BGE 87 III 54
 
11. Entscheid vom 15. September 1961 i.S. Aerni.
 
Regeste
Der Wohnort des Gläubigers muss auch dann im Betreibungsbegehren angegeben werden (gemäss Art. 67 Abs. 1 Ziff. 1 SchKG), wenn über seine Person Gewissheit besteht und er in der Betreibung durch einen Bevollmächtigten vertreten wird.
Wegen Fehlens der Angabe im Zahlungsbefehl (Art. 69 Ziff. 1 SchKG) kann sich der Schuldner beschweren, ohne dass ihm Rechtsmissbrauch vorgehalten werden könnte.
Einräumung einer Verwirkungsfrist zum Nachholen der Angabe, gemäss BGE 47 III 121.
 
Sachverhalt
A.- Namens der "Aerni Catharina, Frau, Domizil bei den Bevollmächtigten" stellten deren Anwälte gegen deren Ehemann ein Betreibungsbegehren für Unterhaltsbeiträge. Das Betreibungsamt Bern 1 stellte dem Schuldner W. Aerni einen entsprechenden Zahlungsbefehl zu. Darüber beschwerte sich der Schuldner, weil die in Art. 67 Ziff. 1 SchKG verlangte Angabe des Wohnortes der Gläubigerin fehle. Es handle sich um Unterhaltsbeiträge an seine geschiedene Ehefrau. Die Unterhaltspflicht würde mit der Wiederverheiratung der Gläubigerin aufhören. Er müsse deren derzeitige Adresse kennen, um sich über ihren gegenwärtigen Familienstand erkundigen zu können. Auf die Beteuerungen ihrer Vertreter könne er sich nicht verlassen, und es gehe auch nicht an, ihn an das Zivilstandsamt der Heimat (Zollikofen) zu weisen, das unter Umständen über eine im Ausland erfolgte Heirat nicht unterrichtet sei. Die Gläubigerin habe schon vor Jahren die Absicht geäussert, sich in einem fernen Land, etwa in Venezuela, neu zu verehelichen.
B.- Gemäss dem Antrag des Betreibungsamtes forderte der Präsident der Aufsichtsbehörde die Vertreter der Gläubigerin, unter Mitteilung der Beschwerde, auf, innert acht Tagen den Wohnort der Gläubigerin bekannt zu geben, "unter Androhung, dass sonst der Zahlungsbefehl aufgehoben wird (BGE 47 III 121)". Die Vertreter der Gläubigerin erteilten die verlangte Auskunft nicht und begründeten ihren ablehnenden Standpunkt in einer während der ihnen angesetzten Frist eingereichten Eingabe wie folgt: Das angerufene Präjudiz stamme aus dem Jahre 1910 und sei seither nie bestätigt worden. Es sei als hinfällig zu betrachten und durch neuere Entscheide (BGE 62 III 134undBGE 65 III 97) überholt, wonach es bloss der eindeutigen, jeden Zweifel an der Identität ausschliessenden Bezeichnung des Gläubigers bedürfe. Mehr zu verlangen, sei Schikane, zumal seitens des hier betriebenen Schuldners, der der Gläubigerin seit Jahren Schwierigkeiten bereite. Unter diesen Umständen brauche sie ihm ihre - wechselnde - Wohnadresse nicht bekannt zu geben. Sie befinde sich seit Mai 1960, wie der Schuldner wisse, im Ausland, sei zuerst in Frankreich gewesen und weile jetzt in Westdeutschland. Sie sei bereit, der Aufsichtsbehörde bloss für deren Gebrauch, nicht auch dem Schuldner, ihre gegenwärtige Adresse auf Verlangen mitzuteilen. Um eine neue Ehe einzugehen, müsste sie sich beim Zivilstandsamt von Zollikofen ein "Ledigkeitszeugnis" ausstellen lassen. Das sei bisher nie geschehen; es möge darüber ein Bericht des erwähnten Amtes eingeholt werden.
C.- Die Aufsichtsbehörde hielt indessen dafür, der Schuldner sei befugt, die Angabe des Wohnortes der Gläubigerin zu verlangen, und zwar, um selber davon Kenntnis zu nehmen, so dass das Angebot der Vertreter der Gläubigerin, eine dem Schuldner vorzuenthaltende Angabe zu machen, nicht genüge. Demgemäss ist der Zahlungsbefehl mit Entscheid vom 24. August 1961 aufgehoben worden.
