33. Urteil der II. Zivilabteilung vom 8. Dezember 1960 i.S. Isaza & Cie gegen Nachlassliquidationsmasse Primateria SA
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Regeste
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Konkursprivileg der Forderungen des Agenten aus dem A genturvertrag, Art. 219, Dritte Klasse, lit. c SchKG:
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a) dass der Agenturvertrag (nach Art. 418b Abs. 2 OR) dem schweizerischen Recht unterstehe (Erw. 2);
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b) dass "der Agent" eine natürliche Einzelperson sei; auch einer Agenturfirma in Gesellschaftsform steht es zu (Erw. 3).
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Sachverhalt
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A.- Die Firma Felix Isaza & Cie. in Bogotà, eine "einfache Kommandit-Handelsgesellschaft" columbianischen Rechts, arbeitete für die Firma Primateria SA pour le commerce extérieur, Zürich, im Februar 1953 als Mäkler und vom 23. Februar 1953 an auf Grund eines - von der Primateria zwar nicht unterschriftlich, aber stillschweigend anerkannten - Vertragsverhältnisses als alleinige Agentin in Columbien. Im Nachlassverfahren der Primateria wies der Liquidator eine Forderung der Firma Isaza für Kommissionen aus dieser Tätigkeit grundsätzlich und auch mit Bezug auf die verlangte Kollokation in der dritten Klasse ab, wogegen der Einzelrichter sie im Betrage von Fr. 163'907.30 schützte und mit Fr. 146'472.50 als privilegierte Agentenforderung in der 3. Klasse, den Rest mit Fr. 17'434.80 als blosse Mäklerlohnforderung in der 5. Klasse kollozierte.
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Mit Berufung an das Obergericht anerkannte die beklagte Liquidationsmasse die Forderung grundsätzlich, bestritt jedoch nach wie vor, dass die Voraussetzungen des Konkursprivilegs gemäss dem rev Artikel 219, Dritte Klasse, lit. c SchKG gegeben seien. Mit Urteil vom 15. März 1960 hat das Obergericht des Kantons Zürich die Berufung gutgeheissen und die privilegierte Kollokation abgelehnt, die ganze Forderung also in der 5. Klasse kolloziert. Zu den von der beklagten Liquidationsmasse gegen die privilegierte Kollokation erhobenen Einwendungen führt die Vorinstanz aus:
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a) Für die Auffassung, das Konkursprivileg bestehe nur für inländische Agenten, nicht aber für solche mit Sitz im Ausland, biete das Gesetz keine Handhabe, und sie wäre ein Unrecht gegenüber ausländischen Agenten. Im Vollstreckungsverfahren der Schweiz seien die Ausländer den Inländern gleichgestellt; auch den ausländischen Gläubigern kämen die Konkursprivilegien des schweizerischen Rechts zugute.
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b) Es könne hier dahingestellt bleiben, ob das privatrechtliche Verhältnis der Klägerin zur Primateria SA dem columbianischen Recht unterstehe (das keine Regelung des Agenturvertrages enthalte). Die Zwangsvollstreckung in der Schweiz unterliege ausschliesslich dem schweizerischen Rechte, und so seien auch die Begriffe des Agenten und des Agenturvertrages in Art. 219 SchKG schweizerischen Rechtes. Würde auf das jeweilen für die privatrechtlichen Beziehungen geltende ausländische Recht abgestellt, so könnte das im Konkurs eines schweizerischen Unternehmens mit einander gleichgestellten Agenten in verschiedenen fremden Ländern dazu führen, dass die einen des Konkursprivilegs teilhaftig wären, die andern aber nicht, was nicht richtig sein könne. Mögen die Voraussetzungen für die Privilegierung einer Forderung in gewissen Fällen, z.B. familienrechtlicher Art, nach ausländischem Privatrecht zu beurteilen sein (GULDENER, Internationales und interkantonales Zivilprozessrecht, S. 184, N. 23), so liege bei einem obligationenrechtlichen Verhältnis wie hier keine Notwendigkeit vor, auf fremdes Recht abzustellen, was zu widerspruchsvollen Ergebnissen führen könnte.
