum Hochschulstudium. | |||||||||||||||||||||||
Sachverhalt | |||||||||||||||||||||||
X. (geb. 1964) besuchte vom September 2006 bis zum Dezember 2006 und vom September 2007 bis zum Juli 2009 die Staatliche Berufsoberschule Augsburg (Deutschland) in der Ausbildungsrichtung "Wirtschaft". Am 10. Juli 2009 schloss er diese mit dem Zeugnis der fachgebundenen Hochschulreife ab. Gleichzeitig erteilte ihm die Staatliche Berufsoberschule Augsburg das Zeugnis über die zweite Fremdsprache (Spanisch). Die Verbindung der beiden Zeugnisse weist die allgemeine Hochschulreife nach, welche zum Universitätsstudium in Deutschland berechtigt. Im Wintersemester 2009 war X. an der Universität Augsburg immatrikuliert (Fachrichtung Rechtswissenschaften).
| |||||||||||||||||||||||
Nachdem X. sich bereits für das Frühlingssemester 2012 erfolglos für das Bachelorstudium an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Luzern angemeldet hatte, ersuchte er für das Herbstsemester 2012 erneut um Studienzulassung. Mit Schreiben vom 11. Mai 2012 bzw. Verfügung vom 9. Juli 2012 teilten ihm die Studiendienste der Universität Luzern mit, dass er die Zulassungsvoraussetzungen nicht erfülle. X. gelangte hiergegen erfolglos an das Bildungs- und Kulturdepartement (Entscheid vom 8. November 2012) und an das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern (nunmehr Kantonsgericht; Urteil vom 8. April 2013).
| |||||||||||||||||||||||
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde von X. gut, hebt das Urteil des Verwaltungsgerichts auf und weist die Sache zu neuem Entscheid im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurück.
| |||||||||||||||||||||||
(Zusammenfassung)
| |||||||||||||||||||||||
Aus den Erwägungen: | |||||||||||||||||||||||
Erwägung 2 | |||||||||||||||||||||||
2.1 Die Vorinstanz hat erwogen, Studienbewerber an der Universität müssten gemäss § 21 Abs. 1 und 3 des Luzerner Gesetzes vom 17. Januar 2000 über die universitäre Hochschulbildung (Universitätsgesetz; SRL 539) die im Universitätsstatut vom 12. Dezember 2001 (SRL 539c) festgelegten Voraussetzungen erfüllen. Gemäss § 31 des Statuts würden Studierende unter anderem dann immatrikuliert, wenn sie über einen gemäss den Zulassungsrichtlinien der Universität Luzern als gleichwertig anerkannten ausländischen Ausweis verfügten. Nach den Zulassungsrichtlinien müssten in den letzten drei Schuljahren durchgehend mindestens sechs allgemeinbildende Fächer gemäss einer bestimmten Fächerliste absolviert worden sein, darunter auch solche der Kategorie 4: Naturwissenschaften (Biologie, Chemie oder Physik). Der Beschwerdeführer erfülle diese Anforderungen nicht, da er zwar Unterricht in Physik genossen habe, aber nicht während durchgehend dreier Jahre. Damit liege ein wesentlicher Unterschied im Sinne von Art. IV.1 des Übereinkommens vom 11. April 1997 über die Anerkennung von Qualifikationen im Hochschulbereich in der europäischen Region (Lissabonner Übereinkommen, in Kraft getreten für die Schweiz am 1. Februar 1999; SR 0.414.8) im Vergleich zur schweizerischen gymnasialen Matura vor. Der Beschwerdeführer möge zwar in seiner früheren, im Jahre 1995 abgeschlossenen Ausbildung zum Industriemechaniker Unterricht in naturwissenschaftlichen Fächern erhalten haben, doch könne dieser nicht berücksichtigt werden, da er nicht in den letzten drei Schuljahren erfolgt sei.
| |||||||||||||||||||||||
Erwägung 3 | |||||||||||||||||||||||
Erwägung 3.2 | |||||||||||||||||||||||
3.2.1 Das Lissabonner Übereinkommen will die Bemühungen aller Menschen in den Signatarstaaten erleichtern, "ihre Bildung an Hochschuleinrichtungen dieser anderen Vertragsstaaten fortzusetzen oder dort eine Studienzeit abzuschliessen", wobei eine "gerechte Anerkennung von Qualifikationen" einen wesentlichen Bestandteil des Rechts auf Bildung und eine Aufgabe der Gesellschaft darstellen soll (vgl. die Präambel). Zu diesem Zweck sieht Art. III.5 insofern verfahrensrechtliche Garantien vor, als die Verweigerung der Anerkennung der Qualifikationen zu begründen und der Antragsteller über mögliche Massnahmen zu unterrichten ist, die er ergreifen kann, um die Anerkennung zu einem späteren Zeitpunkt zu erlangen. Wird die Anerkennung versagt oder ergeht kein Entscheid, so kann der Antragsteller innerhalb einer angemessenen Frist Rechtsmittel einlegen. Abschnitt IV regelt die "Anerkennung von Qualifikationen, die den Zugang zur Hochschulbildung ermöglichen". Der im vorliegenden Zusammenhang diesbezüglich relevante Art. IV.1 hält fest, dass "jede Vertragspartei (...) für den Zweck des Zugangs zu den zu ihrem Hochschulsystem gehörenden Programmen die von den anderen Vertragsparteien ausgestellten Qualifikationen" anerkennt, "welche die allgemeinen Voraussetzungen für den Zugang zur Hochschulbildung in diesen Staaten erfüllen, sofern nicht ein wesentlicher Unterscheid zwischen den allgemeinen Zugangsvoraussetzungen in der Vertragspartei, in der die Qualifikation erworben wurde, und denen in der Vertragspartei, in der die Anerkennung der Qualifikation angestrebt wird, nachgewiesen werden kann".
