BGE 121 III 310 |
64. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 27. Juni 1995 i.S. T. gegen Bank X. (Berufung) |
Regeste |
Geldüberweisung mit Hilfe des Bankenclearingsystems; vertraglicher Direktanspruch des Überweisenden gegen die sich weisungswidrig verhaltende Empfängerbank (Art. 32, 112, 127, 398 Abs. 3 OR). |
Gegen die im vorliegenden Fall als auftragsrechtliche Substitutin der Erstbank handelnde Empfängerbank kann der Überweisende einen direkten Schadenersatzanspruch geltend machen (E. 4), auf welchen die zehnjährige Verjährungsfrist von Art. 127 OR anwendbar ist (E. 5a). |
Begriff des Sperrkontos (E. 5b). |
Sachverhalt |
W. und B. waren einzige Aktionäre der Firma M. AG. Ende 1987 vereinbarten sie, dass B. die Gesellschaft allein weiterführe und die 300 Namenaktien von W. erwerbe. Da B. nicht über die für den Aktienkauf nötigen Mittel verfügte, stellte ihm der mit ihm befreundete T. ein Darlehen von Fr. 300'000.-- in Aussicht und erklärte sich bereit, den Betrag sogleich auf ein Sperrkonto bei der Bank Y. zu überweisen. B. sollte auf diese Weise ermöglicht werden, sich in den Kaufverhandlungen über die erforderlichen Mittel auszuweisen, über das Geld aber erst nach Abschluss eines schriftlichen Darlehensvertrags mit T. verfügen können.
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Am 14. Dezember 1987 wies T. die Bank Z. AG mit Vergütungsauftrag an, der Bank Y. Fr. 300'000.-- zu überweisen. Die Bank Z. AG führte den Auftrag mittels des On-line-Bankenclearingsystems SIC (Swiss Interbank Clearing) aus. In der SIC-Überweisung waren "B. & T. Sperrkonto" als Begünstigte aufgeführt. Am 16. Dezember 1987 liess die Bank B. wissen, die von T. überwiesenen Fr. 300'000.-- seien einem am gleichen Tag auf seinen Namen eröffneten Konto gutgeschrieben worden. Dieses Konto trug die bankinterne Bezeichnung "Sperrkonto B. & T.". Gegenüber T. erfolgte von seiten der Bank keine Mitteilung.
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Entgegen den Abmachungen von T. mit B. kam in der Folge kein schriftlicher Darlehensvertrag zwischen ihnen zustande.
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Am 18. März 1988 verkaufte W. seinen Aktienanteil an der Firma M. AG zum Preis von Fr. 372'000.-- an B. Der Kaufpreis war mit Fr. 300'000.-- "in bar sofort" und darüber hinaus ab 1. April 1988 in monatlichen Raten von Fr. 2'000.-- zu tilgen.
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Mit Vergütungsauftrag vom 29. März 1988 gab B. den von T. überwiesenen Betrag von Fr. 300'000.-- zugunsten von W. gegen Aushändigung der Namenaktien frei. Die Bank Y. verwendete ihn zur Verrechnung mit Forderungen, die sie gegenüber W. hatte. T. wurden diese Vorgänge Mitte 1988 bekannt.
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Auf Anfrage von T. bestätigte die Bank Y. mit Schreiben vom 19. Januar 1989, "per 17. Dezember 1987 Fr. 300'000.-- auf Sperrkonto B. & T. gutgeschrieben zu haben". Am 23. März 1989 teilte sie dem von T. beauftragten Anwalt mit, das Geld sei für den Aktienkauf verwendet worden.
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Zwischen Juli 1990 und November 1991 erwirkte T. von B. mehrere Abzahlungen an die Darlehensschuld im Gesamtbetrag von Fr. 39'640.--. Danach stellte B. seine Zahlungen ein.
