BGE 143 II 661
 
47. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Kantonales Steueramt Solothurn (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
 
2C_40/2017 / 2C_41/2017 vom 5. Oktober 2017
 
Regeste
Art. 18 Abs. 2 und Art. 37b DBG, Art. 1 und 2 LGBV; vom übrigen Einkommen getrennte und damit privilegierte Besteuerung der in den letzten zwei Geschäftsjahren realisierten stillen Reserven bei definitiver Aufgabe der selbstständigen Erwerbstätigkeit nach dem vollendeten 55. Altersjahr oder wegen Unfähigkeit zur Weiterführung infolge Invalidität.
 
Sachverhalt
A. A. erwarb im Jahr 2000 eine Liegenschaft, in der er im Jahr 2003 eine Hausarztpraxis eröffnete. Infolge eines im Jahr 2004 erlittenen Hirnschlages reduzierte er die selbstständige Erwerbstätigkeit. Im Jahre 2012 stellte er im Alter von 52 Jahren die selbstständige Erwerbstätigkeit ganz ein.
Mit Entscheid vom 5. September 2014 veranlagte die Veranlagungsbehörde U. A. für das Steuerjahr 2012 mit einem steuerbaren Einkommen von Fr. 317'100.- (direkte Bundessteuer) bzw. Fr. 315'929.- (Staatssteuer) und einem steuerbaren Vermögen von Fr. 0.-.
B. Mit Einsprache und danach Beschwerde bzw. Rekurs an das Kantonale Steuergericht Solothurn beantragte A. vergeblich, die stillen Reserven im Umfang von Fr. 310'788.-, die aus der Praxisaufgabe resultierten (einschliesslich wiedereingebrachte Abschreibungen in der Höhe von Fr. 270'000.- auf der Liegenschaft), gesondert zu dem nach Bundes- und kantonalem Recht vorgesehenen reduzierten Satz zu besteuern. Mit Urteil vom 21. November 2016 wies das Steuergericht Beschwerde und Rekurs ab.
C. A. führt mit Eingabe vom 13. Januar 2017 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht mit dem Antrag, das letztgenannte Urteil aufzuheben und den im Steuerjahr 2012 erzielten Liquidationsgewinn getrennt vom übrigen Einkommen zu besteuern.
D. Das Kantonale Steuergericht und das Kantonale Steueramt Solothurn sowie die Eidgenössische Steuerverwaltung beantragten die Abweisung der Beschwerde.
 
Aus den Erwägungen:
II. Direkte Bundessteuer
 
Erwägung 2
2.2 Wird die selbstständige Erwerbstätigkeit nach dem vollendeten 55. Altersjahr oder wegen Unfähigkeit zur Weiterführung infolge Invalidität definitiv aufgegeben, so ist die Summe der in den letzten zwei Geschäftsjahren realisierten stillen Reserven getrennt vom übrigen Einkommen zu besteuern (Art. 37b Abs. 1 erster Satz DBG).
Die Aufgabe der selbstständigen Erwerbstätigkeit muss definitiv erfolgen (Art. 37b Abs. 1 erster Satz DBG; Art. 1 Abs. 1 der Verordnung vom 17. Februar 2010 über die Besteuerung der Liquidationsgewinne bei definitiver Aufgabe der selbstständigen Erwerbstätigkeit [LGBV; SR 642.114]; siehe dazu Urteil 2C_1050/2015 / 2C_1051/2015 vom 13. Juni 2016 E. 3.2). Als Liquidationsjahr gilt das Geschäftsjahr, in dem die Liquidation abgeschlossen wird (Art. 2 LGBV).
