BGE 125 III 346
 
60. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 2. August 1999 i.S. P.H. gegen B.T. (Berufung)
 
Regeste
Art. 5 Ziff. 3 des Lugano-Übereinkommens (LugÜ). Örtliche Zuständigkeit bei negativer Feststellungsklage.
Der Handlungsort i.S.v. Art. 5 Ziff. 3 LugÜ für als rechtswidrig ausgegebene Äusserungen des Klägers liegt dort, wo sie Dritten gegenüber mündlich abgegeben oder schriftlich abgesandt werden (E. 4c).
 
Sachverhalt
A.- Der Kläger beriet im Jahre 1982 als deren Verwaltungsrat die Bank X. in Zusammenhang mit einem italienischen Rechtshilfebegehren um Einzahlungen zu Gunsten des Beklagten, korrespondierte in der Angelegenheit mit der Bezirksanwaltschaft Zürich und sagte vor ihr als Zeuge aus.
Der Beklagte erachtete sich dadurch als rechtswidrig geschädigt und machte erstmals im Jahre 1990 dem Kläger gegenüber An- sprüche im Betrage von US$ 150 Mio. geltend. In den Jahren 1992-1996 betrieb er ihn jeweils über rund Fr. 195 Mio.
B.- Am 29. November 1995 belangte der Kläger den Beklagten vor Bezirksgericht Meilen mit folgenden Rechtsbegehren:
«Es sei festzustellen, dass der Kläger dem Beklagten nichts schuldet.
Eventuell, es sei festzustellen, dass der Beklagte gegenüber dem Kläger
keine Forderungen aus unerlaubter Handlung hat;
alles unter Kosten- und Entschädigungsfolge zu Lasten des Beklagten.»
Mit Beschluss vom 8. August 1996 trat das Bezirksgericht Meilen auf die Klage nicht ein und überwies den Prozess an das Bezirksgericht Zürich. Dem Kläger auferlegte es die Gerichtsgebühr von Fr. 15'000.- sowie eine Parteientschädigung an den Beklagten von Fr. 26'625.-.
Mit Beschluss vom 2. Dezember 1996 wies das Obergericht des Kantons Zürich einen Rekurs des Klägers ab, erhöhte die Gerichtsgebühr des erstinstanzlichen Verfahrens auf Fr. 53'351.- sowie die Parteientschädigung an den Beklagten auf Anschlussrekurs hin auf Fr. 50'000.- zuzüglich Mehrwertsteuer von Fr. 3'250.- und auferlegte dem Kläger die Verfahrenskosten vor oberer Instanz mit einer Gerichtsgebühr von Fr. 18'210.- und einer Parteientschädigung von Fr. 16'600.-.
Beide kantonalen Instanzen hielten dafür, die vom Kläger angestrengte negative Feststellungsklage diene der Abwehr der gegen ihn vom Beklagten geltend gemachten Ansprüche aus unerlaubter Handlung und sei daher nach Art. 5 Ziff. 3 LugÜ (Lugano-Übereinkommen) am Deliktsort, d.h. am Begehungsort der dem Kläger vorgeworfenen Handlungen anzubringen. Handlungsort im Sinne dieser Bestimmung aber sei nicht der Wohnsitz des Klägers in A., Bezirk Meilen, sondern dessen Geschäftssitz in der Stadt Zürich.
C.- Eine Nichtigkeitsbeschwerde des Klägers hiess das Kassationsgericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom 23. April 1999 teilweise gut, indem es eine Passage in den obergerichtlichen Erwägungen strich; im Übrigen wies es sie ab, soweit es darauf eintrat.
D.- Der Kläger hat gegen den obergerichtlichen Beschluss ebenfalls eidgenössische Berufung eingelegt. Er beantragt dem Bundesgericht, ihn aufzuheben und das Bezirksgericht Meilen anzuweisen, auf die Klage einzutreten, eventuell die Sache zur Ergänzung des Tatbestandes an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Der Beklagte schliesst auf Abweisung der Berufung, soweit da-rauf einzutreten sei. Das Obergericht hat auf Gegenbemerkungen verzichtet.