| |||||||||||||||||||||||
Erwägung 4 | |||||||||||||||||||||||
4.2 Zu Recht kritisiert der Beschwerdeführer die Auffassung, das Lissabonner Übereinkommen sei - wie die Europaratskonvention Nr. 15 - im hier interessierenden Punkt nicht "self-executing": Eine staatsvertragliche Bestimmung ist praxisgemäss direkt anwendbar, wenn sie inhaltlich hinreichend bestimmt und klar ist, um im Einzelfall Grundlage eines Entscheides bilden zu können. Die Norm muss mithin justiziabel sein, d.h. es müssen die Rechte und Pflichten des Einzelnen umschrieben und der Adressat der Norm die rechtsanwendenden Behörden sein. Wie es sich damit verhält, ist von diesen zu bestimmen (BGE 136 I 297 E. 8.1; BGE 133 I 286 E. 3.2; BGE 124 III 90 E. 3a S. 91). Das Lissabonner Übereinkommen als gemeinsames Abkommen im Rahmen des Europarats und der UNESCO beruht mit Art. IV.1 auf dem Prinzip der Akzeptanz ("acceptance") der im Ausland erworbenen Qualifikationen. Neu müssen die Transparenz und Fairness des jeweiligen Anerkennungsentscheids bzw. eine allfällige Ablehnung ausländischer Diplome als gerecht, nicht diskriminierend und im Gebiete des Abkommens stehend nachgewiesen werden. Jeder Mitgliedstaat hat zwar die Möglichkeit, die wesentlichen Unterschiede ("substantial differences") ausländischer Studienleistungen zum eigenen Studiensystem selbst zu definieren und gewisse Ergänzungen zu verlangen, doch liegt die Beweislast, dass ein Antrag die vermutete Äquivalenz bzw. die entsprechenden Voraussetzungen zwischen den Unterzeichnerstaaten nicht erfüllt, bei der die Bewertung durchführenden Stelle (Art. III.3). Die im Übereinkommen vorgesehenen Rechte und Erleichterungen werden durch entsprechende verfahrensrechtliche Garantien gesichert (vgl. Art. III.5). Es ist deshalb grundsätzlich davon auszugehen, dass das Prinzip der Akzeptanz bzw. (wechselseitigen) Anerkennung - wesentliche Unterschiede vorbehalten - von den Antragstellern direkt geltend gemacht werden kann und Art. IV.1 "self-executing"-Wirkung im Sinne der Rechtsprechung hat. Dies gilt auch in Fällen wie dem vorliegenden, in denen die Zuständigkeit für die Anerkennungsangelegenheiten an sich in der Kompetenz der Gliedstaaten, d.h. der Kantone bzw. deren Anstalten, liegt (vgl. Art. II.1). Als Prinzip gilt die Gleichwertigkeit der Hochschulreifezeugnisse, Ausnahmen bedürfen eines gewichtigen Unterschieds. Ob ein solcher konkret vorliegt, ist eine justiziable Frage (a.M. jedoch ohne weitere Begründung PFENNINGER-HIRSCHI/HAFNER, § 24 Ausländische Schulkinder und ausländische Studierende, in: Ausländerrecht, Uebersax/Rudin/Hugi Yar/Geiser [Hrsg.], 2. Aufl. 2009, S. 1267 ff., dort N. 24.56 und 24.57).
| |||||||||||||||||||||||
4.3 Die Unterzeichnung des Lissabonner Übereinkommens seitens des Bundesrats ohne Genehmigungsvorbehalt zugunsten des Parlaments beruht auf den Kompetenzen, die dem Bund (Art. 1) und der Regierung (Art. 2) im Bundesgesetz vom 8. Oktober 1999 über die internationale Zusammenarbeit im Bereich der Bildung, der Berufsbildung, der Jugend und der Mobilitätsförderung (SR 414.51) eingeräumt worden sind. Bereits zuvor war der Bundesrat zum Abschluss solcher Verträge ermächtigt (AS 1991 1972); der entsprechende Bundesbeschluss vom 22. März 1991 ist durch die neue gesetzliche Regelung ersetzt worden (Art. 5 Abs. 2 des Gesetzes). Die Universitäten wurden vor Beitritt zum Abkommen konsultiert und haben diesem zugestimmt (vgl. PFENNINGER-HIRSCHI/HAFNER, a.a.O., N. 24.55). Ihre Autonomie wird dadurch nicht beeinträchtigt; sie haben nach wie vor die Möglichkeit, den Zugang aufgrund einer sachlich belegten, diskriminierungsfrei festgestellten tatsächlich fehlenden Äquivalenz im Einzelfall zu beschränken. Im Unterschied zur Europaratskonvention Nr. 15 hat der Bundesrat beim Lissabonner Abkommen darauf verzichtet, eine Erklärung abzugeben, wonach die Hochschulautonomie bei dessen Anwendung vorbehalten bleibe (vgl. die Erklärungen zu SR 0.414.1 einerseits und zu 0.414.8 andererseits), sodass nicht unter Hinweis auf die bundesrätliche Botschaft zum älteren Abkommen die direkte Anwendbarkeit von Art. IV.1 und des Grundsatzes der Akzeptanz verneint werden kann.
| |||||||||||||||||||||||
Erwägung 5 | |||||||||||||||||||||||
|