21. Entscheid vom 4. Juni 1958 i.S. H..
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Regeste
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Die Pfändung dient der Vollstreckung in das Vermögen des Schuldners. In dessen Gewahrsam befindliche Sachen sind daher nicht zu pfänden, wenn sie zweifellos nicht ihm gehören, und im Gewahrsam eines Dritten befindliche nur dann, wenn Eigentum des Schuldners von diesem selbst oder vom betreibenden Gläubiger behauptet worden ist oder sonstwie Anhaltspunkte für solches Eigentum bestehen.
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Sachverhalt
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A.- In der Betreibung Nr. 4515 der Schweizerischen Kreditanstalt gegen den Viehhändler Otto Sch. führte der Pfändungsvollzug durch das Betreibungsamt X., bei dem nicht der Schuldner selbst, sondern nur dessen Mutter anwesend war, zum Ergebnis, in X. habe der Schuldner kein pfändbares Vermögen, dagegen habe er in der Gemeinde R., à la Joliette, "einige Viehware". Das für diesen Ort zuständige Betreibungsamt P. stellte beim requisitionsweisen Pfändungsvollzug an Ort und Stelle nun zwar, wie es in der Pfändungsurkunde einleitend bemerkte, fest:
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"Le débiteur désigné d'autre part ne possède pas de bétail à la Joliette... Celui-ci est inscrit au nom de Arnold Sch., selon certificat d'hivernage, et de Traugott H...."
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Dennoch pfändete das beauftragte Amt im Stall des von Arnold Sch., dem Vater des Schuldners, gepachteten Landes 9 Stück Vieh, wovon laut Winterungsscheinen die Nummern 1-7 auf den Namen des Stallpächters und die Nummern 8 und 9 auf den Namen des Traugott H. eingeschrieben waren. Zugleich wurden in der Pfändungsurkunde die entsprechenden Eigentumsansprüche der beiden Titulare der Winterungsscheine vermerkt.
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B.- Traugott H. schrieb hierauf dem Betreibungsamt X., das die Abschriften der in R. aufgenommenen Pfändungsurkunde versandt hatte, was folgt:
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"Nimmt mich wunder wieso man mir 2 Stück Vieh Pfändet. Mit Otto Sch. hab ich sowieso nichts zu Tun die 2 Stück waren vorübergehend bei Arnold Sch. Erkundigt euch bei Ihm, er ist bei Marti... beschäftigt."
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Arnold Sch. erklärte dem Betreibungsamt X. in einer persönlichen Einvernahme, er habe das Heimwesen in R. gepachtet. Sein Sohn Otto, der Schuldner, habe eine Zeitlang in diesem Stall ebenfalls "einiges Vieh" gehabt, es dann aber im Laufe des Winters verkauft.
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Inzwischen hatte das Betreibungsamt X. ein Widerspruchsverfahren nach Art. 106/7 SchKG eingeleitet. Da die Gläubigerin die Eigentumsansprachen bestritt, setzte es den Ansprechern Arnold Sch. und Traugott H. Frist zur Widerspruchsklage nach Art. 107 SchKG an. Während jener die Frist benützte (und in der Folgezeit zu einem Vergleichsabschluss unter Mitwirkung des Schuldners gelangte), begnügte sich H. damit, dem Betreibungsamt X. nochmals brieflich seine Verwunderung über die Pfändung seiner Tiere zu äussern.
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C.- Vom Unterbleiben einer Klage des H. benachrichtigt, verlangte die Gläubigerin die Verwertung der unter Nr. 8 und 9 der Pfändungsurkunde verzeichneten Tiere. Die Versteigerung wurde auf Mittwoch, den 14. Mai, 10 Uhr, angesetzt.
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D.- Mit einer am 9. Mai bei der Aufsichtsbehörde des Kantons Bern eingereichten Beschwerde verlangte H. dem Sinne seiner Ausführungen nach die Freigabe der beiden Tiere. Er habe diese Tiere in X. zur Winterung gehabt und dann vorübergehend im Stall des Arnold Sch. in R. untergebracht; die Winterungsscheine seien denn auch auf seinen Namen ausgestellt.
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E.- Die kantonale Aufsichtsbehörde hat die Beschwerde am 12. Mai 1958 abgewiesen, mit der Begründung, die Eigentumsansprache des H. falle nicht mehr in Betracht, da er die Klagefristansetzung versäumt und auch nicht (wegen der Zuweisung der Klägerrolle an ihn) durch rechtzeitige Beschwerde angefochten habe. Er könne daher auch die Steigerung nicht mehr hemmen. Die Beschwerde müsse bei dieser Sachlage abgewiesen werden, "so hart dies für den Beschwerdeführer auch sein mag".
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F.- Gegen diesen Entscheid hat der Beschwerdeführer mit zwei Eingaben vom 13. Mai (die eine bei der kantonalen Aufsichtsbehörde, die andere direkt beim Bundesgericht eingereicht) Rekurs eingelegt. Er verlangt neuerdings eine richtige Untersuchung der Angelegenheit.