 
Aus den Erwägungen:
a) Im Streit stehen Ansprüche aus unerlaubter Handlung, im Sinne des autonom zu interpretierenden Art. 5 Ziff. 3 LugÜ, d.h. An- sprüche, welche eine Haftung des angeblichen Schädigers begründen würden, die nicht an einen Vertrag im Sinne von Art. 5 Ziff. 3 LugÜ anknüpft (KROPHOLLER, Europäisches Zivilprozessrecht, 6. Aufl., N. 56 zu Art. 5 EuGVÜ/LugÜ; GEIMER/SCHÜTZE, Europäisches Zivilverfahrensrecht, N. 147 zu Art. 5 EuGVÜ/LugÜ; SCHLOSSER, EuGVÜ, N. 16 zu Art. 5 EuGVÜ). Sie können beim Gericht des Ortes eingeklagt werden, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist (Art. 5 Ziff. 3 LugÜ). Deliktsort in diesem Sinne sind sowohl der Handlungs- wie der Erfolgsort (KROPHOLLER, a.a.O., N. 62 zu Art. 5 EuGVÜ/LugÜ; GEIMER/SCHÜTZE, a.a.O., N. 186 f. zu Art. 5 EuGVÜ/LugÜ; SCHLOSSER, a.a.O., N. 18 zu Art. 5 EuGVÜ, je mit Hinweisen). Im vorliegenden Fall streitig ist der Handlungsort.
b) Art. 5 Ziff. 3 LugÜ regelt für Deliktsklagen nicht nur die internationale, sondern weitergehend die innerstaatliche örtliche Zuständigkeit, bezeichnet damit unabhängig von den dazu bestehenden nationalen Vorschriften unmittelbar den massgebenden Gerichtsstand (POUDRET, Les règles de compétences de la Convention de Lugano confrontées à celles du droit fédéral, en particulier à l'article 59 de la Constitution, in: Gillard [Hrsg.], L'espace judiciaire européen, S. 57 f., 59 f.; GERHARD WALTER, Internationales Zivilprozessrecht der Schweiz, 2. Aufl., S. 166 f.; VOGEL, Grundriss des Zivilprozessrechts, 5. Aufl., S. 103 Rz. 44r; DONZALLAZ, La Convention de Lugano, Volume II, S. 58 Rz. 1794; KROPHOLLER, a.a.O., N. 4 vor Art. 5 EuGVÜ/LugÜ; Schlosser, EuGVÜ, N. 1 vor Art. 5; GEIMER/SCHÜTZE, a.a.O., N. 113 f. zu Art. 2 EuGVÜ/LugÜ).
Die Klage auf Feststellung, dass der Kläger für einen vom Beklagten zum Ersatz beanspruchten Schaden nicht hafte, betrifft im Lichte von Art. 21 LugÜ denselben Anspruch wie die spiegelbildliche Klage der Gegenpartei auf Feststellung, dass der Kläger für diesen Schaden hafte (BGE 123 III 414 E. 5; Urteil des EuGH vom 6. Dezember 1994 i.S. Tatry c. Maciej Rataj, Slg. 1994 I 5439, rezensiert in IPRax 1996 108 f.; GION JEGHER, Mit schweizerischer negativer Feststellungsklage ins europäische Forum Running, ZSR 118/1999 I S. 31 f., 34 f.). Folgerichtig ist die negative Feststellungsklage, sofern der besondere Gerichtsstand von Art. 5 Ziff. 3 LugÜ gewählt wird, dort anzubringen, wo der bestrittene Anspruch nach Massgabe dieser Bestimmung auf positive Leistungsklage hin zu beurteilen wäre (DONZALLAZ, a.a.O., Volume III, S. 369 f. Rz. 5121; KROPHOLLER, a.a.O., N. 71 zu Art. 5 EuGVÜ/LugÜ; SCHLOSSER, a.a.O., N. 15 zu Art. 5 EuGVÜ; GEIMER/SCHÜTZE, a.a.O., N. 180 zu Art. 5 EuGVÜ/LugÜ). Zwar mag zufolge der Ubiquität des Deliktsorts, welche nach Art. 5 Ziff. 3 LugÜ einen Gerichtsstand sowohl am Handlungs- wie am Erfolgsort begründet nicht unbedenklich erscheinen, den präsumptiven Schädiger das an sich dem Geschädigten zustehende Wahlrecht zwischen mehreren in Betracht fallenden örtlichen Zuständigkeiten ausüben zu lassen, doch ist dies jedenfalls dann unbedenklich, wenn das angerufene Gericht in besonderer Beweis- und Sachnähe zu den zu beurteilenden Handlungen steht (JEGHER, a.a.O., S. 39 f. mit weiteren Hinweisen, insb. in Fn. 38).