 
Erwägung 3
3.1 Nach Art. 8 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG; SR 830.1) ist Invalidität die voraussichtlich bleibende oder längere Zeit dauernde ganze oder teilweise Erwerbsunfähigkeit (vgl. Kreisschreiben Nr. 28 der Eidgenössischen Steuerverwaltung vom 3. November 2010 über die Besteuerung der Liquidationsgewinne bei definitiver Aufgabe der selbstständigen Erwerbstätigkeit, Ziff. 2.2). Gestützt auf Art. 1 Abs. 2 LGBV richtet sich der Eintritt der Invalidität im Sinne von Art. 37b DBG nach Art. 4 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG; SR 831.20). Danach gilt die Invalidität als eingetreten, sobald sie die für die Begründung des Anspruchs auf die jeweilige Leistung erforderliche Art und Schwere erreicht hat.
3.3 Die Invalidität muss kausal für die Aufgabe der selbstständigen Tätigkeit sein (Kreisschreiben Nr. 28, a.a.O., Ziff. 2.2). Während der italienische Wortlaut lediglich die zeitliche Abfolge der Ereignisse "Invalidität" und "Geschäftsaufgabe" zum Ausdruck bringt ("cessazione definitiva dell'attività lucrativa ... in seguito a invalidità"), unterstreichen der deutsche und französische Wortlaut ("wegen Unfähigkeit zur Weiterführung infolge Invalidität"; "incapable de poursuivre ...pour cause d'invalidité"), dass die Invalidität ursächlich sein muss für die Geschäftsaufgabe.
Für die Geschäftsaufgabe kausal ist die Invalidität, wenn der Geschäftsinhaber wegen ihr nicht mehr in der Lage ist, das Geschäft weiterzuführen (vgl. MARKUS REICH, Steuerrecht, 2. Aufl. 2012, S. 432). Zwischen der Beeinträchtigung der Gesundheit und dem Verlust der Erwerbsmöglichkeit im Rahmen der bisher ausgeübten selbstständigen Erwerbstätigkeit muss ein Kausalzusammenhang bestehen, der es als nachvollziehbar erscheinen lässt, dass die steuerpflichtige Person die selbstständige Erwerbstätigkeit definitiv aufgibt (RICHNER, Liquiditätsgewinnbesteuerung bei Aufgabe der selbständigen Erwerbstätigkeit, Zürcher Steuerpraxis [ZStP] 2009 S. 189; RICHNER/FREI/KAUFMANN/MEUTER, Handkommentar zum DBG, 3. Aufl. 2016, N. 7 zu Art. 37b DBG). Zu verlangen ist, dass auch ein Dritter die eingetretene Invalidität zum Anlass genommen hätte oder genommen haben könnte, seine unternehmerische Tätigkeit einzustellen.
Die Invalidität muss die Ausübung der bisherigen selbstständigen Tätigkeit verunmöglichen; eine generelle Erwerbsunfähigkeit ist nicht erforderlich (vgl. RICHNER, a.a.O., S. 189; RICHNER/FREI/KAUFMANN/MEUTER, a.a.O., N. 7 zu Art. 37b DBG; REICH/CAVELTI, in: Bundesgesetz über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden, 3. Aufl. 2017, N. 71 zu Art. 11 StHG). Der deutsche und italienische Wortlaut ("wegen Unfähigkeit zur Weiterführung"; "per incapacità di esercitare tale attività") geben darüber zwar keinen eindeutigen Aufschluss, sehr wohl jedoch der französische Wortlaut ("s'il est incapable de poursuivre cette activité"). Dementsprechend bleibt denkbar, dass - allenfalls auch dank Wiedereingliederungsmassnahmen - nach dem Eintritt der Invalidität eine andere Tätigkeit ausgeübt wird (vgl. GANI, a.a.O., N. 25 zu Art. 37b DBG), die allerdings nicht selbstständig sein darf, weil sonst keine definitive Aufgabe der selbstständigen Erwerbstätigkeit vorliegt (vgl. RICHNER, a.a.O., S. 187; RICHNER/FREI/KAUFMANN/MEUTER, a.a.O., N. 4 zu Art. 37b DBG).