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Dem Rekurs wurde, da die Steigerung unmittelbar bevorstand, aufschiebende Wirkung erteilt.
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Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
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Normalerweise kann eine betreibungsamtliche Verfügung nur binnen zehn Tagen, seitdem sie dem davon Betroffenen bekannt geworden ist, durch Beschwerde angefochten werden (Art. 17 SchKG). Davon ausgehend, hat die Vorinstanz die durch die Beschwerdevorbringen in Frage gestellte Gültigkeit der Pfändung als solcher gar nicht geprüft. Und was die Eigentumsansprache des Rekurrenten betrifft, hat die Vorinstanz sie nach Art. 107 Abs. 3 SchKG als verwirkt betrachtet, nachdem der Rekurrent die ihm nach Abs. 1 daselbst angesetzte Klagefrist nicht benützt noch sich über die Zuweisung der Klägerrolle binnen gesetzlicher Frist beschwert, sondern nur einen Protest beim Betreibungsamt angebracht hatte.
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Indessen entbehrt die vorliegende Pfändung als solche derart der gesetzlichen Grundlage, dass sie als nichtig erscheint und deshalb auch einer eigentlich verspäteten, weil erst nach Ablauf der gesetzlichen Frist geführten Beschwerde nicht standhält. Sie ist daher aufzuheben mit der Folge, dass alle später vom Betreibungsamt X. inbezug auf die Gegenstände dieser Pfändung getroffenen Verfügungen dahinfallen. Bei dieser Sachlage braucht nicht geprüft zu werden, ob unter der Voraussetzung einer gültigen Pfändung die Zuweisung der Klägerrolle an den Rekurrenten sich nicht mehr anfechten liesse, obwohl sie bei den gegebenen Gewahrsamsverhältnissen klarem Recht widerspricht (BGE 67 III 146, BGE 73 III 63; PIGUET, Les contestations de droit matériel dans la poursuite pour dette et la faillite, S. 60 ff.).
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Gewiss steht dem Betreibungsamte nicht zu, über die Begründetheit von Dritteigentumsansprachen zu entscheiden. Es hat diese vielmehr grundsätzlich nur in der Weise zu berücksichtigen, dass es darüber ein Widerspruchsverfahren eröffnet, und zwar je nach dem Gewahrsam ein Verfahren mit Klägerrolle des Dritten (Art. 107 SchKG) oder des Gläubigers (Art. 109). Indessen ist beim Pfändungsvollzug von vornherein zu beachten, dass der Verwertung im Pfändungsverfahren nur das Vermögen des Schuldners unterliegt, wie denn die Betreibung auf Pfändung (oder Konkurs) eine Exekution gegenüber dem Schuldner zum Ziele hat. Deshalb können an und für sich "nur Gegenstände gepfändet werden, die zu seinem Vermögen gehören"; (so BLUMENSTEIN, Handbuch, S. 354 oben; ähnlich FRITZSCHE, Schuldbetreibung, Konkurs und Sanierung I 146 oben: "Pfändbar ist nur das Vermögen des Schuldners"; PEDRAZZINI, Die Widerspruchsklage, S. 5: "Oberster Grundsatz der Pfändung ist, dass nur solche Sachen mit Beschlag belegt werden können, die dem Schuldner gehören"; WAGNER, Fragen aus dem Gebiete der Widerspruchsklage, S. 9: "Der tragende Gedanke des Vollstreckungsrechts ruht in dem Grundsatz, dass dem Anspruch des Gläubigers auf die Vollstreckung wie der Vollstreckungsgewalt des Staates nur dasjenige Vermögen unterworfen ist, das für die unerfüllt gebliebene Schuld haftet"). Freilich unterliegt der Pfändung zunächst, eben unter Vorbehalt des Widerspruchsverfahrens, auch Vermögen, das der Schuldner als einem Dritten gehörend bezeichnet oder das ein Dritter als ihm gehörend beansprucht (wie denn Art. 95 Abs. 3 SchKG sich auf solche Gegenstände bezieht), und zwar wird gemeinhin angenommen, es könne, sofern das unstreitig dem Schuldner gehörende Vermögen nicht zur Deckung der Forderung ausreicht, alles weitere in seinem Gewahrsam befindliche Vermögen gepfändet werden, da (und soweit) der Gewahrsam eine zivilrechtliche Vermutung des Eigentums begründet (vgl. JAEGER, N. 7 zu Art. 91 SchKG; BLUMENSTEIN, a.a.O., S. 380; FRITZSCHE, a.a.O., S. 191; LENHARD, Widerspruchsverfahren und Widerspruchsklage, S. 3; PEDRAZZINI, a.a.O., S. 5). Immerhin ist die Pfändung auch bei Gewahrsam des Schuldners nicht gerechtfertigt, wenn es sich um Sachen handelt, die "zweifellos im Eigentum eines Dritten stehen und zu welchen der Schuldner keinerlei Beziehungen hat" (BLUMENSTEIN, a.a.O., S. 354). Man denke etwa an Bücher, die den Stempel einer öffentlichen Bibliothek tragen und sich damit als Leihbesitz des