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Am 22. Juni 1992 erhob T. beim Bezirksgericht Aarau Klage gegen die Bank X. als Rechtsnachfolgerin der Bank Y. Er stellte den Antrag, die Beklagte zur Zahlung von Fr. 270'000.-- nebst 8 1/4% Zins seit 1. Oktober 1991 sowie von Fr. 568.75 rückständiger Zinsen zu verpflichten. Das Bezirksgericht wies die Klage mit Urteil vom 21. April 1993 ab.
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Der Kläger appellierte an das Obergericht des Kantons Aargau, das sein Rechtsmittel mit Urteil vom 18. März 1994 abwies. Wie bereits das Bezirksgericht verneinte auch das Obergericht mangels Vertragsbeziehungen einen vertraglichen Schadenersatzanspruch des Klägers. Es bejahte dagegen grundsätzlich eine Haftung der Beklagten aus unerlaubter Handlung im Sinne von Art. 41 OR, kam indessen zum Ergebnis, die entsprechende Forderung des Klägers sei verjährt.
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Der Kläger hat das Urteil des Obergerichts mit Berufung angefochten, die vom Bundesgericht teilweise gutgeheissen wird.
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Aus den Erwägungen: |
a) Das Bankenclearingsystem SIC steht als Girosystem im Dienste des mehrgliedrigen Überweisungsverkehrs (vgl. zur Ausgestaltung des Systems: EMCH/RENZ/BÖSCH, Das Schweizerische Bankgeschäft, 4. Aufl., S. 552 ff.). Das System ermöglicht eine zentral gesteuerte und damit schnelle Abwicklung von Kettenüberweisungen, die ihren Grund darin haben, dass der Überweisungsempfänger sein Konto nicht bei der gleichen Kontostelle unterhält wie der Überweisende.
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Im mehrgliedrigen Überweisungsverkehr handeln die zwischengeschalteten Banken in eigenem Namen, aber auf fremde Rechnung, somit als indirekte Stellvertreterinnen. Eine dergestalt vorgenommene Überweisung wird mittels mehrerer, kettenartig verbundener Verträge abgewickelt, an denen unterschiedliche Parteien beteiligt sind, wobei die Relativität der jeweiligen Rechtsbeziehungen zu beachten ist. So besteht zwischen dem Überweisenden und der Erstbank ein Girovertrag, auf den die Regeln des Auftragsrechts Anwendung finden. Der in diesem Rahmen erfolgende Vergütungsauftrag ist eine an die Erstbank gerichtete Weisung (Art. 397 OR) des Inhalts, mit der kontoführenden Bank des Empfängers ein Anweisungsverhältnis im Sinne von Art. 466 ff. OR einzugehen. Die beteiligten Banken sind sodann unter sich durch selbständige Giroverträge verbunden, auf die ebenfalls die Regeln des Auftragsrechts anwendbar sind. Aus alldem ergibt sich, dass zwischen dem Überweisenden und der Empfängerbank grundsätzlich keine unmittelbaren Vertragsbeziehungen bestehen (vgl. GUGGENHEIM, Die Verträge der schweizerischen Bankpraxis, 3. Auflage, S. 234 und 238 ff.; CLAUS HELBIG, Die Giroüberweisung, deren Widerruf und Anfechtung nach deutschem und schweizerischem Recht, Diss. Genf 1970, S. 60 ff.; CdJ GE in SJ 105/1983 78 mit Hinweisen; zum deutschen Recht: CANARIS, in Grosskomm. HGB, 4. Auflage, Bankvertragsrecht, Erster Teil, Rz. 392; zum österreichischen: AVANCINI/IRO/KOZIOL, Österreichisches Bankvertragsrecht, Band I, Rz. 6/21; zum französischen: RIVES-LANGE/CONTAMINE-RAYNAUD, Droit bancaire, 6. Auflage, Rz. 296 ff.).