3.4 Art. 37b DBG kann einer steuerpflichtigen Person nur einmal zugutekommen (vgl. Art. 1 Abs. 3 lit. b LGBV). Nimmt sie zu einem späteren Zeitpunkt erneut eine selbstständige Erwerbstätigkeit auf, so wird ein allfälliger erneuter Liquidationsgewinn zusammen mit dem übrigen Einkommen zum ordentlichen Tarif besteuert (vgl. Kreisschreiben Nr. 28, a.a.O., Ziff. 2.1; JULIA VON AH, Die Besteuerung Selbständigerwerbender, 2. Aufl. 2011, S. 232).
- Eintritt einer Invalidität im Sinne von Art. 8 ATSG bzw. Art. 4 IVG;
- definitive Aufgabe der selbstständigen Erwerbstätigkeit;
- Kausalzusammenhang zwischen Invalidität und Geschäftsaufgabe;
- erstmalige Inanspruchnahme der privilegierten Besteuerung.
 
Erwägung 4
Seit 2012 ist der Beschwerdeführer zu 100 % erwerbsunfähig. Sofern sämtliche Voraussetzungen für eine Besteuerung nach Art. 37b DBG erfüllt sind, qualifiziert das vorliegend streitige Steuerjahr 2012 somit als Liquidationsjahr gemäss Art. 2 LGBV.
Zu verwerfen ist die vorinstanzliche Argumentation, soweit sie die Anwendung von Art. 37b DBG im Wesentlichen mit der Begründung verweigerte, dass der Beschwerdeführer die gesonderte Besteuerung des Liquidationsgewinns bereits im Jahr 2004 hätte verlangen können. Wenn Art. 37b DBG, der am 1. Januar 2011 in Kraft gesetzt wurde (vgl. AS 2008 2893; BBl 2005 4733), im Jahr 2004 schon anwendbar gewesen wäre, hätte der Beschwerdeführer das Privileg damals gerade nicht beanspruchen können, weil er sein Geschäft noch gar nicht aufgegeben hatte, sondern in reduziertem Umfang bis ins Jahr 2012 weiterführte.
 
Erwägung 5
5.1.1 Ein natürlicher Kausalzusammenhang besteht, wenn das schädigende Verhalten eine notwendige Bedingung (condicio sine qua non) für den eingetretenen Schaden ist, d.h. das fragliche Verhalten nicht weggedacht werden kann, ohne dass auch der eingetretene Erfolg entfiele (Urteil 5A_522/2014 / 5A_569/2014 / 5A_573/2014 vom 16. Dezember 2015 E. 4.5, nicht publ. in: BGE 142 III 9; BGE 133 III 462 E. 4.4.2 S. 470; BGE 132 III 715 E. 2.2 S. 718; BGE 128 III 180 E. 2d S. 184 mit Hinweisen). Nach ständiger Rechtsprechung gilt für den Nachweis des natürlichen Kausalzusammenhangs das Beweismass der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 133 III 462 E. 4.4.2 S. 470 f.; BGE 132 III 715 E. 3.2 S. 720; BGE 128 III 271 E. 2b/aa S. 276; je mit Hinweisen; Urteil 4A_637/2015 vom 29. Juni 2016 E. 3.1, nicht publ. in: BGE 142 III 433). Die Feststellungen zum Kausalzusammenhang zwischen dem schädigenden Verhalten und dem Schaden betreffen den Sachverhalt (Art. 105 BGG, zit. Urteil 5A_522/2014 E. 4.5 sowie 8C_685/2015 vom 13. September 2016 E. 3.1) und beruhen auf Beweiswürdigung (BGE 138 IV 1 E. 4.2.3.3 S. 9; BGE 128 III 22 E. 2d S. 25, BGE 128 III 180 E. 2d S. 184; je mit Hinweisen). Ob ein natürlicher Kausalzusammenhang vorliegt, ist also eine Tatfrage (BGE 139 V 176 E. 8.4.1 und 8.4.3 S. 189 f.; BGE 132 III 715 E. 2.2 S. 718; je mit Hinweisen). Das Bundesgericht ist an die diesbezüglichen Feststellungen der Vorinstanz gebunden (Art. 105 Abs. 1 BGG), vorbehältlich von Ausnahmen im Sinne von Art. 105 Abs. 2 BGG.