D.- Gegen diesen Entscheid richtet sich der vorliegende von einem der bevollmächtigten Anwälte der Gläubigerin in deren Namen, wiederum ohne Wohnortsangabe, eingereichte Rekurs an das Bundesgericht. Der Antrag geht auf Aufhebung des kantonalen Entscheides und auf Anweisung an das Betreibungsamt, die Betreibung laut dem Zahlungsbefehl Nr. 70524 wieder an Hand zu nehmen. Der Rekursschrift sind sechs Seiten des Passes der Gläubigerin in Lichtpausen beigelegt, und in der Rekursbegründung wird hervorgehoben, dass ihr Zivilstand in diesem am 21. Dezember 1960 von der schweizerischen Gesandtschaft in Paris ausgestellten Pass mit "divorcée" angegeben ist.
 
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1. Das Gesetz verlangt die Angabe des Namens und Wohnortes des Gläubigers (und seines allfälligen Bevollmächtigten, sowie, wenn der Gläubiger im Auslande wohnt, des von ihm in der Schweiz gewählten Domizils) im Betreibungsbegehren (Art. 67 Abs. 1 Ziff. 1) und ebenso im Zahlungsbefehl (Art. 69 Ziff. 1). Dieses Gebot wird offensichtlich nicht erfüllt durch eine der Aufsichtsbehörde bloss zu internem Amtsgebrauch gemachte Angabe. Nach den erwähnten Vorschriften muss der Name und der Wohnort des Gläubigers vielmehr in den grundlegenden Betreibungsurkunden enthalten sein und nicht bloss dem Betreibungsamt - sowie im Fall einer Beschwerde den Aufsichtsbehörden -, sondern auch dem Betriebenen kundgetan werden. Die Vorinstanz hat es daher mit Recht abgelehnt, eine Wohnortsangabe entgegenzunehmen, die dem Schuldner hätte vorenthalten werden müssen und nach wie vor in den Betreibungsurkunden gefehlt hätte.
2. Der Hauptstandpunkt der Rekurrentin geht indessen dahin, es bedürfe der vorgeschriebenen Wohnortsangabe nicht in allen Fällen. Sie könne füglich unterbleiben, wenn über die Identität des Gläubigers weder beim Schuldner noch beim Betreibungsamt irgendein Zweifel bestehe und namens des Gläubigers ein in der Schweiz wohnender Bevollmächtigter handle, an den sich sowohl der Schuldner wie auch das Betreibungsamt in allen diese Betreibung betreffenden Fragen wenden könne. Dem ist nicht beizustimmen. Wie in dem vom Betreibungsamt und von der Vorinstanz angerufenen Entscheid ausgeführt wurde (BGE 47 III 121ff.), gilt die erwähnte Vorschrift auch in dem Falle, den die Rekurrentin davon ausnehmen möchte. Das ergibt sich aus dem klaren Wortlaut des Gesetzes, das die Angabe des Namens und Wohnortes des Gläubigers und seines allfälligen Bevollmächtigten verlangt, jene doppelte Angabe also auch dann nicht als überflüssig erachtet, wenn der Gläubiger die Betreibung nicht selbst einleitet und durchführt, sondern einen Bevollmächtigten für sich handeln lässt. Gewiss hat die Wohnortsangabe in manchen Fällen den besondern Zweck, die von vornherein unerlässliche Identifizierung zu ermöglichen. Das Gesetz schreibt sie aber allgemein vor, und die Rechtsprechung hat dementsprechend auch in neuerer Zeit an den Grundsätzen jenes Präjudizes festgehalten (BGE 82 III 127 ff., Erw. 2). Keinen abweichenden Standpunkt nahmen die von der Rekurrentin angeführten Entscheidungen (BGE 62 III 134undBGE 65 III 97) ein. Sie befassten sich gar nicht mit dem (in den betreffenden Fällen erfüllten) Erfordernis der Wohnortsangabe, sondern mit dem Gebot, den (richtigen) Namen bezw. die Firma des Gläubigers anzugeben (vgl. dazu P. SCHWARTZ, Die Bezeichnung der Parteien in den Betreibungsurkunden, BlSchK 1955, 13/14).