Negative Feststellungsklage in diesem Sinne ist auch die hier zu beurteilende. Sie verfolgt nach ihrer Ausgestaltung ausschliesslich defensiv-vermögensrechtliche Ziele, will der Kläger mit seinen Begehren doch einzig festgestellt haben, dem Beklagten nichts zu schulden, jedenfalls nicht aus unerlaubter Handlung. Streitiger Anspruch ist damit allein derjenige des Beklagten auf Schadenersatz. Sein Entstehungs- oder Rechtsgrund ergibt sich aus den dem Kläger unterstellten rechtswidrigen Handlungen. Dieser Rechtsgrund aber bestimmt allein die Zuständigkeit gemäss Art. 5 Ziff. 3 LugÜ und zwar unbesehen des Motivs zum gerichtlichen Vorgehen. Die Wirkung des angestrebten Urteils, die sich wie in jedem Feststellungsprozess auf die Rechtskraft beschränkt (ROSENBERG/ SCHWAB/GOTTWALD, Zivilprozessrecht, 15. Aufl., S. 518), erfasst nach den gestellten Begehren unabhängig von der zufälligen Verteilung der Parteirollen nur den streitigen Anspruch des Beklagten aus den behaupteten unerlaubten Handlungen des Klägers (BGE 105 II 229 E. 1b; BGE 123 III 414 E. 5; KUMMER, Das Klagerecht und die materielle Rechtskraft im schweizerischen Recht, Bern 1954, S. 81). Anders verhielte es sich, wenn der Kläger nicht den Nichtbestand der gegen ihn geltend gemachten Forderung, sondern die Widerrechtlichkeit, sie zu behaupten oder in Betreibung zu setzen festzustellen begehrt und so Schutz vor Rechtsgefährdung im Persönlichkeitsbereich angestrebt hätte (KUMMER, a.a.O., S. 90; ders., Der zivilprozessrechtliche Schutz des Persönlichkeitsrechtes, ZBJV 103/1967, S. 106 f., 109 f.). Solcher Schutz des Klägers aus Art. 28a ZGB, Art. 41 OR oder anderen Haftungsnormen lässt sich indessen mit den gestellten Begehren urteilsmässig nicht bewirken, höchstens mittelbar durch die Reflexwirkungen einer die Nichtschuld feststellenden Entscheidung im Haftpflichtprozess über den behaupteten Vermögensschaden des Beklagten. Diese möglichen Reflexwirkungen bleiben indessen ohne Einfluss auf die streitige Zuständigkeit. Bundesrechtskonform hat daher die Vorinstanz erkannt, diese bestimme sich im Sinne von Art. 5 Ziff. 3 LugÜ nach dem Ort der Prozessgegenstand bildenden Handlungen des Klägers.
c) Die Vorinstanz hat als Handlungsort Zürich, den Geschäftssitz des Klägers bestimmt und damit die Rückweisung der Klage am Gerichtsstand dessen Wohnsitzes bestätigt.
aa) Handlungsort im Sinne von Art. 5 Ziff. 3 LugÜ ist der Ort, an dem eine unter diese Bestimmung fallende Handlung ausgeführt wurde, der Ort des dem Schaden zu Grunde liegenden ursächlichen Geschehens, le lieu du fait générateur (GEIMER/SCHÜTZE, a.a.O., N. 186 zu Art. 5 EuGVü/ LugÜ; KROPHOLLER, a.a.O., N. 62 zu Art. 5 EuGVÜ/LugÜ; SCHLOSSER, a.a.O., N. 18 zu Art. 5 EuGVÜ; GAUDEMET-TALLON, Les conventions de Bruxelles et de Lugano, 2e éd., Paris 1996, S. 140 f.; BEATRICE BRANDENBERG BRANDL, Direkte Zuständigkeit der Schweiz im internationalen Schuldrecht, Diss. St. Gallen 1991, S. 312). Bei räumlich auseinanderliegenden Teilhandlungen multizipliert Art. 5 Ziff. 3 LugÜ die örtlichen Zuständigkeiten, indem jedes Gericht, in dessen Bezirk eine Handlung begangen wurde, konkurrierend örtlich zuständig ist. Blosse Vorbereitungshandlungen begründen allerdings den Gerichtstand des Handlungsortes noch nicht (GEIMER/SCHÜTZE, a.a.O., N. 181 und 187 zu Art. 5 EuGVÜ/LugÜ; BRANDENBERG BRANDL, a.a.O., S. 312).