5.1.2 Ein adäquater Kausalzusammenhang liegt vor, wenn ein Umstand nicht nur condicio sine qua non des Schadens, sondern auch nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet ist, den eingetretenen Erfolg zu bewirken, so dass der Eintritt dieses Erfolgs als durch die fragliche Bedingung wesentlich begünstigt erscheint (BGE 139 V 176 E. 8.4.2 S. 190; BGE 129 V 177 E. 3.2 S. 181; Urteil 4A_275/2013 vom 30. Oktober 2013 E. 5; je mit Hinweisen). Die adäquate Kausalität ist eine Rechtsfrage, die vom Bundesgericht frei zu prüfen ist (Art. 95 lit. a BGG; BGE 139 V 176 E. 8.4.3 S. 190; BGE 132 III 715 E. 2.2 S. 718; zit. Urteil 4A_275/2013 E. 5.1; je mit Hinweisen).
5.2 Die Vorinstanz liess die Frage des Kausalzusammenhangs ausdrücklich offen. Der Beschwerdeführer macht geltend, im kantonalen Verfahren sei der Kausalzusammenhang zwischen der Invalidität und der Praxisaufgabe hinreichend nachgewiesen worden (Arztzeugnis etc.), womit er vorab den natürlichen Kausalzusammenhang anspricht. Dass der Hirnschlag weggedacht werden könnte, ohne dass auch die Invalidität bzw. die Erwerbsunfähigkeit entfiele, wird allerdings auch vom Kantonalen Steueramt Solothurn nicht geltend gemacht. Ebenso wenig bestreitet das Kantonale Steueramt Solothurn, dass der Hirnschlag nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet war, zur Erwerbsunfähigkeit zu führen, sei es sofort oder eben auch erst etliche Jahre später. Auch für das Bundesgericht besteht aufgrund der Akten kein Anlass, daran zu zweifeln, dass ein natürlicher und adäquater Zusammenhang zwischen Invalidität und Geschäftsaufgabe besteht.
 
Erwägung 6
6.1 Das Kantonale Steueramt Solothurn erhebt indes Einwände, die darauf abzielen, den Kausalzusammenhang zwischen Invalidität und definitiver Aufgabe des Geschäfts restriktiver zu handhaben als nach den allgemeinen Grundsätzen des Haftpflichtrechts, indem der Sache nach ein natürlicher und adäquater Kausalzusammenhang nicht ausreichen soll. Vielmehr soll nach Ansicht des Kantonalen Steueramts Solothurn die Aufgabe der selbstständigen Erwerbstätigkeit unmittelbar nach dem Eintritt der Invalidität oder zumindest zeitnah erfolgen müssen. Eine Kausalität zwischen der definitiven Aufgabe der selbstständigen Erwerbstätigkeit und bestehender Invalidität sei mit wachsender Dauer zwischen Eintritt der Invalidität und der definitiven Aufgabe der selbstständigen Tätigkeit zu verneinen. Diese Auffassung, wonach einem selbstständig Erwerbenden, der als Invalider im Sinne von Art. 4 IVG anerkannt ist, die Anwendung von Art. 37b DBG versagt werden kann, wenn ein vorbestehender Invaliditätsgrund die Ausübung der Tätigkeit während einer gewissen Zeitspanne weiterhin erlaubt, findet sich auch in der Literatur (GANI, a.a.O., N. 25 zu Art. 37b DBG). Wie es sich damit verhält, ist mittels Auslegung von Art. 37b DBG und Art. 1 LGBV eingehend zu prüfen.
