BGE 87 III 23
 
6. Urteil der II. Zivilabteilung vom 23. Februar 1961 i.S. SA Normandie Exportation gegen Zuma AG
 
Regeste
Gerichtsstand für die Aberkennungsklage. Prorogation.
Ob eine vom Beklagten angerufene Prorogationsklausel für eine bestimmte Aberkennungsklage wegbedungen worden sei, allenfalls stillschweigend oder kraft einer Willensvermutung, ist eine Frage des kantonalen Prozessrechts.
 
Sachverhalt
A.- Die SA Normandie Exportation in Paris leitete beim Betreibungsamt Zürich 9 gegen die Zuma AG in Zürich für einen bestrittenen Rechnungsbetrag Betreibung ein. Gegenüber dem Rechtsvorschlag der Schuldnerin erhielt sie am Betreibungsorte Zürich provisorische Rechtsöffnung. Der hierauf ebenfalls in Zürich erhobenen Aberkennungsklage hielt sie jedoch die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit entgegen. Sie machte geltend, der Gerichtsstand des Betreibungsortes nach Art. 83 Abs. 2 SchKG dürfe nicht anerkannt werden angesichts des dem Landesrecht vorgehenden Art. 1 des zwischen der Schweiz und Frankreich abgeschlossenen Gerichtsstandsvertrages vom 15. Juni 1869. Danach sei ein Forderungsstreit (also auch eine Aberkennungsklage) beim natürlichen Richter des Beklagten anzuheben. Sodann bestehe zwischen den streitenden Parteien kraft vorgedruckter Klauseln laut Rechnungen und Auftragsbestätigungen eine Prorogation auf das Handelsgericht von Rouen.
B.- Das Handelsgericht des Kantons Zürich hat die Unzuständigkeitseinrede abgewiesen, ebenso das Obergericht mit Urteil vom 9. September 1960 den von der Aberkennungsbeklagten erhobenen Rekurs.
C.- Mit vorliegender Berufung an das Bundesgericht hält die Aberkennungsbeklagte an der Unzuständigkeitseinrede fest, die sie nicht mehr auf den erwähnten Staatsvertrag, sondern nunmehr ausschliesslich auf die in ihren Rechnungen und Auftragsbestätigungen enthaltenen Gerichtsstandsklauseln stützt.
D.- Die Aberkennungsklägerin beantragt in erster Linie, auf die Berufung sei nicht einzutreten, weil keine Verletzung des Bundesrechts gerügt werde und auch keine solche Rechtsverletzung in Frage komme. Der Eventualantrag geht auf Abweisung der Berufung.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Nach ständiger Rechtsprechung, übereinstimmend mit der herrschenden Lehre, gilt Art. 1 des zwischen der Schweiz und Frankreich am 15. Juni 1869 abgeschlossenen Gerichtsstandsvertrages nicht für die im Rahmen einer Schuldbetreibung vom Schuldner gegen den Gläubiger nach Art. 83 Abs. 2 SchKG anzuhebende Aberkennungsklage (BGE 49 I 202/3 mit Hinweisen). Den in dieser Hinsicht in den kantonalen Instanzen verfochtenen abweichenden Standpunkt hält die Beklagte in ihrer Berufungsschrift nicht aufrecht. Ob das an die Begründung der Berufung nicht gebundene Bundesgericht (Art. 63 Abs. 1 OG) grundsätzlich gleichwohl Veranlassung haben könnte, die Unzuständigkeitseinrede auch unter dem Gesichtspunkt der staatsvertraglichen Normen zu prüfen (namentlich mit Rücksicht auf Art. 11 des Gerichtsstandsvertrages von 1869, wozu vgl. BGE 49 I 203und BGE 80 III 155 Erw. 4), kann offen bleiben. Bei der Vorschrift des Art. 1, die hier allein in Frage kommt, hat man es ja, wie sich aus Art. 3 ergibt, mit einer nicht zwingenden Norm zu tun, und es berufen sich denn auch beide Parteien auf Prorogation. Auf dieser Grundlage beruht auch das angefochtene Urteil: Es lässt die Frage auf sich beruhen, ob die von der Beklagten angerufenen Gerichtsstandsklauseln für die Klägerin an und für sich rechtsverbindlich und ihrem Inhalt nach auch auf Aberkennungsprozesse zu beziehen seien. Wie es sich damit auch verhalten möge, folgert die Vorinstanz aus dem Verhalten der Parteien eine stillschweigende gegenteilige Prorogation auf die Gerichte des Betreibungsortes für den gegenwärtigen Aberkennungsstreit. Bei dieser Urteilsgrundlage fällt also Art. 1 des erwähnten Staatsvertrages nicht weiter in Betracht.