In Lehre und Rechtsprechung ist umstritten, ob das Gericht im Rahmen seines Zuständigkeitsentscheids über eine am Gerichtstand von Art. 5 Ziff. 3 LugÜ angehobene positive Leistungs- oder Feststellungsklage im Bestreitungsfalle auch zu prüfen hat, ob der dem Schädiger vorgeworfene Geschehensablauf tatsächlich stattgefunden hat, um zu vermeiden, dass ein Gerichtsstand des Deliktsorts allein durch willkürliche Behauptungen des Klägers begründet werden kann (bejahend GEIMER/SCHÜTZE, a.a.O., N. 198 zu Art. 5 EuGVÜ/LugÜ mit Hinweisen auf abweichende Auffassungen). Klagt allerdings der praesumptive Schädiger auf negative Feststellung seiner Verantwortlichkeit, muss zur Begründung der Zuständigkeit ausreichen, dass die ihm vom Beklagten vorgeworfenen Handlungen angeblich im Bezirk des angerufenen Gerichts vorgenommen wurden oder - im Falle des Unterlassungsdelikts - hätten vorgenommen werden müssen, andernfalls der diese Handlungen bestreitende praesumptive Schädiger als Kläger von einem Gerichtsstand nach Art. 5 Ziff. 3 LugÜ ausgeschlossen wäre. Zu prüfen ist dagegen in jedem Fall, ob der behauptete Anspruch im Falle seiner Begründetheit ein solcher aus unerlaubter Handlung im Sinne von Art. 5 Ziff. 3 LugÜ wäre (E. 4a hievor). Umgekehrt ist nicht im Rahmen des Zuständigkeitsentscheids zu prüfen, ob der dem Schädiger unterstellte Sachverhalt ihn haftbar machte. Dies ist keine Frage der Zulässigkeit der Klage, sondern deren Begründetheit (GEIMER/SCHÜTZE, N. 198 zu Art. 5 EuGVÜ/LugÜ; WALTER, a.a.O, S. 183). Daher bleibt der Einwand des Klägers, die ihm unterstellten Handlungen begründeten mangels Rechtswidrigkeit keine Haftung, für die Bestimmung der Zuständigkeit unbeachtlich.
bb) Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz wirft der Beklagte dem Kläger vor, im Rechtshilfeverfahren von 1982 rechtswidrige und ausserhalb jenes Verfahrens liegende Aussagen gemacht zu haben. Der Handlungsort für derartige Äusserungen liegt dort, wo sie Dritten gegenüber mündlich abgegeben oder schriftlich abgesandt werden (GEIMER/SCHÜTZE, a.a.O., N. 186 zu Art. 5 EuGVÜ/LugÜ).
Die Vorinstanz hat für das Bundesgericht verbindlich festgestellt, der Kläger habe im Zusammenhang mit den gegen ihn erhobenen Vorwürfen in seinem Anwaltsbureau in Zürich Briefe unterzeichnet und von dort aus abgesandt sowie sich telefonisch mit dem zuständigen Staatsanwalt unterhalten und in der Rechtshilfesache ebenfalls in Zürich als Zeuge ausgesagt. Offen blieb nach der Streichung einer obergerichtlichen Erwägung durch das Kassationsgericht, ob der Kläger ein Telefongespräch mit dem Anwalt der Bank X.von seinem Domizil in A. oder seinem Bureau in Zürich aus geführt hatte, doch erachtete das Obergericht diese Frage für den Zuständigkeitsentscheid nicht als wesentlich, da es die entscheidenden Handlungen so oder anders in Zürich lokalisierte.
Der Beklagte leitet den streitigen Anspruch nach den Feststellungen der Vorinstanz aus mündlichen und schriftlichen Äusserungen des Klägers im Rechtshilfeverfahren ab. Als angeblich unerlaubte Handlungen werden demnach Kundgaben gegenüber den Rechtshilfebehörden ausgegeben. Solche Kundgaben aber erfolgten nach den Feststellungen der Vorinstanz ausschliesslich in Zürich. Dass der Kläger allenfalls einzelne darauf bezügliche Vorbereitungshandlungen an seinem Domizil in A. vornahm, insbesondere dort Briefe und Aktennotizen diktierte, ist nach dem Gesagten zuständigkeitsbegründend. Das nicht lokalisierte Telefongespräch mit dem Anwalt der Bank X. sodann fällt ausser Betracht, weil es vom Vorwurf rechtswidriger Äusserungen gegenüber den Rechtshilfebehörden nicht erfasst wird. Das Obergericht hat daher bundesrechtskonform Zürich als Handlungsort bestimmt und demzufolge die Rückweisung der Klage durch das Bezirksgericht Meilen bestätigt. Damit erweist sich die Berufung als unbegründet und wird abgewiesen.