BGE 80 III 128
 
28. Entscheid vom 30. August 1954 i. S. Itzin.
 
Regeste
Die Aufnahme einer Retentionsurkunde (Art. 283 SchKG) für die im Mietvertrag ausbedungene Instandstellungsentschädigung darf nicht abgelehnt werden (Änderung der Rechtsprechung).
 
Sachverhalt
Am 9. Juli 1953 vermietete Frau Itzin der Frau Buser eine Wohnung zum jährlichen Mietzins von Fr. 946. § 15 des Mietvertrages ("Basler Mietvertrag", Ausgabe 1952) bestimmt unter der Überschrift "Instandstellungsvereinbarung":
"Bei Beendigung der Miete hat der Mieter das Mietobjekt in besenreinem Zustand zurückzugeben. Der Vermieter übernimmt die ortsüblichen Instandstellungs-Arbeiten. Der Mieter bezahlt hiefür an den Vermieter eine Entschädigung von 7% des beim Auszug geltenden Jahresmietzinses.
Die Entschädigung ist spätestens einen Monat vor Mietbeendigung zahlbar...
Die Behebung allfälliger durch den Mieter verschuldeter Beschädigungen am Mietobjekt oder am Hause ist bis zum Auszug vorzunehmen.
Die Feststellung allfälliger Mängel, für die der Mieter verantwortlich gemacht wird, muss innert Monatsfrist nach Schlüsselrückgabe erfolgen. Die rechtliche Geltendmachung einer bezüglichen Forderung hat innerhalb 2 Monaten nach Schlüsselrückgabe zu erfolgen, ansonst Verzicht angenommen wird."
Mit Schreiben vom 24. Juni 1954 teilte die Mieterin der Vermieterin mit, dass sie am 2. Juli ausziehen werde. Hierauf stellte die Vermieterin am 1. Juli 1954 beim Betreibungsamte Basel-Stadt das Begehren um Aufnahme einer Retentionsurkunde für "fällige Instandstellung per 30. Juni 1954 Fr. 66.20". Das Betreibungsamt lehnte dieses Begehren gleichen Tages ab mit der Begründung, Instandstellungskosten seien nicht retentionsberechtigt. Gegen diese Verfügung führte die Vermieterin Beschwerde mit dem Antrag, das Betreibungsamt sei anzuweisen, ihrem Retentionsbegehren Folge zu geben. Die kantonale Aufsichtsbehörde hat die Beschwerde am 19. Juli 1954 abgewiesen mit der Begründung, das Betreibungsamt habe sich richtigerweise an die durchBGE 72 III 36vorgezeichnete Praxis gehalten, wenn auch fraglich sei, ob dieser von LAUTNER (Die Instandstellungsvereinbarung und die Rechtsnatur der Instandstellungsentschädigung des Mieters, Zürich 1953, bes. S. 85 ff.) kritisierte Entscheid dem Gesetzessinn gerecht werde.
Mit ihrem Rekurs an das Bundesgericht erneuert die Vermieterin ihren Beschwerdeantrag.
 
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
InBGE 72 III 36ff. wurde angenommen, für Forderungen der hier in Frage stehenden Art bestehe unzweifelhaft kein Retentionsrecht, sodass dafür kein Retentionsverzeichnis aufzunehmen sei. An dieser Auffassung kann bei erneuter Prüfung, zu der die daran geübte Kritik Anlass gibt, nicht festgehalten werden. Die Entschädigung, die § 15 Abs. 1 des Basler Mietvertrags durchaus im Rahmen der nach Art. 19 OR herrschenden Parteiautonomie vorsieht, ist eine genau bestimmte Geldleistung, die der Vermieter einen Monat vor Beendigung des Mietverhältnisses unmittelbar auf Grund des Vertrags, als Vertragserfüllung, fordern kann. Der Umstand, dass sie als Entgelt für die Übernahme der ortsüblichen Instandstellungsarbeiten durch den Vermieter bezeichnet ist, verbietet nicht, sie als einen Teil der Gegenleistung zu betrachten, die der Mieter dem Vermieter gemäss Vertrag für die Überlassung des Gebrauchs der Mietsache schuldet. Sie lässt sich daher ohne Zwang unter den Begriff des Mietzinses ziehen. Selbst wenn man aber nur die in § 2 des Vertrags ausdrücklich als Mietzins versprochene periodische Leistung als solchen gelten lassen will, lässt sich im Hinblick aufBGE 63 II 368ff. (insbesondere Erw. 9 S. 379 ff.) die Ansicht vertreten, dass für die Entschädigung im Sinne von § 15 Abs. 1 dennoch das Retentionsrecht zu gewähren sei. Gehört diese Entschädigung nicht zum Mietzins, so darf sie nämlich doch wohl wenigstens als mietzinsähnliche Leistung anerkannt werden. Gegen die Annahme, dass sie Schadenersatzcharakter habe, spricht die Tatsache, dass sie nicht infolge vertragswidrigen Verhaltens (wegen Beschädigung der Mietsache oder wegen Unterlassung von dem Mieter obliegenden Instandstellungsarbeiten) geschuldet wird, sondern dem Vermieter bei Beendigung des Mietverhältnisses nach Vertrag ohne weiteres und unter allen Umständen zukommt, und dass sich der Mieter, indem er sie zahlt, nicht von der Pflicht befreit, die durch unsorgfältige Behandlung der Mietsache entstandenen Schäden zu beheben bezw. dem Vermieter die Kosten dieser Reparaturen zu ersetzen (vgl. § 15 Abs. 3 und 4 des Vertrages). Da sie zum voraus ziffernmässig bestimmt ist, trifft auf sie auch die sachliche Erwägung nicht zu, die sich neben der Entstehungsgeschichte von Art. 272 OR gegen die Gewährung des Retentionsrechts für Schadenersatzforderungen ins Feld führen lässt: dass die Einräumung eines solchen Rechts für bestrittene Forderungen, die nicht vertraglich bestimmt sind, sondern vom Richter beziffert werden müssen, zu unerwünschten Schwierigkeiten bei der Anwendung von Art. 274 OR und Art. 283/284 SchKG führen könnte.
Unter diesen Umständen kann nicht gesagt werden, für die streitige Forderung bestehe unzweifelhaft kein Retentionsrecht. Dem Retentionsbegehren der Rekurrentin ist daher Folge zu geben (womit dem Entscheid, den der ordentliche Richter im Falle der Bestreitung des Retentionsrechts durch Rechtsvorschlag zu treffen haben wird, nicht vorgegriffen wird). Zu einem greifbaren Ergebnis kann der Retentionsvollzug freilich nur führen, wenn sich in den Mieträumen, welche die Mieterin nach ihrem Schreiben vom 24. Juni am 2. Juli zu verlassen beabsichtigte, noch retinierbare Gegenstände finden.
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird gutgeheissen, der angefochtene Entscheid aufgehoben und das Betreibungsamt Basel-Stadt angewiesen, für die Instandstellungsentschädigung gemäs § 15 des Mietvertrags ein Retentionsverzeichnis aufzunehmen.