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b) Zu beachten ist allerdings, dass nach Art. 32 Abs. 2 OR eine direkte Stellvertretung auch dann gegeben sein kann, wenn sich der Vertreter beim Vertragsabschluss nicht als solcher zu erkennen gibt. Die Anwendung dieser Bestimmung liesse sich im Fall von mehrgliedrigen Überweisungen damit begründen, dass sich die mitwirkenden Banken des gegenseitigen Handelns auf fremde Rechnung bewusst sind und es ihnen gleichgültig sein kann, mit wem sie den Vertrag schliessen. Letzteres trifft indessen nicht zu. Es ist offensichtlich, dass den am Clearingverkehr beteiligten Banken nicht gleichgültig sein kann, ob sie nur unter sich oder auch mit einer möglicherweise unbestimmten Anzahl fremder Bankkunden vertraglich verbunden sind, ergäben sich in der Geschäftsabwicklung doch erhebliche Unsicherheiten, wenn sie sich auch um die internen Beziehungen zwischen ihren Clearingpartnern und deren Kunden kümmern müssten. Aus Art. 32 Abs. 2 OR abgeleitete vertragliche Bindungen der Prozessparteien fallen somit ausser Betracht.
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4. Zu berücksichtigen und von entscheidender Bedeutung ist indessen, dass die Erstbank vom Kläger mit der Ausführung eines Auftrags betraut worden ist, den sie nur mit Hilfe der Empfängerbank erfüllen konnte. Art. 398 Abs. 3 OR sieht als Ausnahme von der Regel der persönlichen Auftragsbesorgung jene Fälle vor, in welchen der Beauftragte ermächtigt oder durch die Umstände genötigt ist, einen Dritten mit der Besorgung des Geschäfts zu betrauen, oder wenn dies übungsgemäss als zulässig betrachtet wird. Als "übungsgemäss zulässig" gilt die Übertragung der Geschäftsbesorgung auf einen Dritten auch dann, wenn der Auftraggeber von vornherein weiss, dass der Erstbeauftragte zur persönlichen Ausführung ausserstande ist (FELLMANN, Berner Kommentar, N. 580 zu Art. 398 OR).
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Ein solcher Fall liegt hier vor. Die Erstbank erhielt vom Kläger den Auftrag, den Begünstigten "B. & T." Fr. 300'000.-- auf ein "Sperrkonto" bei der Bank Y. zu überweisen. Der Kläger durfte nach dem Vertrauensprinzip erwarten, dass auch der Vollzug der Gutschrift auf dem "Sperrkonto" zum Vertragsinhalt gehörte. Die Erstbank war deshalb gegenüber dem Kläger nicht nur dazu verpflichtet, der Empfängerbank seine Zahlungsbereitschaft anzuzeigen, sondern auch, die Gutschrift auf dem angegebenen Konto zu veranlassen. Die Gutschrift konnte sie aus rechtlichen Gründen nicht selbst vornehmen, sondern sie musste die kontoführende Empfängerbank damit beauftragen; zur Erreichung des Vertragsziels und Erfüllung eines Teils des Vertrages somit im Interesse des Auftraggebers eine am Vertrag nicht beteiligte Drittpartei beiziehen. Unter diesen Umständen ist die Empfängerbank als Substitutin im auftragsrechtlichen Sinn zu betrachten (vgl. BGE 110 II 183 E. 2 S. 196; FELLMANN, Berner Kommentar, N. 535 ff. zu Art. 398 und N. 35 ff. zu Art. 399 OR; GAUCH/SCHLUEP, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, Band II, 5. Auflage, Rz. 2842 ff.; HONSELL, Obligationenrecht, Besonderer Teil, S. 274; BUCHER, Obligationenrecht, Besonderer Teil, 3. Auflage, S. 232).