Schuldners erweisen, an das Fahrrad eines Besuchers und dergleichen. Vollends sind im Gewahrsam eines Dritten befindliche Sachen nur d.ann zu pfänden, wenn der Schuldner selbst oder der Gläubiger sie als Eigentum des Schuldners bezeichnet hat oder sonstwie Grund zur Annahme solchen Eigentums besteht (PEDRAZZINI, a.a.O., S. 6; ebenso JAEGER, a.a.O.: "Anhaltspunkte"; BLUMENSTEIN, a.a.O., S. 354: "bestimmte Indizien"). Werden Gegenstände bei einem Dritten gepfändet, ohne dass eine dieser Voraussetzungen zutrifft, so bleibt ihm allerdings die Möglichkeit, sich im Widerspruchsverfahren zur Wehr zu setzen. Ihn in ein solches Verfahren zu ziehen, bedeutet aber bei einer ohne Grund vorgenommenen Pfändung eine ungerechtfertigte Störung und Gefährdung seiner Rechte, was vermieden werden muss (vgl. PETER, Die sog. Widerspruchsklage, ZSR NF 17 S. 385; mit dem Gesagten übereinstimmend die zusammenfassende Umschreibung durch BÖSCHENSTEIN, Das Widerspruchsverfahren, BlSchK 21 S. 162: "Er soll pfänden, was er beim Schuldner vorfindet und was nicht zweifelsfrei nicht zu dessen Vermögen gehört, oder was sonstwie vorläufig als zum Vermögen des Schuldners gehörend betrachtet werden darf, insbesondere alles, was Schuldner oder Gläubiger als jenem gehörend bezeichnen ...").
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Im vorliegenden Falle wurde beim Schuldner nichts Pfändbares vorgefunden. Veranlassung zum Pfändungsauftrag an das Betreibungsamt P. gab die Bemerkung der beim Pfändungsvollzug in X. anwesenden Mutter des Schuldners, dieser habe "à la Joliette" in R. "einige Viehware". Bei der Requisitorialpfändung wurde aber auf dem Pachtgut des Vaters des Schuldners nur vom Pächter und vom Rekurrenten als ihr Eigentum bezeichnetes Vieh angetroffen, und damit stimmten die Angaben der vom Viehinspektor ausgestellten Winterungsscheine überein.
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Das ersuchte Betreibungsamt stellte denn auch in der Pfändungsurkunde ausdrücklich das Nichtvorhandensein von Vieh des Schuldners fest. Es hätte somit von sich aus angesichts dieser Verhältnisse keine Pfändung vorgenommen, glaubte jedoch den ihm erteilten Auftrag vollziehen zu müssen (vielleicht in der - unrichtigen - Annahme, die Gläubigerin habe das auf der Joliette befindliche Vieh als Eigentum des Schuldners bezeichnet). Bei dieser Sachlage hatte das Betreibungsamt X. angesichts der Ergebnisse seines Auftrages zu prüfen, ob die Pfändung sich aufrechterhalten lasse, oder ob sie mangels der gesetzlichen Voraussetzungen zu widerrufen sei (wie denn das ersuchte Amt ihm die Zustellung der Abschriften der Pfändungsurkunde überlassen hatte). Die erwähnteAngabe der Mutter des Schuldners war durch die Erhebungen des ersuchten Amtes entkräftet; zur Abklärung des Sachverhaltes trug auch die Aussage des Stallpächters Arnold Sch. bei, der Schuldner habe eine Zeitlang eigenes Vieh in diesem Stall gehabt, es jedoch im Laufe des Winters verkauft. Das Vieh, von dem die Mutter des Schuldners sprach, war also auf der Joliette nicht mehr vorhanden, und weder der Schuldner noch die Gläubigerin hatte das dort befindliche, insbesondere das vom Rekurrenten vorübergehend dorthin verbrachte Vieh als Eigentum des Schuldners bezeichnet. Im übrigen bestand kein ernsthafter Anhaltspunkt zur Annahme, man habe es dabei mit Schuldnervermögen zu tun. Unter diesen Umständen liegt in der Pfändung der unter Nr. 8 und 9 der Pfändungsurkunde verzeichneten, laut den Winterungsscheinen auf den Namen des Rekurrenten eingetragenen Stück Vieh eine rechtlich nicht haltbare Behelligung dieses Dritten, der, was unbestritten geblieben ist, mit dem Schuldner nichts zu tun hatte. Dieser grundlose Eingriff in die Rechtssphäre eines Dritten, mit Bezug auf Sachen, die ein Anderer (also ein Vierter) für ihn und nicht etwa für den Schuldner in Gewahrsam und Obhut hatte, ist von Amtes wegen aufzuheben.
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Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
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In Gutheissung des Rekurses wird in der Betreibung Nr. 4515 des Betreibungsamtes X. (Schweizerische Kreditanstalt, Basel, c. Otto Sch.) die am 7. März 1958 vom Betreibungsamt P. vollzogene Pfändung inbezug auf Pos.8 (1 taure no 1521) und Pos. 9 (1 génisse 3/4 mois no 3093) aufgehoben.
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