BGE 128 III 18
 
5. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. A. und B. (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
 
5A.7/2001 vom 6. September 2001
 
Regeste
Errichtung eines Schuldbriefs; Belastungsgrenze bei einem landwirtschaftlichen Grundstück (Art. 798a und 843 ZGB; Art. 73 ff. des Bundesgesetzes vom 4. Oktober 1991 über das bäuerliche Bodenrecht [BGBB; SR 211.412.11]).
 
Sachverhalt
Mit Urkunde vom 24. Oktober 2000 errichtete Notar B. einen Inhaberschuldbrief über Fr. 50'000.- im 9. Rang bei einem Vorgang von Fr. 496'000.- auf verschiedenen landwirtschaftlichen Grundstücken in C. (Kanton Luzern), die im Eigentum von A. stehen (Gesamtpfand). Am 17. November 2000 bewilligte das Volkswirtschaftsdepartement des Kantons Luzern die sich mit dem neuen Pfandrecht ergebende Überschreitung der Belastungsgrenze gemäss Art. 73 ff. des Bundesgesetzes vom 4. Oktober 1991 über das bäuerliche Bodenrecht (BGBB; SR 211.412.11), worauf Notar B. die öffentliche Urkunde über die Errichtung des Grundpfandes zur Eintragung beim Grundbuchamt E. anmeldete.
Der Grundbuchverwalter wies die Anmeldung am 20. Dezember 2000 ab mit der Begründung, für die Errichtung von Schuldbriefen gelte die Katasterschatzung als Belastungsgrenze. Diese betrage hier Fr. 251'400.- und werde mit dem neu errichteten Schuldbrief überschritten. Möglich sei die Errichtung einer Grundpfandverschreibung.
Hiergegen beschwerten sich A. und Notar B. erfolglos beim Obergericht (Justizkommission) des Kantons Luzern.
Die von A. und Notar B. gegen den obergerichtlichen Entscheid vom 5. Februar 2001 erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde weist das Bundesgericht ab.
 