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a) Gemäss Art. 399 Abs. 3 OR kann der Auftraggeber die Ansprüche, welche dem Beauftragten gegenüber dem Substituten zustehen, unmittelbar gegen diesen geltend machen. Als Vorbild für diese Bestimmung diente Art. 1994 Abs. 2 des französischen Code Civil, welcher den Auftraggeber ohne Einschränkung berechtigt, direkt gegen den Substituten vorzugehen ("Dans tous les cas, le mandant peut agir directement contre la personne que le mandataire s'est substituée". Vgl. dazu FELLMANN, Berner Kommentar, N. 3 und 5 zu Art. 399 OR). Nach einem Teil der Lehre soll die Regelung von Art. 399 Abs. 3 OR einen Ausgleich schaffen für das Haftungsprivileg des Beauftragten im Falle befugter Substitution (Art. 399 Abs. 2 OR: Beschränkung auf die Haftung für gehörige Sorgfalt bei der Wahl und Instruktion des Substituten; HOFSTETTER, in Schweiz. Privatrecht, Bd. VII/2, S. 75; FELLMANN, Berner Kommentar, N. 93 zu Art. 399 OR mit Hinweisen).
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Nach dem Wortlaut von Art. 399 Abs. 3 OR kann der Auftraggeber nur solche Ansprüche geltend machen, welche dem Beauftragten gegenüber dem Substituten zustehen. In der Lehre besteht indessen Einigkeit, dass diese Bestimmung, falls sie nach ihrem Wortlaut ausgelegt wird, insbesondere unter Berücksichtigung des erwähnten Haftungsprivilegs des Beauftragten zu unbefriedigenden Ergebnissen führt. Wäre nämlich auf den Wortlaut abzustellen, so könnte sich der Hauptauftraggeber für den Ersatz von Schaden, der aus nicht gehöriger Auftragsausführung durch den Substituten entstanden ist, meistens nicht gegen diesen wenden, denn der Schaden tritt in solchen Fällen regelmässig nicht beim Beauftragten, sondern beim Auftraggeber ein (vgl. zum Ganzen FELLMANN, Berner Kommentar, N. 600 ff. zu Art. 398 OR). Aus diesen Gründen wird in der Literatur durchwegs befürwortet, den direkten Anspruch des Auftraggebers gegen den Substituten nicht davon abhängig zu machen, ob dieser den Beauftragten durch sein Verhalten geschädigt hat. Die rechtliche Grundlage für den Direktanspruch des Auftraggebers sieht die Mehrheit der Lehre in solchen Fällen allerdings nicht in Art. 399 Abs. 3 OR, sondern im Vertragsverhältnis zwischen dem Beauftragten und dem Substituten. Dieses wird teils als Vertrag zugunsten eines Dritten, des Hauptauftraggebers, im Sinne von Art. 112 OR qualifiziert (GAUTSCHI, Berner Kommentar, N. 10a zu Art. 399 OR; BUCHER, a.a.O., S. 232; WEBER, in Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Basel, N. 6 zu Art. 399; HOFSTETTER, a.a.O., S. 75; vgl. auch BGE 110 II 183 E. 2b S. 186). Teils wird im Substitutionsauftrag ein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter gesehen (FELLMANN, N. 615 ff. zu Art. 398 OR und N. 102 zu Art. 399 OR). Vereinzelt wird schliesslich die Auffassung vertreten, der Direktanspruch lasse sich unmittelbar aus Art. 399 Abs. 3 OR ableiten, weil diese Bestimmung als gesetzlich geregelter Fall der Drittschadensliquidation zu deuten sei (HONSELL, a.a.O., S. 275). Im Ergebnis stimmen diese Auffassungen mit dem bereits zitierten Bundesgerichtsentscheid überein, wo festgehalten wurde, der Hauptauftraggeber sei gegenüber dem Substituten weisungsberechtigt, und dieser werde schadenersatzpflichtig, wenn er eine solche Weisung nicht befolge (BGE 110 II 183 E. 2b S. 186 f.).
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Wie bereits festgehalten, gibt Art. 1994 Abs. 2 des französischen Code civil (CC) dem Auftraggeber das Recht, direkt gegen den Substituten vorzugehen. Nach französischer Lehrmeinung ist die Empfängerbank im mehrgliedrigen Überweisungsverkehr Substitutin der erstbeauftragten Bank. Unterlaufen ihr bei der Auftragsausführung Fehler, so kann der Hauptauftraggeber den ihm daraus entstandenen Schaden gestützt auf Art. 1994 Abs. 2 CC gegen sie einklagen (RIVES-LANGE/CONTAMINE-RAYNAUD, a.a.O., Rz. 297; Encyclopédie juridique DALLOZ, Droit commercial, Rz. 73 f. zum Stichwort "virement").