2. Im übrigen beruft sich die Beklagte gegenüber der vorinstanzlichen Entscheidung weder auf eine ausdrückliche Norm des Bundesrechts, noch macht sie Grundsätze geltend, die aus einer solchen Norm abzuleiten und ebenfalls als Inhalt des Bundesrechts zu betrachten wären. Der Gerichtsstand der Aberkennungsklage ist allerdings durch das Bundesrecht geordnet. Art. 83 Abs. 2 SchKG weist solche Klagen an den Betreibungsort. Diese Norm wird aber durch den angefochtenen Entscheid keineswegs verletzt; sind doch danach eben die Gerichte des Betreibungsortes zuständig, wenn auch nicht unmittelbar auf Grund der erwähnten Vorschrift, sondern kraft einer stillschweigenden Parteivereinbarung. Demgemäss beruft sich die Beklagte denn auch nicht auf den gesetzlichen Gerichtsstand des Art. 83 Abs. 2 SchKG. Sie beschränkt sich darauf, neuerdings die in ihren Rechnungs- und Auftragsbestätigungsformularen enthaltene, auf das Handelsgericht von Rouen verweisende Gerichtsstandsklausel zur Geltung zu bringen und die von der Vorinstanz bejahte gegenteilige Prorogation zu verneinen. Mit dem Rechtsmittel der Berufung können aber nur Verletzungen des Bundesrechts gerügt werden (Art. 43 OG). Dazu gehört die Erörterung von Gerichtsstandsvereinbarungen, wie sie hier in Frage stehen, nicht. Solche Vereinbarungen unterstehen, auch wenn man ihnen mit der herrschenden Lehre reinen Vertragscharakter beilegt, dem Prozessrecht (vgl. J. WEISSMANN, Das forum prorogatum, Diss. 1935, S. 28 ff.). Sie können freilich auch durch prozessuale Normen des Bundesrechts geordnet werden, soweit der Bund dafür eine Gesetzgebungsbefugnis in Anspruch nimmt. In Art. 83 Abs. 2 SchKG ist aber wie in vielen andern bundesrechtlichen Bestimmungen einfach eine gesetzliche Gerichtsstandsnorm aufgestellt, ohne dass irgendetwas über die Zulässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen, über die bei deren Abschluss zu beobachtende Form und über die allfälligen weitern Voraussetzungen ihrer Rechtsverbindlichkeit für den durch sie bezeichneten Richter beigefügt wäre. Daraus, dass dem Gerichtsstand des Betreibungsortes nach der in Frage stehenden Vorschrift grundsätzlich nicht zwingender Charakter zukommt (BGE 56 III 233, BGE 68 III 79und 165 ff.), folgt bei dieser Rechtslage nur, der gesetzliche Gerichtsstand stehe abweichenden Parteivereinbarungen auf Grund des - dafür massgebend bleibenden - kantonalen (und allenfalls auch des ausländischen) Prozessrechts nicht im Wege. Nach Bundesrecht ist somit bloss zu beurteilen, ob und allenfalls in welchen Grenzen die eidgenössische Gerichtsstandsnorm überhaupt einer Prorogation Raum gibt, insbesondere ob mit Art. 83 Abs. 2 SchKG jede Art einer Prorogation vereinbar sei, oder ob es sich immerhin um ein schweizerisches Gericht handeln müsse (mit Rücksicht auf die kurze Klagefrist und auch wegen der Unsicherheit, ob im Ausland überhaupt eine so eigenartige, an Vorgänge des schweizerischen Vollstreckungsverfahrens