6.2 Ausgangspunkt jeder Auslegung ist der Wortlaut des Gesetzes (grammatikalisches Element). Vom klaren, eindeutigen und unmissverständlichen Wortlaut darf nur ausnahmsweise abgewichen werden, so etwa dann, wenn triftige Gründe dafür vorliegen, dass der Wortlaut nicht den wahren Sinn der Norm wiedergibt. Solche Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte der Bestimmung, aus ihrem Sinn und Zweck oder aus dem Zusammenhang mit anderen Vorschriften ergeben. Ist der Text nicht klar und sind verschiedene Interpretationen möglich, muss nach seiner wahren Tragweite gesucht werden unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente. Dabei ist namentlich auf die Entstehungsgeschichte (historisches Element), auf den Zweck der Norm (teleologisches Element), auf die ihr zugrunde liegenden Wertungen und auf ihre Bedeutung im Kontext mit anderen Bestimmungen (systematisches Element) abzustellen (BGE 139 II 404 E. 4.2 S. 416). Bleiben bei nicht klarem Wortlaut letztlich mehrere Auslegungen möglich, so ist jene zu wählen, die der Verfassung am besten entspricht (BGE 140 II 495 E. 2.3.3 S. 500).
Aus der Entstehungsgeschichte von Art. 37b DBG ergeben sich keine Hinweise darauf, dass der Eintritt der Invalidität und die Geschäftsaufgabe zeitnah zu erfolgen hätten. Den Materialien kann lediglich entnommen werden, dass der Bundesrat einem selbstständig Erwerbstätigen, der sein Unternehmen überträgt, um danach ein anderes zu betreiben, die steuerliche Privilegierung versagen wollte. Um diesbezüglich Klarheit zu schaffen, schlug der Bundesrat als objektives Kriterium vor, "dass erst dann eine 'endgültige Liquidation' oder eine 'endgültige Übertragung' eines Unternehmens vorliegt, wenn die steuerpflichtige Person älter als 55 Jahre oder invalid ist" (Botschaft vom 22. Juni 2005 zum Bundesgesetz über die Verbesserung der steuerlichen Rahmenbedingungen für unternehmerische Tätigkeiten und Investitionen [Unternehmenssteuerreformgesetz II], BBl 2005 4824 Ziff. 4.5.1).
Zum gleichen Ergebnis führt die teleologische Auslegung: In der Botschaft erläuterte der Bundesrat zur Einführung von Art. 37b DBG, dass es infolge der Progression des Steuertarifes zu einer oft als stossend empfundenen steuerlichen Belastung führen kann, wenn die im Laufe der Zeit akkumulierten stillen Reserven im Zuge der Unternehmensliquidation auf einen Schlag aufgelöst werden (Botschaft, a.a.O., BBl 2005 4824 Ziff. 4.5.1). Die Zielsetzung der Gesetzesnovelle bestand also darin, die Besteuerung der realisierten stillen Reserven bei Geschäftsaufgabe zu mildern (Urteil 2C_1015/ 2015 vom 8. Dezember 2016 E. 5.2; vgl. auch GANI, a.a.O., N. 3 zu Art. 37b DBG; RICHNER/FREI/KAUFMANN/MEUTER, a.a.O., N. 1 zu Art. 37b DBG; BAUMGARTNER, a.a.O., N. 4a zu Art. 37b DBG). Unter dem Gesichtspunkt der Steuerprogression macht es dabei keinen Unterschied, ob der selbstständig Erwerbstätige bei Geschäftsaufgabe bereits seit etlichen Jahren invalid war oder ob die Invalidität unmittelbar vor der Geschäftsaufgabe eintrat. Eine entsprechende Differenzierung ergibt daher aus teleologischer Sicht keinen Sinn.
Wer im Zeitpunkt der definitiven Aufgabe des Geschäfts zu 100 % erwerbsunfähig ist, wird die Norm schliesslich kaum missbrauchen können, indem er sie später ein zweites Mal zu beanspruchen versucht. Eine derartige Umgehung von Art. 37b DBG ist ohnehin bereits dadurch ausgeschlossen, dass die Privilegierung einer steuerpflichtigen Person nur einmal zugutekommt (vgl. vorne E. 3.4).