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Nach mehrheitlicher deutscher Lehre liegt beim mehrgliedrigen Überweisungsverkehr der Fall eines zwischen den Banken geschlossenen Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte vor. Der Hauptauftraggeber kann als "geschützter Dritter" vertragliche Schadenersatzansprüche direkt gegen die Empfängerbank geltend machen (MünchKomm/GOTTWALD, N. 120 zu § 328 BGB; LARENZ, Lehrbuch des Schuldrechts, Band I, 14. Auflage, S. 228 Fn. 28; CANARIS, in Grosskomm. HGB, Rz. 21 ff. und 395; VON GABLENZ, Die Haftung der Banken bei Einschaltung Dritter, S. 225). Begründet wird die Schutzwürdigkeit des Hauptauftraggebers mit dem Hinweis darauf, dass in den Massengeschäften des bankenmässigen Zahlungsverkehrs der Publikumsschutz als Korrelat der mit der Verfahrensstandardisierung erzielten Kostenvorteile zu betrachten sei (ESSER/SCHMIDT, Schuldrecht, Band I/2, 7. Auflage, S. 253). Als weiteres Argument wird zudem vorgebracht, der Schutz des Hauptauftraggebers könne nicht von der Zufälligkeit der Zwischenschaltung einer weiteren Bank abhängen, wenn diese einen haftungsbegründenden Fehler gemacht habe (CANARIS, Schutzwirkungen zugunsten Dritter bei "Gegenläufigkeit" der Interessen, JZ 1995, S. 441 ff., S. 443).
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In der österreichischen Literatur wird ebenfalls die Auffassung vertreten, das Verhältnis zwischen der Bank des Auftraggebers und der Empfängerbank könne als Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten des Auftraggebers angesehen werden. Bei Einschaltung weiterer Banken liege eine Kette von Verträgen vor, die mit Schutzwirkung zugunsten des Auftraggebers ausgestattet seien. Zu bedenken sei jedoch, dass die dem Auftraggeber entstehenden Nachteile stets blosse Vermögensschäden seien und diese in der Regel nicht in den Schutzbereich einbezogen seien. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz werde allerdings dann anerkannt, wenn die Hauptleistung ersichtlich gerade dem geschädigten Dritten zukommen solle, was insbesondere bei Verträgen zugunsten Dritter oder bei mittelbarer Stellvertretung der Fall sei. Diese Voraussetzung könne bei der Überweisung wohl als gegeben angesehen werden, da die Hauptleistung in der Zahlung für den Überweisenden liege und die Bank des Überweisenden - erkennbar - als dessen mittelbarer Stellvertreter agiere (AVANCINI/IRO/KOZIOL, a.a.O., Band I, Rz. 6/24; vgl. auch Band II, Rz. 3/142 mit Hinweisen).
