BGE 86 III 47 |
15. Entscheid vom 5. Juli 1960 i.S. Merki. |
Regeste |
1. Pflicht des Betreibungsamtes und (im Beschwerdeverfahren) der Aufsichtsbehörden, die sich aus Art. 92 SchKG ergebenden Schranken der Zwangsvollstreckung zu beachten und die hiefür entscheidenden tatsächlichen Verhältnisse, soweit dies in der Schweiz geschehen kann, wenn nötig mit Hilfe anderer Betreibungsämter, abzuklären (Erw. 1). |
Sachverhalt |
A.- In zwei Betreibungen gegen Beat Merki, der selbständig als Plattenleger tätig ist, wurde für Forderungen von insgesamt etwa Fr. 900.-- ausser einer Schreibmaschine und einem Radioapparat, geschätzt auf je Fr. 200.--, der auf Fr. 2500.-- geschätzte VW Transportwagen gepfändet. Des Schuldners Unpfändbarkeitsbeschwerde nach Art. 92 Ziff. 3 SchKG blieb erfolglos. Die untere Aufsichtsbehörde erklärte, er sei nicht auf einen eigenen Transportwagen angewiesen, sondern könne die von ihm jeweilen benötigten Materialien mit Bahn und Camionneur auf die Baustellen versenden lassen. Er besitze offenbar auch heute noch (wie vor einigen Jahren, als er ebenfalls betrieben wurde) kein eigenes Warenlager, müsse also für jeden Auftrag die nötigen Materialien bestellen. Diese könne er "bei richtiger Disponierung rechtzeitig auf jede Baustelle bringen lassen", was jedenfalls billiger sei als der Transport mit eigenem Auto. - Dagegen hob die Aufsichtsbehörde die Pfändung der Schreibmaschine und des Radioapparates als zur Befriedigung der Gläubiger nicht erforderlich gemäss Art. 97 Abs. 2 SchKG auf.
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B.- Den erstinstanzlichen Beschwerdeentscheid zog der Schuldner, nun durch einen Anwalt vertreten, an die obere kantonale Aufsichtsbehörde weiter mit dem erneuten Antrag auf Freigabe des VW Autobusses. Er brachte vor, dieses Transportmittel sei ihm unentbehrlich; jede andere Art der Materialzufuhr zu den Baustellen wäre unwirtschaftlich, insbesondere für die jeweils von ihm verwendeten kleinen Mengen Sand. Er arbeite auf zahlreichen Baustellen und habe Strecken von 30 bis 60 km zurückzulegen. Zum Nachweis der Richtigkeit seiner Vorbringen beantragte er die Einholung von Berichten mehrerer von ihm angegebener Personen, ferner die Abklärung an Ort und Stelle; ausserdem legte er einige Bescheinigungen vor. Gerade die Notwendigkeit, das Material von Fall zu Fall zu beschaffen, mache den Autobus unentbehrlich. Bei jeder andern Transportart wäre die Beweglichkeit zu gering, namentlich auch zur Verbringung des Werkzeugs vom einen an den andern Arbeitsplatz. Eine Spedition durch Bahn und Camionneur wäre weniger wirtschaftlich und praktisch nicht durchführbar.
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Mit Entscheid vom 2. Juni 1960 wies die Vorinstanz den Rekurs des Schuldners ab, im wesentlichen aus folgenden Gründen: Der Schuldner, der kein eigenes Warenlager besitze, beziehe vermutlich die Platten, die Isoliermatten und den Zement jeweilen vom gleichen Lieferanten. Er könne entweder Lieferung an den Bauplatz verlangen oder Bahn und Camionnage in Anspruch nehmen. Auf diesem Weg lasse sich auch das Werkzeug transportieren, sofern der Schuldner es nicht mit sich führe. Für die jeweilen kleinen Sandmengen kämen die öffentlichen Transportmittel kaum in Frage; da aber auch andere Unternehmer am Bau Sand in grösseren Mengen verwenden, könne er dieses Material von solchen Unternehmungen beziehen. Inbezug auf die Wirtschaftlichkeit habe es der Schuldner an genauen Angaben, namentlich an Vergleichszahlen, fehlen lassen. Im übrigen sei eine Notlage nicht dargetan. Es sei notorisch, dass die Plattenleger zu den bestverdienenden Arbeiterkategorien gehören; der Schuldner werde zweifellos auch ohne den Besitz eines Lieferwagens sein Auskommen finden.