Ebenso wenig kann daher der Auffassung des Kantonalen Steueramts Solothurn gefolgt werden, aus der Umschreibung des Geltungsbereichs gemäss Art. 1 LGBV sei davon auszugehen, dass die privilegierte Liquidationsbesteuerung nach Art. 37b DBG nur zum Tragen komme, wenn bei Eintritt der Invalidität die selbstständige Erwerbstätigkeit gleichzeitig definitiv aufgegeben werde bzw. wenn die dem Eintritt der Invalidität allenfalls nachfolgende Tätigkeit der steuerpflichtigen Person nur noch als Liquidationshandlungen zu beurteilen seien. Hinsichtlich einer maximalen Zeitspanne zwischen Eintritt einer Invalidität und Geschäftsaufgabe besteht vielmehr ein qualifiziertes Schweigen des Gesetzgebers (vgl. analog betreffend der Mindesthaltedauer der Ersatzliegenschaft nach einer Ersatzbeschaffung von dauernd und ausschliesslich selbst genutztem Wohneigentum [Art. 12 Abs. 3 lit. e StHG] Urteil 2C_306/2016 vom 7. März 2017 E. 3.1).
 
Erwägung 7
Im Haftpflichtrecht unterbricht nach den allgemeinen Grundsätzen eine vom Geschädigten gesetzte Ursache den adäquaten Kausalzusammenhang zwischen der vom Schädiger gesetzten Ursache und dem Schaden, wenn zu einer an sich adäquaten Ursache eine andere Ursache hinzutritt, die einen derart hohen Wirkungsgrad aufweist, dass erstere nach wertender Betrachtungsweise als rechtlich nicht mehr beachtlich erscheint. Entscheidend ist die Intensität der beiden Ursachen (BGE 130 III 182 E. 5.4 S. 188 mit Hinweisen). Das Verhalten eines Dritten vermag den Kausalzusammenhang nur zu unterbrechen, wenn diese Zusatzursache derart ausserhalb des normalen Geschehens liegt, derart unsinnig ist, dass damit nicht zu rechnen war (BGE 116 II 519 E. 4b S. 524 mit Hinweisen). Erscheint die eine bei wertender Betrachtung als derart intensiv, dass sie die andere gleichsam verdrängt und als unbedeutend erscheinen lässt, gilt der Kausalzusammenhang als unterbrochen, was als Rechtsfrage vom Bundesgericht mit voller Kognition zu prüfen ist.
Damit vorliegend der Kausalzusammenhang zwischen Invalidität und Geschäftsaufgabe als unterbrochen gelten könnte, müssten sich somit - in sinngemässer Anwendung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zur Unterbrechung des Kausalzusammenhangs im Haftpflichtrecht - seit dem Eintritt der Invalidität Vorfälle ereignet haben, welche die Invalidität als Ursache für die Geschäftsaufgabe völlig in den Hintergrund drängen lassen.
7.3 Im vorinstanzlichen Verfahren wies das Kantonale Steueramt Solothurn darauf hin, dass die Schwester des Beschwerdeführers bis am 30. Juni 2010 als Praxisassistentin gearbeitet hatte und der Beschwerdeführer mit der vorübergehenden Weiterführung der Praxis nach dem Hirnschlag im Jahr 2004 das Ziel anstrebte, die Verschuldung zu reduzieren. Es könne festgestellt werden, dass die Hausarzt-Praxis ohne Unterstützung der Schwester gar nicht hätte weitergeführt werden können. Das Erreichen des Schuldenabbaus bis Ende 2011 und die weggefallene Unterstützung durch die Schwester - nicht die Verschlechterung des Gesundheitszustandes - habe den Beschwerdeführer dazu bewogen bzw. gezwungen, das Geschäft aufzugeben. Der Sache nach macht das Kantonale Steueramt Solothurn damit die Unterbrechung des Kausalzusammenhangs zwischen Eintritt der Invalidität im Jahr 2004 und definitiver Aufgabe des Geschäfts im Jahr 2012 geltend.
