BGE 124 III 289
 
52. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 11. Mai 1998 i.S. Erbengemeinschaft des A. gegen Stockwerkeigentümergemeinschaft GBB Nr. 1564 (Berufung)
 
Regeste
Art. 730 Abs. 2 ZGB und Art. 741 ZGB. Dienstbarkeitsvertrag; Verpflichtung der Dienstbarkeitsberechtigten zur Übernahme von Kosten an den Bau einer Zufahrtsstrasse.
 
Sachverhalt
Mit Vertrag vom 10. April 1979 verkaufte I. von seinem Grundstück GBB-1564 A. einen 22,91 Aren umfassenden Teil, der die Nummer GBB-2218 erhielt. Gemäss Ziff. 11 lit. a des Vertrages wurde «zulasten der Vertragssache und zugunsten der Restparzelle Nr. 1564 des Verkäufers ein dingliches und unentgeltliches Zu- und Vonfahrts- und Zu- und Vongangsrecht» eingeräumt. Es wurde ferner bestimmt, dass der Käufer eine Zufahrtsstrasse zu erstellen habe; sobald die Restparzelle Nr. 1564 überbaut sei, habe deren Bauherr eine Einkaufssumme für den Bau der Strasse im Verhältnis der Wohnfläche und der benutzten Strassenlänge zu bezahlen, und im gleichen Verhältnis würden auch die Unterhaltskosten getragen.
Die an A. übertragene Parzelle Nr. 2218 wurde Anfang der Achtzigerjahre wiederum in zwei Parzellen aufgeteilt, welche die Nummern 2218 und 2231 erhielten. Die Parzelle Nr. 1564 wechselte mehrmals die Hand und wurde erneut unterteilt; die Restparzelle Nr. 1564 wurde am 11. Oktober 1993 von der X. AG an die «Stockwerkeigentümergemeinschaft GBB Nr. 1564» verkauft. In diesem Vertrag ist das Wegrecht zu Lasten der Parzellen GBB-2218 und GBB-2231 erwähnt, ohne dass jedoch auf allfällige Obligationen der Käufer hingewiesen wird.
Mitte der Achtzigerjahre war die zur Erschliessung notwendige Strasse von A. errichtet und eine andere - ebenfalls gemäss Dienstbarkeitsvertrag - verbreitert worden. Der Feinbelag wurde erst 1990 auf die Erschliessungsstrasse aufgetragen. Die Erbengemeinschaft des A. forderte 1993 die «Stockwerkeigentümergemeinschaft GBB Nr. 1564» auf, ihr gemäss Verteilungsschlüssel im Dienstbarkeitsvertrag Fr. 20'330.35 nebst Zins zu bezahlen. Da die Stockwerkeigentümergemeinschaft diesem Ersuchen nicht nachkam, klagten die Erben am 27. November 1996 beim Appellationshof (III. Zivilkammer) des Kantons Bern auf Zahlung dieser Summe. Mit Urteil vom 21. Januar 1998 wurde die Klage abgewiesen.
Die Kläger haben gegen das Urteil des Appellationshofes Berufung eingereicht. Sie beantragen dessen Aufhebung und verlangen die Bezahlung der fraglichen Einkaufssumme. Das Bundesgericht weist die Berufung ab.
 