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c) Wohl aber wolle das Konkursprivileg des Agenten nur Einzelpersonen, natürliche Personen schützen, nicht aber Agenturen in Gesellschaftsform und insbesondere nicht grosse Unternehmen, wie die Klägerin eines sei. In der Aufstellung von Konkursprivilegien in Art. 219 SchKG habe der Gesetzgeber seit einigen Jahrzehnten die ursprüngliche Zurückhaltung in zunehmendem Masse fallen lassen, immer mehr Privilegien gewährt und damit den Konkurs seinem wirklichen Zweck - möglichst gleichmässige Berücksichtigung der Gläubiger - zunehmend entfremdet. Diese Entwicklung dürfe nicht noch gefördert werden durch eine weite Auslegung der Umschreibung der privilegierten Gläubigerklassen in Art. 219 SchKG; vielmehr seien diese nur so weit zu ziehen, wie es der strikte Wortlaut des Gesetzes vorschreibe, was schon der Charakter der Konkursprivilegien als Ausnahmebestimmungen nahe lege. Hieraus ergebe sich für den vorliegenden Fall folgendes: Wenn die neue lit. c in der 3. Klasse von "Forderungen des Agenten" aus dem Agenturvertrag rede, so heisse das wörtlich "des Mannes, der den Beruf eines Agenten betreibt", nicht aber "der Gesellschaft, die Agenturgeschäfte macht"; insbesondere seien "festgegründete Handelsgesellschaften" wie die Klägerin vom Wortlaut nicht umfasst, während die Frage offen bleiben könne bezüglich Agenten, die sich für ein Geschäft zu einer einfachen Gesellschaft zusammentun, da hier doch der Einzelne im Vordergrund stehe. Die Beschränkung des Agentenprivilegs auf natürliche Personen sei auch innerlich gerechtfertigt. Das Gesetz wolle den Lohn der persönlichen Arbeit schützen, nicht den Ertrag einer juristischen Person oder andern Handelsgesellschaft. Alle privilegierten Forderungen aus Dienstleistungen in der 1. und lit. a) der 3. Klasse ständen ausschliesslich Einzelpersonen zu, zumal die den Agentenforderungen am ehesten vergleichbaren Guthaben der Handelsreisenden. Da wäre es eine ungerechtfertigte Besonderheit, wenn das Agentenprivileg auch kollektiven Unternehmungen gewährt würde. Unwesentlich sei bei diesen Erwägungen, ob eine Gesellschaft nach Personenzahl und Geschäftsumfang gross oder klein sei. Aus diesen Gründen sei die Klägerin mit ihrer Forderung nur in 5. Klasse zu kollozieren.
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B.- Gegen dieses Urteil richtet sich die vorliegende Berufung der Firma Isaza mit dem Antrag auf Kollozierung der ganzen Forderung von Fr. 163'907.30 in 3. Klasse, event. Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zu neuer Beurteilung. Sie bezeichnet die Annahme der Vorinstanz, das Konkursprivileg stehe nur natürlichen Einzelpersonen, nicht aber Agenturen in Gesellschaftsform zu, als bundesrechtswidrig.
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Die Berufungsklage trägt auf Abweisung der Berufung und Bestätigung des angefochtenen Urteils an.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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Dass sich das Tätigkeitsgebiet des Agenten in der Schweiz befinde, bildet die Voraussetzung nur dafür, dass das interne privatrechtliche Rechtsverhältnis zwischen Auftraggeber und Agent vom schweizerischen Recht, d.h. eben vom Abschnitt des OR über den Agenturvertrag (Art. 418 a-v OR) beherrscht werde. Keinesfalls kann daraus hergeleitet werden, nur der obligationenrechtlich diesem Recht unterstehende Agent sei des Privilegs des Art. 219 3. Klasse lit. c teilhaftig. Dieses Privileg ist freilich im Zusammenhang mit dem Erlass der neuen Bestimmungen des OR über den Agenturvertrag in Art. 2 der Schlussbestimmungen des bezüglichen Bundesgesetzes vom 4. Februar 1949 eingeführt worden, aber ausdrücklich in Form eines Zusatzes lit. c zu Art. 219 3. Klasse des SchKG. Dass die Schlussbestimmungen des Bundesgesetzes über den Agenturvertrag nicht zum ergänzten OR gehören, ist schon äusserlich dadurch betont, dass sie nicht in die Artikelzählung OR 418 a) ff. einbezogen, sondern in neuer Zählung mit Art. 1 - 3 bezeichnet sind. Die Privilegbestimmung gehört mithin dem SchKG an, ist also eine öffentlichrechtliche Norm (vgl. auch Botschaft des Bundesrates zum Agenturvertragsgesetz, BBl 1947 III S. 670 Ziff. 5). Als solche ist sie auf Forderungen von Agenten aus Agenturvertrag anwendbar