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c) Zu berücksichtigen ist schliesslich, dass sich die Anerkennung eines Direktanspruchs auch aufgrund von - zum Teil bereits erwähnten - Überlegungen aufdrängt, die unabhängig von der Frage der Anwendbarkeit von Art. 399 Abs. 3 OR unmittelbar auf die rechtliche Wertung der Interessen der am Überweisungsverhältnis beteiligten Parteien abstellen. Als Ausgangspunkt dient der Umstand, dass die indirekten Vertretungsverhältnisse im mehrgliedrigen Überweisungsverkehr regelmässig offenliegen, weil keine der beteiligten Banken davon ausgehen darf, die andere handle ausschliesslich auf eigene Rechnung. Das Drittinteresse ist dem bankeninternen Giroverkehr immanent und allseits erkennbar, ebenso das Schutzbedürfnis des Überweisenden gegenüber Fehlleistungen der Banken. Der bankeninterne Giroverkehr steht im Dienste der Überweisungspartner und soll die Geschäftsabwicklung zwischen den Banken erleichtern. Die mit dieser Erleichterung einhergehenden Risiken von Fehlleistungen aber müssen sachgerecht die Banken und nicht die Überweisungspartner tragen. Diese dürfen nicht allein wegen der Zwischenschaltung einer weiteren Bank schutzlos bleiben, obwohl die Voraussetzungen einer Pflichtverletzung an sich vorliegen. Es geht letztlich darum, zu verhindern, dass aufgrund rein zahlungstechnischer oder organisatorischer Zufälligkeiten Schutzansprüche wegfallen bzw. Pflichten leerlaufen, die "eigentlich", das heisst abgesehen von der Vertragsgläubigerstellung des Geschädigten, gegeben sind (CANARIS, JZ 1995, S. 443).
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b) Das Obergericht wirft der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin vor, sie hätte dem Vermerk auf dem Formular der SIC-Überweisung entnehmen müssen, dass der Kläger mit aller Wahrscheinlichkeit das Geld nicht B. allein, sondern ihm und einer weiteren Person, "T.", habe gutschreiben wollen, wobei aber unklar gewesen sei, ob diese zwei Personen an den Fr. 300'000.-- als Solidargläubiger oder als Gläubigergemeinschaft hätten berechtigt sein sollen. Diese Zweifel hätten die Bank Y. veranlassen müssen, die Absenderbank oder den in der SIC-Überweisungsanzeige aufgeführten Absender aufzufordern, das begünstigte Konto bzw. die begünstigten Personen eindeutig zu bezeichnen, oder "das Geld zu retournieren".
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Dem Obergericht ist zuzustimmen, dass der Vermerk, Begünstigte seien "B. & T. Sperrkonto" unter den gegebenen Umständen zwar keine eindeutige Bedeutung hatte, von der Adressatin aber jedenfalls nicht als Weisung verstanden werden durfte, den Betrag von Fr. 300'000.-- einem Konto gutzuschreiben, über das B. allein verfügen konnte. Nach der hier massgebenden Fachsprache liegt das entscheidende Kriterium des Sperrkontos nicht in einer Mehrzahl von Inhabern, sondern allgemeiner darin, dass die Verfügungsmacht des Kontoinhabers über das Guthaben besonderen Einschränkungen, namentlich der Zustimmung eines Dritten, unterstellt ist (CANARIS, in Grosskomm. HGB, Rz. 250; AVANCINI/IRO/KOZIOL, a.a.O., Rz. 4/201). Beim sogenannten Und-Konto, auf welches das Obergericht offenbar Bezug nimmt, handelt es sich um eine besondere Ausgestaltung des Sperrkontos mit mehreren Inhabern, die nur gemeinsam - als Gläubigergemeinschaft - darüber verfügen können (GUGGENHEIM, a.a.O., S. 212; CANARIS, in Grosskomm. HGB, Rz. 230 und 251). Die Beklagte bzw. ihre Rechtsvorgängerin handelte somit weisungswidrig, das heisst in Verletzung des im Überweisungsverhältnis eingegangenen Girovertrags, indem sie den vom Kläger überwiesenen Betrag dem Konto von B. gutschrieb. Diese Vertragsverletzung bildet nach den vorangehenden Ausführungen die Grundlage des Direktanspruchs des Klägers gegenüber der Beklagten.
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c) Das Obergericht hat sich - entsprechend seiner Rechtsauffassung - zu den übrigen Voraussetzungen einer vertraglichen Schadenersatzpflicht der Beklagten noch nicht geäussert. Dabei handelt es sich insbesondere um die Fragen der Kausalität der Vertragsverletzung für den geltend gemachten Schaden, des Verschuldens der Beklagten und des Ausmasses ihrer Ersatzpflicht. In Gutheissung des Eventualbegehrens der Berufung ist daher die Streitsache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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