Aus den Erwägungen:
b) Die Kläger berufen sich in der Hauptsache nur noch auf Art. 741 ZGB und machen geltend, die Beklagten hätten aus dem Kaufvertrag vom 10. April 1979, insbesondere aber aus Ziff. 4 des sie betreffenden Kaufvertrages vom 11. Oktober 1993, genügend Kenntnis von den auf dem Grundstück eingetragenen Dienstbarkeiten besessen; und zudem hätten sie auf die wörtliche Wiedergabe im Kaufvertrag verzichtet, woraus gefolgert werden könne, dass sie die fraglichen Dienstbarkeitsverträge auch tatsächlich eingesehen und verstanden hätten. Zusätzlich müsse davon ausgegangen werden, sie seien vom beurkundenden Notar auf die Einkaufssumme hingewiesen worden. Diese Einwände können nicht gehört werden, denn im Berufungsverfahren ist das Bundesgericht an die tatsächlichen Feststellungen der letzten kantonalen Instanz gebunden (Art. 63 Abs. 2 OG; BGE 116 II 745 E. 3 S. 748/49). Der Appellationshof stellt dagegen gestützt auf das Parteiverhör verbindlich fest, die Beklagten seien über die Regelung im Dienstbarkeitsvertrag vom 10. April 1979 nicht aufgeklärt worden; und im Kaufvertrag vom 11. Oktober 1993 sei einzig das Zu- und Vonfahrtsrecht erwähnt.
c) Die Erwägungen der Vorinstanz halten vor dem Bundesrecht stand. Mit einer Dienstbarkeit verbundene Leistungen im Sinne von Art. 741 ZGB sind Verpflichtungen realobligatorischer Natur. Soweit sie - wie vorliegend, wo es um kumulierte Unterhaltskosten geht (vgl. Liver, Zürcher Kommentar, N. 158 zu Art. 730 ZGB) - aufgrund einer besonderen vertraglichen Vereinbarung in Anderem bestehen als gesetzlich (Art. 741 Abs. 1 ZGB) vorgesehen ist, erhalten sie ihre realobligatorische Wirkung indessen nur, wenn der Grundbucheintrag (Hauptbuch) entsprechend umschrieben ist; es bedarf zumindest eines besonderen Hinweises im Hauptbuch auf den Grundbuchbeleg. Im vorliegenden Fall ist nur die Dienstbarkeit als solche im Hauptbuch eingetragen; und zu deren Inhalt kann die Leistung einer Einkaufssumme nicht gehören. Dass eine Verpflichtung bloss im Zusammenhang mit dem Dienstbarkeitsvertrag, d.h. nur im Grundbuchbeleg erwähnt wird, genügt nach praktisch einhelliger Lehre zum Dienstbarkeits- wie auch zum Grundbuchrecht nicht (LIVER, a.a.O., N. 230 zu Art. 730 ZGB, N. 78 zu Art. 741 ZGB; REY, Berner Kommentar, N. 185 zu Art. 730 ZGB; PIOTET, SPR V/1 S. 557; DESCHENAUX, SPR V/3, II, S. 686/687 Anm. 3; a.M. - aber ohne Begründung - ETIENNE PETITPIERRE, in: Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Schweizerisches Zivilgesetzbuch II, N. 16 zu Art. 741 ZGB). Der herrschenden Lehre ist zuzustimmen, denn sie entspricht auch dem allgemeinen Grundsatz, wonach sich (zulässige) rechtsgeschäftliche Realobligationen und (zulässige) rechtsgeschäftliche Abweichungen von gesetzlichen Realobligationen aus dem Grundbuch ergeben müssen, sollen sie eben ihre realobligatorischen Wirkungen entfalten, d.h. auch ohne besondere Überbindung für Einzelrechtsnachfolger der ursprünglichen Vertragsparteien ebenfalls verbindlich sein (vgl. DESCHENAUX, Les obligations dites réelles et leurs rapports avec le registre foncier, in: ZBGR 43/1962, S. 282 ff., bes. 295 ff.; ders., SPR V/3, II, S. 686 ff.). Daran vermag vorliegend auch die Berufung auf Art. 738 ZGB oder auf Art. 970 Abs. 3 ZGB nichts zu ändern, da diese Bestimmungen gerade ebenfalls einen Grundbucheintrag voraussetzen. Ohne Grundbucheintrag im Sinne des Gesagten behalten Vereinbarungen der genannten Art ihren rein obligatorischen Charakter und binden Singularsukzessoren der Vertragsparteien nur, wenn ihnen die Verpflichtung besonders überbunden wurde. Das war vorliegend nicht der Fall und wird auch nicht behauptet. Es kann daher auch offen bleiben, ob die Beklagten - wie die Kläger geltend machen - von der fraglichen Vereinbarung Kenntnis genommen haben und ob die Vorinstanz in diesem Zusammenhang bundesrechtliche Beweisvorschriften (Art. 8 und 9 ZGB) verletzt habe; denn blosse Kenntnis von einer Verpflichtung bedeutet grundsätzlich nicht deren Übernahme.