ohne Rücksicht darauf, ob das Agenturverhältnis selber dem schweizerischen oder ausländischem Vertragsrecht unterstehe. Das schweizerische Vollstreckungsrecht macht keinen Unterschied zwischen inländischen und ausländischen Gläubigern; für beide richtet sich das Verfahren nach der lex fori der schweizerischen Vollstreckungsbehörde, also nach dem SchKG, auch hinsichtlich der Privilegierung bestimmter Gläubigerkategorien (vgl. GULDENER, 1.c. S. 182, 184 und 186; FRITZSCHE, Schuldbetreibung, Konkurs und Sanierung nach schweizerischem Recht, II S. 82). Auch der im Ausland domizilierte und dort nach ausländischem Agenturvertragsrecht als Agent tätige Ausländer kann im Konkurs seines schweizerischen Auftraggebers das Privileg gemäss Art. 219 SchKG beanspruchen. Abgesehen von der öffentlich-rechtlichen Natur und der formellen Unabhängigkeit des Art. 219 SchKG vom Agenturvertragsgesetz wäre es auch sachlich ungerechtfertigt, den Agenten mit ausländischem Tätigkeitsgebiet vom Privileg auszuschliessen. Es ist nicht einzusehen, wieso z.B. ein von der Schweiz aus für eine Schweizer Firma im Ausland arbeitender Schweizer Agent im Konkurs der Firma schlechter gestellt sein sollte als sein in der Schweiz arbeitender Kollege. Dasselbe gilt aber auch bei ausländischer Nationalität des Agenten.
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3. Nicht zugestimmt werden kann dagegen der Auffassung des Obergerichtes, auf das Konkursprivileg hätten nur einzelne, natürliche Personen, nicht aber Agenturen in Gesellschaftsform Anspruch. Der Umstand, dass der Gesetzgeber im Laufe der Zeit mit der Einräumung von Konkursprivilegien in Art. 219 SchKG immer weitherziger vorgegangen ist, darf den Richter nicht dazu veranlassen, im Wege der Interpretation einschränkende Korrekturen anzubringen, für die das Gesetz selber keinen Anhaltspunkt enthält, ungeachtet allfälliger im Werdegang des Gesetzes zum Ausdruck gekommener gegenteiliger Meinungen (vgl. BGE 80 II 213, BGE 84 II 103).
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Im Wortlaut des Art. 219 3. Klasse lit. c kann der Begriff "Agent" nicht mit dem "Mann, der den Beruf eines Agenten betreibt", gleichgesetzt werden. Zum vornherein fällt selbstverständlich auch eine Frau, die diesen Beruf ausübt, darunter. Das Wort "des Agenten" sagt gar nichts darüber, was für Rechtssubjekte Agent sein können, sondern bloss, dass das Privileg der Forderungen aus Agenturvertrag nur einseitig ist: nur die Forderungen des Agenten im Konkurs des Auftraggebers, nicht aber diejenigen des Auftraggebers im Konkurs des Agenten sind privilegiert. Das Wort bezeichnet also nur den einen Vertragspartner des Agenturvertrags im Gegensatz zum andern. Alle Gesetze verwenden in diesem Sinne die Ausdrücke "der Käufer, der Mieter, der Pächter, der Schuldner", ohne dass jemand auf den Gedanken käme, es könne nur "ein Mann", jedenfalls nur eine natürliche und eine Einzelperson dieser Vertragspartner sein. Ebensowenig lässt sich für diese Auffassung daraus ableiten, dass in den Bestimmungen über den Agenturvertrag Umstände eine Rolle spielen, die nur bei einer natürlichen Person eintreten können (Art. 418 a: Nebenberuf; m: Krankheit, Militärdienst; s: Tod, Handlungsunfähigkeit; u: Erben); es liegt auf der Hand, dass das den internen Vertrag regelnde Gesetz diese Umstände berücksichtigen muss im Hinblick auf die Fälle, wo tatsächlich "der Agent" eine natürliche Person und als solche derartigen Berufshindernissen ausgesetzt ist, was zweifellos als die Regel betrachtet wird und worauf das Gesetz zugeschnitten ist. Übrigens wurde in Erwägung 2 hievor dargetan, inwiefern Art. 219 3. Kl. lit. c SchKG von Art. 418 a-v OR unabhängig ist und (auch nach der Auffassung der Vorinstanz) auch Forderungen aus Agentenverträgen betrifft, die überhaupt nicht diesem Recht des OR unterstehen. Nicht stichhaltig ist auch der Hinweis der Vorinstanz auf Art. 219 1. Kl. und 3. Kl. lit. a, wo ausschliesslich Forderungen aus Dienstleistungen von Einzelpersonen privilegiert seien. Soweit dies zutrifft, so weil eben diese Vertragsverhältnisse auf Seite des Dienstpflichtigen eine natürliche Einzelperson voraussetzen. Das Privileg in 3. Kl. a steht zweifellos auch einer von zwei Apothekern in Kollektiv- oder Kommanditgesellschaft geführten Apotheke zu.