3. Mit der Vorinstanz ist endlich die Einrede der Rekurrentin, das Begehren des Schuldners sei rechtsmissbräuchlich, zu verwerfen. Der Schuldner hat nichts anderes verlangt als die Einhaltung einer gesetzlichen Vorschrift, auf die ihn in einer frühern auf dasselbe Scheidungsurteil gestützten Alimentenbetreibung der Rechtsöffnungsrichter hingewiesen hatte. Dass dieser Vorschrift nachgelebt werde, darf der Schuldner verlangen, "ohne dass er nachzuweisen hätte, inwiefern seine Interessen durch Unterlassung der Angabe des Wohnortes des Gläubigers verletzt werden" (BGE 47 III 121ff., Erw. 1 am Ende). Der Nachweis, dass der Schuldner im Einzelfall jene Angabe ohne jedes Interesse, aus reiner Schikane verlange, würde dem Gläubiger obliegen. Vermutungsweise -und in den meisten Fällen auch wirklich - ist es aber für den Schuldner von Belang, zu wissen, wo der betreibende Gläubiger wohnt, sei es, um Zahlungen an ihn persönlich statt an das Betreibungsamt oder an den Bevollmächtigten leisten oder auch einfach mit ihm persönlich (mündlich, allenfalls telefonisch, oder schriftlich) wegen der Betreibungssache oder einer damit zusammenhängenden Angelegenheit in Verbindung treten zu können (vgl. auch hiezu das Präjudiz; ferner E. SCHMID, Der Zahlungsbefehl, Diss. 1930, S. 15). Dass ein solches Interesse im vorliegenden Fall ausgeschlossen sei, ist nicht dargetan. Die Schwierigkeiten, die der Schuldner der Rekurrentin im Scheidungsprozess und seither bereitet haben soll, machen die Wohnortsangabe nicht überflüssig.
Dazu ist zu bemerken, dass das Gesetz allerdings die Angabe des wirklichen, nicht eines bloss fiktiven Wohnortes im Auge hat. Ist der bisherige Wohnsitz gänzlich aufgegeben, befindet sich die betreffende Person also nicht nur zu einem vorübergehenden Zwecke, sei es auch für längere Zeit, an einem andern Orte (vgl. BGE 82 III 12), so liegt es im Sinne der Art. 67 und 69 SchKG, dass nun die neue Wohnadresse angegeben werde, wo der Gläubiger tatsächlich erreichbar ist, selbst wenn er eines eigentlichen Wohnsitzes entbehrt. In diesem Sinne war die Aufforderung des Präsidenten der kantonalen Aufsichtsbehörde, das im Betreibungsbegehren Versäumte binnen bestimmter Frist (gemäss dem erwähnten Präjudiz) nachzuholen, vernünftigerweise zu verstehen. Die Anwälte der Rekurrentin haben sie denn auch so aufgefasst, und es war auch unbestritten, dass die Rekurrentin eine solche Wohnadresse besitze. Ihre Vertreter weigerten sich bloss (wie dargetan, zu Unrecht), sie dem Schuldner kundzutun. Wenn diesem vor allem daran liegt, sich jederzeit nach einer allfälligen Wiederverheiratung der Gläubigerin (wodurch seine Alimentationspflicht beendigt wäre) erkundigen zu können, so ist es übrigens für ihn zweifellos leichter, sich bei der Einwohnerkontrolle ihres mehr oder weniger ständigen Wohnortes danach zu erkundigen als eine Bescheinigung des Zivilstandsamtes des Heimatortes einzuholen. Seine Beschwerde entbehrte also nicht des realen Interesses.
Die im Rekurs an das Bundesgericht enthaltenen neuen tatbeständlichen Vorbringen können nicht berücksichtigt werden (Art. 79 Abs. 1 OG). Den ihr vorgelegten Tatbestand mit Einschluss der Vernehmlassung der Gläubigerin hat die Vorinstanz richtig beurteilt. Sollte die Rekurrentin bei Einleitung einer neuen Betreibung, wie es derzeit nach den Ausführungen der Rekursschrift der Fall ist, nur eine beinahe täglich wechselnde Hoteladresse ohne festen Wohnsitz im Sinne des Art. 23 ZGB besitzen, so wird sie sich freilich auf die Angabe der gerade "zur Zeit" geltenden Aufenthaltsadresse beschränken können, da sie lediglich zu wahrheitsgemässer "Wohnortsangabe" verpflichtet ist.
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird abgewiesen.