BGE 96 III 62
 
11. Entscheid vom 31. August 1970 i.S. Israel Leather Fashion Ltd.
 
Regeste
Zustellung von Betreibungsurkunden im Ausland (Israel) auf diplomatischem Wege (Art. 2 und 5 der Haager Übereinkunft betr. Zivilprozessrecht vom 1. März 1954).
Unvereinbarkeit des massgebenden ausländischen Rechts mit der schweizerischen Rechtsauffassung? Beweis der Zustellung.
 
Sachverhalt
A.- Im Arrest- und Betreibungsverfahren des Zoltan Herskovitz in Zürich gegen die Beged-Or Ltd., Leather Garments, in Migdal Ha'emek, Israel, ersuchte das Betreibungsamt Zürich 1 am 30. Dezember 1968 die zuständige Gerichtsstelle, der Schuldnerin die Arresturkunde und den Zahlungsbefehl auf diplomatischem Wege zustellen zu lassen. Am 11. Juni 1969 erhielt es eine vom Director of Courts des Staates Israel beglaubigte Bescheinigung des Bezirksgerichts Tel-Aviv vom 11. Mai 1969, wonach die verlangte Zustellung am 21. April 1969 erfolgt war. Dieser Bescheinigung lag eine eidesstattliche Erklärung des Zustellungsbeamten Eitan Kohn vom 28. April 1969 bei, mit welcher dieser bestätigte, er habe die Urkunden der in der Ofnat Or Israelit tätigen "Maskira" (Sekretärin) übergeben; diese habe den Empfang bescheinigt.
Da gegen den Zahlungsbefehl kein Rechtsvorschlag erfolgt war, pfändete das Betreibungsamt am 23. Juni 1969 den arrestierten Barbetrag. Die Pfändungsurkunde, in welcher wie schon in der Arresturkunde und im Zahlungsbefehl stand, die der Schuldnerin laufenden Fristen würden gemäss Art. 66 Abs. 5 SchKG und BGE 73 III 27 um 30 Tage verlängert, ging der Schuldnerin am 11. August 1969 zu.
B.- Am 2. September 1969 führte die "Israel Leather Fashion Ltd., vormals Beged-Or Ltd." Beschwerde mit dem Antrag, die Zustellung der Arresturkunde und des Zahlungsbefehls seien ungültig zu erklären und das Betreibungsamt sei anzuweisen, diese Betreibungsurkunden dem Verwaltungsratspräsidenten oder einem Angestellten der Beschwerdeführerin zuzustellen; die Pfändung sei aufzuheben. Sie machte geltend, sie habe ihre Firma am 20. Mai 1968 von Beged-Or Ltd. in Israel Leather Fashion Ltd. (hebräisch: Ofnat Or Israelit Ba'am) abgeändert; sie habe eine Geschäftsstelle in Tel-Aviv, 31 Lilienblum Street; der Gerichtsvollzieher habe die Betreibungsurkunden jedoch nicht dem Präsidenten oder einem Angestellten der Beschwerdeführerin übergeben, "sondern offenbar einer Sekretärin, die zufälligerweise im gleichen Hause arbeitete, aber in keinem Dienstverhältnis zur Beschwerdeführerin stand"; diese Sekretärin habe die Betreibungsurkunden nicht an die Beschwerdeführerin weitergeleitet; erst durch die Zustellung der Pfändungsurkunde habe die Beschwerdeführerin vom Arrest und von der Betreibung Kenntnis erhalten.
Die untere Aufsichtsbehörde wies die Beschwerde am 5. November 1969 ab, soweit sie darauf eintrat.
Die obere kantonale Aufsichtsbehörde wies am 10. Juli 1970 den Rekurs der Schuldnerin gegen den erstinstanzlichen Entscheid ab. Auf Grund der eidesstattlichen Erklärung des Zustellungsbeamten Kohn vom 28. April 1969 und einer weitern solchen Erklärung dieses Beamten vom 11. März 1970, die sie als beweiskräftig betrachtete, sowie gestützt auf verschiedene als Indizien gewürdigte Umstände stellte sie im wesentlichen fest, Kohn habe die streitigen Betreibungsurkunden im Hause Achad Ha'am Street 54/Ecke Nachmany Street abgegeben, nachdem ein anderer Zustellungsbeamter in Erfahrung gebracht habe, dass die nun die Firma IsraelLeather Fashion Ltd. = Ofnat Or Israelit Ba'am führende Schuldnerin an der Lilienblum Street 31 nicht habe erreicht werden können, sondern an die Achad Ha'am Street/Ecke Nachmany Street gezogen sei; Kohn habe die hier angetroffene Sekretärin vor der Übergabe der Urkunden gefragt, ob er sich im Büro der Ofnat Or Israelit Ba'am befinde, was die Sekretärin bejaht habe; die von dieser unterzeichnete Empfangsbescheinigung (die dem Betreibungsamt nicht zuging) sei offenbar verloren gegangen, doch sei die Tatsache der Auslieferung der Urkunden ordnungsgemäss registriert worden; den Erklärungen der Sekretärin habe Kohn entnehmen dürfen, dass diese für die Schuldnerin handle; dabei habe es sich angesichts der engen Beziehungen zwischen der im Büro an der Achad Ha'am Street niedergelassenen Beged Or (1968) Ltd. und der Schuldnerin, die sich in Liquidation befinde und einzelne Aktiven (den Geschäftsbetrieb und den im Namen liegenden Goodwill) auf die fast den gleichen Namen führende Beged Or (1968) Ltd. übertragen habe, nicht um einen Irrtum oder eine Täuschung seitens der Sekretärin handeln können; es sei beim gegebenen Sachverhalt nicht auffällig, dass eine Angestellte der Beged Or (1968) Ltd. eine Sendung, die für die früher den Namen Beged-Or Ltd. tragende Schuldnerin bestimmt war, entgegengenommen habe; es sei als selbstverständlich anzunehmen, dass die Beged Or (1968) Ltd. Sendungen an die unter einem neuen Namen in Liquidation befindliche Beged-Or Ltd. für diese entgegengenommen habe; in bezug auf die streitigen Betreibungsurkunden dürfe das mit Sicherheit angenommen werden, weil sie auf den frühern Namen der Schuldnerin lauteten; bei dieser Sachlage sei anzunehmen, die Sekretärin der Beged Or (1968) Ltd. sei befugt gewesen, diese Urkunden für die Schuldnerin entgegenzunehmen, so dass die Zustellung gültig sei. Sollten die Urkunden nicht an die Schuldnerin weitergeleitet worden sein, so wäre das den von ihr selbst geschaffenen verwirrenden Umständen zuzuschreiben, deren Folgen sie selbst zu tragen hätte.
C.- Gegen diesen Entscheid hat die Israel Leather Fashion Ltd. an das Bundesgericht rekurriert mit dem Antrag, die Zustellung der Arresturkunde und des Zahlungsbefehls seien als ungültig zu erklären und das Betreibungsamt anzuweisen, diese Urkunden erneut zuzustellen; die Pfändung vom 23. Juni 1969 sei aufzuheben.
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer weist den Rekurs ab.
 