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Lässt sich somit dem Gesetze keine Unterscheidung zwischen natürlichen Personen und Agenturfirmen in Gesellschaftsform entnehmen, so liefert auch der Grad der tatsächlichen Abhängigkeit derselben vom Auftraggeber und die wirtschaftliche Stärke kein Unterscheidungsmerkmal. Das Gesetz hat dem Umstand, dass der Agent nicht in einem Dienstvertrag steht, sondern ein selbständiger Gewerbetreibender ist, diese Selbständigkeit jedoch mehr eine rechtlich-begriffliche ist, während er tatsächlich und wirtschaftlich vom Auftraggeber abhängig ist, dadurch Rechnung getragen, dass es ihn nicht wie die Dienstpflichtigen in der ersten, sondern nur in der 3. Klasse privilegiert (vgl. Botschaft des Bundesrates, BBl 1947 III S. 686 f.). Die Gesellschaftsform einer Agenturfirma (Kollektiv-, Kommandit-, Aktiengesellschaft) bildet an sich kein Indiz für grössere Unabhängigkeit vom Auftraggeber und finanzielle Stärke. Wie die Berufungsklägerin ausführt, kann ein Agent gerade mangels genügender eigener Mittel oder persönlichen Kredites genötigt sein, sich zur Erhöhung derselben einen Gesellschafter zu assoziieren, wie z.B. in casu Felix Isaza seine Ehefrau als Kommanditärin mit rund Fr. 8500.--. Dass im vorliegenden Falle die Klägerin eine innerhalb Jahresfrist verdiente Agentenprovisionsforderung von rund Fr. 150'000.-- geltend machen kann, qualifiziert sie nicht ohne weiteres als Unternehmung, auf welche die ratio legis des Privilegs nicht mehr zuträfe; es beweist höchstens, dass die columbianische Agentur für die Schweizer Exportfirma fleissig gearbeitet hat, wofür sie nicht bestraft zu werden verdient. Auch im Rahmen einer Agentur in Gesellschaftsform wird für die Vermittlung von Geschäften der menschliche Einsatz den wesentlichen Faktor bilden, sowohl die Arbeit des geschäftsführenden Agenten selbst als die eines Gesellschafters und der Angestellten. Übrigens kann auch der Einzelkaufmann als Agent Angestellte beschäftigen, ohne deswegen für die mit ihrer Hilfe verdienten Provisionsforderungen das Privileg zu verlieren. Auch hinsichtlich Kapitalkraft kann ein Einzelkaufmann ebenso stark oder stärker als eine Aktiengesellschaft sein. Die Ärzte und Apotheker geniessen das Privileg nach lit. a ohne Ansehung ihrer finanziellen Situation. Solcher Unterschiede hinsichtlich Abhängigkeitsgrad und wirtschaftlicher Stellung sowohl bei den bisherigen Privilegierten als bei den Agenten musste sich der Gesetzgeber anlässlich der Anfügung der lit. c in Art. 219 3. Klasse bewusst sein. Wenn er - wie der Einzelrichter zutreffend ausführte - trotzdem die Forderung aus dem Agenturvertrag gegen den Auftraggeber schlechthin privilegierte, bleibt für den Richter kein Raum, bei der Anwendung des Gesetzes im konkreten Fall jedesmal die Frage nach dem Grad der wirtschaftlichen Abhängigkeit und finanziellen Schutzbedürftigkeit des Agenten als Gläubigers aufzuwerfen und zu entscheiden, zumal die Auslegung der Begriffe in erster Linie dem Vollstreckungsbeamten zusteht und von ihm ohne Schwierigkeiten muss gehandhabt werden können. Sollte die vorstehende Interpretation den Intentionen des Gesetzgebers nicht entsprechen oder im Ergebnis als unbillig oder sonst unerwünscht empfunden werden, so stände es jenem zu, Einschränkungen des Anwendungsgebietes im Gesetze selbst - d.h. in Art. 219 SchKG - zum Ausdruck zu bringen.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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Die Berufung wird gutgeheissen, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Forderung der Klägerin in der Nachlassliquidation mit Fr. 146'472.50 in der dritten, mit Fr. 17'434.80 in der fünften Klasse kolloziert.
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