anknüpfende negative Feststellungsklage angebracht werden könne). Darüber hat die Vorinstanz jedoch gar nicht entschieden, also in dieser Hinsicht keinen Grund zur Anfechtung ihres Urteils geboten. Sie stellt die Gültigkeit der von der Beklagten angerufenen Gerichtsstandsklauseln als möglich hin. Der entscheidende Grund, weshalb sie diese nicht anwendet, liegt in der Annahme einer stillschweigenden Gegenprorogation auf den Richter des Betreibungsortes für die vorliegende Aberkennungsklage. Die Missachtung einer Gerichtsstandsvereinbarung (Prorogationsklausel), und wäre es auch wegen Annahme einer Gegenprorogation, ist aber nicht als Verletzung einer eidgenössischen Gerichtsstandsvorschrift zu betrachten. Gleichwie es nicht zulässig war, mit dieser Rüge eine zivilrechtliche Beschwerde nach Art. 87 Ziff. 3 des alten OG zu führen (BGE 56 II 386/87), so ist nun auch eine auf diese Rüge gestützte Berufung oder Nichtigkeitsbeschwerde nach Art. 43 bezw. Art. 68 Abs. 1 lit. b OG nicht zulässig (vgl. auch GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2. Auflage, S. 85; "Den vom Bundesrecht festgesetzten Gerichtsständen kann insoweit derogiert werden, als sie nicht im öffentlichen Interesse aufgestellt sind. Zur Anhandnahme des Prozesses berechtigt und verpflichtet ist ein prorogiertes Gericht nur nach Massgabe des kantonalen Rechtes.").
Nichts anderes folgt daraus, dass die Vorinstanz, einer in der Literatur vertretenen Ansicht folgend (O. LUTZ, Gerichtsstandsklausel und Aberkennungsklage, SJZ 31 S. 212 ff.), im Gesuch der Beklagten um provisorische Rechtsöffnung ein Vorgehen sieht, das eigentlich durch die von ihr angerufenen Gerichtsstandsklauseln ausgeschlossen wäre und nun als Verzicht auf Anwendung dieser Klauseln für den Aberkennungsprozess zu betrachten sei, anders ausgedrückt als Vorschlag einer auf den Betreibungs- und Rechtsöffnungsort verweisenden Gegenprorogation, dem die Klägerin durch Anhebung ihrer Klage am Betreibungsort zugestimmt habe. Diese Erwägungen knüpfen zwar an die durch Bundesrecht normierten Vorstadien des Aberkennungsprozesses an. Sie betreffen aber nicht die Anwendung des SchKG, sondern ausschliesslich die vom kantonalen Recht beherrschte Frage nach dem Vorliegen einer (gültigen) Gerichtsstandsvereinbarung bezw. einer Gegenprorogation. Es ist dem kantonalen Prozessrecht anheimgestellt, die Wegbedingung einer Gerichtsstandsvereinbarung - so dass es beim ordentlicherweise gegebenen, also beim gesetzlichen Gerichtsstande bleiben soll - durch Formerleichterungen und Willensvermutungen zu begünstigen. Ob sich aber solche Regeln wirklich aus dem geschriebenen und ungeschriebenen Prozessrecht eines Kantons herleiten lassen, und ob sie im einzelnen Streitfalle richtig angewendet wurden, kann nicht Gegenstand einer vom Bundesgericht im Berufungsverfahren zu fällenden Entscheidung sein.
Demnach erkennf das Bundesgericht:
Auf die Berufung wird nicht eingetreten.