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C.- Mit vorliegendem Rekurs hält der Schuldner an der Unpfändbarkeitsbeschwerde fest.
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Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung: |
1. Dass der Gebrauch eines eigenen Fahrzeuges zum Transport des Materials wie auch der zur Arbeit erforderlichen Werkzeuge auf die jeweilige Baustelle dem selbständig arbeitenden Plattenleger nützlich ist, bedarf keiner nähern Begründung. Da der Rekurrent ein solches Fahrzeug besitzt, erhob sich deshalb ohne weiteres die Frage nach seiner allfälligen Unpfändbarkeit gemäss Art. 92 Ziff. 3 SchKG. Es ist Pflicht des Betreibungsamtes, die in Art. 92 SchKG aufgestellten Schranken der Zwangsvollstreckung zu beachten und die hiefür entscheidenden tatsächlichen Verhältnisse, soweit dies in der Schweiz geschehen kann (wenn nötig mit Hilfe anderer Betreibungsämter), abzuklären (BGE 40 III 68,BGE 57 III 17,BGE 77 III 108,BGE 79 III 73, BGE 81 III 12). Daher muss befremden, dass das Betreibungsamt im vorliegenden Falle den vom Schuldner bei der Pfändung erhobenen Kompetenzanspruch ohne nähere Untersuchung ablehnte, aus der Erwägung (laut der Vernehmlassung der Beschwerde): "Nachdem Merki keine Anstalten trifft, um seine Schulden zu zahlen, war es nicht verantwortbar, diesen Wagen ohne weiteres als Kompetenzstück zu deklarieren". Das Beschwerdeverfahren war dazu geeignet, das durch das Betreibungsamt Versäumte nachholen zu lassen. Denn das Gebot, die zur Anwendung von Art. 92 SchKG massgebenden Tatsachen festzustellen, gilt ebenso für die kantonalen Aufsichtsbehörden, denen es frei steht, die hiefür erforderlichen Erhebungen selber durchzuführen oder damit das Betreibungsamt zu betrauen, sei es im Rahmen des Beschwerdeverfahrens oder durch Rückweisung der Sache zu neuer Verfügung. Und zwar ist die Untersuchung durch die Aufsichtsbehörden auch ohne besondere Beweisanträge vorzunehmen (BGE 52 III 177), wie denn grundsätzlich nicht von einer den Schuldner (oder einen andern Beschwerdeführer) treffenden Beweislast gesprochen werden kann, Art. 8 ZGB nicht anwendbar ist und die Verfügung oder Entscheidung sich nicht auf Parteibehauptungen, sondern auf amtliche Feststellungen stützen muss (BGE 82 III 106).