Aus den Erwägungen:
3. a) Die allgemeinen Bestimmungen über das Grundpfand (Voraussetzungen, Errichtung und Untergang, Wirkungen) sind in den Art. 793 ff. ZGB niedergelegt. Art. 798a ZGB bestimmt, dass für die Verpfändung von landwirtschaftlichen Grundstücken "zudem" (im französischen Text: "en outre", im italienischen: "inoltre") das BGBB gilt. Nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift gelten die Bestimmungen des ZGB über das Grundpfand und diejenigen des BGBB betreffend Grundpfandrechte (namentlich die Art. 73 ff.) grundsätzlich nebeneinander, d.h. kumulativ. Aus der Gesetzessystematik ergibt sich nichts anderes, zumal Art. 798a ZGB mit dem Inkrafttreten des BGBB eingefügt und somit auf diesen Erlass abgestimmt worden ist (Art. 92 Ziff. 1 BGBB) und das BGBB (Spezial-)Vorschriften für Grundpfandrechte an landwirtschaftlichen Grundstücken enthält, die längst nicht alle grundpfandrechtlichen Modalitäten und Wirkungen regeln. Von einer abschliessenden Regelung für Grundpfandrechte an landwirtschaftlichen Grundstücken im BGBB kann daher keine Rede sein. Materialien, denen Gegenteiliges zu entnehmen wäre, sind nicht bekannt (vgl. Botschaft zum BGBB, in BBl 1988 III 953 ff., insbes. 1069 ff.).
Unter Umständen, wie sie nach dem Ausgeführten hier gegeben sind, darf vom eindeutigen Wortlaut nur dann abgewichen und auf allgemeine kollisionsrechtliche Regeln zurückgegriffen werden, wenn triftige Gründe dafür vorliegen, dass der Wortlaut nicht den wahren Sinn der in Frage stehenden Bestimmung wiedergibt bzw. - bezogen auf das BGBB - dem Sinn und Zweck dieser Spezialregelung überhaupt oder zumindest im interessierenden Bereich widerspricht (vgl. BGE 124 V 185 E. 3a S. 189; BGE 123 III 89 E. 3a S. 91, und 442 E. 2d S. 444). Dies machen die Beschwerdeführer denn auch geltend, wenn sie ausführen, neben der Regelung des BGBB über die Belastungsgrenze seien kantonale Normen über eine Belastungsgrenze bei landwirtschaftlichen Grundstücken sinn- und zweckwidrig.
b) Kantonale Besonderheiten mögen neben der Regelung des BGBB als wenig sinnvoll erscheinen, und der Kanton Luzern setzt denn auch auf den 1. Januar 2002 seine Sonderregelung ausser Kraft (§ 99 lit. b des kantonalen EG zum ZGB vom 20. November 2000). Indessen stellt sich die Frage des Sinns eines Nebeneinanders von kantonalen und eidgenössischen Vorschriften über Belastungsgrenzen zur Verhütung der Überschuldung nach dem Erlass des BGBB nicht grundsätzlich anders als zuvor. Mit dem Vorbehalt von Art. 843 ZGB für die Errichtung von Schuldbriefen wollte der historische Gesetzgeber alten Überlieferungen und besonderen Bedürfnissen in einzelnen Kantonen Rechnung tragen (vgl. LEEMANN, Berner Kommentar, N. 1 zu Art. 843 ZGB). Er hat mit Rücksicht auf föderalistische Interessen unterschiedliche Regelungen für die Errichtung von Schuldbriefen in der Schweiz als gerechtfertigt erachtet und in Kauf genommen. Der Bundesgesetzgeber und der Bundesrat haben den Vorbehalt auch später nicht aufgegeben oder eingeschränkt, als mit dem Bundesgesetz vom 12. Dezember 1940 über die Entschuldung landwirtschaftlicher Heimwesen und der zugehörigen Verordnung vom 16. November 1945 - letztere in Ablösung eines während der Kriegsjahre erlassenen Bundesratsbeschlusses - für alle landwirtschaftlichen Liegenschaften in der Schweiz eine Belastungsgrenze mit Ausnahmeregelung ähnlich der heutigen eingeführt wurde. Bereits damals wurde auch eine einheitliche bundesrechtliche Regelung über die Ertragswertberechnung und den Schätzungswert (Belastungsgrenze) beschlossen (vgl. dazu OTTO K. KAUFMANN, Das neue ländliche Bodenrecht in der Schweiz, St. Gallen 1946, S. 129 ff. und 324; ferner: Verordnung vom 28. Dezember 1951 über die Schätzung landwirtschaftlicher Heimwesen und Liegenschaften [Eidg. Schätzungsreglement], ab 1. August 1986 Verordnung über die Schätzung des landwirtschaftlichen Ertragswerts samt Anhang [AS 1986 I 975 f.]).
Das Nebeneinander von kantonalen Vorschriften über die Möglichkeit der Errichtung von Schuldbriefen bzw. über eine kantonale Belastungsgrenze und von eidgenössischen Bestimmungen über die Belastung landwirtschaftlicher Grundstücke mit Grundpfandrechten hat nach dem Gesagten eine jahrzehntelange Tradition. Aus dem Verhalten des Bundesgesetzgebers ist zu schliessen, dass er diese Regelung als sinnvoll erachtet hat. Mehrere Kantone haben im Übrigen von der in Art. 843 ZGB eingeräumten Kompetenz Gebrauch gemacht und eine Belastungsgrenze festgelegt (vgl. die Zusammenstellung bei DANIEL STAEHELIN, Basler Kommentar, N. 1 zu Art. 843 ZGB). Vor diesem Hintergrund vermag das Bundesgericht unter dem Gesichtswinkel des Sinns der gesetzlichen Regelung keinen triftigen Grund zu erkennen, der es erlauben würde, vom Wortlaut von Art. 798a ZGB abzuweichen.
c) Wohl werden bei der dargelegten Betrachtungsweise die Bestrebungen, mit dem BGBB für eine übersichtliche und abgestimmte Ordnung im ländlichen Raum zu sorgen (vgl. Botschaft, a.a.O., S. 955, 961 f. und 967), zum Teil abgeschwächt. Die vorrangigen Ziele des BGBB (vgl. Art. 1 Abs. 1 BGBB und Botschaft, a.a.O., S. 968 ff.) sind jedoch nicht betroffen. Zudem enthält das BGBB seinerseits ausdrückliche Vorbehalte zu Gunsten des kantonalen Rechts (Art. 5 BGBB). Der Gesetzgeber hat auch damit zu erkennen gegeben, dass er unterschiedlichen kantonalen Bedürfnissen weiterhin Rechnung tragen und diese dem Vereinheitlichungsziel überordnen will. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer lässt sich nicht sagen, es werde die Anwendung des gesamten bundesrechtlichen Regelungsteils betreffend Errichtung von Grundpfandrechten, welche die Belastungsgrenze überschritten (Art. 76-79 BGBB), verhindert. Die Auffassung der Beschwerdeführer geht schon deshalb fehl, weil der Errichtung einer Grundpfandverschreibung nach den eben erwähnten Vorschriften des BGBB nichts entgegensteht; der Vorbehalt von Art. 843 ZGB bezieht sich nur auf Schuldbriefe.
Schliesslich kann auch nicht gesagt werden, kantonale Beschränkungen für die Errichtung von Schuldbriefen stünden im Widerspruch zum Zweck des BGBB. Da sie bei landwirtschaftlichen Grundstücken wegen der vom Bundesrecht vorgegebenen Regelung über die Belastungsgrenze nur noch zum Tragen kommen, wenn sie strenger sind als diese (vgl. STAEHELIN, a.a.O., N. 2 zu Art. 843 ZGB), dienen sie in ihrem Anwendungsbereich dem Zweck, Schutz vor Überschuldung zu bieten, mindestens so gut wie die bundesrechtlichen Vorschriften. Ein triftiger Grund für eine Abweichung vom Wortlaut des Art. 798a ZGB ergibt sich auch unter diesem Aspekt nicht.