Erwägungen:
Nach Art. 2 der Übereinkunft erfolgt die Zustellung durch die nach den Gesetzen des ersuchten Staates zuständige Behörde. Diese kann sich nach dem zweiten Satze von Art. 2 (unter Vorbehalt der in Art. 3 vorgesehenen, hier nicht in Betracht kommenden Fälle) damit begnügen, die Zustellung durch Übergabe der Urkunde an den sie freiwillig entgegennehmenden Empfänger zu vollziehen. Der Beweis der Zustellung erfolgt nach Art. 5 Abs. 1 der Übereinkunft entweder mittels eines datierten und beglaubigten Empfangsscheins des Empfängers oder mittels einer Bescheinigung der Behörde des ersuchten Staates, welche die Tatsache, die Form und das Datum der Zustellung feststellt.
Welche natürlichen Personen zur Entgegennahme einer für eine juristische Person bestimmten Urkunde befugt sind, sagt die Übereinkunft nicht. Diese Frage beurteilt sich wie die Frage, welche Behörde des ersuchten Staates für die Zustellung zuständig sei, nach dem Rechte des ersuchten Staates, hier also nach israelischem Recht, dessen Anwendung durch die Vorinstanz das Bundesgericht im vorliegenden Rekursverfahren nicht zu überprüfen hat (Art. 81 in Verbindung mit Art. 43 Abs. 1 OG; vgl. auch Art. 79 Abs. 1 OG). Wenn Art. 19 Abs. 1 SchKG die Weiterziehung "gesetzwidriger" Entscheide einer kantonalen Aufsichtsbehörde an das Bundesgericht gestattet, so sind damit, wie schon vor Erlass der Art. 75-82 des OG vom 16. Dezember 1943 erkannt worden war (BGE 53 III 57 E. 1 a.E.), nur Entscheide gemeint, die gegen schweizerisches Bundesrecht (mit Einschluss der Staatsverträge des Bundes) verstossen.
2. Die Vorinstanz nimmt in ihren Erwägungen auf das israelische Recht nicht ausdrücklich Bezug. Aus der Tatsache, dass sie die Zustellung durch die bei solchen Amtshandlungen zweifellos ihr eigenes Recht anwendenden israelischen Behörden auf Grund der Bescheinigungen dieser Behörden als rechtsgültig betrachtete, ist jedoch zu schliessen, dass sie davon ausgeht, die Sekretärin, welche die streitigen Betreibungsurkunden entgegennahm, sei nach israelischem Recht hiezu befugt gewesen. Diese Annahme ist nach Erwägung 1 hievor der Überprüfung durch das Bundesgericht entzogen.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die im Ausland erfolgte Zustellung einer Betreibungsurkunde an eine nach dortigem Recht zu ihrer Entgegennahme befugte Person in der Schweiz trotz dem Fehlen eines entsprechenden Vorbehalts in der Übereinkunft vom 1. März 1954 allenfalls dann nicht als gültig anzuerkennen wäre, wenn das ausländische Recht in dieser Hinsicht mit der schweizerischen Rechtsauffassung schlechthin unverträglich wäre. Hievon könnte nämlich im vorliegenden Falle angesichts der von der Vorinstanz verbindlich festgestellten Tatsache, dass die Beged Or (1968) Ltd. mit der Schuldnerin eng verbunden war, deren Geschäftsbetrieb unter fast gleicher Firma fortsetzte und Sendungen für die am Ort ihrer angeblichen Geschäftsstelle nicht anzutreffende Schuldnerin entgegenzunehmen pflegte, nicht die Rede sein (vgl. BGE 96 III 5 E. 1, wo das Bundesgericht in Anwendung von Art. 65 SchKG die Zustellung an eine Angestellte einer im gleichen Lokal wie die betriebene AG tätigen Gesellschaft als gültig bezeichnete).
Der Beweis der Zustellung ist durch die vorliegenden Bescheinigungen der israelischen Behörden in einer dem Art. 5 der Übereinkunft genügenden Weise geleistet.