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Schon die untere Aufsichtsbehörde hätte daher Veranlassung gehabt, in erster Linie durch sachdienliche Befragung des Schuldners und Beschwerdeführers selbst, allenfalls auch weiterer Personen, sowie Erhebungen an Ort und Stelle (im Geschäftsbureau und auf einem Bauplatz) die wesentlichen Elemente des zur Anwendung des Gesetzes massgebenden Tatbestandes zu ermitteln (vgl.BGE 62 III 138). Da es nicht geschah, lagen die sachentsprechenden Anordnungen der auf dem Rekursweg angerufenen Vorinstanz ob. Die vom Anwalt des Rekurrenten gestellten Beweisanträge waren dazu angetan, die Erfüllung dieser Aufgabe zu erleichtern. Dass zu wenig konkrete Angaben gemacht worden seien, durfte dem Rekurrenten angesichts des für die Anwendung von Art. 92 SchKG geltenden Untersuchungsprinzips nicht entgegengehalten werden. Die wesentlichen Einzelheiten hätten eben durch die gebotene Untersuchung ermittelt werden sollen. Hiebei hätte die Behörde vom Schuldner insbesondere auch nähere Angaben über den Betriebsaufwand und namentlich über die mit dem Gebrauch des Wagens verbundenen Kosten verlangen können. Wie sich der Aufwand demgegenüber ohne eigenes Transportauto gestalten würde, lässt sich wohl nur durch weitere Massnahmen abklären, wobei auch die durch Bahn- und Camionnagetransport bedingten Verzögerungen, Kontrollen und andern Erschwerungen ins Gewicht fallen. Der Schuldner war nicht wohl in der Lage, darüber Genaues vorzubringen. Die teilweise auf unsichere Annahmen (die der Rekurrent nicht gelten lässt) gestützte Entscheidung der Vorinstanz kann somit nicht aufrecht bleiben. Die Sache ist zu ergänzender Feststellung der Tatsachen und zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Insbesondere werden folgende Punkte abzuklären sein:
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a) Warum soll eine direkte Lieferung der Materialien auf die Arbeitsplätze nicht oder nur mit unverhältnismässigen Kosten möglich sein?
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b) Was für Werkzeuge führt der Rekurrent zur Arbeit mit sich? Lässt sich dieses wirklich nicht oder nur mit unverhältnismässigen Kosten ohne eigenen Wagen zum Arbeitsplatz schaffen?
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2. Sollte sich der Wagen als unentbehrlich zur selbständigen Berufsausübung erweisen, so stellt sich, da der Rekurrent in Schulden geraten ist, die weitere Frage, ob ihm wegen Unwirtschaftlichkeit seines Betriebes die Annahme unselbständiger Arbeit zugemutet werden könne. Ein selbständig tätiger Berufsmann darf freilich nicht einfach deshalb durch Pfändung unentbehrlicher Hilfsmittel zur Aufgabe dieser Selbständigkeit gezwungen werden, weil er nach seiner beruflichen Eignung und den Verhältnissen des Arbeitsmarktes in unselbständiger Stellung sein Auskommen finden könnte (BGE 47 III 207/7;BGE 78 III 161oben Erw. 4). Ist die selbständige Berufsausübung jedoch unwirtschaftlich, weil die Verwendungskosten der dafür erforderlichen Hilfsmittel (hier insbesondere des VW Transportwagens) in keinem vernünftigen Verhältnis zum Ertrag stehen, so fällt der Grund der Unpfändbarkeit - Schutz der wirtschaftlichen Existenz der Schuldners - weg. Art. 92 Ziff. 3 SchKG hat einen lohnenden Beruf im Auge, einen Beruf, der sich mit den dafür unentbehrlichen Werkzeugen, Gerätschaften usw. wirtschaftlich ausüben lässt. Trifft dies nicht zu, ist der Betrieb des Schuldners dauernd defizitär, so dass die Einnahmen nicht ausreichen, sowohl den Lebensunterhalt wie auch alle Geschäftsauslagen zu decken, so ist nicht zu gestatten, ihn auf Kosten seiner Gläubiger weiterzuführen (BGE 80 III 110 /11, BGE 84 III 20 /21). Das ginge um so weniger an, wenn sich unter den Gläubigern solche befinden, die ihm Betriebsmaterial geliefert haben, wie hier anscheinend die Kieswerk Neuenhof G.m.b.H., deren Zahlungsbefehl sich auf eine Reihe von Rechnungen stützt.
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Sodann wird die Pfändung eines allenfalls den Notbedarf übersteigenden Reineinkommens zu erwägen sein (BGE 85 III 38 und dort angeführte Entscheidungen).
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Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
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