Der Beschwerdeführer bestreitet, dass solche andere Gründe zur Geschäftsaufgabe beigetragen haben. Wie es sich damit verhält, kann offenbleiben, da diese weiteren Umstände jedenfalls nicht als ausschlaggebend für die Geschäftsaufgabe zu würdigen sind. Der Weggang einer tüchtigen medizinischen Hilfskraft und der erfolgreiche Schuldenabbau erscheinen bei einer wertenden Betrachtungsweise nicht als derart einschneidende Ereignisse, dass sie die entscheidenden Ursachen für die Geschäftsaufgabe darstellen. Ein erwerbsfähiger Arzt im Alter von 52 Jahren, der neun Jahre zuvor eine Hausarzt-Praxis eröffnete, würde für die ausgeschiedene Mitarbeiterin sehr wahrscheinlich eine oder mehrere Nachfolgerinnen einstellen und seine inzwischen etablierte Praxis weiterführen, um Vermögen zu bilden bzw. Alterskapital anzusparen. Eine wertende Betrachtungsweise lässt nur den Schluss zu, dass die Weiterführung des Geschäfts in erster Linie durch die Invalidität verunmöglicht wurde. Die Schwester des Beschwerdeführers als besonders tatkräftige und wertvolle Mitarbeiterin und das Bestreben, zumindest die Schulden zu tilgen, waren allenfalls Gründe für den Beschwerdeführer, die hausärztliche Tätigkeit trotz der erheblichen Erwerbsunfähigkeit von 80 % vorerst weiterzuführen. Sie haben den Zeitpunkt beeinflusst, in dem der Beschwerdeführer seine Tätigkeit als Spätfolge der Invalidität endgültig aufgab.
Irrelevant ist die unter den Verfahrensbeteiligten strittige Frage, ob sich der Gesundheitszustand in den Jahren zwischen 2004 und 2012 zusätzlich verschlechtert hat und diese Verschlechterung ursächlich zur Geschäftsaufgabe geführt hat. Es genügt, dass zwischen der Erwerbsunfähigkeit infolge Invalidität und der Geschäftsaufgabe ein natürlicher und adäquater Kausalzusammenhang besteht, der im Einzelfall nicht unterbrochen wurde.
Wiedereingebrachte Abschreibungen gehören zu den typischen Erscheinungsformen von stillen Reserven, die nach Art. 37b DBG gesondert besteuert werden (vgl. Kreisschreiben Nr. 28, a.a.O., Ziff. 2.4.1). Es entspricht der Natur der Sache, dass sie während der Ausübung der selbstständigen Tätigkeit entstehen.
Nicht einzusehen ist, wieso jemand, der jahrelang mit gesundheitlichen Einschränkungen eine entsprechend reduzierte selbstständige Erwerbstätigkeit führt, seinen Anspruch auf privilegierte Besteuerung jener stillen Reserven verwirken sollte, die er nach dem gesundheitsschädigenden Ereignis trotzdem zu bilden imstande ist. Damit würden im Ergebnis selbstständig Erwerbende nach Eintritt einer (Teil-)Invalidität schlechtergestellt als gesunde Steuerpflichtige, was nicht der gesetzgeberischen Absicht von Art. 37b DBG entsprechen kann. Unter dem Gesichtspunkt der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit befindet sich der beschränkt Erwerbsfähige in der gleichen Situation wie jeder andere (selbstständig) Erwerbstätige. Daher besteht kein Anlass, hinsichtlich des Beschwerdeführers vom gesetzgeberischen Willen, wiedereingebrachte Abschreibungen bei definitiver Aufgabe des Geschäfts als realisierte stille Reserven privilegiert zu besteuern, abzurücken.